Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Witterungsbedingte ordentliche Kündigung im Betontransportgewerbe auf Grund entsprechender tariflicher Regelung (mit Wiedereinstellungsanspruch). tariflich geregelter Vorrang des Abbaus von Guthabenstunden bei Jahresarbeitszeitregelung: Berücksichtigung der Guthabenstunden nur des zu kündigenden Arbeitnehmers oder der Guthabenstunden aller (weiterbeschäftigten) Arbeitnehmer?
Orientierungssatz
1. Unterliegt in einem Betrieb der Arbeitsanfall je nach Jahreszeit erheblichen Schwankungen und haben die Tarifvertragsparteien und die Betriebspartner deshalb eine flexible Jahresarbeitszeit festgelegt, die betriebsbedingte (hier witterungsbedingte) Kündigungen weitgehend vermeiden soll, so ist ein dringendes betriebliches Erfordernis zu einer Beendigungskündigung regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung ausgenutzt hat und trotzdem noch ein Beschäftigungsüberhang besteht.
2. Haben die Arbeitnehmer des Betriebs bei einem derartigen Jahresarbeitszeitmodell in erheblichem Umfang Guthabenstunden angespart, so muss der Arbeitgeber bei schlechter Beschäftigungslage zunächst die Guthabenstunden aller Arbeitnehmer nach Möglichkeit abbauen, ehe er einzelnen Arbeitnehmern betriebsbedingt kündigt.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 22.03.2006; Aktenzeichen 5 Sa 98/05) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 21.09.2005; Aktenzeichen 3 Ca 16/05) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 22. März 2006 – 5 Sa 98/05 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und Entgeltfortzahlungsansprüche des Klägers.
Der Kläger ist seit 1997 bei der Beklagten, die ein Transportbetonwerk betreibt und Beton mit Auto-Betonpumpen liefert, als Fahrer eines Betonmischers beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die einschlägigen Tarifverträge der Sand-, Kies-, Mörtel- und Transportbetonindustrie Anwendung. Der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Sand-, Kies-, Mörtel- und Transportbetonindustrie in Norddeutschland vom 23. April 1997 (im Folgenden: MTV) bestimmt ua. Folgendes:
Ҥ 3
Arbeitszeit und Arbeitsbereitschaft
1.4 Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu einer Jahresarbeitszeitregelung kann die monatliche Arbeitszeit auf maximal 195 Stunden ausgeweitet werden. Die Wochenarbeitszeiten und deren Verteilung auf die einzelnen Werktage werden dabei nach den jeweiligen betrieblichen Erfordernissen und unter Berücksichtigung der Belange der Arbeitnehmer geregelt. Werden monatlich mehr als 195 Stunden geleistet, sind diese Mehrarbeitsstunden zuschlagspflichtig.
…
§ 18
Arbeitsausfall durch Betriebsstörungen/Witterung
…
3. Ist infolge von Witterungseinflüssen ein Weiterarbeiten nicht möglich, so besteht der Entgeltanspruch entsprechend der ausgefallenen Arbeitszeit, höchstens bis zu 8 Stunden täglich fort.
In diesem Fall kann das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von 7 Kalendertagen gelöst werden. Wenn eine Jahresarbeitszeitregelung gemäß § 3 Ziff. I 1.4 vereinbart wurde, müssen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine witterungsbedingte Kündigung alle Habenstunden abgebaut sein.
…”
Im Betrieb der Beklagten besteht eine Jahresarbeitszeitregelung nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung Nr. 3c vom 3. Mai 2001 für die gewerblichen Mitarbeiter. Sie enthält ua. folgende Regelungen:
“1. Ziel der Vereinbarung
Geschäftsleitung und Betriebsrat halten es für erforderlich, das zur Verfügung stehende tarifliche Arbeitszeitvolumen entsprechend der Auftragslage und den Witterungsverhältnissen zu verteilen. Durch diese Vereinbarung soll den Bedürfnissen der Arbeitnehmer nach ganzjähriger Beschäftigung und nach dem verstetigten Monatsentgelt Rechnung getragen werden.
Ziel der Vereinbarung ist es, witterungsbedingte Kündigungen zu vermeiden.
2. Umsetzung und Entgeltabrechnung
Die Arbeitnehmer erhalten ein festes Monatsentgelt (Tarifstundenlohn + freiwillige übertarifliche Zulagen zum Stundenlohn × 173 Stunden, zuzüglich eventueller freiwilliger monatlicher Pauschalbeträge = festes Monatsentgelt).
…
Alle über die Soll-Stunden hinausgehenden zu bezahlenden Stunden sind Mehrarbeitsstunden (Überstunden).
Nur in den Abrechnungsmonaten April – November werden dem persönlichen Arbeitszeitkonto maximal 1 Stunde pro Tag gutgeschrieben und zwar die Zeit, die der Mitarbeiter nach Ablauf der 8. Stunde, maximal bis zum Ende der 9. Stunde, gearbeitet hat. …
Es werden nur solange Stunden dem Arbeitszeitkonto ohne Mehrarbeitszuschläge gutgeschrieben, bis 140 Stunden angesammelt sind. Sobald das Arbeitszeitkonto 140 Haben-Stunden ausweist, werden alle Stunden, die über der täglichen Soll-Arbeitszeit liegen, als Mehrarbeitsstunden ausgezahlt.
Auf Wunsch einzelner Mitarbeiter können für diese auch mehr als 140 Stunden bis zu höchstens 200 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto angesammelt werden. Dabei wird, bei jeweils mehr als 140 Stunden Guthaben im Abrechnungsmonat, jede weitere Sunde mit 1:1,25 (d.h. 1 ¼ Stunden) dem Zeitkonto gutgeschrieben.
…
Erreicht ein Mitarbeiter die monatlichen Soll-Stunden nicht, werden ihm die fehlenden Stunden durch Entnahme aus dem Arbeitszeitkonto vergütet.
Stunden aus dem Zeitkonto können jedoch nur ab dem 01.12. des laufenden Jahres bis zum 31.03. des folgenden Jahres für betriebsbedingten und/oder witterungsbedingten Arbeitsausfall entnommen werden.
Mit Zustimmung des einzelnen Mitarbeiters können auf dem Arbeitszeitkonto bis zu 40 Minus-Stunden angesammelt werden.
…
Für die Monate Dezember des lfd. Jahres bis März des Folgejahres gilt:
Werden witterungsbedingt arbeitsfreie Tage vom Arbeitgeber veranlasst, so werden 8 Stunden/Tag aus dem Arbeitszeitkonto entnommen.
…”
Die Beklagte meldet wegen witterungsbedingt reduzierter Nachfrage in den Wintermonaten (Dezember bis Februar) üblicherweise einen Teil ihrer Fahrzeuge ab. Im Winter 2004/2005 meldete sie zehn von 23 Trommelmischfahrzeugen ab und kündigte neun von 24 Fahrern, darunter dem Kläger mit am 5. Januar 2005 zugegangenem Schreiben vom 28. Dezember 2004 zum 17. Januar 2005. Ein weiterer Fahrer schied freiwillig aus. Der Betriebsrat war mit Schreiben vom 28. Dezember 2004 zur beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört worden und hatte noch am selben Tag mitgeteilt, er erhebe keine Einwendungen. Zum Zeitpunkt der Kündigung wies das Arbeitszeitkonto des Klägers 90 Guthabenstunden auf, die er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abbummeln sollte; hierzu kam es wegen einer Erkrankung des Klägers ab dem 13. Januar 2005 nicht mehr. Auf Wunsch des Klägers wurden die Stunden in das nächste Jahr übertragen. Nicht gekündigte Mitarbeiter wiesen bei Ausspruch der Kündigungen ebenfalls noch Guthabenstunden aus, die später teils ausbezahlt, teils auf das nächste Jahr übertragen wurden.
Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und Entgeltfortzahlung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum 23. Februar 2005 begehrt. Zum 11. April 2005 hat die Beklagte ihn wegen Fortfalls der witterungsbedingten Gründe wieder eingestellt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam, weil vor Ausspruch der Kündigung die Guthabenstunden aller Mitarbeiter hätten abgebaut werden müssen. Außerdem sei die Sozialauswahl fehlerhaft wegen unzureichender Berücksichtigung seiner tatsächlichen Unterhaltspflichten für zwei Kinder und seine geschiedene Ehefrau. Auch sei der Betriebsrat insoweit falsch informiert worden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung vom 28. Dezember 2004 beendet worden ist,
und
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.962,76 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 1.062,86 EUR seit dem 15. Februar 2005 und auf weitere 1.900,00 EUR seit dem 15. März 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag im Wesentlichen wie folgt begründet: Es handele sich bei einer – hier gegebenen – witterungsbedingten Kündigung im Tarifsinne nicht um eine Beendigungskündigung, da ein Rückkehranspruch bestehe und die Beschäftigungszeit nicht als unterbrochen gewertet werde. Hinsichtlich der Guthabenstunden komme es jedenfalls allein auf das Guthaben des gekündigten Arbeitnehmers an. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt; entsprechend der mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinie seien nur die in der Lohnsteuerkarte eingetragenen unterhaltsberechtigten Personen zu berücksichtigen. Die Liste mit den Sozialdaten habe dem Betriebsrat vorgelegen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage – mit Ausnahme der Zinshöhe – stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im Anschluss an die Entscheidung des Arbeitsgerichts seine Entscheidung – kurz zusammengefasst – wie folgt begründet: Die Kündigung sei als Beendigungskündigung sozial ungerechtfertigt. Sie sei zwar aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen worden. Anlass für die unternehmerische Entscheidung sei die erfahrungsgemäß schlechte Witterung und die nachlassende Nachfrage nach Beton in den Wintermonaten. Die unternehmerische Entscheidung, deshalb eine größere Anzahl von Fahrzeugen stillzulegen, sei auch nicht offensichtlich willkürlich, unvernünftig oder unsachlich. Dass mit der vorübergehenden Stilllegung einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fahrzeugen der Personalbedarf auf zwar nicht unbegrenzte, aber angesichts der Witterungsunbeständigkeit nicht absehbare Dauer sinke, sei nachvollziehbar. Solange allerdings – wie vorliegend – noch Habenstunden bei anderen Fahrern bestünden, seien diese Stunden bei schlechter Witterung zunächst abzubauen, ehe Beendigungskündigungen ausgesprochen werden dürften. Da dies nicht geschehen sei, sei die Kündigung rechtsunwirksam. Der von der Beklagten weder dem Grunde noch der Höhe nach bestrittene Zahlungsanspruch des Klägers bestehe auf Grund des fortlaufenden Arbeitsverhältnisses.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in weiten Teilen der Begründung. Die Kündigung der Beklagten ist sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Ihr lag kein dringendes betriebliches Erfordernis zu Grunde, das zum Kündigungszeitpunkt einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb hätte entgegenstehen können.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbar. Bei der Frage des dringenden betrieblichen Erfordernisses (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Diese kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil die Rechtsbegriffe selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. zB Senat 18. Oktober 2006 – 2 AZR 434/05 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 151; 12. April 2002 – 2 AZR 256/01 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung stand.
2. Zutreffend gehen die Vorinstanzen davon aus, dass die Stilllegung einzelner Fahrzeuge in einem Betrieb wie dem der Beklagten und der dadurch verursachte Beschäftigungsüberhang die Kündigung eines einzelnen Arbeitnehmers nur dann als dringendes betriebliches Erfordernis nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen kann, wenn dem Arbeitgeber nicht andere Maßnahmen zur Verfügung stehen, eine Weiterbeschäftigung aller in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer zumindest für eine gewisse Zeit sicherzustellen.
a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. ua. Senat 2. Juni 2005 – 2 AZR 480/04 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 75 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 63; 7. Juli 2005 – 2 AZR 399/04 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).
b) Schon das Arbeitsgericht stellt zu Recht darauf ab, dass diese betrieblichen Erfordernisse dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebs unvermeidbar machen müssen. Daran fehlt es, wenn der betrieblichen Notwendigkeit durch weniger belastende Mittel auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet entsprochen werden kann. Dabei sind allerdings nur solche Mittel bei der Erforderlichkeitsprüfung zu berücksichtigen, die gleich wirksam sind, um das unternehmerische Ziel zu erreichen (BAG 18. Januar 1990 – 2 AZR 183/89 – BAGE 64, 24; 27. September 2001 – 2 AZR 246/00 – EzA KSchG § 2 Nr. 41). Insoweit gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast: Der Arbeitgeber kann seinen Vortrag zunächst auf die Behauptung beschränken, die Kündigung könne nicht durch mildere Mittel vermieden werden. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers darzulegen, durch welche technischen, organisatorischen oder wirtschaftlichen Maßnahmen die Kündigung zu vermeiden gewesen wäre. Sodann liegt die Darlegungs- und Beweislast, ob und aus welchen Gründen diese Maßnahme nicht realisierbar war, beim Arbeitgeber.
c) Zu den weniger belastenden Maßnahmen, die der Arbeitgeber zur Vermeidung von Kündigungen zu ergreifen hat, zählt es, dass er die Möglichkeiten einer Jahresarbeitszeitregelung ausschöpft, die gerade mit dem Ziel geschaffen worden ist, durch eine Flexibilisierung der Jahresarbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten des geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden. Unterliegt in einem Betrieb der Arbeitsanfall je nach Jahreszeit erheblichen Schwankungen und haben die Tarifvertragsparteien und die Betriebspartner für dieses Problem durch die Festlegung einer flexiblen Jahresarbeitszeit eine Lösung geschaffen, die betriebsbedingte (hier witterungsbedingte) Kündigungen weitgehend vermeiden soll, so ist ein dringendes betriebliches Erfordernis zu einer Beendigungskündigung regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber diese Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung ausgenutzt hat und trotzdem noch ein Beschäftigungsüberhang besteht. Haben die Arbeitnehmer des Betriebs bei einem derartigen Jahresarbeitszeitmodell in erheblichem Umfang Guthabenstunden angespart, so hat der Arbeitgeber dem Sinn und Zweck der tariflichen und betrieblichen Regelung zunächst einmal dadurch Rechnung zu tragen, dass er bei schlechter Beschäftigungslage die Guthabenstunden aller Arbeitnehmer abbaut, ehe er einzelnen Arbeitnehmern betriebsbedingt kündigt und den im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmern bei voller Weiterbeschäftigung für ihre Guthabenstunden möglicherweise sogar eine finanzielle Abgeltung zahlt.
3. Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, vor Ausspruch von Beendigungskündigungen verpflichtet, die Möglichkeiten der bestehenden Jahresarbeitszeitregelung auszuschöpfen, und durfte erst dann kündigen, wenn nach Ausschöpfung dieser Möglichkeiten immer noch ein Beschäftigungsüberhang absehbar war.
a) Der einschlägige Tarifvertrag ermöglicht eine Jahresarbeitszeitregelung durch Betriebsvereinbarung gerade im Hinblick auf die allseits bekannte Tatsache, dass in der betreffenden Branche im Winter mit einem erheblichen Beschäftigungsrückgang zu rechnen ist, während in der übrigen Jahreszeit ein größerer Beschäftigungsbedarf, regelmäßig auch über die übliche tarifliche Arbeitszeit hinaus, besteht. Die Betriebsvereinbarung hat ausdrücklich das Ziel, das zur Verfügung stehende tarifliche Arbeitszeitvolumen entsprechend der Auftragslage und den Witterungsverhältnissen auf das ganze Jahr zu verteilen und damit witterungsbedingte Kündigungen in Zeiten des Winterbaus zu verhindern. Die Arbeitnehmer erhalten durch die Betriebsvereinbarung die Möglichkeit, in der Zeit von April bis November des Jahres ein so erhebliches Stundenguthaben anzusammeln, dass, wenn alle Arbeitnehmer hiervon Gebrauch machen, das Erfordernis betriebsbedingter Kündigungen durch den Abbau dieser Guthabenstunden jedenfalls zeitlich erheblich hinausgeschoben werden kann und je nach den Umständen hierdurch sogar betriebsbedingte Kündigungen – etwa in einem milden Winter bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Betriebsvereinbarung – ganz vermieden werden können. Wenn die Beklagte angesichts dieser Regelung durch den Tarifvertrag und die Betriebsvereinbarung ihren durch die Stilllegung mehrerer Fahrzeuge verursachten Beschäftigungsüberhang einfach dadurch zu regeln sucht, dass sie einzelnen Arbeitnehmern kündigt, den weiterbeschäftigten Arbeitnehmern aber ihre Stundenguthaben zur möglichen finanziellen Abgeltung oder Übertragung in das nächste Jahr belässt, unterläuft sie Sinn und Zweck der Jahresarbeitszeitregelung. Sie behandelt damit die Arbeitnehmer ihres Betriebs ohne erkennbaren sachlichen Grund unterschiedlich, indem sie bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer zu Lasten der anderen die Möglichkeiten der Jahresarbeitszeitvereinbarung nicht voll ausschöpft. Ein dringendes betriebliches Erfordernis für ein derart unterschiedliches Vorgehen ist nicht dargelegt.
b) Es steht auch fest, dass sich die Kündigung des Klägers zumindest zu diesem Zeitpunkt hätte vermeiden lassen, wenn die Beklagte vor Ausspruch der Kündigungen zunächst von den Möglichkeiten der Jahresarbeitszeitregelung Gebrauch gemacht hätte, bei allen Arbeitnehmern die Guthabenstunden abzubauen. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt in den Tatsacheninstanzen und auch nicht in der Revisionsverhandlung etwa geltend gemacht, die Stundenguthaben der anderen Arbeitnehmer wären im Gegensatz beispielsweise zu dem Stundenguthaben des Klägers so gering gewesen, dass ein Abbau aller Guthabenstunden das Erfordernis, dem Kläger zu kündigen, nicht zumindest zeitlich hinausgeschoben hätte. Die Beklagte hat sich stets nur darauf berufen, zu mehr als einem Abbau der Guthabenstunden des Klägers sei sie rechtlich nicht verpflichtet gewesen. Nach ihrem Gesamtvorbringen ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Stundenguthaben aller Arbeitnehmer, zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen im Sinne der Betriebsvereinbarung eingesetzt, eine Kündigung des Klägers zumindest erst zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich gemacht hätten. Es ist ebenfalls nicht erkennbar, dass einem Einsatz der Stundenguthaben aller Arbeitnehmer zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen im Kündigungszeitpunkt irgendein rechtliches oder tatsächliches Hindernis entgegengestanden hätte. Auf ein solches hat sich die Beklagte auch nicht berufen. Damit steht fest, dass die Kündigung durch kein dringendes betriebliches Erfordernis sozial gerechtfertigt war, weil die Beklagte eine ihr mögliche zumutbare, nahe liegende Maßnahme zur Vermeidung der betriebsbedingten Kündigung nicht ergriffen hat.
4. Es kommt deshalb nicht mehr auf die Auslegung des § 18 Abs. 3 Satz 2 MTV an, auf die das Landesarbeitsgericht entscheidend abgestellt hat. Diese Vorschrift regelt ohnehin in erster Linie den Fall, dass wegen Witterungseinflüssen der Betrieb völlig zum Erliegen kommt und deshalb allen Arbeitnehmern jeweils unter Abwicklung nur ihrer Guthabenstunden gekündigt werden muss. Ob nach dieser Vorschrift – wie die Revision meint – auch im Fall einer bloßen Betriebseinschränkung nur auf das Stundenguthaben des jeweils betroffenen Arbeitnehmers abzustellen ist, scheint fraglich. Hierauf kommt es aber nicht entscheidend an, denn mangels Tarifdispositivität des § 1 Abs. 2 KSchG wäre eine entsprechende Auslegung der tariflichen Vorschrift des § 18 Abs. 3 Satz 2 MTV nicht geeignet, an der aus § 1 Abs. 2 KSchG folgenden Rechtsunwirksamkeit der Kündigung etwas zu ändern.
III. Die Kosten der erfolglosen Revision hat die Beklagte zu tragen (§ 97 ZPO).
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Beckerle, Pitsch
Fundstellen
Haufe-Index 1938665 |
BB 2008, 787 |