Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherungsbeiträge der Rentner
Normenkette
BetrAVG § 5; BGB §§ 133, 157; BetrVG § 77
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 14.07.1992; Aktenzeichen 2 Sa 290/92) |
ArbG Köln (Urteil vom 14.11.1991; Aktenzeichen 1 Ca 5154/91) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 14. Juli 1992 – 2 Sa 290/92 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14. November 1991 – 1 Ca 5154/91 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob der Krankenversicherungsbeitrag, der dem Kläger von seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Knappschaftsrente) einbehalten wird, bei der Berechnung seiner Betriebsrente berücksichtigt werden darf.
Der Kläger, geboren am 28. Juni 1927, war seit dem 1. September 1975 bei der M GmbH beschäftigt. Das Unternehmen gewährte seinen Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Nach der Pensionsordnung vom 30. Dezember 1976 setzte sich das Ruhegeld aus einem Grundbetrag und aus Steigerungsbeträgen zusammen. Nach einer Wartezeit von 15 Jahren betrug der Grundbetrag 12,5 % des ruhegeldfähigen Einkommens, der Steigerungsbetrag für jedes nach der Vollendung der Wartezeit zurückgelegte weitere anrechnungsfähige Dienstjahr 0,5 % des ruhegeldfähigen Einkommens. Als ruhegeldfähiges Einkommen galten gemäß § 6 der Pensionsordnung die Brutto-Grundbezüge des Mitarbeiters im Durchschnitt der letzten zwei vollen Dienstjahre vor Eintritt des Versorgungsfalles. Es war eine Gesamtversorgungsobergrenze vorgesehen. Insoweit bestimmte § 10 der Pensionsordnung in der ursprünglichen Fassung vom 30. Dezember 1976:
„Die Alters- bzw. Erwerbsunfähigkeitspension nach dieser Pensionsordnung bei Eintritt des Versorgungsfalles zusammen mit der ungekürzten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (ungekürzt um eine evtl. Unfallrente einer Berufsgenossenschaft) bzw. der Rente aus der Befreiungsversicherung zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalles wird als Gesamtaltersversorgung bezeichnet. Wenn diese Jahres-Gesamtaltersversorgung mehr als 75 % des nach § 6 ruhegeldfähigen Einkommens ergibt, wird die M -Pension um den 75 % übersteigenden Betrag gekürzt.”
In den Erläuterungen zur Pensionsordnung vom 31. Dezember 1976 heißt es zu § 10, die M -Pensionen sollten eine echte Zusatzversorgung zu den Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sein. Die gesamten Bezüge eines Pensionärs (gesetzliche Rente und M -Alterspension) sollten aber nicht höher sein als die eines aktiven Mitarbeiters; wenn die Sozialversicherungsrente, die normalerweise nach 40 Versicherungsjahren etwa 46 % des letzten Arbeitseinkommens erreiche, zusammen mit der M -Alterspension in Ausnahmefällen mehr als 75 % der letzten Bezüge ergebe, werde deshalb die M -Pension soweit gekürzt, daß die Gesamtversorgung 75 % der Bruttobezüge nicht übersteige; damit könne der beim Ausscheiden erworbene Lebensstandard aufrechterhalten werden.
Durch eine Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 wurde § 10 der Pensionsordnung geändert. Die Gesamtversorgungsobergrenze wurde nunmehr wie folgt bestimmt:
„Wenn die Gesamtaltersversorgung mehr als 100 % des nach § 6 ruhegeldfähigen Einkommens im Durchschnitt der letzten 6 Monate vor Eintritt des Versorgungsfalles nach Abzug der darauf zu entrichtenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge *), also des Netto-Einkommens, ergibt, wird die M -Pension um den 100 % übersteigenden Betrag gekürzt.
* Einheitliche Ermittlung der Lohn- und Kirchensteuer nach Steuerklasse für Verheiratete ohne Kinder (III/0); Arbeitnehmerbeiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung (Beitragssätze der AOK, Bonn)”
Im Jahre 1988 wurde die M GmbH von der Beklagten übernommen. Der Kläger war in der Folgezeit bei der Beklagten beschäftigt. Er schied mit Wirkung vom 1. September 1990 aus ihren Diensten aus. Seither bezieht er von der Bundesknappschaft eine monatliche Rente, die sich nach dem Rentenbescheid vom 9. August 1990 wie folgt zusammensetzt:
Monatliche Rente DM 2.685,80 zuzüglich Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag von 6,40 % DM 171,89
Rente einschließlich Zuschuß DM 2.857,69
abzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 12,8 % der Rente DM 343,78
monatlicher Zahlbetrag DM 2.513,91
Ebenfalls seit dem 1. September 1990 bezieht der Kläger von der Beklagten betriebliches Ruhegeld. Bei der Berechnung der Betriebsrente berücksichtigte die Beklagte eine Sozialversicherungsrente von 2.685,80 DM. Das hatte zur Folge, daß die Obergrenze der Gesamtversorgung, das letzte Nettovergleichseinkommen des Klägers, überschritten wurde. Die vom Kläger erreichbare Betriebsrente von 504,58 DM monatlich wurde auf zunächst 182,– DM gekürzt. Nach dem Urteil des Arbeitsgerichts im vorliegenden Rechtsstreit hat die Beklagte ihre Berechnung korrigiert und die Betriebsrente auf 193,62 DM erhöht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, in die Berechnung der Betriebsrente dürfe nur die Nettorente aus der gesetzlichen Rentenversicherung einfließen, d. h. der Zahlbetrag nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags. Dies folge aus § 10 der Pensionsordnung i. d. F. der Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986. Auch nach dem Willen des Gesetzgebers sei der Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag kein Bestandteil der gesetzlichen Rente.
Der Kläger meint, ihm stehe ein zusätzlicher Betrag von 172,68 DM monatlich zu. Diesen Betrag hat er errechnet, indem er von einer Knappschaftsrente von 2.513,91 DM als anrechnungsfähiger Sozialversicherungsrente ausgegangen ist.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß ihm gegen die Beklagte per 1. September 1990 über die bereits zuerkannte monatliche Rente von DM 193,62 hinaus weitere monatliche Leistungen in Höhe von DM 172,68 nach dem BetrAVG aus der durch die frühere Arbeitgeberin des Klägers, die Firma M GmbH in B, begründete betriebliche Altersversorgung zustehe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, in den Versorgungsrichtlinien i. d. F. der Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 sei keine Nettogesamtversorgung, sondern eine Gesamtversorgung in Höhe der letzten Aktiven-Bezüge vorgesehen worden. Maßgebend seien die anrechenbaren Bruttobezüge der Rentner. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus den gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit der Einführung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger kann nicht verlangen, daß seine Knappschaftsrente bei der Berechnung seiner Betriebsrente nur mit dem Zahlbetrag berücksichtigt wird. Die Beklagte darf bei der Berechnung der Betriebsrente die Rente des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Abzug des Krankenversicherungsbeitrages (Bruttorente) zugrundelegen.
I. Der Kläger hat klargestellt, daß er sich nicht gegen die Änderung der Pensionsordnung vom 30. Dezember 1976 durch die Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 wendet. Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Betriebsvereinbarung als Ablösungsmittel der auf vertraglicher Grundlage eingeführten Versorgungsordnung (BAG Großer Senat, Beschluß vom 16. September 1986 – GS 1/82 – BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972). Auch der Senat sieht keinen Anlaß, die Absenkung der Gesamtversorgungsobergrenze von 75 % der letzten Bruttobezüge auf 100 % der letzten Nettobezüge zu beanstanden. Nach dem Vortrag der Parteien besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes verletzt sein könnten (vgl. hierzu BAG Urteil vom 11. September 1990 – 3 AZR 380/89 – BAGE 66, 39 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand). Der Arbeitgeber hätte auch einseitig die planwidrig eingetretene Überversorgung zurückführen können.
II. Die Beklagte hat die Betriebsrente richtig berechnet, indem sie bei der Ermittlung der Gesamtversorgungsobergrenze den Bruttobetrag der Knappschaftsrente berücksichtigt hat.
1. Rechtsgrundlage für die Anrechnung anderer Versorgungsbezüge bei der Ermittlung der Obergrenze der Gesamtversorgung ist § 10 der Pensionsordnung in der Fassung der Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986. Danach darf die Betriebsrente „mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung” das Nettoeinkommen im Durchschnitt der letzten sechs Monate vor Eintritt des Versorgungsfalles nicht übersteigen. Mit der „gesetzlichen Rente” wird die Bruttorente bezeichnet. Das hat der Senat im Urteil vom 10. März 1992 – 3 AZR 352/91 – (zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse vorgesehen) entschieden. Er hat ausgeführt, daß auch Versorgungsbezüge in unterschiedlicher Höhe gesetzlichen Abgaben unterliegen und deshalb der einschränkungslose Hinweis auf andere Versorgungsbezüge in der Regel nur bedeuten kann, daß der Bruttobezug gemeint ist. Soll nur die Nettoversorgung – individuell oder pauschal berechnet – maßgebend sein, muß das mindestens sinngemäß zum Ausdruck kommen. Erst recht gilt dies, wenn nur bestimmte, einzelne Positionen von der Anrechnung ausgenommen sein sollen, etwa, wie vom Kläger beansprucht, sein eigener Krankenversicherungsbeitrag.
2. Auch das Landesarbeitsgericht geht von diesem Grundsatz aus. Der Wortlaut des § 10 der hier maßgeblichen Pensionsordnung spreche zugunsten der Auffassung der Beklagten. Die Auslegung dürfe sich jedoch nicht allein am Wortlaut orientieren, vielmehr seien auch Sinn und Zweck der Regelung, soweit sie zum Ausdruck gebracht seien, in die Auslegung einzubeziehen. Mit der Änderung des § 10 der Pensionsordnung durch die Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 sei eine Netto-Oberbegrenzung festgeschrieben worden. Die Neufassung habe das Ziel verfolgt, dem Ruheständler die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards zu ermöglichen. Dieses Ziel sei mit der Neufassung des § 10 der Pensionsordnung besser zu erreichen. Mit dieser Zielsetzung sei es unvereinbar, bei der Ermittlung der Versorgungsobergrenze die volle Bruttorente des Klägers zugrunde zu legen und Abzüge nicht zu berücksichtigen. Für diese Auffassung spreche auch, daß der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner erst zum 1. Januar 1983 eingeführt worden sei.
Diese Auslegung der Pensionsordnung durch das Berufungsgericht hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand:
a) Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend beachtet, daß die Definition der Gesamtversorgung in der Pensionsordnung vom 30. Dezember 1976 durch die Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 nicht geändert worden ist. Auch nach der Neuregelung besteht die sog. Gesamtaltersversorgung aus der Summe des betrieblichen Ruhegeldes und der „ungekürzten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung”. Geändert hat die Betriebsvereinbarung die Grenze, über die hinaus keine betriebliche Versorgungsleistungen gewährt werden sollen. Das Vergleichseinkommen von 75 % der letzten Bruttobezüge wurde auf 100 % der letzten Nettobezüge abgesenkt. Insoweit ist der Wortlaut der Regelung eindeutig.
Schon damit erweisen sich die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts über das Ziel der Änderung als unzutreffend. Die Neuregelung hat die Merkmale der Gesamtversorgung – gesetzliche und betriebliche Rentenbezüge – unverändert gelassen.
b) Auch aus den Erläuterungen zu der Pensionsordnung vom 30. Dezember 1976 läßt sich, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht herleiten, daß der Krankenversicherungsbeitrag als Abzug von der gesetzlichen Bruttorente berücksichtigt werden muß. Den Erläuterungen mit ihren überschlägigen Berechnungen ist nur zu entnehmen, daß eine Überversorgung der Rentner, also ein höherer Gesamtrentenbetrag als die Einkünfte eines aktiven Arbeitnehmers, als unerwünscht angesehen wurde und deshalb vermieden werden sollte. Die Erläuterungen geben keinen Anhalt für die Annahme, das Effektiveinkommen eines vergleichbaren aktiven Arbeitnehmers solle exakt festgeschrieben und auf Dauer ungeachtet von wechselnden Belastungen der Versorgungsbezüge mit Abgaben erhalten werden. Die Erläuterungen stehen daher nicht der Auslegung entgegen, daß die Versorgungsbezüge in ihrem Bruttobetrag mit den Arbeitseinkünften in ihrem Nettobetrag verglichen werden sollen.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich auch aus Sinn und Zweck der Regelung nicht entnehmen, daß der Krankenversicherungsbeitrag des Klägers bei der Ermittlung der Gesamtversorgungsobergrenze mindernd berücksichtigt werden muß. Hätten die Betriebsparteien, wie der Kläger und das Landesarbeitsgericht meinen, mit der Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 eine Nettogesamtversorgung einführen wollen, so hätten sie für die Versorgungsbezüge ebenso wie für die Aktivenbezüge eine Regelung treffen müssen. Sie hätten bestimmen müssen, welche Abzüge, pauschal oder individuell ermittelt, bei der Feststellung der Versorgungsbezüge berücksichtigt werden sollen. Eine solche Regelung haben sie aber nicht getroffen. Aus einer pauschalierten Nettogröße bei den Aktivenbezügen läßt sich nicht schließen, auch bei der anzurechnenden Sozialversicherungsrente sei der Zahlbetrag nach Abzug aller persönlichen Abgaben maßgebend. Die Pensionsordnung der Beklagten enthält entgegen der Auffassung des Berufungerichts keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß anstelle der Bruttorente eine um den Krankenversicherungsbeitrag verminderte Rente angerechnet werden soll.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, den Krankenversicherungsbeitrag der Renter bei der Berechnung der Betriebsrente außer Betracht zu lassen (BAG Urteil vom 22. September 1969 – 3 AZR 113/69 – AP Nr. 140 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG Urteil vom 23. Februar 1988 – 3 AZR 100/86 – AP Nr. 26 zu § 5 BetrAVG, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 14. Februar 1989 – 3 AZR 313/87 – BAGE 61, 102, 105 f. = AP Nr. 23 zu § 16 BetrAVG, zu II 3 b der Gründe; BAG Urteil vom 10. März 1992 – 3 AZR 352/91 – zur Veröffentlichung bestimmt).
Ferner hat der Senat in dem Urteil vom 10. März 1992 darauf hingewiesen, daß es die Krankenversicherungspflicht der Rentner in verschiedenen Ausformungen bereits seit rund fünfzig Jahren gibt. Lediglich die Art und Weise der Beitragsleistungen wechselte. Daß der krankenversicherte Rentner die Beiträge selbst trägt – mit der Folge des 50 %igen Zuschusses durch den Rentenversicherungsträger (§ 1304 e RVO, § 381 Abs. 2 RVO, Art. 2 Nr. 11 b RAG 1982 vom 1. Dezember 1981 – BGBl. I S. 1205) – ist mit Wirkung vom 1. Januar 1983 Gesetz geworden. Diese Regelung muß den Betriebspartnern daher bei Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 12. Mai 1986 bekannt gewesen sein. Hätte der persönliche Krankenversicherungsbeitrag der Rentner berücksichtigt werden sollen, hätte nichts näher gelegen, als dies in der Neuregelung zum Ausdruck zu bringen.
Unterschriften
Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Fieberg, Hauschild
Fundstellen