Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag mit einer russischen Lektorin - funktionswidrige Verwendung einer gesetzlichen Befristungsmöglichkeit
Orientierungssatz
1. Der vom Gesetzgeber mit § 57b Abs 3 HRG aF verfolgte und gemessenen an Art 5 Abs 3 GG legitime Sinn und Zweck bestand darin, einen aktualitätsbezogenen Fremdsprachenunterricht an Hochschulen zu sichern. Um diese Ziel zu erreichen erachtet der Gesetzgeber die Befristung der Arbeitsverhältnisse mit Lektoren als geeignetes und erforderliches Mittel. Dies beruhte auf der Annahme, es bestehe typischerweise die Gefahr, daß Lektoren, die in der Regel Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen, nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland den Aktualitätsbezug zu ihrer Sprache verlieren.
2. Diesem Gesetzeswerk des § 57b Abs 3 HRG aF konnte die im Streitfall vereinbarte Befristung nicht dienen. Das Bundesarbeitsgericht hat in Fällen, in denen der Fremdsprachenlektor bei Vertragsabschluß schon viele Jahre in Deutschland lebte und hier voll integriert war, schon wiederholt einen objektiven Mißbrauch der in § 57b Abs 3 HRG aF vorgesehenen Befristungsmöglichkeit angenommen und der Befristung die Wirksamkeit versagt.
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das
Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. September 1997 -
5 Sa 1035/95 - wird auf Kosten des beklagten Landes mit der
Maßgabe zurückgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien
nicht aufgrund der Befristung vom 14. März 1994 zum 30.
September 1996 beendet ist.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die 1956 geborene russische Klägerin war nach ihrem Studium in Moskau zunächst in der Zeit vom 5. April 1988 bis 30. September 1990 an der Ruhr-Universität Bochum als Lektorin für Russisch tätig. Seit 1991 ist sie mit einem Deutschen verheiratet. Für das Wintersemester 91/92, das Sommersemester 92 sowie die Wintersemester 92/93 und 93/94 erteilte ihr die Ruhr-Universität Bochum Lehraufträge für Propädeutik Russisch.
Mit Vertrag vom 14. März 1994 wurde die Klägerin vom beklagten Land erneut, diesmal "für die Zeit vom 05.04.1994 bis 30.09.1996 an der Ruhr-Universität Bochum als Angestellte (Lehrkraft für besondere Aufgaben im Sinne von § 55 UG (Universitätsgesetz)) eingestellt." Weiter heißt es in § 1 des Vertrags:
"Sie übernimmt die Aufgaben einer Lektorin für Russisch.
Die Befristung des Arbeitsvertrages erfolgt nach § 57 b Abs. 3 des
Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem
Perszur Sicherstellung aktueller Bezüge zur sprachlichen Situation
des Heimatlandes entsprechend der Üblichkeit an den
Wissenschaftlichen Hochschulen"
Laut § 3 des Vertrags bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen und Bestimmungen sowie dem "Runderlaß des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1985 - Az.: I B 4 - 3201 - betr. Beschäftigung und Vergütung von Lehrkräften für besondere Aufgaben im Angestelltenverhältnis in der Stellung von Studienräten im Hochschuldienst". Gemeint waren freilich die einschlägigen, unter demselben Datum bekannt gemachten Richtlinien für die Beschäftigung und Vergütung von Lektoren an den wissenschaftlichen Hochschulen des Landes in der Bekanntmachung des Ministers für Wissenschaft und Forschung vom 15. April 1985 - I B 4 - 3811. Unter deren Nr.4 "Einstellungsvoraussetzungen" ist ua. folgendes vorgesehen:
"4.3 Lektoren, die sich bis zum Zeitpunkt der beabsichtigten
Einstellung überwiegend nicht im Herkunftsland aufgehalten
haben, können nicht beschäftigt werden. Dies gilt ebenso, wenn
sie sich länger als 1 Jahr vor der beabsichtigten Einstellung
nicht im Herkunftsland aufgehalten haben; Kurzaufenthalte
können dabei nicht berücksichtigt werden.
4.4 Als Lektor darf nicht eingestellt werden, wer auf Dauer
den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen im Geltungsbereich
des Grundgesetzes begründet hat oder zu begründen
beabsichtigt."
Mit ihrer am 25. November 1994 erhobenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristungsabrede geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis bestehe.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, daß die Befristung nach § 57 b Abs. 3 HRG in der bis zum 24. August 1998 geltenden Fassung (HRG aF) sachlich gerechtfertigt sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt das beklagte Land die Wiederherstellung des klagabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die vereinbarte Befristung nicht wirksam zum 30. September 1996 beendet.
A. Die Klage ist zulässig. Wie der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, handelt es sich vorliegend um eine Klage iSv. § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG. Der Senat hat dies bei der klarstellenden neuen Fassung des Urteilstenors berücksichtigt.
B. Die Klage ist begründet.
I. Die im Vertrag vom 14. März 1994 vereinbarte Befristung zum 30. September 1996 gilt nicht etwa nach § 7 KSchG iVm. § 1 Abs. 5 Satz 2 BeschFG als von Anfang an rechtswirksam. Die Klägerin hat zwar nicht innerhalb von drei Wochen ab dem Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 BeschFG idF vom 25. September 1996, also in der Zeit vom 1. Oktober 1996 bis 21. Oktober 1996 Klage nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG erhoben. Ausgehend von Sinn und Zweck dieser Frist und der an ihre Versäumung anknüpfenden Fiktionswirkung wurde die Frist aber durch die bereits vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 BeschFG erhobene und hernach fortgeführte Feststellungsklage gewahrt.
II. 1. Die vereinbarte Befristung bedurfte, da der Klägerin der ihr ohne die Befristung zustehende Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG vorenthalten wurde, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit dem Beschluß des Großen Senats vom 12. Oktober 1960 - GS 1/59 - BAGE 10, 65) zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Zu Unrecht beruft sich das beklagte Land zur Begründung der Befristung auf § 57 b Abs. 3 HRG aF. Dieser sah vor, daß ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einer fremdsprachlichen Lehrkraft für besondere Aufgaben rechtfertigt, auch vorliegt, wenn die Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (Lektor).
2. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts konnte die Anwendbarkeit des § 57 b Abs. 3 HRG aF dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls verstoße die Praxis des beklagten Landes, sich gegenüber den Lektoren, die nicht von Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag) erfaßt werden, weiterhin auf den Befristungsgrund des § 57 b Abs. 3 HRG aF zu berufen, gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Mit dieser Begründung kann der Klage nicht entsprochen werden. Auch wenn man - trotz des Fehlens entsprechender tatsächlicher Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht - davon ausgeht, das beklagte Land hätte sich von einem bestimmten Zeitpunkt an auf die mit Fremdsprachenlektoren aus EU-Staaten vereinbarten Befristungen nicht mehr berufen, während es dies gegenüber der russischen Klägerin weiterhin tut, so liegt allein darin kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ungeachtet der Frage, ob dieser beim Streit über die Wirksamkeit von Befristungen überhaupt Anwendung finden kann, gibt es nämlich für die unterschiedliche Behandlung einen sachlichen Grund. Wenn das beklagte Land die Rechtsprechung des EuGH (20. Oktober 1993 - Rs. C-272/92 - Spotti - AP EWG-Vertrag Art. 48 Nr. 17) und die sich daran anschließende ständige Rechtsprechung des Senats (zuletzt 25. Februar 1998 - 7 AZR 31/97 - AP HRG § 57 b Nr. 15 = EzA BGB § 620 Hochschulen Nr. 14 mwN) respektiert, nach welcher Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag) der Anwendung des § 57 b Abs. 3 HRG aF auf befristete Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren aus EU-Ländern entgegensteht, so bedeutet dies nicht, daß es gegenüber der russischen Klägerin aus Gründen der Gleichbehandlung eine wirksame Befristung nicht mehr geltend machen dürfte. Vielmehr rechtfertigen unterschiedliche Rechtspositionen eine unterschiedliche Behandlung (BAG 1. Dezember 1999 - 7 AZR 236/98 - zVv., zu III 2 der Gründe).
3. Dennoch kommt es im Streitfall nicht auf die Frage an, ob § 57 b Abs. 3 HRG aF weiterhin auf Lektorenverträge, die vor dem Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zur Änderung des HRG mit Angehörigen von Drittstaaten geschlossen wurden, anwendbar war. Dem beklagten Land ist es verwehrt, sich auf § 57 b Abs. 3 HRG aF zu berufen, weil es die Bestimmung objektiv funktionswidrig eingesetzt hat.
Der vom Gesetzgeber mit § 57 b Abs. 3 HRG aF verfolgte und gemessen an Art. 5 Abs. 3 GG legitime Sinn und Zweck bestand darin, einen aktualitätsbezogenen Fremdsprachenunterricht an Hochschulen zu sichern (vgl. BVerfG 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - AP HRG § 57 a Nr. 2, zu C II 2 f der Gründe). Um dieses Ziel zu erreichen erachtete der Gesetzgeber die Befristung der Arbeitsverhältnisse mit Lektoren als geeignetes und erforderliches Mittel. Dies beruhte auf der Annahme, es bestehe typischerweise die Gefahr, daß Lektoren, die in der Regel Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen, nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland den Aktualitätsbezug zu ihrer Sprache verlieren.
Diesem Gesetzeszweck des § 57 b Abs. 3 HRG aF konnte die im Streitfall vereinbarte Befristung nicht dienen. Das Bundesarbeitsgericht hat in Fällen, in denen der Fremdsprachenlektor bei Vertragsschluß bereits viele Jahre in Deutschland lebte und hier voll integriert war, schon wiederholt einen objektiven Mißbrauch der in § 57 b Abs. 3 HRG aF vorgesehenen Befristungsmöglichkeit angenommen und der Befristung die Wirksamkeit versagt (BAG 25. Februar 1998 - 7 AZR 31/97 - AP HRG § 57 b Nr. 15 = EzA BGB § 620 Hochschulen Nr. 14, zu B I 1 c und II 1 der Gründe; BAG 26. Januar 1999 - 3 AZR 381/97 - ZTR 1999, 361 f., zu B II 2 c bb der Gründe; BAG 1. Dezember 1999 - 7 AZR 236/98 - zVv., zu III 3 der Gründe). Allerdings lebten in den Fällen, die den bisherigen Entscheidungen zugrunde lagen, die Lektoren bei Vertragsschluß schon seit 15 und mehr Jahren in Deutschland. Im Streitfall waren es bei Abschluß des Arbeitsvertrages vom 14. März 1994 knapp sechs Jahre. Bereits diese Zeit war aber zu lange für eine objektiv funktionsgerechte Verwendung der in § 57 b Abs. 3 HRG aF vorgesehenen Befristungsmöglichkeit. Geht man nämlich mit dem Gesetzgeber davon aus, daß durch einen längeren Aufenthalt in Deutschland typischerweise der Aktualitätsbezug zur Muttersprache verloren gehen kann und durch die Befristung von Lektorenverträgen ein frischer Sprachen- bzw. Sprecher-"Import" gewährleistet werden soll, so wird dieser Zweck erkennbar bereits dann verfehlt, wenn der Lektor bei Vertragsschluß schon sechs Jahre in Deutschland lebt und hier integriert ist. Das beklagte Land hält, wie seine eigenen Richtlinien deutlich machen, noch wesentlich kürzere Zeiträume für schädlich. Danach können nämlich Lektoren schon dann nicht mehr befristet eingestellt werden, wenn sie sich länger als ein Jahr vor der beabsichtigten Einstellung nicht im Herkunftsland aufgehalten haben, wobei Kurzaufenthalte nicht berücksichtigt werden. Gleiches gilt für Lektoren, die auf Dauer den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in Deutschland begründet haben. Eben dies traf aber bei der seit 1988 in Deutschland lebenden und seit 1991 mit einem Deutschen verheirateten Klägerin zu. Wenn daher das beklagte Land mit ihr gleichwohl eine Befristung des Arbeitsverhältnisses nach § 57 b Abs. 3 HRG aF vereinbarte, so lag hierin ein objektiver Mißbrauch der gesetzlichen Regelung.
4. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ausgeführt hat, war die Befristung auch nicht aus einem anderen Sachgrund gerechtfertigt.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dörner
SteckhanLinsPeter Haeusgen
G. Güner
Fundstellen