Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Vorruhestandsleistungen nach Ausscheiden aus dem tariflichen Geltungsbereich
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zum Urteil vom 25. Oktober 1994 – 9 AZR 66/91 – EzA § 2 VRG Bauindustrie Nr. 14, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen
Normenkette
BGB §§ 781, 812
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 08.07.1993; Aktenzeichen 14 Sa 1173/91) |
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 16.07.1991; Aktenzeichen 1 Ca 353/91) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Juli 1993 – 14 Sa 1173/91 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 16. Juli 1991 – 1 Ca 353/91 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin wird verurteilt, an den Beklagten 26.279,28 DM zu zahlen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von tariflichen Vorruhestandsleistungen und die Rückzahlung von Erstattungsbeträgen für die Zeit ab 1 Januar 1990.
Der Beklagte ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Nach § 3 Abs. 2 seiner Satzung hat er u.a. den. Zweck, den Arbeitnehmern in Betrieben des Baugewerbes Vorruhestandsleistungen sicherzustellen, deren Anspruch auf ein Vorruhestandsgeld dem Grunde und der Höhe nach festgestellt wurde. Darüber verhalten sich der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV-Bau) vom 26. September 1984 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 17. Dezember 1985, 12. November 1986, 27. Oktober 1988 und 22. Dezember 1989 und der ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe vom 12. Dezember 1984 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 12. Dezember 1985, 12. November 1986, 27. Oktober 1988, 6. Januar 1989, 22. Dezember 1989 und 18. Dezember 1990 (TV Vorruhestandsverfahren).
Im VRTV-Bau ist neben den Vorschriften über die Leistungen an die Vorruhestandsberechtigten u.a. bestimmt:
„§ 1 Betrieblicher Geltungsbereich
…
(2) Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialtarifverfahren im Baugewerbe (VTV) in der jeweils geltenden Fassung fallen.
§ 10 Ausgleichsregelung
(1) Die als Gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien bestehende Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (VVaG, Wiesbaden) erstattet dem Arbeitgeber auf Antrag und Nachweis monatlich die von ihm erbrachten Vorruhestandsleistungen (§§ 5, 7). Sie erstattet 90 v.H. der Vorruhestandsleistungen (§§ 5, 7), wenn der Vorruhestand nach dem 31. Dezember 1985 beginnt.
(2) Der Arbeitgeber hat die dazu erforderlichen Mittel durch Beiträge aufzubringen. …”
Der TV Vorruhestandsverfahren enthält u.a. folgende Regelungen:
„§ 5
Anerkennungsantrag
Der Arbeitgeber hat den im Wartezeitennachweis vorgesehenen Antrag auf Anerkennung der Erstattungspflicht (Anerkennungsantrag) zu stellen …
§ 6
Vorbescheid und Ablehnungsbescheid
(1) Die ZVK-Bau hat dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen, daß der Erstattungsantrag dem Grunde nach besteht (Vorbescheid), wenn die Wartezeitenvoraussetzungen bis zum Ablauf des Tages vor dem beantragten (§ 4 Abs. 2 Vorruhestandstarifvertrag) bzw. vereinbarten (§ 2 Abs. 2 Vorruhestandstarifvertrag) Beginn des Vorruhestandes erfüllt sein können …
§ 7
Erstattungsantrag
(1) Die ZVK-Bau übersendet dem Arbeitgeber mit dem Vorbescheid das Formular „Erstattungsantrag”.
…
§ 8
Erstattungsbescheid
(1) Die ZVK-Bau soll dem Arbeitgeber binnen zwei Wochen nach Antragseingang mitteilen, in welcher Höhe sie die Vorruhestandsleistungen erstattet (Erstattungsbescheid).
…”
Die Klägerin unterhielt bis zum 31. Dezember 1989 einen Baubetrieb, in dem sie Fertighäuser herstellte. Diese Tätigkeit gab sie wegen Unrentabilität auf. Sie entließ zu diesem Zeitpunkt ihre Arbeitnehmer. Für die Zeit danach änderte die Klägerin ihren Geschäftszweck; sie ist seither als Bauträger tätig. Sie hat vorgetragen, sie sei dennoch weiterhin als baugewerblicher Betrieb i. S. der Tarifverträge für das Baugewerbe anzusehen. Sie vergebe nämlich Aufträge zur Erstellung von Gebäuden an Subunternehmer. Sie verpflichte sich gegenüber den Bauherren, die Gebäude zu erstellen, außerdem habe sie 1990 noch Objekte fertiggestellt und Restarbeiten abgewickelt. Auch seien neue Objekte akquiriert und Vorplanungsleistungen für die neuen Objekte erbracht worden.
Bei der Klägerin traten der Arbeitnehmer S. am 1. November 1988 und der Arbeitnehmer G. am 1. September 1989 in den Vorruhestand. Die Klägerin erbrachte seit dieser Zeit die tariflich vorgesehenen Vorruhestandsleistungen. Der Beklagte erstattete die Beträge bis zum 30, Juni 1990. Danach verweigerte der Beklagte die Erstattungsleistungen, die die Klägerin weiterhin vergeblich verlangt hat. Dabei handelt es sich um 26,421,98 DM für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis 31. Dezember 1990 und um 21.899,44 DM für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. Mai 1991.
Die Klägerin hat beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 48.371,42 DM nebst 4 % Zinsen aus 26,471,98 DM seit dem 30. Januar 1991 und 4 % Zinsen aus 21.899,44 DM seit dem 5. Juni 1991 zu zahlen,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin 90 % der von der Klägerin an die ehemaligen Arbeitnehmer K. S. und S. G. zu entrichtenden Vorruhestandsleistungen zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- im Wege der Widerklage die Klägerin zu verurteilen, der Beklagten 26.279,28 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat gemeint, er habe der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1990 bis 30. Juni 1990 zu Unrecht 26.279,28 DM erstattet. Diesen Betrag müsse die Klägerin zurückzahlen.
Die Klägerin hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten über den 31. Dezember 1989 hinaus keinen Anspruch auf Erstattung von Vorruhestandsleistungen nach § 10 VRTV-Bau. Deshalb hat der Beklagte gegen die Klägerin nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB Anspruch auf Rückzahlung der an die Klägerin ab 1. Januar 1990 ohne Rechtsgrund geleisteten Vorruhestandserstattungsleistungen.
1. Die Klägerin hat mit Beginn des Vorruhestands ihrer ehemaligen Mitarbeiter S. und G. den Anspruch erworben, ihre Vorruhestandsleistungen monatlich erstattet zu bekommen.
Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, mit dem Beginn des Vorruhestandes entstehe sowohl der Anspruch der Vorruheständler auf tarifliche Vorruhestandsleistungen gegen den Arbeitgeber wie auch der Anspruch des Arbeitgebers gegen den Beklagten auf Vorruhestandserstattung als einheitlicher Anspruch, ist unzutreffend (Senatsurteil vom 25, Oktober 1994 – 9 AZR 66/91 – EzA § 2 VRG Bauindustrie Nr. 14, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
a) Weder das Vorruhestandsgeld noch der Anspruch auf Vorruhestandserstattung sind einheitliche Kapitalansprüche. Die Gleichsetzung mit dem Übergangsgeld nach § 62 Abs. 1 BAT ist verfehlt. Während das Übergangsgeld in den §§ 63, 64 BAT als einheitlicher Kapitalanspruch ausgestaltet ist (BAG Urteil vom 16. November 1982 – 3 AZR 177/82 – BAGE 40, 355 = AP Nr. 8 zu § 42 SchwbG), fehlen für das Vorruhestandsgeld entsprechende tarifliche Regelungen. Die Unterschiedlichkeit zwischen Übergangsgeld und Vorruhestandsgeld folgt auch aus der jährlichen Dynamisierung des Vorruhestandsgeldes (§ 6 TV Vorruhestand) und aus dem Katalog der Erlöschens- und Ruhenstatbestände (§ 8 TV Vorruhestand). Bei Beginn des Vorruhestandes ist ferner die Dauer und Höhe des für die Vorruhestandsleistungen aufzubringenden Gesamtkapitals noch nicht absehbar. Besonders deutlich wird der Unterschied zum tariflichen Übergangsgeld beim Tod des Arbeitnehmers bzw. Vorruheständlers. Während die restlichen Raten des Übergangsgeldes bei Tod des Arbeitnehmers an die Erben gezahlt werden müssen (§ 64 Abs. 3 BAT), erlischt bei Tod des Vorruhestandsempfängers der Anspruch auf Vorruhestandsgeld mit Ablauf des Todesmonats (§ 8 Abs. 5 Satz 2 TV Vorruhestand).
b) Entgegen der Auffassung des Klägers wird der Beklagte auch nicht durch das Antrags- und Anerkennungsverfahren nach §§ 5, 6, 7 und 8 TV Vorruhestandsverfahren zur Erstattung der Vorruhestandsleistung bis zum Ende des Vorruhestandes verpflichtet. Der Beklagte hat die Erstattungspflicht nicht für die Dauer des Vorruhestands der ehemaligen Arbeitnehmer der Beklagten anerkannt. Mit den Erstattungsbescheiden hinsichtlich des Vorruhestands der Bauarbeiter S. und G. ist nur die Höhe des bei Eintritt in den Vorruhestand zu erstattenden Vorruhestandsgeldes festgelegt, das später noch nach § 11 TV Vorruhestand dynamisiert wird. Der Erstattungsbescheid enthält ausdrücklich einen Vorbehalt hinsichtlich des Fortbestands der tarifvertraglichen Voraussetzungen. Rechtlich stellt er sich somit als ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Beklagten dar (Senatsurteil vom 25. Oktober 1994, a.a.O.).
2. Mit der Aufgabe des Baubetriebs Anfang 1990 erlosch der Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten.
a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Klägerin seit dem 1. Januar 1990 keinen Betrieb des Baugewerbes mehr unterhält. Die Klägerin stellt nach ihrem eigenen Vorbringen seither keine Bauten mehr her. Sie ist jetzt vielmehr als Bauträger mit der Planung, dem Verkauf und der Überwachung von Bauten tätig. Soweit die Klägerin behauptet hat, daneben weiterhin selbst bauliche Leistungen zu erbringen, ist ihr Vortrag ohne hinreichende Substanz und daher unschlüssig. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 erfaßt, wenn von den Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die in § 1 Abs. 2 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe aufgeführt sind. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an. Wird ein Betrieb neben der Ausführung baugewerblicher Tätigkeiten auch auf einem nicht baulichen Bereich tätig (Mischbetrieb), so kommt es für die Geltung des Tarifvertrages für den ganzen Betrieb darauf an, ob die in § 1 Abs. 2 Abschn. 1 – IV des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren genannten Leistungen überwiegend erbracht werden, Das ist nach der ständigen Rechtsprechung der Fall, wenn die Arbeitnehmer des Betriebes arbeitszeitlich überwiegend mit baulichen Tätigkelten beschäftigt werden. Die Klägerin hat es versäumt, im einzelnen darzulegen, wieviele Arbeitnehmer seit. dem 1. Januar 1990 für sie insgesamt tätig waren, weiche Arbeitnehmer mit baulichen Leistungen beschäftigt, worden sind und daß diese baugewerblichen Arbeiten zeitlich überwogen. Das Vorbringen der Klägerin, das Objekt B./K. sei 1990 noch nicht fertig gestellt worden, bis zum 31. März 1990 sei noch ein Mitarbeiter für die Beaufsichtigung der Innenausbauarbeiten angestellt gewesen und im Jahr 1990 habe sie weiter Restarbeiten abgewickelt und neue Objekte aquiriert sowie Vorplanungsleistungen für die neuen Objekte erbracht, genügt diesen Anforderungen ebensowenig wie die Vorlage eines Bauvertrags zum Objekt Sc.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die von der Klägerin zu diesem Vorbringen angebotenen Beweise nicht erhoben. Die in der Revisionsinstanz dazu vorgebrachte Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 286 ZPO verletzt, ist deshalb unbegründet.
b) Mit dem Ausscheiden der Klägerin aus dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren ist ihr tarifrechtlicher Anspruch auf Erstattung der von ihr erbrachten Vorruhestandsleistungen entfallen. Voraussetzung für die Anwendung der tariflichen Rechtsnormen auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist ihre Geltung. Nach § 4 Abs. 1 TVG ist Voraussetzung für die Tarifgeltung, daß der Tarifgebundene auch weiterhin dem Geltungsbereich des Tarifvertrages unterfällt. Die gleiche Voraussetzung gilt nach § 5 Abs. 4 TVG für die allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge. Durch die Verweisung in § 1 Abs. 2 TV Vorruhestand und § 1 Abs. 2 TV Vorruhestandsverfahren auf § 1 Abs. 2 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ist der betriebliche Geltungsbereich auf Betriebe des Baugewerbes beschränkt.
c) § 10 Abs. 1 TV Vorruhestand wirkt auch nicht analog § 4 Abs. 5 TVG auf das Rechtsverhältnis des Beklagten als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien und der Klägerin als Arbeitgeber nach. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 5. Oktober 1993 – 3 AZR 586/92 – AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen) und der erkennende Senat haben die Nachwirkung von Regelungen über gemeinsame Einrichtungen von Tarifvertragsparteien verneint, wenn der Arbeitgeber durch Änderungen des Betriebszwecks aus dem fachlichen Geltungsbereich herausfällt und keine Beiträge mehr an die gemeinsamen Einrichtungen zu erbringen hat (Senatsurteile vom 14. Juni 1994 – 9 AZR 89/93 – AP Nr. 2 zu § 3 TVG Verbandsaustritt, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen und vom 25. Oktober 1994 – 9 AZR 66/91 – a.a.O. Daran und an der dazu gegebenen Begründung wird festgehalten. Auf die Ausführungen in den angeführten Senatsurteilen wird verwiesen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Düwell, Böck, R. Schmidt, Dr. Pühler
Fundstellen