Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung nach dem AWbG. Fehlende Freistellung des Arbeitgebers
Normenkette
AWbG § 1 Abs. 1, § 7
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 02.12.1992; Aktenzeichen 11 Sa 944/92) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 06.05.1992; Aktenzeichen 10 Ca 975/92) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 1992 – 11 Sa 944/92 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 6. Mai 1992 – 10 Ca 975/92 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Lohnfortzahlungsanspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger ist seit 1969 bei der Beklagten als Ausbilder beschäftigt. Er teilte ihr am 16. Oktober 1991 schriftlich mit, er beabsichtige, in der Zeit vom 2. Dezember 1991 bis 5. Dezember 1991 an einer Veranstaltung der Volkshochschule Düsseldorf mit dem Titel „Über den Umgang mit Streß und Konflikten durch T'ai Chi Ch'uan und Meditation” teilzunehmen. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 18. November 1991:
„Wir beziehen uns auf ihr mündlich vorgetragenes Ersuchen auf Freistellung vom 02.12.1991 bis 05.12.1991 für die Veranstaltungs-Nr.: 722090.
Sie haben uns zwar den Beleg eingereicht, daß diese Maßnahme als Bildungsmaßnahme nach dem AWbG anerkannt wurde, jedoch konnten wir uns nicht Ihrer Wertung anschließen, daß die Inhalte dieser Bildungsmaßnahme die Voraussetzung des AWbG erfüllen.
Wir bedauern deshalb, ihren Antrag auf Freistellung nach dem AWbG ablehnen zu müssen.
Sollte eine Klärung der Rechtslage – wie von Ihnen angestrebt – bis zum Beginn der Maßnahme nicht möglich sein, so stellen wir Sie für den oben genannten Zeitraum ohne Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei.”
Mit Schreiben vom 26. November 1991 erwiderte der Kläger:
„Wie ich Ihnen am 16.10, schriftlich mitgeteilt habe, beabsichtige ich, an einer nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz für Nordrhein-Westfalen anerkannten Weiterbildungsveranstaltung vom 2.12.91 bis 5.12.91 teilzunehmen.
Da mir nicht die nach dem AWbG vorgesehene bezahlte Freistellung, sondern lediglich „unbezahlter Urlaub” gewährt werden soll, mache ich hiermit meine Rechte nach dem AWbG, insbesondere das Recht auf bezahlte Freistellung, § 7 AWbG, geltend.
An der Weiterbildungsveranstaltung werde ich, wie mitgeteilt, teilnehmen.”
Nach der Teilnahme an der Veranstaltung hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 916,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem auszuzahlenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision, die weiterhin ihr erstinstanzliches Ziel verfolgt. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit vom 2. Dezember 1991 bis 5. Dezember 1991.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gem. § 7 AWbG, weil die Beklagte ihn nicht zum Zweck der beruflichen und politischen Weiterbildung für die von ihm besuchte Veranstaltung von der Arbeit freigestellt hat. Das AWbG gewährt dem Arbeitnehmer einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch, kein Selbstbeurlaubungsrecht. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung seines Anspruchs auf Freistellung nach dem AWbG nachgekommen ist. Weigert sich der Arbeitgeber, die Erfüllungshandlung vorzunehmen, d.h. die Freistellungserklärung abzugeben, kann der Arbeitnehmer versuchen, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen (Senatsurteil vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – EzA § 7 AWbG NW Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Senatsurteile vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – BB 1993, 2531 und – 9 AZR 429/91 – BB 1993, 2531, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
So verhält es sich im Streitfall. Das Schreiben der Beklagten vom 18. November 1991 enthält keine Freistellungserklärung nach dem AWbG. Vielmehr hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, daß sie den Antrag auf Freistellung nach dem AWbG ablehne. Mit ihrer gleichzeitig abgegebenen Erklärung, den Kläger für den Fall, daß eine Klärung der Rechtslage bis zum Beginn der Maßnahme nicht möglich ist, für den genannten Zeitraum ohne Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit freizustellen, hat sie lediglich ein Angebot auf Abschluß einer Vereinbarung über Gewährung unbezahlten Urlaubs abgegeben. Dieses Angebot ist vom Kläger auch so verstanden worden, wie seinem Schreiben vom 26. November 1991 zu entnehmen ist. Darin hat er das Angebot abgelehnt und weiterhin seinen Freistellungsanspruch nach § 1 AWbG geltend gemacht. Die Beklagte hat aber auch daraufhin keine Freistellungserklärung abgegeben. Somit fehlt es an einer anspruchsbegründenden Voraussetzung für den Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 AWbG. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die Beklagte den Antrag des Klägers rechtzeitig und formgerecht abgelehnt hat. Ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 AWbG hat nicht zur Folge, daß die Freistellungserklärung als erteilt gilt. Dies trifft auch für die Mißachtung eines etwaigen Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats zu.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts nach § 11 BUrlG oder einer entsprechenden Tarifbestimmung. Zwar hat die Beklagte dem Kläger nach der Teilnahme der Veranstaltung mit dem Schreiben vom 18. Dezember 1991 angeboten, für diesen Zeitraum Tarifurlaub zu gewähren. Der Kläger hat dieses Angebot jedoch ausdrücklich abgelehnt.
3. Der Kläger hat keinen vertraglichen Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt aus einer besonderen Vereinbarung der Parteien (Senatsurteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – NzA 1993, 1032, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen und vom 24. August 1993 – 9 AZR 240/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Er hat nicht vorgetragen, daß ihm die Beklagte angeboten hätte, die Freizeit ggf. später nach gerichtlicher Klärung der Rechtslage zu vergüten.
4. Der Kläger hat auch keinen Schadenersatzanspruch auf Zahlung einer Geldsumme nach den §§ 280 Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Satz 2, 251 BGB wegen zu Unrecht verweigerter Erfüllung des Freistellungsanspruchs.
Der im Jahr 1991 entstandene Anspruch des Klägers auf Freistellung nach dem AWbG ist zwar durch Zeitablauf am Ende des Kalenderjahres 1991 untergegangen, so daß ein Schadenersatzanspruch entstanden wäre, wenn die Beklagte zu Unrecht die Freistellung verweigert hätte.
Ein Schadenersatzanspruch des Klägers wäre jedoch nach § 249 BGB auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtetende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Wiederherstellung besteht in der (künftigen) Freistellung des Arbeitnehmers für die Teilnahme an einer Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung. Ein Schadenersatz in Form einer Geldentschädigung ist gem. § 251 BGB erst statthaft, wenn die Freistellung z.B. wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist (ständige Rechtsprechung des Senats Urteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – BB 1993, 2531, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen und vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 325/92 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
5. Auf die Frage, ob die Veranstaltung der beruflichen Weiterbildung diente oder ob der Beklagten ein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 Abs. 2 AWbG zustand, kommt es daher nicht an. Die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Tatsachen hätte der Kläger bei der Durchsetzung des Freistellungsverlangens vorbringen müssen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Düwell, Dörner, Matthiessen, Fieberg
Fundstellen