Entscheidungsstichwort (Thema)
Ständiger Vertreter des Leiters einer Universitätsklinik
Leitsatz (redaktionell)
Fortsetzung des Rechtsstreits bzgl. BAG Urteil vom 14. August 1991 – 4 AZR 25/91 – AP Nr. 159 zu §§ 22, 23 BAT 1975
Normenkette
BAT 1975 §§ 22-23; BGB §§ 133, 157; ZPO §§ 139, 278 Abs. 3, § 360; BGB § 611
Verfahrensgang
ArbG Marburg (Urteil vom 19.07.1989; Aktenzeichen 1 Ca 96/89) |
Hessisches LAG (Urteil vom 30.09.0199; Aktenzeichen 13 Sa 1651/91) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. September 1993 – 13 Sa 1651/91 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Hessische Landesarbeitsgericht – 1. Kammer – zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers.
Der Kläger ist promovierter Mediziner und seit dem 7. Januar 1989 zum außerplanmäßigen Professor berufen. Er war seit dem 1. Februar 1987 bis zum 30. September 1993 bei dem Klinikum der P.-Universität M. des beklagten Landes aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26. Januar 1987 beschäftigt. In der Zeit vom 1. April bis 30. September 1993 war er gem. § 50 Abs. 2 BAT ohne Vergütung beurlaubt. Er erhielt zunächst Vergütung nach VergGr. I b BAT, seit dem 1. Januar 1990 nach der VergGr. I a BAT. Nach § 2 des Arbeitsvertrages bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung.
Durch Beschluß des Klinikumvorstandes vom 21. Januar 1988 wurde der Kläger zum Stellvertreter des Abteilungsleiters der „Klinik für Allgemeinchirurgie” im Medizinischen Zentrum für Operative Medizin I bestellt. Dieser Beschluß hat folgenden Wortlaut:
„BESCHLUß
des Vorstandes vom: 21.01.1988 zu Top: 11 b
Stellvertreter des Abteilungsleiters der Klinik für Allgemeinchirurgie im Med. Zentrum für Operative Medizin I
Der Klinikumvorstand bestellt Herrn PD Dr. W. als Stellvertreter des Abteilungsleiters der Klinik für Allgemeinchirurgie im Med. Zentrum für Operative Medizin I.
(Dr. A. T.)
– Verwaltungsdirektor–”
Dem Abteilungsleiter, Prof. Dr. R., sind ca. 20 Ärzte dienstlich und organisatorisch unterstellt. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des Hessischen Universitätsgesetzes (HUG) sind im Rahmen des Universitäts-Klinikums verschiedene medizinische Zentren eingerichtet, die jeweils von einem Professor als geschäftsführendem Direktor geleitet werden. Jedes einzelne medizinische Zentrum ist seinerseits in verschiedene Abteilungen/Kliniken untergliedert, die wiederum von einem Professor als Abteilungsleiter geleitet werden.
Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers hat dieser auch in Anwesenheit des Abteilungsleiters neben einer Vielzahl anderer Tätigkeiten u.a. auch die Aufgabe, die Pläne für die Besetzung der Stationen und Funktionsbereiche mit ärztlichem und Pflegepersonal aufzustellen. Daneben bildet er die Stationsärzte fachchirurgisch, insbesondere operativ aus. Darüber hinaus hat er folgende organisatorische Aufgaben zu erledigen:
- Eigenverantwortliche Organisation und Zusammenstellung aller relevanten Daten und Fakten für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der Chirurgischen Klinik im Rahmen einer Prüfung des Gesamtklinikums. Meßbar erfaßt wurden dabei nicht nur Patientenversorgung, sondern auch Forschung und Lehre.
- Erstellen eines Dienstplanes für den ärztlichen Schichtdienst auf der chirurgischen Intensivstation. Dieser Dienstplan trägt dem sehr wechselhaften Arbeitsanfall einer Intensivstation sowie allen gesetzlichen Bestimmungen Rechnung. Es ist der erste von Verwaltung und Personalrat akzeptierte Dienstplan für diese Station seit ihrem Bestehen von über 4 Jahren.
- Erstellen des „M. Operationskataloges”, der alle für unsere Klinik relevanten Operationen enthält. Die edv-mäßige Speicherung des Kataloges ermöglicht uns eine rasche statistische Leistungserfassung des Operationsbereiches, erleichtert die wissenschaftliche Erhebung bezüglich einzelner Operationen bzw. Krankheitsbilder und ermöglicht es, jedem Mitarbeiter am Jahresende einen Computerausdruck über seine selbst durchgeführten Operationen bzw. Assistenzen zur Verfügung zu stellen.
- Mithilfe bei der Umorganisation des Dienstplanes der OP-Schwestern für die 39-Stunden-Woche ohne wesentliche Nachteile für den gesamten Operationsbetrieb in Absprache mit dem Klinikleiter und der Pflegedienstleitung.
Nachdem dem Kläger der vorgenannte Beschluß des Klinikumvorstandes mit Schreiben vom 3. Februar 1988 übersandt worden war, verlangte er zunächst mit Schreiben vom 16. März 1988 rückwirkend zum 15. Februar 1988 erfolglos Vergütung nach VergGr. I a BAT. Mit Schreiben vom 9. Mai 1988 beantragt er sodann Vergütung nach der VergGr. I Fallgruppe 4 BAT.
Nachdem dies von dem beklagten Land abgelehnt wurde, hat der Kläger dieses Begehren klageweise geltend gemacht.
Der Kläger hat vorgetragen, die Voraussetzungen der VergGr. I Fallgruppe 4 BAT lägen in seiner Person vor. Bei der Klinik für Allgemeinmedizin handele es sich um eine Anstalt im Sinne der Sonderregelung 2 a und um eine „Abteilung (Klinik)” im Sinne der Protokollnotiz Nr. 3. Er vertrete Prof. Dr. R. in der Gesamtheit seiner ärztlichen Dienstaufgaben und dies auch in Anwesenheit des Abteilungsleiters. Da das Schreiben vom 3. Februar 1988 keine Einschränkung enthalte, sei davon auszugehen, daß er zum ständigen Vertreter von Prof. Dr. R. bestellt worden sei.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, den Kläger ab 1. März 1988 nach VergGr. I BAT zu vergüten.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat vorgetragen, in dem Beschluß des Klinikumvorstandes sei keine ausdrückliche Anordnung im Sinne der VergGr. I Fallgruppe 4 BAT zu sehen. Der Kläger habe lediglich zum Abwesenheitsvertreter bestellt werden sollen, die Anordnung der ständigen Vertretung hätte ausdrücklich erfolgen müssen. Jegliches andersartige Verständnis des Beschlusses von Seiten des Klägers müsse sich das beklagte Land nicht zurechnen lassen. Im übrigen vertrete der Kläger Prof. Dr. R. nicht in der Gesamtheit der Aufgaben, wie sie in der Verordnung zu § 36 a HUG festgelegt seien. Soweit er zusammen oder in Absprache mit Prof. Dr. R. Leitungsfunktionen wahrnehme, liege keine echte Stellvertretung vor. Schließlich sei die Klinik, in der der Kläger tätig sei, keine Klinik im Sinne der Protokollnotiz Nr. 3.
Das Arbeitsgericht Marburg hat die Klage mit Urteil vom 19. Juli 1989 abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil mit Urteil vom 17. September 1990 zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Senat dieses Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Senat hat in diesem Urteil ausgeführt, entscheidend sei allein, ob der Kläger durch den Beschluß des Klinikumvorstandes zum „ständigen” Vertreter des Abteilungsleiters bestellt worden sei. Dieser Beschluß sei entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung nicht nach verwaltungsrechtlichen, sondern nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen auszulegen. Das Landesarbeitsgericht hat daraufhin unter dem 9. Juli 1992 einen Beweisbeschluß erlassen, der – soweit es hier interessiert – folgenden Wortlaut hat:
„…
2. Es soll Beweis erhoben werden über die Behauptungen des Klägers
- bei Fassung des Beschlusses vom 21. Januar 1988 seien alle Mitglieder des beschlußfassenden Vorstandes davon ausgegangen, daß dem Kläger die ständige Anwesenheitsvertretung des Prof. Dr. R. übertragen werde,
- Professor Dr. R. habe den Beschluß vom 21. Januar 1988 ebenso wie der Kläger dahingehend verstanden, daß der Kläger zu seinem ständigen Anwesenheitsvertreter bestellt worden sei,
dem Verwaltungsdirektor sowie dem Leiter und dem stellvertretenden Leiter der Personalabteilung sei durch Gespräche, die der Kläger mit ihnen im Dezember 1987 und im Frühjahr 1988 geführt habe, bekannt geworden, daß der Kläger die Aufgaben eines ständigen Anwesenheitsvertreters tatsächlich wahrnehme, durch Vernehmung der vom Kläger als Zeugen benannten Mitglieder des Vorstandes, das den Beschluß vom 14. September 1988 gefaßt hat, zu a),
Prof. Dr. R. zu b),
Dr. T. – zugleich gegenbeweislich auf Antrag des beklagten Landes zu a) – zu c),
Abteilungsleiter G. und stellvertretender
Abteilungsleiter B. zu c).
…”
Nach Vernehmung der Zeugen Prof. Dr. D., Prof. Dr. F. Prof. Dr. H., Dr. T., B. und G. am 12. August 1993 verkündete das Landesarbeitsgericht folgenden Beschluß:
„1.) Schriftsatznachlaß für beide Parteien zur Würdigung des heutigen Beweisergebnisses wird
bis zum 20. September 1993 gewährt.
2.) Termin zur Verkündung einer Entscheidung wird anberaumt auf
Donnerstag, 30. September 1993 um 9.00 Uhr, III. Stockwerk, Saal 301.”
Der Zeuge Prof. Dr. R. war am Tag der Beweisaufnahme wegen einer schweren Operation verhindert und dementsprechend nicht vernommen worden. In seinem Schriftsatz vom 20. September 1993 hat der Kläger daraufhin bereits einleitend festgestellt, die Beweisaufnahme könne noch nicht abgeschlossen werden, da zunächst noch der Zeuge Prof. Dr. R. vernommen werden müsse. Dies umsomehr als die beiden anderen Ärzte, nämlich die Professoren H. und D. sich im wesentlichen dahin geäußert hätten, der Kläger sei zum ständigen Vertreter bestellt worden. Das beklagte Land hat mit seinem Schriftsatz vom 17. September 1993 zur Beendigung der Beweisaufnahme keine Stellung genommen.
Am 30. September 1993 verkündete das Landesarbeitsgericht daraufhin ein Urteil, mit dem es die Berufung des Klägers erneut zurückwies. Der an diesem Tag verlesene Tenor dieses Urteils ist ausweislich der Anlage zum Sitzungsprotokoll von den beteiligten Richtern bereits am 12. August 1993, also am Tag der Beweisaufnahme, unterschrieben worden. Das Landesarbeitsgericht hat in dem Urteil ausgeführt, von einer Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. R. werde abgesehen, da es nicht darauf ankomme, wie sonstige Personen den Beschluß vom 21. Januar 1988 verstanden hätten, entscheidend sei allein, welches Verständnis der Beschluß beim eigentlichen Empfänger – dem Kläger – hervorgerufen habe. In dieser Hinsicht habe der Kläger jedoch seiner Beweislast nicht genügen können.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Klageantrag weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur erneuten Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Zurückverweisung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.
I.1. Das Landesarbeitsgericht hat nach der ersten Zurückverweisung einen Beweisbeschluß erlassen, nach welchem mehrere Zeugen u.a. Prof. Dr. R. zu vernehmen seien. Es hat alsdann die Zeugen vernommen. Der Zeuge Prof. Dr. R. war aber am Vernehmungstermin verhindert. Es hat alsdann den Parteien eine Schriftsatzfrist eingeräumt und zugleich Verkündungstermin angesetzt. In diesem Verkündungstermin hat es erneut ein klageabweisendes Urteil verkündet, indem es auf die Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. R. aus Rechtsgründen verzichtet hat, ohne den Parteien hierzu vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
2.a) Nach der übereinstimmenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung kann ein Gericht einen Beweisbeschluß als eine prozeßleitende Verfügung jederzeit von Amts wegen aufheben, etwa weil sich dessen Unerheblichkeit herausgestellt hat. Die Aufhebung kann auch stillschweigend geschehen, etwa durch eine Vertagung zum Zwecke der Verkündung einer Entscheidung (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 360 Rz 1; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 360 Rz 1, jeweils m.w.N.; Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl., § 360 Rz 1). Dies gilt unabhängig von § 360 ZPO, weil dort allein die Änderung des Beweisbeschlusses behandelt wird (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, a.a.O.).
b) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch mit seiner Verfahrensweise das rechtliche Gehör für beide Parteien verletzt. Nach §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO ist es notwendig, den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren. Auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht seine Entscheidung nur dann stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, a.a.O.; Zöller/Greger, ZPO, a.a.O.; vgl. auch BVerfG 69, 248, 256). Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat das Landesarbeitsgericht die Parteien nicht darauf hingewiesen, es könne möglicherweise auf eine Vernehmung des verhinderten Zeugen Prof. Dr. R. nicht ankommen. Es hat ihnen vielmehr eine Schriftsatzfrist zur Stellungnahme zum heutigen Beweisergebnis eingeräumt und damit den Kläger sogar irregeleitet, wie sich auch aus seinen Ausführungen im nachgelassenen Schriftsatz ergibt.
II. Das bisherige Beweisergebnis ist nicht eindeutig, es läßt weder den Schluß zu, der Vorstand des Klinikums sei bei seiner Beschlußfassung am 21. Januar 1988 von einem Anwesenheitsvertreter ausgegangen, noch den, es habe lediglich ein Abwesenheitsvertreter bestellt werden sollen. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß die beteiligten Professoren von einem Anwesenheitsvertreter ausgegangen sind, die Verwaltungsbeamten dagegen von einem Abwesenheitsvertreter. Wenn auch vieles insbesondere unter Berücksichtigung der Begleitumstände für die Auffassung des Klägers spricht, kann es unter diesen Umständen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auf das Ergebnis der Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. R. entscheidend ankommen, zumal dieser sowohl Mitglied des Vorstands bei der Beschlußfassung als auch der Abteilungsleiter war, um dessen Vertretung es ging. Der Senat konnte deshalb keine abschließende eigene Würdigung vornehmen.
III. Der Rechtsstreit war daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 564 Abs. 1, § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat hat dabei von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Unterschriften
Schaub, Bott, Schneider, Grätz, Ratayczak
Fundstellen