Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassung - regelmäßige Beschäftigtenzahl bei Betriebsstillegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Beschließt der Arbeitgeber, den Betrieb zu einem bestimmten Zeitpunkt stillzulegen, und entläßt er anschließend stufenweise Personal, so stellt der im Zeitpunkt dieser Beschlußfassung und nicht der spätere, verringerte Personalbestand die für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs 1 KSchG maßgebende regelmäßige Arbeitnehmerzahl dar (Bestätigung des Senatsurteils vom 31.7.1986 2 AZR 594/85 = AP Nr 5 zu § 17 KSchG 1969).
2. Der im Zeitpunkt des Stillegungsbeschlusses vorhandene Personalbestand bleibt auch dann für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs 1 KSchG maßgebend, wenn der Arbeitgeber zunächst allen Arbeitnehmern zu dem vorgesehenen Stillegungstermin kündigt und später er oder an seiner Stelle der Konkursverwalter wegen zwischenzeitlich eingetretenen Vermögensverfalls zum selben Termin vorsorglich nochmals kündigt.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.11.1988; Aktenzeichen 2 Sa 128/87) |
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 10.11.1987; Aktenzeichen 2 Ca 49/87) |
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1. Oktober 1982 bei der A GmbH (künftig: ADW) gemäß Anstellungsvertrag vom 14. Juni 1982 als "Mitarbeiter im Rahmen der Wirtschaftsberatungsaufgabe der ADW" gegen ein Monatsgehalt von 4.500,-- DM brutto beschäftigt.
Unternehmensgegenstand der ADW waren Verkauf, Vertrieb und Vermittlung von Kapitalanlagen jeglicher Art sowie von Versicherungspolicen und Versicherungsleistungen, ferner alle damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Beratungs- und sonstigen Dienstleistungen. Die Gesellschaft arbeitete hierbei mit freiberuflich tätigen Beratern zusammen, die für ihre Mitarbeit Provisionen erhielten. Sie unterstützte die Berater durch Serviceleistungen, für die sie sich in erheblichem Umfang der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) bediente. Daneben betreute sie den Bestand der von den für sie tätigen Beratern vermittelten Versicherungsverträge. Im Rahmen dieser Bestandspflege zog sie von ihren sog. "Produktpartnern", z.B. Versicherungsgesellschaften Abschluß-, Bestands- und Folgeprovisionen ein und leitete die Beträge unter Erteilung einer Abrechnung an ihre Berater weiter.
Durch Vertrag vom 21. Juni 1985 wurde die W GmbH (künftig: WBT) gegründet und der frühere Prokurist der ADW, Kuno L, zu ihrem Geschäftsführer bestellt.
Die WBT führte ab 1. Juli 1985 die bisher von der ADW ausgeübte Bestandspflegetätigkeit aus. Beide Gesellschaften hatten ihre Geschäftsräume in demselben Gebäude. Die WBT benutzte auch die EDV-Anlagen der ADW.
Durch Beschluß des Amtsgerichts T wurde am 10. Februar 1987 über das Vermögen der ADW das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.
Der Kläger hatte im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses bei der ADW die freiberuflichen Mitarbeiter dieser Gesellschaft bei der Kundenberatung in steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zu unterstützen. Er beriet auch selbst Kunden der ADW.
Die ADW kündigte das Anstellungsverhältnis des Klägers zunächst mit Schreiben vom 15. November 1984 zum 31. Dezember 1984 und erneut mit Schreiben vom 25. Juli 1985 zum 30. September 1985. Seine beiden hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklagen hatten Erfolg (rechtskräftige Urteile des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 1986 - 2 Sa 113/85 - und vom 4. Februar 1987 - 2 Sa 89/86 -).
Mit Schreiben vom 13. Januar 1987 kündigte die ADW das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger vorsorglich zum 31. März 1987 mit folgender Begründung:
"Der Betrieb der A
GmbH ist mit Beschluß der
Gesellschafter vom 19.12.1986 zum 31.03.1987
stillgelegt.
In der Belegschaftsversammlung vom 19.12.1986
wurde dies den Mitarbeitern mitgeteilt.
Zur Folge der Bestriebsstillegung kündige ich in
meiner Eigenschaft als Geschäftsführer höchst
vorsorglich, d.h. für den Fall, daß die bisher
ausgesprochenen Kündigungen nicht bestätigt wurden,
das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.03.1987.
Ergänzend darf noch darauf hingewiesen werden,
daß am 23.12.1986 das Insolvenzverfahren eingelei-
tet wurde."
Mit Schreiben vom 11. Februar 1987 kündigte der Beklagte als Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis der Parteien nochmals vorsorglich zum 31. März 1987 mit der Begründung, daß er mangels liquider Mittel den Betrieb der ADW nicht mehr weiterführen könne und ihn mit sofortiger Wirkung stillege. Mit Schreiben vom selben Tag kündigte er auch den übrigen Arbeitnehmern der ADW. Er beschäftigte noch einen Buchhalter mit Abwicklungsarbeiten und einen Programmierer für die EDV-Anlage weiter.
Mit den zunächst getrennt erhobenen und später verbundenen Klagen hat sich der Kläger gegen die beiden letzten Kündigungen gewandt. Er hat geltend gemacht, sie seien sozial ungerechtfertigt, wegen Betriebsübergangs ausgesprochen und damit auch nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam, weil die wesentlichen Betriebsteile bereits zum 1. Juli 1985 auf die WBT übertragen worden seien. Er hat sich weiter darauf berufen, daß die Kündigungen wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG unwirksam seien. Zur Begründung hierzu hat er vorgetragen:
Die ADW und der Beklagte hätten zum 31. März 1987 mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen und in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt. Ausweislich der Anschriftenliste "Innendienst" der ADW für Januar 1987 seien ausschließlich der dort ebenfalls aufgeführten Geschäftsführer L und K sowie seiner, des Klägers Person, 23, insgesamt also 24 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis mit
der ADW durch die Kündigung der ADW vom
13. Januar 1987 und durch die Kündigung des
Beklagten vom 11. Februar 1987 nicht aufgelöst
worden ist und über den 31. März 1987 hinaus
fortbesteht.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat vorgetragen, ein für das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der ADW relevanter Betriebsübergang auf die WBT habe nicht stattgefunden.
Die Kündigungen verstießen auch nicht gegen § 17 KSchG. Maßgebend für die Verpflichtung zur Massenentlassungsanzeige sei die regelmäßige Beschäftigtenzahl im Zeitpunkt der Anzeigepflicht, mithin etwa vier bis sechs Wochen vor dem Kündigungstermin vom 31. März 1987. Zu diesem Zeitpunkt habe die ADW noch 14 Arbeitnehmer beschäftigt. Von den in der Anschriftenliste für Januar 1987 aufgeführten Mitarbeitern seien mehrere bei der Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl nicht zu berücksichtigen. Die Herren E und F seien leitende Angestellte mit selbständiger Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis gewesen. Herr H habe nicht mehr als zehn Stunden in der Woche bzw. 42 Stunden im Monat gearbeitet und sei zudem nur aushilfsweise eingesetzt worden. Zwischen Frau N und der ADW habe kein Arbeitsverhältnis bestanden. Die Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern J, P und Z seien zum 31. Dezember 1986 beendet worden. Selbst bei Berücksichtigung der Mitarbeiter E, F und H seien bei der ADW nur noch 18 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung hat der Kläger nur noch beantragt festzustellen, daß das bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der ADW vom 13. Januar 1987 und die Kündigung des Beklagten vom 11. Februar 1987 nicht aufgelöst worden ist.
Das Landesarbeitsgericht hat den Geschäftsführer L der WBT als Zeugen zur Frage der letzten regelmäßigen Arbeitnehmerzahl der ADW vernommen und sodann die Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klage hat bereits deshalb Erfolg, weil die Kündigungen der ADW und des Beklagten wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG unwirksam sind. Die Frage, ob sie auch sozial ungerechtfertigt und nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam sind, kann somit offen bleiben.
I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Antrag des Klägers nach § 4 Satz 1 KSchG festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis mit der ADW durch die Kündigungen vom 13. Januar 1987 und 11. Februar 1987 nicht aufgelöst worden ist. Den in erster Instanz verfolgten weitergehenden Antrag nach § 256 ZPO, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungstermin vom 31. März 1987 hinaus festzustellen, hat er bereits in der Berufungsinstanz nicht mehr gestellt.
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, beide Kündigungen seien durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und damit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Sie seien ferner nicht wegen Betriebsübergangs ausgesprochen worden. Es hat weiter die Ansicht vertreten, die ADW und der Beklagte seien auch nicht zu einer Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet gewesen, und dies im wesentlichen wie folgt begründet:
Maßgebender Zeitpunkt für die Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG sei der 11. Februar 1987, als der Beklagte den Betrieb mit sofortiger Wirkung stillgelegt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die ADW noch eine regelmäßige Betriebstätigkeit entwickelt. Der Vortrag des Beklagten über die Umsatz- und Kostenentwicklung im Jahre 1986 spreche dafür, daß die ADW während des gesamten Jahres 1986 die bei ihr verbliebenen Tätigkeiten fortgesetzt habe. Am 11. Februar 1987 seien bei der ADW jedoch in der Regel nur noch 19 Arbeitnehmer einschließlich des Klägers beschäftigt gewesen. Zu den unstreitig beschäftigt gewesenen 14 Arbeitnehmern seien noch weitere fünf Arbeitnehmer hinzuzuzählen. Herr M sei Auszubildender. Herr E sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bereits seit dem Erlöschen seiner Prokura im März 1987 nicht mehr zur selbständigen Entlassung oder Einstellung von Arbeitnehmern berechtigt gewesen. Herr H sei nicht lediglich zur Aushilfe vorübergehend, sondern ständig beschäftigt gewesen. Frau K sei noch 1986 häufig bei zusätzlichem Bedarf für Schreibkräfte eingesetzt worden und hätte auch noch 1987 zur Verfügung gestanden. Arbeitnehmer sei schließlich auch der Kläger.
Keine Arbeitnehmer der ADW seien am 11. Februar 1987 Frau (richtig: Herr) P und Frau Z gewesen, weil deren Arbeitsverhältnisse unstreitig mit dem 31. Dezember 1986 geendet hätten. Gleiches gelte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für Herrn J. Diesem sei zwar zunächst zum 31. März 1987 gekündigt worden. Jedoch sei später ein Auflösungsvertrag zum 31. Dezember 1986 abgeschlossen worden. Frau N sei bereits 1986 in ein Arbeitsverhältnis zu einer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft der ADW getreten. Herr F sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bis zuletzt leitender Angestellter mit selbständiger Einstellungsbefugnis gewesen und deshalb gemäß § 17 Abs. 5 KSchG ebensowenig als Arbeitnehmer zu berücksichtigen wie die Geschäftsführer K und L.
III. Dieser Würdigung vermochte der Senat nicht zu folgen.
1. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitsamt Anzeige zu erstatten, bevor er in einem Betrieb mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. Unter "Entlassung" im Sinne dieser Vorschrift ist nicht schon die (ordentliche) Kündigung des Arbeitgebers, sondern erst die damit beabsichtigte Folge der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Unterbleibt die Anzeige des Arbeitgebers, so ist die einzelne Kündigung unwirksam, wenn sich der Arbeitnehmer auf diesen Verstoß beruft (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt Senatsurteil vom 31. Juli 1986 - 2 AZR 594/85 - AP Nr. 5 zu § 17 KSchG 1969, zu B II 1 der Gründe).
Im vorliegenden Fall hängt deshalb die Wirksamkeit der dem Kläger erklärten Kündigungen (bei Ausklammerung der Prüfung nach § 1 KSchG) allein von der streitig gebliebenen Frage ab, ob es sich bei dem Betrieb der ADW um einen Betrieb mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG handelt. Denn die übrigen Voraussetzungen für eine Unwirksamkeit der Kündigungen wegen Verstoßes gegen §§ 17 ff. KSchG liegen vor. Die ADW bzw. der Beklagte haben zum 31. März 1987 unstreitig mehr als fünf Arbeitnehmer gekündigt und damit innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen. Sie haben dem Arbeitsamt keine Anzeige erstattet, und der Kläger hat sich in den Vorinstanzen auf einen Verstoß der ADW und des Beklagten gegen diese Vorschrift berufen.
2. Maßgebender Zeitpunkt für die Bestimmung der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG ist der Zeitpunkt der Entlassung, d.h. nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen der Kündigungstermin, im vorliegenden Fall somit der 31. März 1987. Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen.
3. Die Anzeigepflicht selbst hängt nach § 17 Abs. 1 KSchG von der Zahl der "in der Regel" beschäftigten Arbeitnehmer ab. Nach dem Senatsurteil vom 31. Juli 1986 (aaO, zu B II 3 c der Gründe) ist bei der Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl grundsätzlich vom Termin der anzeigepflichtigen Kündigungen auszugehen. Maßgeblich ist jedoch nicht die tatsächliche Beschäftigtenzahl zu diesem Zeitpunkt, sondern die normale Beschäftigtenzahl des Betriebes, d.h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im allgemeinen kennzeichnend ist. Hierbei bedarf es grundsätzlich eines Rückblicks auf die bisherige Personalstärke des Betriebes und einer Einschätzung der künftigen Entwicklung. Wird jedoch, wie vorliegend, wegen Betriebsstillegung gekündigt, kommt nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage. Entscheidend ist dann, wann der Arbeitgeber noch eine regelmäßige Betriebstätigkeit entwickelt und wieviele Arbeitnehmer er hierfür eingesetzt hat. Hatte der Arbeitgeber vor dem Kündigungstermin zunächst eine Betriebseinschränkung geplant und den Betrieb mit entsprechend verminderter Belegschaft weitergeführt, so stellt diese die normale, den Betrieb kennzeichnende Belegschaftsstärke dar. Entschließt er sich später, den Betrieb endgültig stillzulegen, so ist diese Belegschaftszahl maßgebend, auch wenn der Arbeitgeber nachher das Personal nur stufenweise entläßt. Deshalb kann die Rückschau nicht auf einen festen Zeitraum (etwa zwei Monate) begrenzt werden. Entschließt sich der Arbeitgeber schon früher zur Stillegung des Betriebes und entläßt er danach stufenweise Personal, so stellt der zwei Monate vor dem Entlassungstermin noch vorhandene Personalbestand nicht mehr die normale Belegschaftsstärke dar.
An dieser Würdigung hält der Senat nach Überprüfung der von Tschöpe erhobenen Bedenken (SAE 1988, 37 f.) fest. Der Betriebszweck und die Zahl der zu seiner Verwirklichung regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer ist nicht allein von objektiven betrieblichen Kriterien abhängig, sondern insbes. von der (subjektiven) unternehmerischen Bestimmung durch den Arbeitgeber (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 19). Es ist deswegen möglich und geboten, bei der Bestimmung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl zwischen einer Betriebseinschränkung und in einer in Stufen geplanten Stillegung zu unterscheiden. Im ersten Fall geht es um eine auf unbestimmte Zeit vorgesehene Fortführung des Betriebes, im zweiten hingegen um eine befristete Abwicklung, die hinsichtlich der jeweiligen Beschäftigungszahl nicht mehr durch den regelmäßigen Gang des Betriebes gekennzeichnet ist.
4. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß die von der ADW und dem Beklagten zum 31. März 1987 vorgenommenen Entlassungen nach dem für den Senat bindend festgestellten Sachverhalt gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG anzeigepflichtig waren und die dem Kläger ausgesprochenen Kündigungen deshalb unwirksam sind. Der Senat kann zugunsten des Klägers durcherkennen, weil der maßgebende Sachverhalt feststeht und danach die Sache zur Entscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
a) Maßgebend für die Anzeigepflicht ist, ob am 31. März 1987 die regelmäßige Beschäftigtenzahl der ADW noch mehr als 20 Arbeitnehmer betragen hat. Die ADW hatte am 19. Dezember 1986 beschlossen, den Betrieb zu diesem Termin stillzulegen. Der nach der Konkurseröffnung verfügungsberechtigte Beklagte hat dann wegen der inzwischen eingetretenen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens den Betrieb tatsächlich bereits am 11. Februar 1987 stillgelegt. Somit ist entscheidend, bis zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Belegschaftsstärke die Beklagte zuletzt noch eine normale Betriebstätigkeit entwickelt hat. Diese und nicht die tatsächlich Ende März 1987 noch vorhandene Belegschaft stellt damit auch noch Ende März 1987 die diesen Betrieb kennzeichnende normale Belegschaftsstärke dar (vgl. Senatsurteil vom 31. Juli 1986, aaO, zu B II 4 a der Gründe).
b) Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen. Es hat sie jedoch auf den vorliegenden Fall nicht richtig angewandt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen hat die ADW bis zur tatsächlichen Einstellung der Betriebstätigkeit am 11. Februar 1987 die ihr nach dem von ihm festgestellten bzw. unterstellten Sachverhalt verbliebene Wirtschaftsberatung und die sonstigen Dienstleistungen erbracht. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht jedoch von der Zahl der an diesem Tag noch bei der ADW beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer ausgegangen. Es hat nicht berücksichtigt, daß die Gesellschafterversammlung der ADW bereits am 19. Dezember 1986 die Betriebsstillegung zum 31. März 1987 beschlossen hatte. Entschließt sich der Arbeitgeber endgültig zur Stillegung des Betriebes zu einem bestimmten Termin und entläßt er anschließend stufenweise Personal, so stellt der im Zeitpunkt dieser Beschlußfassung und nicht der spätere, verringerte Personalbestand die normale, den Betrieb kennzeichnende Belegschaftsstärke dar. Nur wenn der teilweise Personalabbau dazu dienen soll, den Betrieb zu sanieren und mit verminderter Belegschaft weiterzuführen, wird zunächst diese verminderte Belegschaft zur regelmäßigen Belegschaftszahl. Dagegen verändern Entlassungen, die vorgenommen werden, nachdem der Arbeitgeber sich endgültig zur Betriebsstillegung entschlossen hat, die normale, für die Ermittlung der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG maßgebende Belegschaftsstärke nicht mehr (Senatsurteil vom 31. Juli 1986, aaO, zu B II 3 c, aa und bb der Gründe).
Im vorliegenden Fall ist daher die Belegschaftszahl im Zeitpunkt des Stillegungsbeschlusses der Gesellschafter der ADW vom 19. Dezember 1986 für die Anzeigepflicht der zum 31. März 1987 vorgenommenen Entlassungen maßgebend. Dies gilt für die durch die Kündigungen der ADW und des Beklagten zu diesem Termin herbeigeführte tatsächliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Wie bereits ausgeführt, ist für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG nicht auf die Kündigung, sondern auf die dadurch herbeigeführte Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit in der Regel auf den Kündigungstermin abzustellen. Dies gilt für die Bestimmung der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer (Senatsurteil vom 31. Juli 1986, aaO, zu B II 2 der Gründe) wie auch der Grenzzahl der Entlassungen, die unabhängig davon ist, ob die Entlassungen innerhalb des Zeitraums von 30 Kalendertagen gleichzeitig oder nacheinander vorgenommen werden (allgem. Meinung; bereits zu § 15 KSchG 1951: BSG AP Nr. 3 zu § 15 KSchG; vgl. ferner Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 17 Rz 38; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 17 Rz 20 a; KR-Rost, 3. Aufl., § 17 KSchG, Rz 53). Ohne Bedeutung für die Anzeigepflicht ist ferner, aus welchem Grund die Kündigungen ausgesprochen werden (so bereits zum früheren Recht: Senatsurteil vom 13. März 1969 - 2 AZR 157/68 - AP Nr. 10 zu § 15 KSchG, zu 2 b der Gründe; Hueck, aaO, § 17 Rz 10 b; KR-Rost, aaO, Rz 47). Beschließt der Arbeitgeber, den Betrieb zu einem bestimmten Termin stillzulegen und entläßt er anschließend stufenweise Personal, so ist, wie ausgeführt, maßgebend nicht die Arbeitnehmerzahl der jeweils vorhergehenden Stufe, sondern die Personalstärke vor der ersten Stufe (so auch KR-Rost, aaO, Rz 28 a).
c) Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber in Ausführung des Stillegungsbeschlusses zu dem zunächst vorgesehenen Stillegungstermin sämtlichen Arbeitnehmern kündigt und später er oder, wie vorliegend, der nunmehr verfügungsberechtigte Konkursverwalter vorsorglich zum selben Termin nochmals kündigt, weil wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Vermögensverfalls die Betriebstätigkeit früher als beabsichtigt tatsächlich eingestellt werden muß. Denn maßgebend für die Bestimmung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl und der Grenzzahl nach § 17 Abs. 1 KSchG ist allein der Entlassungstermin bzw. die Zahl der innerhalb der letzten 30 Kalendertage vorgenommenen Entlassungen, unerheblich dagegen der Zeitpunkt der Kündigungen und der Kündigungsgrund.
d) Am 19. Dezember 1986 waren bei der ADW jedoch noch 22 Arbeitnehmer beschäftigt. Nach den vom Berufungsgericht teilweise aufgrund des unstreitigen Sachverhalts, teilweise aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme getroffenen tatsächlichen Feststellungen waren am 11. Februar 1987 noch 19 Arbeitnehmer bei der ADW beschäftigt. Diese Feststellungen sind für den Senat nach § 561 ZPO bindend, da die hierdurch beschwerte Revisionsbeklagte hiergegen keine Tatbestandsberichtigung beantragt bzw. keine Gegenrügen erhoben hat.
Zu diesen 19 Arbeitnehmern sind noch die Arbeitnehmer P, Z und J hinzuzuzählen. Die beiden erstgenannten Arbeitnehmer waren unstreitig, Herr J nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, bis zum 31. Dezember 1986 bei der ADW beschäftigt gewesen. Diese Feststellungen sind für den Senat ebenfalls nach § 561 ZPO bindend.
IV. Somit steht fest, daß im Zeitpunkt der Entlassung des Klägers am 31. März 1987 im Betrieb der ADW regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt waren und die ADW wie auch später der Beklagte dem Arbeitsamt nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG die Entlassungen hätten anzeigen müssen. Die Unterlassung der Anzeige führt zur Unwirksamkeit der von der ADW und dem Beklagten dem Kläger ausgesprochenen Kündigungen.
Hillebrecht Triebfürst Bitter
Dr. Wolter Mauer
Fundstellen
Haufe-Index 438138 |
DB 1990, 183 (ST) |
BetrVG, (1) (LT1-2) |
ASP 1990, 59 (T) |
EWiR 1990, 283-284 (L1-2) |
JR 1990, 220 |
JR 1990, 220 (S) |
KTS 1990, 219 |
NZA 1990, 224-226 (LT1-2) |
RdA 1989, 379 |
RzK, I 8b Nr 9 (LT1-2) |
ZIP 1990, 323 |
ZIP 1990, 323-326 (LT1-2) |
AP § 17 KSchG 1969 (LT1-2), Nr 6 |
AR-Blattei, ES 1020.2 Nr 5 (LT1-2) |
AR-Blattei, Kündigungsschutz II Entsch 5 (LT1-2) |
DBlR, 3617a KSchG/§ 17 (ST) |
EzA § 17 KSchG, Nr 4 (LT1-2) |