Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Ausschlußfrist - Klagerücknahme
Leitsatz (redaktionell)
1. Verlangt eine tarifliche Verfallklausel die schriftliche Geltendmachung aller gegenseitiger Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist, so erfaßt die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage regelmäßig auch Lohnansprüche (ständige Rechtsprechung; vgl zuletzt Senatsurteil vom 9. August 1990 - 2 AZR 579/89 - AP Nr 46 zu § 615 BGB).
2. Werden die Lohnansprüche auf diese Weise rechtzeitig geltend gemacht, so finden die Vorschriften über Dauer und Ende der Unterbrechung von Verjährungsfristen bei Klage und Klagerücknahme (§§ 211, 212 BGB) keine entsprechende Anwendung. Die fristwahrende Wirkung der Kündigungsschutzklage entfällt somit weder durch Klagerücknahme noch dadurch, daß der Kündigungsschutzprozeß ohne triftigen Grund nicht betrieben wird und deshalb in Stillstand gerät (im Anschluß an das Senatsurteil vom 9. August 1990 - 2 AZR 579/89 - AP Nr 46 zu § 615 BGB).
Orientierungssatz
Auslegung des § 27 (Ausschlußfristen) des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin.
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 19.12.1990; Aktenzeichen 5 Sa 624/90) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 26.04.1990; Aktenzeichen 6 Ca 7491/89) |
Tatbestand
Die Klägerin ist seit Juli 1982 bei der Beklagten, die in ihrem Betrieb regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, als Sortiererin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft unmittelbarer Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin (künftig: MTV) Anwendung. In § 27 dieses Tarifvertrages ist die "Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis - Ausschlußfristen -" wie folgt geregelt:
1.1 Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Ar-
beitsverhältnis sind schriftlich innerhalb
von 3 Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend
zu machen, wobei der Arbeitnehmer ggf.
seine Ansprüche über den Betriebsrat gel-
tend machen kann.
1.2.1 Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendma-
chung ausgeschlossen.
1.2.2 Das gilt nicht, wenn aus Gründen, die der
Anspruchsberechtigte nicht zu vertreten
hat, eine rechtzeitige Geltendmachung aus-
geschlossen war.
2. Im Falle des Ausscheidens müssen alle An-
sprüche, soweit ihre Geltendmachung nicht
bereits nach den Ziffern 1.1 und 1.2.1 aus-
geschlossen ist, spätestens einen Monat
nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
gerichtlich verfolgt werden.
...
Mit Schreiben vom 29. März 1988 kündigte die Beklagte gegenüber der Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 13. April 1988 u.a. wegen häufiger Fehlzeiten. Hiergegen erhob die Klägerin beim Arbeitsgericht Köln (- 3 Ca 2603/88 - bzw. - 3 Ca 5354/89 -) Kündigungsschutzklage, die der Beklagten am 14. April 1988 zugestellt wurde. Die Klageschrift enthielt u.a. den Hinweis, daß die Klägerin am 25. März 1988 ein Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz beantragt habe und die Kündigung auch deswegen rechtsunwirksam sei. Die Beklagte beantragte daraufhin unter dem 6. April 1988 vorsorglich bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur fristgerechten Kündigung der Klägerin. Mit Rücksicht auf diese anhängigen Verfahren wurde im Gütetermin vom 25. April 1988 durch die Vorsitzende beschlossen, daß "neuer Termin auf Antrag der Klägerin" bestimmt werde.
Die Hauptfürsorgestelle gab mit Bescheid vom 23. Juni 1988 dem Zustimmungsantrag der Beklagten statt. Hiergegen legte die Klägerin am 11. Juli 1988 Widerspruch ein. Im Feststellungsverfahren vor dem Versorgungsamt konnte sie die Festsetzung eines Grades der Behinderung auf 50 % nicht durchsetzen. Ihre zum Sozialgericht erhobene Klage nahm sie mit Schreiben vom 31. März 1989, beim Sozialgericht eingegangen am 3. April 1989, zurück. Mit Schreiben vom 15. Juni 1989 nahm sie auch den noch bei der Hauptfürsorgestelle anhängigen Widerspruch gegen den Bescheid der Hauptfürsorgestelle vom 23. Juni 1988 zurück.
Danach nahm die Klägerin das Kündigungsschutzverfahren durch einen beim Arbeitsgericht am 4. Juli 1989 eingegangenen Schriftsatz wieder auf. Das Arbeitsgericht stellte durch Urteil vom 6. September 1989 fest, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29. März 1988 nicht aufgelöst ist und fortbesteht. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Köln (- 7 Sa 1061/89 -) durch Urteil vom 24. Januar 1990 zurück. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Die Klägerin wird seit dem 1. November 1989 wieder im Betrieb der Beklagten beschäftigt.
Mit der vorliegenden Klage vom 5. Oktober 1989 - der Beklagten zugestellt am 18. Oktober 1989 - sowie mit Klageerweiterung vom 7. Februar 1990 - der Beklagten zugestellt am 13. Februar 1990 - macht die Klägerin Ansprüche auf tarifliche Vergütung einschließlich 13. Gehalt für die Zeit vom 14. April 1988 bis zum 31. Oktober 1989 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 37.848,94 DM brutto sowie 3.817,16 DM brutto geltend, worauf sie sich Arbeitslosengeld in Höhe von 14.052,28 DM netto und 514,25 DM netto anrechnen läßt. Ferner verlangt sie vermögenswirksame Leistungen für den genannten Zeitraum in Höhe von 663,-- DM.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Ansprüche seien durch die im April 1988 erhobene Kündigungsschutzklage unter Beachtung der tariflichen Ausschlußfristen geltend gemacht worden. Weder gelte diese Klage gem. § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG als zurückgenommen noch habe die Ausschlußfrist dadurch erneut zu laufen begonnen, daß sie angeblich die Kündigungsschutzklage nicht weiter betrieben habe.
Das Kündigungsschutzverfahren sei im Termin vom 25. April 1988 nicht auf ihre Veranlassung, sondern mit Rücksicht auf die vorgreifliche Entscheidung der Hauptfürsorgestelle gem. § 148 ZPO ausgesetzt worden. Die Beklagte habe in diesem Termin erklärt, sie werde sich dieser Entscheidung beugen. Nach der Anordnung des Gerichts vom 25. April 1988 sei sie auch nicht ohne triftigen Grund untätig geblieben, sondern habe die Verfahren beim Sozialgericht und bei der Hauptfürsorgestelle weiter betrieben. Über ihre Entschlossenheit, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten, hätten keine Zweifel bestanden, da sie die von der Hauptfürsorgestelle mit Schreiben vom 31. Oktober 1988 angeregte einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses abgelehnt und einen von der Beklagten unterbreiteten Vergleichsvorschlag entschieden zurückgewiesen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie
37.848,94 DM brutto abzüglich vom Nettolohn
14.052,28 DM netto sowie weitere 636,-- DM
nebst 4 % Zinsen vom Gesamtrestnettobetrag
seit Rechtshängigkeit (18. Oktober 1989) zu
zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere
3.817,16 DM brutto abzüglich erhaltener
514,25 DM netto Arbeitslosenhilfe nebst 4 %
Zinsen aus dem Differenznettobetrag zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Ansprüche der Klägerin seien gem. § 27 Ziff. 1 MTV verfallen. Die zunächst fristwahrende Wirkung der Kündigungsschutzklage sei entfallen, da die Klägerin nach Anordnung des Ruhens des Verfahrens im Kündigungsschutzprozeß am 25. April 1988 das Verfahren ca. 15 Monate lang nicht betrieben und erst mit Schriftsatz vom 3. Juli 1989 wieder aufgenommen habe. Die Kündigungsschutzklage gelte gem. §§ 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG, 269 Abs. 3 ZPO als zurückgenommen. Das Verfahren sei durch den Beschluß vom 25. April 1988 auch nicht gem. § 148 ZPO ausgesetzt worden. Eine Entscheidung darüber durch den Vorsitzenden allein sei unzulässig.
Im übrigen habe sie sich auch nicht in Annahmeverzug befunden, da die Klägerin in der Zeit vom 25. April 1988 bis 3. Juli 1989 ihre Dienste weder ausdrücklich noch konkludent angeboten habe. Für sie sei daher nicht erkennbar gewesen, ob die Klägerin an ihrem Arbeitsverhältnis festhalten wolle.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage antragsgemäß stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat lediglich den Zinsbeginn in der Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Aufhebung der genannten Urteile und Klageabweisung, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. A. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Vergütungsforderungen der Klägerin seien nicht aufgrund der tariflichen Ausschlußfristen verfallen.
Die in § 27 Ziff. 2 MTV enthaltene Regelung der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen sei nicht anwendbar. Nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch sei unter "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" ohne weiteren Zusatz dessen rechtliche und nicht tatsächliche Beendigung zu verstehen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei jedoch, wie rechtskräftig aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen im Kündigungsschutzprozeß feststehe, nicht beendet worden.
Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht nach § 27 Ziff. 1.1 MTV verfallen.
Da der Tarifvertrag insoweit lediglich schriftliche Geltendmachung verlange, habe die Klägerin mit der am 14. April 1988 zugestellten Kündigungsschutzklage zunächst die Ausschlußfrist hinsichtlich der vorliegend umstrittenen Ansprüche aus Annahmeverzug, deren Bestehen von der Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten abhänge, gewahrt. Diese fristwahrende Wirkung der Kündigungs schutzklage sei durch das Nichtbetreiben des Kündigungsschutzprozesses in der Zeit vom 25. April 1988 bis zum 4. Juli 1989 nicht beseitigt worden. Die Klagerücknahmefiktion der §§ 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG, 269 Abs. 3 ZPO könne vorliegend schon deswegen nicht eingreifen, weil eine etwaige Klagerücknahme durch die Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils geheilt sei. Im übrigen gehe es nicht um die Rücknahme der Kündigungsschutzklage, sondern um die Geltendmachung der davon abhängigen Lohnzahlungsansprüche, für die der Tarifvertrag in § 27 Ziff. 1 ein gerichtliches Vorgehen nicht verlange. Hinsichtlich dieser Ansprüche sei für die Beklagte erkennbar gewesen, daß die Klägerin trotz Nichtbetreibens der Kündigungsschutzklage an ihrem Arbeitsverhältnis festhalten und weiterhin die Unwirksamkeit der Kündigung geltendmachen wollte.
Ihr sei bekannt gewesen, daß die Klägerin eine Erhöhung des Grades der Schwerbehinderung und die Anerkennung als Schwerbehinderte erstrebt habe; die Anordnung des Ruhens des Kündigungsschutzverfahrens sei nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Klägerin allein auf diese Umstände zurückzuführen. Sie sei ferner davon unterrichtet gewesen, daß die Klägerin Widerspruch gegen den Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle eingelegt habe. Dieses Verfahren sei zwar objektiv nicht vorgreiflich für die bereits vorher ausgesprochene Kündigung vom 29. März 1988 gewesen. Aufgrund der bei der Hauptfürsorgestelle und beim Sozialgericht anhängigen Verfahren sei der Beklagten aber erkennbar gewesen, daß die Klägerin, die sich bereits in der Kündigungsschutzklage ausdrücklich auf die Unwirksamkeit der Kündigung nach dem Schwerbehindertengesetz berufen und ausdrücklich einen von der Beklagten im Zustimmungsverfahren angebotenen Aufhebungsvergleich abgelehnt habe, an dieser Auffassung weiter festhalte.
Auch gesetzliche Regelungen über Verjährungsfristen führten zu keinem anderen Ergebnis. Zwar beende nach § 211 Abs. 2 BGB das Nichtbetreiben des vorgreiflichen Kündigungsschutzprozesses durch den Arbeitnehmer ohne triftigen Grund die Wirkung einer nach § 209 BGB die Verjährung unterbrechenden Zahlungsklage wegen Verzugslohnansprüchen. Bei einer entsprechenden Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf die tarifliche Ausschlußfrist könnte angenommen werden, daß die Klägerin nach Rücknahme ihrer Klage beim Sozialgericht am 3. April 1989 die Kündigungsschutzklage ohne triftigen Grund für die Dauer der tariflichen Ausschlußfrist von drei Monaten nicht weiter betrieben habe, da sie das Kündigungsschutzverfahren erst am 4. Juli 1989 wieder aufgenommen habe. Eine entsprechende Anwendung des § 211 Abs. 2 BGB komme jedoch vorliegend nicht in Betracht.
Die Beklagte habe sich nach Ausspruch der unwirksamen Kündigung auch in Annahmeverzug befunden, ohne daß es eines Angebots der Arbeitskraft durch die Klägerin bedurft hätte.
B. Dieser Würdigung ist im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung zuzustimmen.
I. Die Klägerin hat gemäß § 615 Satz 1 BGB für die Zeit vom 14. April 1988 bis 1. Oktober 1989 Zahlungsansprüche aus Annahme verzug in Höhe der eingeklagten Beträge gegen die Beklagte erworben.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat in diesem Zeitraum fortbestanden. Die Kündigung der Beklagten vom 29. März 1988 ist unwirksam. Dies ist rechtskräftig durch das Urteil des Berufungsgerichts vom 24. Januar 1990 festgestellt worden. Mit dem Einwand, die Kündigung sei gem. §§ 4, 7 KSchG wirksam, da die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage gem. § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG, § 269 Abs. 3 ZPO als zurückgenommen gelte, weil die Klägerin das ruhende Verfahren binnen sechs Monaten nicht wieder aufgenommen habe, ist die Beklagte durch dieses Urteil präkludiert. Stellt das Gericht im Kündigungsschutzprozeß rechtskräftig fest, daß die Kündigung unwirksam ist, können im Folgeprozeß keine Einwände mehr erhoben werden, die die Wirksamkeit der Kündigung nach der Behauptung der unterlegenen Partei doch bestätigten sollen (vgl. BAG Urteil vom 12. Januar 1977 - 5 AZR 593/75 - AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969 mit zust. Anm. von Grunsky, zu 1 c; ebenso Zöller/Vollkommer, ZPO, 16. Aufl., vor § 322 Rz 27).
2. Die Beklagte hat sich in diesem Zeitraum auch in Verzug der Annahme der Dienste der Klägerin befunden.
Der Arbeitgeber gerät nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, wenn er den Arbeitnehmer nicht - im Fall der ordentlichen Kündigung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist - aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen (vgl. BAGE 46, 234 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB; Senatsurteil vom 21. März 1985 - 2 AZR 201/84 - AP Nr. 35 zu § 615 BGB sowie vom 19. April 1990 - 2 AZR 591/89 - AP Nr. 45 zu § 615 BGB, zu II 2 a der Gründe). Eine solche Aufforderung hat die Beklagte an die Klägerin nicht gerichtet. Sie war auch nicht im Hinblick auf das Verhalten der Klägerin im Kündigungsschutzprozeß entbehrlich gewesen. Wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang zutreffend angenommen und eingehend begründet hat, war für die Beklagte erkennbar gewesen, daß die Klägerin dieses Verfahren nur wegen der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens vor dem Versorgungsamt und später vor dem Sozialgericht zunächst nicht weiter betrieben, jedoch stets an ihrer Auffassung festgehalten habe, die Kündigung sei unwirksam und ihr Arbeitsverhältnis bestehe fort. Das Berufungsgericht hat als unstreitig und damit für den Senat bindend (§ 561 Abs. 1 ZPO) festgestellt, die Anordnung des Ruhens des Kündigungsschutzverfahrens sei allein auf diesen Umstand zurückzuführen.
Auch in diesem Zusammenhang kann sich die Beklagte nicht auf die Klagerücknahmefiktion des § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG berufen. Durch die Entscheidung des Berufungsgerichts im Kündigungsschutzprozeß ist, wie ausgeführt, rechtskräftig die Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten festgestellt worden mit der Folge, daß die Beklagte auch mit der Berufung auf die Klagerücknahmefiktion die Richtigkeit dieser Entscheidung nicht mehr in Frage stellen kann. Wie sich daraus ergibt, mußte das Berufungsgericht im vorliegenden Verfahren vom Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses im Anspruchszeitraum als einer der Voraussetzungen für den Annahme verzug der Beklagten ausgehen. Da auch die übrigen Voraussetzungen vorlagen, bestand der Annahmeverzug somit von Anfang an und wurde, entgegen der Ansicht der Revision, durch das Berufungsurteil im Kündigungsschutzprozeß, das nur feststellende und nicht gestaltende Wirkung hat, nicht - unzulässigerweise - "rückwirkend" (wieder-) begründet.
II. Die Verzugslohnansprüche der Klägerin sind auch nicht wegen Versäumung der einschlägigen tariflichen Ausschlußfristen verfallen.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, daß die Ausnahmevorschrift des § 27 Ziff. 2 MTV nicht eingreift. Bestimmt eine tarifliche Verfallklausel, wie hier, alle Ansprüche seien im Falle des Ausscheidens innerhalb einer gegenüber der allgemeinen Ausschlußfrist kürzeren Frist "nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses" - hier gerichtlich - geltend zu machen, so greift diese kürzere Frist nicht ein, wenn wegen Schwebens eines Kündigungsschutzprozesses noch gar nicht feststeht, ob ein Fall der "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" gegeben ist (ständige Rechtsprechung; vgl. BAGE 23, 110, 115 = AP Nr. 45 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2 der Gründe). Vorliegend steht rechtskräftig fest, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die mit der Kündigungsschutzklage angegriffene Kündigung der Beklagten nicht beendet worden ist. Insoweit erhebt die Revision auch keine Rügen.
2. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht gemäß § 27 Ziff. 1.1 MTV verfallen.
a) Die Klägerin hat die dreimonatige Ausschlußfrist des § 27 Ziff. 1.1 MTV, die die schriftliche Geltendmachung verlangt, durch Erhebung der Kündigungsschutzklage, die der Beklagten bereits am 14. April 1988 zugestellt wurde, zunächst gewahrt.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedenfalls für den Bereich der privaten Wirtschaft die Erhebung der Kündigungsschutzklage je nach Lage des Falles ein geeignetes Mittel, die Ansprüche, die während des Kündigungsstreits fällig werden und von dessen Ausgang abhängen, "geltend zu machen", sofern die einschlägige Verfallsklausel nur eine formlose oder schriftliche Geltendmachung verlangt. In derartigen Fällen ist über den prozessualen Inhalt des Kündigungsschutzbegehrens hinaus das Gesamtziel der Klage zu beachten, das sich in der Regel nicht auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern zugleich auch auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet ist, die durch den Verlust der Arbeitsstelle möglicherweise verloren gehen. Im allgemeinen ist dieses Ziel dem Arbeitgeber auch klar erkennbar. Damit ist er ausreichend von dem Willen des Arbeitnehmers unterrichtet, die durch die Kündigung bedrohten Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten (so BAG Urteil vom 16. Juni 1976 - 5 AZR 224/74 - AP Nr. 56 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; zuletzt Senatsurteil vom 9. August 1990 - 2 AZR 579/89 - AP, aaO, zu B II 2 a der Gründe).
Anders sind die Fälle der sog. zweistufigen Ausschlußklauseln zu beurteilen, die bestimmen, daß Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung inner halb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen (vgl. z. B. § 16 BRTV-Bau). Die in der zweiten Stufe vorgeschriebene gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen erfordert dann die Erhebung einer fristgerechten Zahlungsklage (ebenfalls ständige Rechtsprechung; vgl. BAGE 29, 152 = AP Nr. 60 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, sowie Senatsurteil vom 9. August 1990, aaO, zu B II 2 b der Gründe).
bb) In der vorliegend zu beurteilenden Ausschlußklausel des § 27 Ziff. 1.1 MTV haben die Tarifvertragsparteien jedoch auf eine Differenzierung zwischen schriftlicher und gerichtlicher Geltendmachung in Form einer sog. zweistufigen Ausschlußklausel verzichtet. Sie haben auch nicht ausdrücklich klargestellt, die tarifliche Ausschlußfrist werde nicht durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gewahrt. Daher ist der typische Sachverhalt bei der Auslegung zugrundezulegen. Danach erstrebt der Arbeitnehmer in aller Regel mit der Kündigungsschutzklage auch die Sicherung der nach § 615 BGB anfallenden Vergütungsansprüche. Anhaltspunkte für den Arbeitgeber, der Arbeitnehmer wolle im Falle seines Obsiegens das Arbeitsverhältnis fortsetzen, ohne die Vergütung für die Zwischenzeit zu verlangen, auf die er angewiesen ist, liegen in der Regel nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 9. August 1990, aaO, zu II 2 c der Gründe); sie ergeben sich auch im konkreten Fall nicht aus den Besonderheiten der Fallgestaltung. Daher genügte zur schriftlichen Geltendmachung i. S. des § 27 Ziff. 1.1 MTV die Erhebung der Kündigungsschutzklage.
b) Die fristwahrende Wirkung der Kündigungsschutzklage ist durch das Verhalten der Klägerin im weiteren Verlauf des Kündigungsschutzverfahrens nicht entfallen.
aa) Wie der Senat in dem Urteil vom 9. August 1990 (aaO, zu B II 2 d der Gründe) weiter angenommen hat, müssen nach Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozeß die mit der Kündigungsschutzklage fristwahrend erhobenen Lohnansprüche nicht erneut innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist geltend gemacht werden, wenn der Tarifvertrag, wie auch im vorliegenden Fall, dies nicht ausdrücklich vorsieht. Fehlt eine solche tarifliche Regelung, dann verfallen die Ansprüche nicht, wenn sie einmal rechtzeitig geltend gemacht worden sind. Es kann daher nur logische Folge der Geltendmachung sein, daß der Verfall durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage endgültig ausgeschlossen ist.
bb) In seiner zustimmenden Anmerkung zu dieser Entscheidung verweist Vogg (Anm. zu EzA § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 88, zu 2) zutreffend darauf, bereits der Wortlaut der dort - wie hier - zu beurteilenden Tarifnorm ("... Ansprüche ... sind ... geltend zu machen") lege es nahe, eine einmalige Geltendmachung genügen zu lassen. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG, durch Ausschlußfristen schnellstmögliche Klarheit über die Rechtsbeziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien und die Gewähr einer raschen Abwicklung von gegenseitigen Forderungen zu schaffen, eher, als wenn man nach Abschluß des Kündigungsschutzprozesses eine nochmalige Geltendmachung fordere.
Die tarifliche Ausschlußfrist werde auch durch die Kündigungsschutzklage nicht lediglich unterbrochen. Für eine entsprechende Anwendung des § 209 BGB sei kein Raum. Die Tarifvertragsparteien hätten in der Verfallklausel nicht ausdrücklich auf diese Vorschrift verwiesen. Auch die Auslegung habe ergeben, daß ihre entsprechende Anwendung auf die Ausschlußfrist nicht sachgerecht sei. Damit fehle es an einer ausfüllungsbedürftigen Lücke im Tarifvertrag. Im übrigen beziehe sich § 209 BGB nur auf den Streitgegenstand der erhobenen Klage (so auch BGH Urteil vom 3. November 1987 - VI ZR 176/87 - NJW 1988, 965); dagegen seien die Verzugslohnansprüche gerade nicht Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage.
cc) Damit haben der Senat wie Vogg (aaO) in der Sache bereits auch eine entsprechende Anwendung des § 211 Abs. 1 BGB auf Verfallklauseln der vorliegenden Art abgelehnt. Nach dieser Vorschrift dauert die Unterbrechung der Verjährungsfrist durch Klageerhebung fort, bis der Prozeß rechtskräftig entschieden ist, und beginnt dann erneut zu laufen (§ 217 BGB). Ihre - entsprechende - Anwendung auf den vom Senat entschiedenen Fall hätte somit zum Verfall der Verzugslohnansprüche geführt, weil der dortige Kläger diese nach rechtskräftigem Abschluß des Kündigungsschutzprozesses nicht innerhalb der - dann neu in Lauf gesetzten - tariflichen Ausschlußfristen nochmals geltend gemacht hatte.
dd) Die vorstehend dargestellten Überlegungen führen zu dem Ergebnis, daß auf Verfallklauseln, die lediglich eine formlose oder schriftliche Geltendmachung von Lohnansprüchen vorsehen, auch die übrigen gesetzlichen Vorschriften über Dauer und Ende der Unterbrechung von Verjährungsfristen bei Klage und Klagerücknahme (§ 211 Abs. 2, § 212 BGB) grundsätzlich auch dann keine entsprechende Anwendung finden, wenn die Ansprüche durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage wirksam geltend gemacht werden.
In diesen Fällen hat die Klage eine Doppelfunktion. Sie ist zum einen Prozeßhandlung mit der Wirkung des § 4 Satz 1 KSchG, zum anderen eine - zulässige - Modalität der schriftlichen Geltendmachung der vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Lohnansprüche. Diese Rechtsfolge bleibt unabhängig von ihrem weiteren Schicksal als Prozeßhandlung bestehen; die Klage behält ihren "Charakter" der schriftlichen Geltendmachung (so zutreffend Leser, AR-Blattei, D-Blatt Ausschlußfristen I, H V 5 d).
Die Vorschriften der §§ 211, 212 BGB gelten unmittelbar nur für Verjährungsfristen und beziehen sich auch in diesem Geltungsbereich, wie ausgeführt, auf den Streitgegenstand der erhobenen Klage. Die Tarifvertragsparteien haben in Verfallklauseln der hier zu beurteilenden Art, ebensowenig wie auf § 209 BGB, nicht auf diese Vorschriften verwiesen. Für ihre entsprechende Anwendung ist kein Raum, weil nach Wortlaut und Sinn der Norm die einmalige schriftliche Geltendmachung der Ansprüche erforderlich, aber auch ausreichend ist.
Dem steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Wirkungen von Klage und Klagerücknahme bei zweistufigen tariflichen Ausschlußfristen (vgl. Urteil vom 24. Mai 1973 - 5 AZR 21/73 - AP Nr. 52 zu § 4 TV 6 Ausschlußfristen, zu 2 der Gründe; Urteil vom 11. Juli 1990 - 5 AZR 609/89 - EzA § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 84, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, zu II und III der Gründe) nicht entgegen. Danach entfällt in entsprechender Anwendung des § 212 Abs. 1 BGB die zunächst fristwahrende Wirkung der rechtzeitigen Klageerhebung in der zweiten Stufe durch die Rücknahme der Klage und wird auch nicht durch eine erneute Klageerhebung innerhalb des Sechs-Monats-Zeitraums des § 212 Abs. 2 Satz 1 BGB wieder hergestellt, weil die entsprechende Anwendung auch dieser Ausnahmevorschrift dem Sinn und Zweck einer solchen Ausschlußfrist nicht gerecht wird. In diesen Fällen schreiben die Tarifvertragsparteien - in der zweiten Stufe - ausdrücklich gerichtliche Geltendmachung vor. Damit ist im Grundsatz Raum für eine entsprechende Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über Dauer und Unterbrechung von Verjährungsfristen. Einschränkungen ergeben sich dann nur aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung, wie der Fünfte Senat in dem Urteil vom 11. Juli 1990 (aaO) zur Frage der Anwendung des § 212 Abs. 2 Satz 1 BGB dargelegt hat.
ee) Für die Wahrung der Ausschlußfrist kann somit offen bleiben, ob für die Kündigungsschutzklage die Rücknahmefiktion des § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG eingetreten war, diese unbeschadet der Präklusionswirkung des Urteils des Berufungsgerichts im Kündigungsschutzprozeß jedenfalls für die Frage der Wahrung der Ausschlußfrist zu berücksichtigen wäre, und ob die Voraussetzungen des § 211 Abs. 2 BGB vorliegen.
III. Die Verzugslohnansprüche der Klägerin sind auch nicht verwirkt. Vorliegend handelt es sich um tarifliche Ansprüche, deren Verwirkung nach § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG ausgeschlossen ist und deren Geltendmachung nur der Einwand der allgemeinen Arglist sowie der unzulässigen Rechtsausübung durch widersprüchliches Verhalten entgegengesetzt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 9. August 1990, aaO, zu II 2 der Gründe). Nach dem festgestellten Sachverhalt liegen jedoch bereits die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vor. Danach ist erforderlich, daß seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen (Senatsurteil vom 9. August 1990, aaO). Wie bereits aufgeführt, war im vorliegenden Fall für die Beklagte während des gesamten Anspruchszeitraums eindeutig erkennbar, daß die Klägerin stets an ihrer Auffassung festgehalten hatte, ihr Arbeitsverhältnis bestehe fort. Damit hatte sie in der Beklagten zu keinem Zeitpunkt das Vertrauen erweckt, sie würde ihre Lohnansprüche nicht mehr geltend machen.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Rost
Rupprecht Mauer
Fundstellen
DB 1992, 1146-1148 (LT1-2) |
DStR 1992, 957 (T) |
AiB 1992, 469-470 (LT1-2) |
EWiR 1992, 389 (L) |
NZA 1992, 521 |
NZA 1992, 521-523 (LT1-2) |
RdA 1992, 157 |
RzK, I 13a Nr 42 (LT1-2) |
AP § 4 TVG Ausschlußfristen (LT1-2), Nr 114 |
AR-Blattei, ES 350 Nr 137 (LT1-2) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 92 (LT1-2) |