Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsschaden wegen unterlassener Aufklärung
Normenkette
BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen; BGB §§ 242, 611, 280, 286, 249; Bremisches Ruhelohngesetz § 22
Verfahrensgang
LAG Bremen (Urteil vom 06.12.1989; Aktenzeichen 2 Sa 269/88) |
ArbG Bremen (Urteil vom 06.07.1988; Aktenzeichen 5 Ca 5026/87) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 6. Dezember 1989 – 2 Sa 269/88 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadenersatz wegen falscher oder unterlassener Beratung bei der Wahl der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst.
Die am 17. November 1927 geborene Klägerin war seit 1958 als gewerbliche Arbeitnehmerin bei der Beklagten beschäftigt. Seit 1971 war sie Hauswirtschaftsleiterin in einem von der Beklagten betriebenen Kindertagesheim. Ihr Status als Arbeiterin wurde dadurch zunächst nicht verändert. Mit Wirkung vom 1. Januar 1978 wurde sie in ein Angestelltenverhältnis übernommen. Die Übernahme war das Ergebnis eines arbeitsgerichtlichen Eingruppierungsverfahrens, das 1980 beendet wurde.
Im Anschluß an diesen Rechtsstreit wurde die Klägerin von Mitarbeitern der Senatskommission für das Personalwesen (SKP) angerufen und um Mitteilung gebeten, ob sie nach ihrer Aufnahme in das Angestelltenverhältnis weiter in der Bremischen Ruhelohnkasse versichert bleiben oder ob sie bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in die Zusatzversorgung aufgenommen werden wolle. Daraufhin begab sich die Klägerin zur SKP, um die Frage ihrer Zusatzversorgung zu klären. Ob die Klägerin von Mitarbeitern der SKP falsch beraten wurde oder ob diese sie entsprechend einer Anweisung der Beklagten an die zuständige Ruhelohnkasse verwiesen hatten, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 11. Juli 1980 beantragte die Klägerin bei der Bremischen Ruhelohnkasse die Rückerstattung der geleisteten erstattungsfähigen Beiträge. Wegen eines Krankenhausaufenthalts stellte die Klägerin den Antrag zunächst fernmündlich und unterzeichnete ihn später. Am 1. August 1980 unterschrieb die Klägerin folgende Erklärung:
„Betr.: Beitragserstattung gemäß § 22 des Bremischen Ruhelohngesetzes
Bezug: Mein Antrag vom 11.07.1980
Aufgrund meines o.a. Antrages bin ich seitens der Bremischen Ruhelohnkasse darüber aufgeklärt worden, daß ich aufgrund meiner versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 02.07.58 bis 10.01.78 gemäß § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974 (BGBl. I S. 3610) meine Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung aus der Bremischen Ruhelohnkasse behalte.
Ich erkläre ausdrücklich, daß ich dennoch Wert auf eine Beitragserstattung gemäß § 22 des Bremischen Ruhelohngesetzes lege und bitte entsprechend zu verfahren.”
Am 10. Dezember 1980 teilte die Bremische Ruhelohnkasse der Klägerin mit, daß ihrem Antrag auf Erstattung der geleisteten Beiträge stattgegeben worden sei. Der Klägerin wurde ein Gesamtbetrag von 6.582,77 DM ausgezahlt. Die Beklagte meldete die Klägerin rückwirkend zum 11. Januar 1978 zur Zusatzversorgung bei der VBL an.
Die Klägerin hat vorgetragen: Als sie 1980 bei der SKP wegen ihrer Zusatzversorgung vorgesprochen habe, habe sie gefragt, was günstiger sei, die Versicherung bei der VBL oder das Verbleiben in der Bremischen Ruhelohnkasse. Eine Gruppenleiterin der SKP habe ihr erklärt, im Hinblick auf die zu zahlende Abfindung sei dies im Ergebnis gleichgültig. Grundsätzlich sei sie als Angestellte nunmehr in der VBL versichert. Sie könne jedoch auch die Zusatzversorgung bei der Bremischen Ruhelohnkasse fortführen. Die VBL biete allerdings geringe Mehrleistungen. Daraufhin habe sie sich für die Übernahme in die VBL entschieden.
Im übrigen seien die Mitarbeiter der SKP verpflichtet gewesen, sie unaufgefordert auf die außerordentlich negativen finanziellen Folgen eines Wechsels zur VBL hinzuweisen. Da sie die Zusatzversorgung bei der VBL nach Vollendung des 50. Lebensjahres begonnen habe, sei der für die Rente entscheidende Multiplikator von 91,75 % auf 55,75 % gesenkt worden. Zwischenzeitlich eingeholte Auskünfte hätten ergeben, daß sie eine VBL-Rente von monatlich 272,– DM bekommen werde, während sie bei Fortsetzung der Zusatzversorgung bei der Bremischen Ruhelohnkasse eine Rente von ca. 770,– DM monatlich hätte erwarten dürfen. Den Differenzbetrag von monatlich ca. 500,– DM müsse ihr die Beklagte ersetzen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr vom Eintritt des Versorgungsfalles an die Differenz zwischen der an sie von der VBL zu zahlenden Zusatzversorgungsrente und der Rente zu erstatten, die sie als Zusatzversorgungsrente bei einem Verbleiben in der Bremischen Ruhelohnkasse erhalten würde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Klägerin seien keine Auskünfte über die Zusatzversorgung erteilt worden. Sie sei vielmehr an die zuständigen Stellen verwiesen worden. Eine weitergehende Auskunftsverpflichtung habe die Beklagte nicht gehabt. Insbesondere sei sie nicht verpflichtet gewesen, mit der Klägerin alle sich anbietenden Versorgungsmöglichkeiten durchzurechnen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht den Unterschiedsbetrag zwischen ihrer VBL-Rente und dem Ruhelohn verlangen, den sie erhalten hätte, wenn sie in der Bremischen Ruhelohnkasse geblieben wäre. Ein hierauf hinzielender Anspruch kommt unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes wegen Vertragsverletzung in Betracht (§§ 280, 286, 249 BGB). Voraussetzung ist, daß der Arbeitgeber einer ihm aus dem Arbeitsverhältnis obliegenden Hinweisoder Aufklärungspflicht nicht genügt hat (BAG Urteil vom 10. März 1988 – 8 AZR 420/85 – AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu I 3 und II 1 der Gründe). Die Beklagte hat jedoch ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nicht verletzt.
1. Tritt ein Arbeitnehmer an den Arbeitgeber heran mit der Bitte um Auskunft über eine Versorgungsregelung, so muß der Arbeitgeber die Auskunft erteilen, soweit er das zuverlässig vermag, und den Arbeitnehmer im übrigen an eine dafür zuständige oder kompetente Stelle verweisen. Diese Pflicht trifft den Arbeitgeber nach Treu und Glauben als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag. Die Auskunft muß, soweit sie erteilt wird, richtig sein. Falsche und nur scheinbar vollständige oder sonst irreführende Auskünfte verpflichten den Arbeitgeber zum Schadenersatz (ständige Rechtsprechung des Senats, statt aller: BAGE 47, 169 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen).
a) Nach den Feststellungen der Vorinstanzen haben die Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin keine falsche Auskunft erteilt. Das Berufungsgericht hat hierzu festgestellt, daß die Klägerin von der Personalabteilung der Beklagten aufgefordert worden sei, sich zwischen alternativen Möglichkeiten betrieblicher Altersversorgung zu entscheiden. Dabei sei die Klägerin auch auf die Möglichkeit des Verbleibens in der Bremischen Ruhelohnkasse hingewiesen worden. Die Behauptung der Klägerin, ihr sei auf Befragen eine unzutreffende Auskunft über die Folgen ihrer Entscheidung gegeben worden, sei nicht bewiesen.
b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Klägerin die Beweislast für die von ihr behauptete Falschberatung trage. Entgegen der Ansicht der Revision sind die Grundsätze über die Beweislastumkehr bei Verletzung der Dokumentationspflicht, wie sie in Arzthaftungsprozessen anerkannt sind (vgl. BGHZ 72, 138), hier nicht anwendbar. Die Mitarbeiter der Personalabteilung der Beklagten waren nicht selbst zur Aufklärung verpflichtet; sie konnten die Klägerin daher an eine zuständige Stelle verweisen. Eine Dokumentationsverpflichtung bestand nicht.
c) Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, die Personalsachbearbeiter der Beklagten hätten die Klägerin zur Beantwortung ihrer Fragen nach der günstigsten Zusatzversorgung an eine zuständige Stelle verwiesen. Das Berufungsgericht hat dies daraus geschlossen, daß für die Mitarbeiter der SKP die Anweisung bestanden habe, keine näheren Auskünfte hinsichtlich der Modalitäten von Versorgungsleistungen zu erteilen, sondern an die zuständigen Stellen zu verweisen. Diese Schlußfolgerung ist nicht zu beanstanden. Tatsächlich ist auch die Klägerin nach ihrem Gespräch in der SKP mit der Bremischen Ruhelohnkasse in Verbindung getreten. Dort hat sie dann am 1. August 1980 die Erklärung unterschrieben, daß sie darüber aufgeklärt wurde, sie könne ihre Anwartschaft bei der Bremischen Ruhelohnkasse behalten. Gleichwohl erklärte die Klägerin, sie lege Wert auf eine Beitragserstattung gemäß § 22 des Bremischen Ruhelohngesetzes. Hier hatte die Klägerin die Gelegenheit, sich umfassend zu informieren und dann die ihr richtig erscheinende Entscheidung zu treffen.
2. Die Beklagte war von sich aus nicht verpflichtet, die Klägerin intensiver als geschehen zu beraten.
a) Dem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes obliegt zwar die vertragliche Nebenpflicht, über die bestehenden Zusatzversorgungsmöglichkeiten aufzuklären. Er ist jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer über die Zweckmäßigkeit unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu belehren. Die Versorgungsplanung und ihre zweckmäßige Ausgestaltung muß der Arbeitnehmer selbst verantworten. Seine Entscheidung hängt überdies oft von individuellen Verhältnissen ab, deren Kenntnis sich der Arbeitgeber nicht zu verschaffen braucht (BAG Urteil vom 15. Oktober 1985 – 3 AZR 612/83 – AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen).
b) Nur ausnahmsweise kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, von sich aus den Arbeitnehmer auf drohende Versorgungsschäden hinzuweisen. Eine solche Verpflichtung kommt dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände darauf vertrauen darf, der Arbeitgeber werde die Interessen des Arbeitnehmers wahren (BAG Urteil vom 23. Mai 1989 – 3 AZR 257/88 – AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 2 c der Gründe; BAGE 47, 169, 174 f. = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu I 3 b der Gründe; BAG Urteil vom 10. März 1988 – 3 AZR 420/85 – AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 2 a der Gründe; zuletzt BAG Urteil vom 3. Juli 1990 – 3 AZR 382/89 – AP Nr. 24 zu § 1 BetrAVG).
c) Solche besonderen Umstände lagen im Streitfall nicht vor. Das Arbeitsverhältnis bestand im Jahre 1980 bereits über 20 Jahre. Die Klägerin war als Hauswirtschaftsleiterin nicht unerfahren. Sie hat die Übernahme in das Angestelltenverhältnis im Klagewege erstritten. Die Klägerin war auf die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Übernahme ins Angestelltenverhältnis hingewiesen worden. Es lag an ihr, die für sie günstigste Versorgung zu wählen. Die Klägerin stand auch nicht unter Zeitdruck. Ihre Erklärung vom 1. August 1980 zeigt, daß sie unmißverständlich auf den Verlust ihrer bisher erdienten unverfallbaren Versorgungsanwartschaft bei Beitragserstattung hingewiesen wurde. Daß ein Wechsel der Versorgung nach über 20 Jahren im Lebensalter von 52 Jahren Nachteile haben konnte, die durch die Beitragserstattung nicht ausgeglichen wurden, lag durchaus im Bereich des Möglichen. Die Klägerin hat es selbst zu vertreten, daß sie im Jahre 1980 wegen eines augenblicklichen Vorteils ihre Altersversorgung verschlechterte.
Unterschriften
Griebeling, Dr. Wittek, Kremhelmer, H. Grimm, Dr. Hromadka
Fundstellen