Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Abfindung einer Versorgungsanwartschaft genießt keinen Konkursvorrang nach § 61 KO (Bestätigung von BAG 24-1 204 12131 = AP Nr. 9 zu § 61 KO [unter 11 2 der Gründe]).
Normenkette
KO §§ 61, 67, 69; BGB §§ 242, 1339, 157; BetrAVG § 7 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Aktenzeichen 8 Sa 917/74) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird, das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 6. Mai 1976 – 8 Sa 917/74 – insoweit aufgehoben,) als es über das Konkursvorrecht des Klägers und über die Kosten des Rechtsstreits befindet (Ziffern 1 b und 3 des Tenors).
Insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 26. August 1974 – 3 Ca 264/73 – zurückgewiesen.
2. Die Kosten der ersten Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1. Januar 1970 bei der Firma A… AG als Flugkapitän beschäftigt. Im zweiten Halbjahr 1970 verlangte das gesamte Cockpitpersonal dieses Unternehmens eine Gehaltserhöhung zwischen 15 und 30%, weil andere Bedarfsfluggesellschaften entsprechend höhere Vergütungen zahlten. Daraufhin schlug die Firma A… vor, anstelle von Gehaltserhöhungen eine betriebliche Altersversorgung einzuführen. Auf diese Weise sollten die angespannte Liquidität des Unternehmens geschont und Sozialabgaben gespart werden. Die betriebliche Altersversorgung sollte dazu dienen, die Versorgungslücke zu schließen, die beim fliegenden Personal für die Zeit vom Wegfall der Flugtauglichkeit (in der Regel bei einem Lebensalter von 55 Jahren) bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze entsteht. Über die Vorzüge einer solchen Regelung bestand Einigkeit zwischen dem Cockpitpersonal und der Firma A…, jedoch zogen sich die Verhandlungen über Einzelheiten geraume Zeit hin. Diese Verhandlungen wurden zwischen Vorstandsmitgliedern der Firma A… und drei gewählten Sprechern des Cockpitpersonals geführt. Zu den Besprechungen wurden zeitweise Vertreter einer Beratungsgesellschaft für betriebliche Altersversorgung und der Industrieassekuranz hinzugezogen. Man ging davon aus, daß die Firma A… zur Finanzierung der geplanten Altersversorgung 10% der Bruttobezüge des begünstigten Personenkreises aufwenden und in dieser Höhe Rückstellungen ab 1. April 1972 bilden solle. Eine entsprechende Vereinbarung wurde am 31. März 1972 zwischen der Firma A… und den Sprechern des fliegenden Personals geschlossen. Hingegen waren die Form der geplanten Altersversorgung und die Einzelheiten des Versorgungsplans noch nicht abschließend geklärt, als am 22. Oktober 1972 das Konkursverfahren über das Vermögen der Firma A… eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt wurde.
Am 21. November 1972 meldete der Kläger zur Rangklasse verschiedene Forderungen an, darunter eine Forderung in Höhe von 7.089,10 DM „aufgrund der Versorgungszusage”. Die Höhe der Forderung entspreche 10% der Bruttobezüge in der Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 20. Oktober 1972. Der Beklagte hat Forderung sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich des begehrten Vorrechts bestritten. Deshalb hat der Kläger die liegende Feststellungsklage erhoben.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Firma A… habe eine Gehaltserhöhung von 10% ab 1. Oktober 1971 zugesagt. Die Auszahlung der erhöhten Gehaltsteile sei lediglich gestundet worden. Man habe sich dahin geeinigt, daß die Erhöhungsbeträge in ruhegeldähnlicher Form ausgezahlt, jedoch bei Scheitern einer Ruhegeldregelung sofort fällig werden sollten.
Die Klageforderung betreffe daher Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis mit der Gemeinschuldnerin, die nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO bevorrechtigt seien.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß die von dem Kläger in dem Konkursverfahren 81 N 444/73 des Amtsgerichts Frankfurt/Main angemeldete Forderung von 7089,10 DM, nach Rangklasse 1 bevorrechtigt, ist,
- festzustellen, daß die Gemeinschuldnerin sich gegenüber dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1971 an zu einer Erhöhung seines jeweiligen Festgehaltes um 10% brutto verpflichtet und der Kläger ihr eingeräumt hat, die angesammelten Beträge an ihn nach Maßgabe des Ergebnisses der Besprechung vom 2. September 1971 zwischen der Gemeinschuldnerin, dem Vertreter des Cockpitpersonals und der Beratungsgesellschaft für Altersversorgung auszuzahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und jede die Gemeinschuldnerin verpflichtende Zusage bestritten. Die Firma A… habe zwar ihre Absicht erklärt, eine betriebliche Altersversorgung einzuführen, die regelungsbedürftigen Modalitäten hätten jedoch bis zur Konkurseröffnung nicht mehr festgelegt werden können. Soweit bereits Rückstellungen gebildet worden seien, begründe dies keine Ansprüche des Klägers. Selbst wenn man aber von einer Versorgungszusage der Gemeinschuldnerin ausgehe, ergäbe sich daraus für den Kläger bestenfalls eine Versorgungsanwartschaft, die im Konkurs nicht bevorrechtigt sei.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß der Beklagte die streitige Forderung als einfache Konkursforderung anerkennen muß; die weitergehende Feststellungsklage hat es abgewiesen. Hiergegen hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat seinem Antrag teilweise entsprochen und festgestellt, daß die streitige Forderung berechtigt ist und gem. § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO bevorrechtigt am Konkurs teilnimmt; den Feststellungsantrag zu Nr. 2 hat es abgewiesen. Mit seiner Revision wehrt sich der Beklagte weiterhin gegen das für die Klageforderung beanspruchte Vorrecht, während der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der Kläger kann sich zwar auf eine verbindliche Zusage der Gemeinschuldnerin berufen – das hat schon das Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt –, diese Zusage hat jedoch nur eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft begründet, die kein Konkursvorrecht genießt.
1. Der Kläger beruft sich auf § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO. Diese Vorschrift ist jedoch nicht anwendbar, weil der Klageanspruch keine rückständigen Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis des Klägers betrifft.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, daß sich die Klage auf eine Versorgungszusage stützt. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß dem fliegenden Personal etwa 10% der seit dem 1. April 1971 ausgezahlten Gehälter zusätzlich zufließen sollten, die Forderung nach einer entsprechenden Gehaltserhöhung sei jedoch abgelehnt worden. Statt dessen habe man sich auf eine Versorgungsregelung geeinigt, um nicht nur die Liquidität der Gemeinschuldnerin zu schonen, sondern auch den besonderen Versorgungsbedarf des fliegenden Personals zu decken. Deshalb seien Sachverständige hinzugezogen worden, die einen entsprechenden Versorgungsplan ausarbeiten sollten, und zwar auf der Grundlage eines beitragsorientierten Dotierungsrahmens von 10% der Gehaltsumme des fliegenden Personals.
b) Diese Auslegung wird vom Kläger nicht angegriffen. Sie läßt auch keine rechtlichen Fehler erkennen. Wären dem fliegenden Personal tatsächlich eine 10%ige Gehaltserhöhung zugestanden und die entsprechende Forderung lediglich gestundet worden, so hätte die Regelung ganz anders ausgestaltet werden müssen. Es hätte sich dann erübrigt, lange Zeit und mit Hilfe eines Beratungsinstituts über die Ausgestaltung des Leistungsplanes zu verhandeln und den Versorgungsfall auf der Grundlage versicherungsmathematischer Berechnungen zu regeln. Vielmehr hätte es genügt, jedem begünstigten Angestellten monatlich 10% seines Gehaltes gut zuschreiben und die Dauer der Stundung festzulegen. Auch wär es möglich gewesen, monatliche Raten vorzusehen, die erst nach Eintritt der Fluguntauglichkeit auszuzahlen sind, aber die Zahl der Monatsraten hätte sich dann allein nach der Höhe der angesparten Rückstände richten müssen, nicht aber nach der Lebensdauer der begünstigten Arbeitnehmer.
c) Eine Versorgungsanwartschaft verwandelt sich im Konkursfall in einen Zahlungsanspruch, der nach § 69 KO zu schätzen ist; er richtet sich nach dem Wert, den die Versorgungsanwartschaft bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreicht hat (BAG 24, 204 [211] = AP Nr. 9 zu § 61 KO [unter I 5 der Gründe]).
Weber hat der Rechtsprechung des Senats entgegengehalten, sie berücksichtige nicht ausreichend den Grundsatz des § 67 KO. Der Inhaber einer Versorgungsanwartschaft verfüge nur über einen aufschiebend bedingten Versorgungsanspruch und könne daher nicht die sofortige Erfüllung, sondern vor Eintritt des Versorgungsfalles nur eine Sicherung vom Konkursverwalter verlangen (AP, a.a.O. unter 3 b und c der Anmerkung). Hierzu muß im vorliegenden Verfahren nicht Stellung genommen werden, weil es sich um einen Sachverhalt handelt, für den auch Weber die sofortige Fälligkeit des Versorgungsanspruchs annimmt. Wenn der Arbeitgeber eine juristische Person sei, die aus Anlaß, des Konkurses liquidiert werde, so sei dem Versorgungsberechtigten nicht zumutbar, über die Liquidation hinaus auf den Eintritt des Versorgungsfalles zu warten. Der Arbeitnehmer habe statt dessen nach Treu und Glauben einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe, des Wertes der Anwartschaft (AP, a.a.O., unter 3 e der Anmerkung). Diese besonderen Voraussetzungen sind auch im vorliegenden Fall erfüllt. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend von der Fälligkeit der Versorgungsabfindung ausgegangen.
2. Der Anspruch des Klägers ist jedoch nur als einfache Konkursforderung im Range nach allen bevorrechtigten Forderungen zu befriedigen. Der Beklagte hat die Einräumung eines Vorranges mit Recht abgelehnt.
a) In § 61 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 KO werden Versorgungsanwartschaften nicht erwähnt. Bis zum Jahre 1974 enthielt der Katalog der bevorrechtigten Forderungen nicht einmal fällige Versorgungsansprüche. Der Senat hat die Regelung jedoch ergänzend dahin ausgelegt, daß rückständige betriebliche Versorgungsleistungen im Konkurs wie rückständige Lohnforderungen zu behandeln sind, also unter den Voraussetzungen und in den Grenzen des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO mit Vorrang befriedigt werden müssen (BAG 22, 105 = AP Nr. 6 zu § 61 KO). Hingegen hat es der Senat abgelehnt, im Wege der Rechtsfortbildung auch Versorgungsanwartschaften in den Kreis der bevorrechtigten Forderungen einzubeziehen (BAG 24, 204 [213] = AP Nr. 9 zu § 61 KO [unter II 2 der Gründe]). Zwar bestehe ein dringendes Regelungsbedürfnis, jedoch erscheine zweifelhaft, ob eine Ausweitung der Konkursvorrechte als geeignetes Mittel angesehen werden könne. Umso wichtiger sei es, daß der Gesetzgeber sich des Schutzes arbeitsrechtlicher Versorgungsansprüche und -anwartschaften im Insolvenzfall annehme.
Der Gesetzgeber ist nicht untätig geblieben. Er hat mit Gesetz vom 17. Juli 1974 (BGBl. I, 1481.) den § 61 Abs. 1 Nr. 1 neu gefaßt und den Vorrang rückständiger Versorgungsansprüche ausdrücklich geregelt. Darüber hinaus hat er im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I, 3610) für den Insolvenzschutz der betrieblichen Altersversorgung neue Wege beschritten. Auch die Inhaber unverfallbarer Versorgungsanwartschaften wurden in die Neuregelung einbezogen (§ 7 Abs. 2 BetrAVG). Eine ausweitende Interpretation der Konkursvorrechte des § 61 KO wäre danach weder legitim noch sinnvoll.
b) Das Landesarbeitsgericht verkennt das nicht, meint aber dennoch, wegen der Eigenart des vorliegenden Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen zu müssen. Die Versorgungsanwartschaft des Klägers stehe einer gestundeten Vergütung ungewöhnlich nahe. Das ergebe sich vor allem aus der Finanzierung mit gehaltsabhängigen Mindestraten; durch die Rückstellung in Höhe von 10% der Bruttogehälter habe von Anfang an eine unmittelbare rechtliche Verknüpfung bestanden zwischen der vor Konkurseröffnung geleisteten Arbeit einerseits und der hierfür später beanspruchten Gegenleistung andererseits. Hinzu komme die Vorgeschichte der Versorgungszusage, die mit einer Gehaltsforderung des fliegenden Personals begonnen habe. Beide Umstände prägten die Rechtsposition des Klägers so, daß die entsprechende Anwendung des § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO geboten sei.
Diese Begründung überzeugt nicht. Das Landesarbeitsgericht überschätzt die Besonderheiten des vorliegenden Falles. In Wahrheit handelt es sich um Begleitumstände, die bei Versorgungszusagen nicht ungewöhnlich sind und den rechtlichen Charakter der Versorgungsanwartschaften nicht wesentlich beeinflussen.
Das gilt besonders für die Vorgeschichte der Versorgungszusage. Es liegt durchaus nicht fern, Gehaltsforderungen, die die Liquidität des Unternehmens überfordern, Präzedenzfälle schaffen würden oder aus sonstigen Gründen unerwünscht sind, mit Zugeständnissen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zu begegnen (vgl. z.B. das Urteil des Senats vom 8. Dezember 1977 – 3 AZR 530/76 – [demnächst] AP Nr. 176 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Diese Motivation einer Versorgungszusage ändert an dem rechtlichen Charakter der dadurch begründeten Anwartschaften nichts.
Ebenso wird die Berechnung des Dotierungsrahmens im vorliegenden Fall vom Landesarbeitsgericht unzutreffend gewürdigt. Daß Rückstellungen in Höhe von 10% der Bruttogehälter gebildet wurden, läßt keinen Schluß darauf zu, in welcher Höhe die einzelnen Angestellten des fliegenden Personals später Versorgungsleistungen erwarten dürfen. Vielmehr sollte auf diese Weise nur abgegrenzt werden, in welchem Umfange die Firma A… bereit war, insgesamt Mittel für die Altersversorgung zur Verfügung zu stellen. Diese Form der Abgrenzung des Dotierungsrahmens kennzeichnete der zu Rate gezogene Sachverständige als „Beitragsprimat”. Im übrigen teilen auch diejenigen Arbeitgeber, die bei der Finanzierung ihrer betrieblichen Altersversorgung von anderen, Berechnungsfaktoren aus gehen, ihren Arbeitnehmern häufig mit, welchem Prozentsatz der ausgezahlten Vergütung der Wert der betrieblichen Versorgungsleistungen entspricht. Eine besonders enge Verknüpfung zwischen den Löhnen und Gehältern einerseits und den Betriebsrenten andererseits entsteht dadurch nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 602560 |
NJW 1978, 1343 |