Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
Hat der Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung seitens des Arbeitgebers nach § 123 BGB wirksam angefochten, so kann das Recht des Arbeitnehmers, die Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages klageweise geltend zu machen, im Hinblick auf den eigenen Verstoß des Arbeitgebers gegen Treu und Glauben nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen verwirken.
Bei der Prüfung des erforderlichen Zeitmoments ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber dem Bedrohten schon für die Anfechtung in § 124 BGB eine Überlegungsfrist von einem Jahr einräumt. Der Drohende muß sich deshalb nach Treu und Glauben regelmäßig damit abfinden, daß der Bedrohte die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts auch noch einige Monate nach der Anfechtung und Klageandrohung klageweise geltend macht.
Normenkette
BGB §§ 242, 123-124, 142
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 8. Januar 1997 - 7 Sa 516/96 - aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die 1929 geborene Klägerin war seit Dezember 1991 mit einer Unterbrechung im September 1992 für die aus den Beklagten zu 1) und 2) bestehende Anwaltssozietät als Buchhalterin tätig. Für teils zu Hause, teils in der Anwaltskanzlei erledigte Buchhaltungsarbeiten stellte sie dem Beklagten zu 1) 20,00 DM pro Stunde zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung. Für die Monate Mai und Juni 1992 existiert allerdings ein vom Beklagten zu 1) unterzeichneter Sozialversicherungsnachweis, und für die Zeit ab April 1992 ein Antrag der Beklagten an das zuständige Arbeitsamt auf Gewährung eines Lohnkostenzuschusses, der jedoch weder unterzeichnet, noch abgesandt worden ist. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin ab 1. April 1992 bei den Beklagten als Sekretärin/Buchhalterin mit einem Gehalt von 3.250,00 DM brutto in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat.
Am 4. November 1993 füllte eine Mitarbeiterin der Anwaltskanzlei einen Scheck über 10.000,00 DM aus und ließ ihn vom Beklagten zu 2) gutgläubig unterzeichnen, indem sie ihm vorspiegelte, der Betrag müsse auf ein anderes Konto der Kanzlei umgebucht werden. In Wahrheit hatte sie vor, den Scheck auf ihr eigenes Konto einzulösen, was auch am 1. Dezember 1993 mit entsprechender Gutschrift geschah. Im Anschluß daran kam es im Dezember 1993 zu einem Gespräch zwischen der Klägerin, die die Bürokonten zu führen hatte, und der betreffenden Mitarbeiterin. Bei diesem Gespräch übergab die Klägerin der Mitarbeiterin den Kontoauszug, der die Abbuchung der 10.000,00 DM auswies. Nachdem die Klägerin den Beklagten zu 1) im Januar oder Februar 1994 über den Verdacht der Unregelmäßigkeit bei der Scheckeinreichung informiert hatte, forderte der Beklagte zu 1) zunächst bei der Bank einen Ersatzkontoauszug an und erfuhr dann am 9. März 1994 auf entsprechende Rückfrage, daß der Scheck zugunsten des Privatkontos der Mitarbeiterin eingelöst worden war. Der Beklagte zu 1) kündigte daraufhin am 17. März 1994 der anderen Mitarbeiterin fristlos. Nach einem vierwöchigen Auslandsaufenthalt stellte er am 22. April 1994 die Klägerin zur Rede, hielt ihr vor, sie habe sich im Zusammenhang mit der Scheckeinreichung nicht korrekt verhalten und drohte ihr mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Im Verlauf der Unterredung kam es zum Abschluß eines schriftlichen Aufhebungsvertrages. Danach sollte die Mitarbeit der Klägerin zum 22. April 1994 beendet sein und nach Herausgabe der Bürounterlagen durch die Klägerin und der Zahlung des Entgelts für die geleisteten Arbeitsstunden sollten keine weiteren gegenseitigen Ansprüche - gleich aus welchem Rechtsgrund - bestehen.
Mit einem an den Beklagten zu 1) gerichteten Anwaltsschreiben vom 17. Mai 1994 focht die Klägerin den Aufhebungsvertrag "vorsorglich" wegen Irrtums und Drohung an und stellte sich auf den Standpunkt, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden. Mit Anwaltsschreiben vom 15. Juni 1994 schlug der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin den Beklagten vor, sie sollten zum Ausgleich aller Ansprüche weitere 8.000,00 DM nebst Mehrwertsteuer an die Klägerin zahlen. Als es zu einer vergleichsweisen Regelung nicht kam, drohten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin den Beklagten jeweils unter Fristsetzung mit Schriftsätzen vom 18. Juli, 18. August und 13. Oktober 1994 die Klageerhebung an. Anschließend kam es nur noch zu einer telefonischen Kontaktaufnahme im November bzw. Dezember 1994, ehe die Klägerin im vorliegenden Verfahren am 11. Juli 1995 beim Arbeitsgericht Klage auf Feststellung erhob, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht und dieses auch nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 22. April 1994 aufgelöst worden ist.
Die Klägerin hat behauptet, sie sei zuletzt voll in den Kanzleibetrieb eingegliedert gewesen und mit allen dort anfallenden Tätigkeiten beauftragt worden. Von 8.00 bis 17.00 Uhr habe sie anwesend sein müssen, das Beschäftigungsverhältnis sei lediglich aus Kostengründen auf der Basis freier Mitarbeit geführt worden. Die Beklagten hätten gegenüber dem Arbeitsamt auch ausdrücklich bestätigt, daß ein Arbeitsverhältnis mit einem festen Monatsgehalt bestehe. Über die Veruntreuung der 10.000,00 DM sei sie nicht von Anfang an unterrichtet gewesen, die andere Mitarbeiterin habe die Tat vielmehr allein geplant und durchgeführt. Nach Eingang des fraglichen Kontoauszuges und dessen Überprüfung im Dezember 1993 habe sie die Mitarbeiterin befragt. Da diese erklärt habe, sie wolle die Sache selbst mit dem Beklagten zu 1) besprechen, habe sie ihr auf ihren Wunsch den Kontoauszug ausgehändigt. Sie habe ihr eine Frist gesetzt, die Angelegenheit zu bereinigen und sie in der Folgezeit mehrfach gedrängt, den Betrag umgehend zurückzuzahlen. Da sie - die Klägerin - es gewesen sei, die Anfang 1994 die Beklagten über die Sache informiert habe, habe für die Beklagten kein Grund bestanden, ihr bei dem Gespräch im April 1994 mit einer fristlosen Kündigung zu drohen. Der Aufhebungsvertrag habe im übrigen das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis schon deshalb nicht beendet, weil er lediglich mit dem Beklagten zu 1) abgeschlossen worden sei.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagten haben zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags behauptet, die Klägerin sei als freie Mitarbeiterin hinsichtlich der Bestimmung ihres Arbeitsorts und ihrer Arbeitszeit frei gewesen. Wenn in einem Schreiben an das Arbeitsamt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bestätigt worden sei, so habe die Klägerin die Unterschrift unter dieses Schreiben in unredlicher Weise erlangt, um sich einen Bankkredit zu sichern. Über die Veruntreuung der 10.000,00 DM seien sie von der Klägerin zunächst nur bruchstückhaft informiert worden. Diese habe Anfang 1994 lediglich auf das Fehlen des Kontoauszugs hingewiesen, was zu dem Nachforschungsauftrag geführt habe. Im Zuge der weiteren Ermittlungen habe der Beklagte zu 1) dann nach der fristlosen Kündigung der betreffenden Mitarbeiterin und seinem Auslandsurlaub erfahren, daß die Klägerin schon vor der Einlösung des Schecks über die Sache informiert gewesen sei und es sogar mit ihr besprochen gewesen sei, den Scheck erst einzulösen, sobald eine so große Summe auf dem Konto sei, daß der Verlust von 10.000,00 DM nicht sofort auffalle. Als der Beklagte zu 1) der Klägerin dies am 22. April 1994 vorgehalten habe, habe die Klägerin nicht geleugnet, mehrere Wochen vor der Scheckeinlösung eingeweiht gewesen zu sein, sich jedoch damit entschuldigt, sie habe von der Einlösung des Schecks abgeraten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es könne unterstellt werden, daß das Rechtsverhältnis, das zwischen der Klägerin und den Beklagten bestanden habe, ein Arbeitsverhältnis gewesen sei und die Beendigungsvereinbarung der Klägerin mit dem Beklagten zu 1) aufgrund der Anfechtungserklärung der Klägerin nichtig sei. Die Klägerin könne sich jedenfalls nach Treu und Glauben auf die Nichtigkeit nicht mehr berufen, weil sie diese nach der Anfechtung und der Ablehnung aller Ansprüche durch die Beklagten nicht alsbald gerichtlich geltend gemacht habe und es den Beklagten nicht mehr zugemutet werden könne, dem verspäteten Begehren der Klägerin zu entsprechen, d.h. die Klägerin wieder als Buchhalterin zu beschäftigen. In einem Fall wie dem vorliegenden trete die Verwirkung nach den gleichen Grundsätzen ein wie nach einer unwirksamen Kündigung oder einer unwirksamen Befristung.
II. Dem folgt der Senat nicht. Unterstellt man zugunsten der Klägerin, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat und dieses Arbeitsverhältnis auch durch die Aufhebungsvereinbarung nicht beendet werden ist, weil diese von der Klägerin nach § 123 BGB wegen widerrechtlicher Drohung wirksam angefochten worden ist, so ist das Recht der Klägerin, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, weder prozessual noch materiell verwirkt.
1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht zunächst davon aus, daß die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung nicht bereits daran scheitert, daß die Vertragsurkunde lediglich vom Beklagten zu 1) und der Klägerin unterzeichnet ist. Die Auslegung des Berufungsgerichts, der Aufhebungsvertrag sei vom Beklagten zu 1) für die Anwaltssozietät abgeschlossen und von der Klägerin auch so verstanden worden, ist als Auslegung einer nichttypischen Willenserklärung in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt überprüfbar. Sie entspricht im übrigen, berücksichtigt man die Tatsache, daß die Klägerin und ihr damaliger Prozeßbevollmächtigter jeweils mit einem der Beklagten "für die Kanzlei" verhandelt haben, dem Akteninhalt und eine erhebliche Revisionsrüge wird von der Klägerin insoweit auch nicht erhoben. Die Vollmacht des Beklagten zu 1) zum Abschluß der Aufhebungsvereinbarung mit Wirkung auch für den Beklagten zu 2) hat, entweder schon von vornherein vorgelegen oder sie war entbehrlich, weil jedenfalls nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 177 Abs. 1 BGB eine ausdrückliche Genehmigung durch den Beklagten zu 2) spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung erfolgt ist.
2. Schon der rechtliche Ausgangspunkt der Erwägungen des Berufungsgerichts zur Verwirkung ist jedoch verfehlt.
a) Wenn der Gesetzgeber in den §§ 4 und 13 KSchG für bestimmte Klagen eine dreiwöchige Klagefrist vorgesehen und erst vor einiger Zeit das Erfordernis rechtzeitiger Klageerhebung in § 1 Abs. 5 BeschFG auf die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Befristung ausgedehnt hat, so handelt es sich dabei um Sonderregelungen, die sich nicht auf andere Fallgestaltungen übertragen lassen. Gerade § 1 Abs. 5 BeschFG in der durch Gesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I, S. 1476) geänderten Fassung zeigt, daß der Gesetzgeber noch im Jahre 1996 ein entsprechendes Regelungsbedürfnis zwar für befristete Arbeitsverträge, offenbar jedoch nicht z.B. für nach § 123 BGB wirksam angefochtene Aufhebungsverträge angenommen hat.
b) Auch die Erwägungen, die in Rechtsprechung und Lehre zur Verwirkung des Klagerechts bei einer Kündigung - etwa außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes - angestellt worden sind, sind auf einen wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 BGB wirksam angefochtenen Aufhebungsvertrag mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht ohne weiteres übertragbar. Mit dem Ausspruch einer Kündigung hat der Arbeitgeber einen Tatbestand gesetzt, der es nach Treu und Glauben erwarten läßt, daß der Arbeitnehmer in zumutbarer Zeit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses einer gerichtlichen Klärung zuführt, wenn er die Kündigung nicht hinnehmen will. Hat der Arbeitgeber hingegen den Arbeitnehmer durch eine nach § 123 BGB als widerrechtlich anzusehende Drohung zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages bewogen, so muß er nach §§ 123, 124 Abs. 1 BGB ein Jahr lang damit rechnen, daß der Aufhebungsvertrag angefochten wird. Hat der Arbeitnehmer wirksam angefochten, so hat er seinerseits alles Erforderliche getan, den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses sicherzustellen. Da die Aufhebungsvereinbarung im Hinblick auf die Drohung des Arbeitgebers als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB), ist für den Arbeitgeber auch ohne weiteres erkennbar, daß das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, den Vertrauensschutz, den man bei der Prüfung der Verwirkung d e m Arbeitgeber zubilligt, der möglicherweise in gutem Glauben an die Wirksamkeit seiner evtl. nur an einer Formalie scheiternden Kündigung gekündigt hat, auf einen Arbeitgeber auszudehnen, der trotz erfolgter Anfechtung nach § 123 BGB das Ergebnis seiner rechtwidrigen Drohung über das Rechtsinstitut der Verwirkung perpetuieren möchte. Noch stärkere Bedenken bestehen dagegen, bei einem nach §§ 123, 140 Abs. 1 BGB nichtigen Aufhebungsvertrag eine prozessuale Verwirkung, also eine Verwirkung des Klagerechts anzunehmen. Nach § 142 Abs. 2 BGB ist nicht der Anfechtende zur Klage verpflichtet, vielmehr wird der Arbeitgeber, der die Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrages kannte bzw. kennen mußte, so behandelt, als hätte er die Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages von Anfang an gekannt oder kennen müssen.
3. Die Revision rügt danach zu Recht, daß die Voraussetzungen einer Verwirkung bei dem vom Berufungsgericht unterstellten Sachverhalt nicht vorliegen.
a) Das Anfechtungsrecht nach § 123 BGB kann die Klägerin nicht verwirkt haben, denn sie hat es wirksam ausgeübt.
b) Das Berufungsgericht ist zwar im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen, das Recht, eine Klage zu erheben, könne verwirkt werden (BAGE 11, 353 = AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung; Urteil vom 11. November 1982 - 2 AZR 552/81 - AP Nr. 71 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAGE 9, 330 = AP Nr. 43 zu § 626 BGB; Urteil vom 20. Mai 1988 - 2 AZR 711/87 - AP Nr. 5 zu § 242 Prozeßverwirkung). Das Klagebegehren ist danach verwirkt, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraumes erhebt (Zeitmoment) und dadurch ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen wird, er werde nicht mehr gerichtlich belangt. Hierbei muß das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, daß dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zuzumuten ist (Umstandsmoment).
Hier eine Verwirkung der Befugnis zur Klageerhebung auf Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses anzunehmen, mit der Folge, daß eine entsprechende Klage wegen Prozeßverwirkung als unzulässig abzuweisen wäre, ist jedoch unter den vom Berufungsgericht unterstellten Umständen verfehlt. Mit Zugang der Anfechtungserklärung steht fest, daß der Aufhebungsvertrag von Anfang an als nichtig anzusehen ist. Auf diese Nichtigkeit kann sich grundsätzlich jeder berufen, insbesondere kann der Arbeitnehmer als Betroffener seine Rechte aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis jederzeit gerichtlich geltend machen. Diese Klagebefugnis kann gegenüber dem Drohenden, der sich über die Rechtsfolgen seiner Drohung im klaren sein muß (§ 142 Abs. 2 BGB), wenn überhaupt, so nur in ganz außergewöhnlichen Fällen als verwirkt angesehen werden. Ein solcher Fall ist hier nicht anzunehmen. Der Gesetzgeber gewährt bei der widerrechtlichen Drohung dem Bedrohten eine lange Überlegungsfrist von einem Jahr (§ 124 Abs. 1 BGB) und zeigt damit, daß er das Recht des Drohenden, schnellstmöglich über die Rechtslage Bescheid zu wissen, verhältnismäßig gering einschätzt. Schon ein ausreichender Zeitraum für eine prozessuale Verwirkung (Zeitmoment) ist nicht verstrichen, wenn der Anfechtende nach einer ordnungsgemäßen Anfechtungserklärung und einer mehrfachen Klageandrohung bis zur Klageerhebung nicht einmal solange zuwartet, wie er nach § 124 Abs. 1 BGB selbst mit der Anfechtungserklärung hätte warten können. Davon abgesehen, steht bei der Prüfung des Umstandsmoments einer Verwirkung der Klagebefugnis das gegen Treu und Glauben verstoßende eigene Verhalten des Drohenden entgegen. Dieser muß sich, wenn nicht ganz außergewöhnliche Umstände vorliegen, nach Treu und Glauben damit abfinden, daß der Bedrohte die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts auch nach einigen Monaten noch klageweise geltend macht (ebenso zur Verwirkung des Anfechtungsrechts Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 10 3 c, S. 125).
c) Nichts anderes gilt hinsichtlich der materiell-rechtlichen Verwirkung des Rechts, aus der eigenen Anfechtungserklärung und der dadurch bewirkten Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages Rechte herzuleiten. Die Zeitspanne, die die Klägerin mit der Klageerhebung gewartet hat, ist nur verglichen mit der Klagefrist des § 4 KSchG verhältnismäßig lang. Berücksichtigt man die Zeitspanne, die die Klägerin nach erfolgter Anfechtung - stets mit Klageandrohung - mit den Beklagten verhandelt hat und berücksichtigt zudem, daß der Gesetzgeber nach § 124 BGB sogar für die Anfechtung die verhältnismäßig lange Frist von einem Jahr gewährt, ist das Zeitmoment nicht erfüllt. Das Vertrauen der Beklagten darauf, es werde keine Klageerhebung erfolgen, ist zudem angesichts ihrer eigenen - vom Landesarbeitsgericht als widerrechtlich unterstellten - Drohung nach Treu und Glauben nicht schutzwürdig. Die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages kannten sie oder mußten sie kennen (§ 142 Abs. 2 BGB).
4. Ist aber nach § 123 BGB von der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages auszugehen, so besteht das Beschäftigungsverhältnis der Parteien fort. Daß die Mitarbeit der Klägerin im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgt ist, hat das Berufungsgericht zugunsten der Klägerin unterstellt. In einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis sind aber nicht ohne weiteres dieselben Grundsätze der Verwirkung wie nach Ausspruch einer Kündigung anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer einige Monate lang die Ansprüche aus diesem Arbeitsverhältnis nicht gerichtlich geltend macht. Besteht ein Arbeitsverhältnis fort, so kann sich der Arbeitnehmer beim Fehlen einer Kündigungserklärung oder eines anderen Beendigungstatbestandes zwar evtl. gemäß § 242 BGB wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht auf den Fortbestand dieses Arbeitsverhältnisses berufen (BAG Urteil vom 24. August 1995 - 8 AZR 134/94 BAGE 80, 363 = AP Nr. 17 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage im Anschluß an BAG Urteil vom 21. Mai 1963 - 3 AZR 138/62 - AP Nr. 6, aaO; ebenso BAG Urteil vom 18. April 1996 - 8 AZR 867/93 - AP Nr. 36 zu Art. 33 Abs. 2 GG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die strengen Voraussetzungen dieser Rechtsprechung liegen aber offensichtlich nicht vor. Es kann keine Rede davon sein, daß der Zweck des Arbeitsverhältnisses durch äußere Ereignisse endgültig oder doch für unabsehbare Zeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erkennbar unerreichbar geworden wäre, nachdem die Klägerin monatelang die Klage zwar angedroht, bis zu ihrer Erhebung aber einige weitere Monate zugewartet hat.
III. Der Senat kann nicht in der Sache selbst abschließend entscheiden (§ 563 ZPO), was möglich wäre, wenn feststünde, daß die Beklagten der Klägerin vor Abschluß der Aufhebungsvereinbarung jedenfalls nicht widerrechtlich i.S.v. § 123 BGB gedroht haben.
Ebenso wie bei der Anwendung der Rechtsbegriffe des wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB und der Sozialwidrigkeit einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist dem Tatsachengericht auch für die Würdigung des festgestellten Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt der von einem verständigen Arbeitgeber anzustellenden Erwägungen ein Beurteilungsspielraum einzuräumen (vgl. Senatsurteile vom 16. November 1979 - 2 AZR 1041/77 - BAGE 32, 194 = AP Nr. 21 zu § 123 BGB; vom 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 BB 1996, 434 und vom 21. März 1996 - 2 AZR 543/95 - AP Nr. 42 zu § 123 BGG). Der Beurteilungsspielraum der Tatsachengerichte umfaßt dabei auch die Frage, ob die Erwägung einer fristlosen Kündigung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die angemessene Reaktion auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers darstellt oder ob z.B. unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine ordentliche Kündigung oder eine Abmahnung auch ausreichend gewesen wäre.
Den bislang noch nicht ausgeübten Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters kann der Senat grundsätzlich nicht an sich ziehen und als Revisionsgericht über einen Sachverhalt entscheiden, zu dem weder das Arbeitsgericht noch das Landesarbeitsgericht ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffen haben, weil beide Vorinstanzen die Wirksamkeit der Anfechtung nach § 123 BGB zugunsten der Klägerin unterstellt und nur über die Frage der Verwirkung entschieden haben.
IV. Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht in erster Linie zu prüfen haben, ob die gegen die Klägerin - selbst nach ihrem eigenen Vorbringen - vorliegenden Verdachtsmomente einen verständigen Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung veranlassen konnten. Daß das Fehlverhalten der Klägerin an sich geeignet war, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, dürfte dabei feststehen. Es ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, daß ein Arbeitnehmer in einer Vertrauensstellung je nach den Umständen verpflichtet sein kann, dem Arbeitgeber gravierende Pflichtverletzungen anderer Mitarbeiter mitzuteilen (BAG Urteil vom 18. Juni 1970 - 1 AZR 520/69 - BAGE 22, 375 = AP Nr. 57 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; LAG Berlin, Urteil vom 9. Januar 1989 - 9 Sa 93/88 - LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 21; Kittner/Trittin, KSchR, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 208; KRHillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 303). Eine Buchhalterin, die erfährt, daß eine andere Mitarbeiterin einen Firmenscheck über ihr Privatkonto einziehen läßt, und dann, anstatt ihren Arbeitgeber sofort zu benachrichtigen, der ungetreuen Mitarbeiterin noch den fraglichen Kontoauszug aushändigt, verstößt in ganz erheblichem Maße gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten. Ein solches Verhalten ist, wenn der Vorgang durch die Buchhalterin zumindest einen Monat lang vertuscht worden ist, geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Hinreichende Tatsachenfeststellungen fehlen jedoch zur Frist des § 626 Abs. 2 BGB, denn der Fristbeginn hängt von dem streitigen Parteivorbringen zu der Frage ab, wann und genau in welchem Umfang die Klägerin die Beklagten über die Vorgänge informiert hat. Hat die Klägerin den Beklagten zu 1) vor dessen Auslandsreise vollständig informiert, so bleibt zudem unklar, wie die Tatsache zu bewerten ist, daß die Klägerin während seines Urlaubs noch sein Haus hüten durfte und ob darin nicht sogar eine Verzeihung gesehen werden kann.
Unterschriften
Etzel Bröhl Fischermeier Engel Dr. Kirchner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.11.1997 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436340 |
DB 1998, 521 |
DStR 1998, 581 |
NJW 1998, 2694 |
FA 1998, 82 |
NZA 1998, 374 |
RdA 1998, 128 |
ZAP 1998, 423 |
ZTR 1998, 232 |
AP, 0 |