Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnausgleich für Arbeitszeitverkürzung; Anrechnung
Leitsatz (amtlich)
Ob ein tariflicher Lohnausgleich für eine tarifliche Arbeitszeitverkürzung auf eine ebenfalls tariflich geregelte Bestandsschutzzulage anzurechnen ist, richtet sich allein nach der Auslegung der einschlägigen tariflichen Regelungen (Abgrenzung zu BAG 15. März 2000 – 5 AZR 557/98 – AP TVG § 4 Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung Nr. 15).
Normenkette
LTV für die Sägeindustrie und verwandte Betriebe in Niedersachsen vom 20. Januar 1994 § 11; MTV für die Sägeindustrie und übrige Holzverarbeitung (Niedersachsen und Bremen) vom 8. März 1995 Ziff. 15 a
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Juni 1999 – 15 Sa 1041/98 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 20. März 1998 – 7 Ca 646/97 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in diesem als Musterverfahren geführten Rechtsstreit darüber, ob der tarifliche Lohnausgleich für eine Arbeitszeitverkürzung als Tariflohnerhöhung im Sinne der tariflichen Anrechnungsregelung angesehen werden kann.
Die Beklagte hatte mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoff Haustarifverträge geschlossen. Nachdem die Beklagte dem Verband der Säge- und Holzindustrie beigetreten war, galten die Haustarifverträge auf Grund eines Schlichtungsspruches vom 5. Mai 1992 bis zum 28. Februar 1994 weiter. Am 1. März 1994 trat der Lohntarifvertrag für die Sägeindustrie und verwandte Betriebe in Niedersachsen vom 20. Januar 1994 (LTV) in Kraft, der die Lohngruppen neu gestaltete. In der Übergangsbestimmung in § 11 des LTV ist ua. bestimmt:
„Die Tarifvertragsparteien sind sich einig, daß aus Anlaß der Eingruppierung aufgrund des neuen Lohngruppentarifvertrages der Effektivlohn des einzelnen Arbeitnehmers nur nach Maßgabe der folgenden Vorschriften geändert werden soll.
Ziffer 1
Übertarifliche Lohnbestandteile (Differenzbeträge), die dadurch entstehen, daß nach Abschluß des Lohntarifvertrages der Sägeindustrie Niedersachsen der neue tarifliche Stundenlohn eines Arbeitnehmers unter dem tariflichen Stundenlohn vor der Neueingruppierung (tatsächlicher tariflicher Stundenlohn) (Betrachtungszeitpunkt vor Tariflohnänderung 1994) liegt, werden wie folgt behandelt:
Bei Tariflohnerhöhungen werden 20 % des Erhöhungsbetrages angerechnet.
Durch Betriebsvereinbarung können von dieser Tarifvorschrift abweichende Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden.
Ziffer 2
Soweit ein Arbeitnehmer aus Anlaß des Abschlusses des Lohntarifvertrages der Sägeindustrie Niedersachsen einen tariflichen Stundenlohn zu beanspruchen hätte, der über seinem bisherigen tariflichen Stundenlohn vor der Neueingruppierung (tatsächlicher tariflicher Stundenlohn) (Betrachtungszeitpunkt vor Tariflohnänderung 1994) liegt, besteht ein Anspruch auf diesen Differenzbetrag zwischen altem und neuen Tariflohn nur nach folgender Maßgabe:
Vom 1.3.1994 bis zum 28.2.1995 werden 80 %
des Differenzbetrages von dem neuen Tariflohn abgezogen
Vom 1.3.1995 bis zum 29.2.1996 werden 60 %
des Differenzbetrages von dem neuen Tariflohn abgezogen
Vom 1.3.1996 bis zum 28.2.1997 werden 40 %
des Differenzbetrages von dem neuen Tariflohn abgezogen
Vom 1.3.1997 bis zum 28.2.1998 werden 20 %
des Differenzbetrages von dem neuen Tariflohn abgezogen
Im übrigen können auf die durch die neue Lohnstruktur bedingten Tariflohnerhöhungen übertarifliche Lohnbestandteile aller Art angerechnet werden, auch wenn sie nicht ausdrücklich als anrechenbar und/oder widerruflich deklariert waren (ausgenommen Leistungszulagen).
Nach dem Inkrafttreten dieses Tarifvertrages neu eingestellte Arbeitnehmer werden so eingruppiert, als ob ihr Arbeitsverhältnis bereits vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrages bestanden hätte. Sie sind insoweit den Arbeitnehmern gleichgestellt, die unter die Übergangsregelung des vorstehenden Absatzes fallen.
Durch Betriebsvereinbarung können von dieser Tarifvorschrift abweichende Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden.
Ziffer 3
Die generellen Tariflohnerhöhungen bis 1998 werden vom neuen Tariflohn berechnet.”
In dem Manteltarifvertrag für die Sägeindustrie und übrige Holzverarbeitung (MTS) wurde am 8. März 1995 ua. eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich vereinbart. Die entsprechende Regelung in Nr. 15 a MTS lautet:
„Die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Ruhepausen darf für Vollzeitbeschäftigte bis zum 30. September 1996 37 Stunden pro Woche nicht überschreiten.
Sie beträgt ab 1. Oktober 1996 36 Stunden und ab 1. Januar 1999 35 Stunden pro Woche.
Die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 36 bzw. 35 Stunden pro Woche erfolgt jeweils mit vollem Lohnausgleich (2,78 %/2,68 %).
Mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien kann die 36-Stunden-Woche durch Betriebsvereinbarung und in Betrieben ohne Betriebsrat nach Anhörung der Belegschaft beibehalten werden.”
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 2. März 1964 als Arbeiter in dem Werk S beschäftigt und seit dem 1. März 1994 in die Lohngruppe 7 des LTV eingruppiert. Entsprechend der am 8. März 1995 vereinbarten Lohntabelle zum LTV erhielt er ab dem 1. März 1996 bis zum 30. September 1996 bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden einen tariflichen Stundenlohn von 22,70 DM und gemäß § 11 Ziff. 1 LTV eine Zulage von 3,86 DM pro Stunde als Differenz zwischen dem früheren tariflichen Stundenlohn und dem aktuellen tariflichen Stundenlohn. Nach der Arbeitszeitverkürzung ab dem 1. Oktober 1996 erhöhte sich der Tariflohn auf Grund des Lohnausgleichs um 2,78 % (0,63 DM) auf 23,33 DM. Ausgehend von dieser Erhöhung des Stundenlohns um 0,63 DM kürzte die Beklagte die Zulage um 20 % dieses Erhöhungsbetrages, dh. um 0,13 DM, von 3,86 DM auf 3,73 DM. Allerdings hat die Beklagte für die Beschäftigten des Werkes S anders als in ihren anderen niedersächsischen Werken die auf 3,73 DM gekürzte Zulage wieder um den Lohnausgleich von 2,78 % auf 3,84 DM erhöht, so daß sich ein Stundenlohn von 27,17 DM (23,33 DM zuzüglich 3,84 DM) ergab. Nach der nicht mit der Arbeitszeitverkürzung zusammenhängenden Tariflohnerhöhung zum 1. März 1997 hat die Beklagte wiederum 20 % des sich daraus ergebenden Erhöhungsbetrages auf die Zulage angerechnet, was zu einen Stundenlohn von 27,47 DM (23,70 DM zuzüglich 3,77 DM Zulage) führte.
Der Kläger ist der Meinung, daß die Erhöhung des Tariflohns auf Grund des Lohnausgleichs für die Arbeitszeitverkürzung zum 1. Oktober 1996 nicht iHv. 20 % auf die Zulage hätte angerechnet werden dürfen, sondern nur die spätere normale Tariflohnerhöhung zum 1. März 1997. Unter Zugrundelegung seiner Auffassung ergibt sich ein um 0,02 DM höherer Stundenlohn, dh. 27,49 DM statt 27,47 DM. Mit seiner Klage hat der Kläger die Differenzbeträge für den Zeitraum von Oktober 1996 bis Juni 1997 geltend gemacht, und zwar für insgesamt 1.239 Stunden je 0,02 DM. Er ist der Meinung, daß die Lohnerhöhung als Ausgleich für die Arbeitszeitverkürzung keine Tariflohnerhöhung iSd. § 11 LTV sei. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werde unter einer Tariflohnerhöhung nur eine Erhöhung des tariflich geschuldeten Endbetrages verstanden, nicht aber schon eine bloße Steigerung des Wertes der Arbeitsleistung pro Zeiteinheit. Auch die systematische Auslegung spreche gegen die Anrechnung, weil der Lohnausgleich im MTS unter der Überschrift „Arbeitszeit” geregelt sei und somit einen besonderen Tatbestand gegenüber den im LTV geregelten allgemeinen Lohnerhöhungen darstelle. Im übrigen müsse der Zweck der Anrechnungsregel berücksichtigt werden, wonach durch die Begrenzung der Anrechnung auf 20 % gesichert werden solle, daß eine Tariflohnerhöhung auch zu einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens führe. Bei einer Anrechnung dieses Lohnausgleichs auf die übertarifliche Zulage gem. § 11 LTV würde sich das Monatseinkommen des Klägers bei der tariflichen Normalarbeitszeit aber von 4.246,00 DM auf 4.221,36 DM vermindern. Im übrigen verstoße die Anrechnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil bei den Angestellten keine Anrechnung erfolgt sei. Die Anrechnung sei auch wegen der fehlenden Mitbestimmung des Betriebsrats unwirksam.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 24,78 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich aus 21,55 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Juli 1997 und 4 % Zinsen auf den sich aus 3,23 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 15. August 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, daß der Lohnausgleich durch die Erhöhung der Stundenlöhne um 2,78 % zum 1. Oktober 1996 nach § 11 Ziff. 1 LTV auf die Zulage angerechnet werden müsse, weil es sich dabei um eine echte Tariflohnerhöhung handele. Indem § 11 Ziff. 1 LTV allgemein von Tariflohnerhöhungen spreche, sei klargestellt, daß jede Art von Tariflohnerhöhung unter die Übergangsregelung falle, auch die durch eine Arbeitszeitverkürzung bedingte Tariflohnerhöhung. Daß die Regelung über die Erhöhung des Tariflohns infolge der Arbeitszeitverkürzung nicht im LTV, sondern im MTS getroffen worden sei, ergebe sich aus dem Sachzusammenhang mit der dort geregelten Arbeitszeitverkürzung. Im übrigen hätten die Tarifvertragsparteien den Lohnausgleich als Tariflohnerhöhung in der Lohntabelle als Anlage zu dem LTV ausgewiesen. Weil § 11 Ziff. 1 LTV eine teilweise Anrechnung der Tariflohnerhöhungen vorsehe, könne der Kläger sich nicht darauf berufen, daß die Tariflohnerhöhung vom 1. Oktober 1996 keine effektive Einkommensschmälerung bewirken dürfe. Die unterschiedliche Behandlung der Lohn- und Gehaltsempfänger sei durch die unterschiedliche Entgeltberechnung gerechtfertigt. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates habe nicht bestanden, weil die Anrechnung nach § 11 Ziff. 1 LTV automatisch erfolge.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und dem nach einer teilweisen Berufungsrücknahme reduzierten Klageantrag entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils.
I. Dem Kläger steht die beanspruchte höhere Vergütung von 0,02 DM pro Stunde für den Zeitraum von Oktober 1996 bis Juni 1997 nach den tariflichen Regelungen nicht zu. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts betrifft der Lohnausgleich von 2,78 % für die Arbeitszeitverkürzung ab dem 1. Oktober 1996 nur den Tariflohn und nicht auch die Zulage gem. § 11 Ziff. 1 LTV. Dem Landesarbeitsgericht kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als es die 20 %-ige Anrechnung des Erhöhungsbetrages, der sich aus dem Lohnausgleich iHv. 2,78 % ergibt, auf die Zulage gem. § 11 Ziff. 1 LTV ablehnt.
1. Entsprechend der stillschweigenden Annahme der Parteien und der Vorinstanzen kann die Tarifgebundenheit auch des Klägers zu seinen Gunsten unterstellt werden; eine ausdrückliche Feststellung hierzu hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung vorrangig darauf gestützt, daß der in Nr. 15 a MTS normierte volle Lohnausgleich von 2,78 % für die Arbeitszeitverkürzung ab dem 1. Oktober 1996 nicht nur den tariflichen Stundenlohn des Klägers nach der Lohngruppe 7 umfaßte, sondern auch die ihm nach § 11 Ziff. 1 LTV zustehende Zulage. Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Das Landesarbeitsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Zulage gem. § 11 Ziff. 1 LTV um eine tarifliche Zulage handelt und nicht um eine arbeitsvertraglich begründete Zulage. Die rechtliche Grundlage für diese Zulage liegt in der Übergangsbestimmung in § 11 Ziff. 1 LTV. Für den Fall, daß nach Abschluß des LTV der neue tarifliche Stundenlohn eines Arbeitnehmers unter dem früheren tariflichen Stundenlohn liegt, ist dort bestimmt, daß auf den im Sinne eines Bestandsschutzes weitergezahlten Differenzbetrag bei Tariflohnerhöhungen 20 % des Erhöhungsbetrages angerechnet wird. Damit wird nicht nur die Anrechnung zukünftiger Tariflohnerhöhungen geregelt, sondern gleichzeitig die Grundlage für die Zahlung der Zulage in Höhe der Differenz zwischen dem alten und neuem Tariflohn geschaffen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Zulage eine arbeitsvertragliche Grundlage haben soll, dh. nur dann bezahlt werden soll, wenn der frühere tarifliche Lohn gleichzeitig auch arbeitsvertraglich begründet war. Daran kann auch die mißverständliche in § 11 Ziff. 1 benutzte Formulierung „Übertarifliche Lohnbestandteile (Differenzbeträge)” nichts ändern.
b) Aus diesem tariflichen Charakter der Zulage kann aber entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht geschlußfolgert werden, daß diese Zulage als Teil des tariflich begründeten Lohnanspruchs auch von dem in Nr. 15 a MTS normierten vollen Lohnausgleichs erfaßt wird. Dieser vom Landesarbeitsgericht nicht näher begründeten Auslegung kann nicht gefolgt werden.
aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt(Senat 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15, zu I 2 a der Gründe).
bb) Bereits der Wortlaut der Regelung, daß die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit jeweils mit vollem Lohnausgleich erfolge, spricht gegen die von dem Landesarbeitsgericht vertretene Auslegung. Mit dem Begriff „Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung” ist üblicherweise nur die entsprechende Erhöhung des tariflichen Stundenlohns gemeint und nicht auch die Erhöhung der Zulagen. In den Formulierungen über den Lohnausgleich in Nr. 15 a MTS findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der Lohnausgleich auch die in § 11 Ziff. 1 LTV geregelte Zulage umfassen soll.
cc) Eine Bestätigung im Sinne dieser Auslegung kann in § 11 Ziff. 3 LTV gesehen werden, wonach die generellen Tariflohnerhöhungen bis 1998 von dem neuen Tariflohn berechnet werden. Dadurch sind als Bezugspunkt für die zukünftigen tariflichen Regelungen des Tariflohns die neuen Tariflöhne nach dem LTV festgelegt worden und nicht die effektiv nach der Übergangsregelung in § 11 Ziff. 1 LTV zu zahlenden Tariflöhne. Diese effektiv zu zahlenden Tariflöhne weichen nach § 11 Ziff. 1 LTV nicht nur dann von den neuen Tariflöhnen ab, wenn der betroffene Arbeitnehmer früher einen höheren Tariflohn erhalten hat, sondern nach § 11 Ziff. 2 LTV auch dann, wenn der neue Tariflohn höher ist als der frühere Tariflohn. Auch bei dieser Konstellation wird nach § 11 Ziff. 2 LTV effektiv nicht der neue Tariflohn gezahlt, sondern ein zeitlich bis zum 28. Februar 1998 gestaffelter, wachsender Teil der Differenz zwischen dem alten und neuen Tariflohn. Wenn auf diesem Hintergrund § 11 Ziff. 3 LTV bestimmt, daß Bezugspunkt für generelle Lohnerhöhungen der neue Tariflohn ist, so gilt das auch für die Erhöhung des Tariflohns, die auf dem Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung beruht.
dd) Für diese Auslegung spricht auch der Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen und deren Umsetzung durch die Tarifvertragsparteien. Gleichzeitig mit dem MTS vom 8. März 1995 ist die Lohntabelle für die Sägeindustrie als Anlage zum LTV abgeschlossen worden. Darin sind nicht nur die linearen Lohnerhöhungen zum 1. März 1995 und 1. März 1996, sondern mit dem entsprechenden Hinweis auch die sich aus dem Lohnausgleich nach Nr. 15 a MTS ergebende Lohnerhöhung zum 1. Oktober 1996 enthalten. Demgegenüber ist bei der Zulagenregelung in § 11 Ziff. 1 LTV keine entsprechende Änderung oder Ergänzung bzw. ein entsprechender Hinweis erfolgt.
3. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auch deshalb für begründet erachtet, weil die Erhöhung des Tariflohns als Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung nicht auf die Zulage angerechnet werden könne. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Tariflohnerhöhung von 2,78 % als Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung zum 1. Oktober 1995 ist eine Tariflohnerhöhung iSd. § 11 Ziff. 1 LTV.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner entgegenstehenden Auffassung die Nr. 15 a MTS als Spezialregelung gegenüber der allgemeinen Anrechnungsregelung des § 11 Ziff. 1 LTV angesehen und im übrigen auf den Zweck der Nr. 15 a MTS als Entgeltsicherung und auf den Zweck des § 11 Ziff. 1 LTV als Effektivlohnsicherung abgestellt. Es hat sich dabei auf die Rechtsprechung des Ersten und Fünften Senats berufen, die eine Anrechnung des tariflichen Lohnausgleichs für eine Arbeitszeitverkürzung auf eine arbeitsvertragliche übertarifliche Zulage abgelehnt hatten(BAG 15. März 2000 – 5 AZR 557/98 – AP TVG § 4 Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung Nr. 35.; im Anschluß an BAG 3. Juni 1998 – 5 AZR 616/97 – AP TVG § 4 Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung Nr. 34; 19. September 1995 – 1 ABR 20/95 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 81; 7. Februar 1996 – 1 AZR 657/95 – BAGE 82, 47; abweichend der Vierte Senat 3. Juni 1987 – 4 AZR 44/87 – BAGE 55, 322; 28. Oktober 1987 – 4 AZR 242/87 – BB 1988, 702; 14. Juni 1989 – 4 AZR 116/98 – nv.).
b) Diese Rechtsprechung ist auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar. Denn vorliegend geht es um die Auslegung einer tariflichen Anrechnungsregelung und nicht um die Auslegung einer arbeitsvertraglichen allgemeinen Anrechnungsvereinbarung, die mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch als stillschweigend vereinbart gilt(BAG 7. Februar 1996 – 1 AZR 657/95 – BAGE 82, 47). Diese Regelung betrifft auch nicht eine allgemeine arbeitsvertragliche übertarifliche Zulage, sondern eine tarifliche Zulage als Bestandsschutz für den früheren höheren tariflichen Stundenlohn.
c) Die somit gebotene Auslegung der konkreten tariflichen Anrechnungsklausel in § 11 Ziff. 1 LTV führt dazu, daß darunter auch die Tariflohnerhöhung als Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung fällt.
aa) Von dem Wortlaut und dem konkreten Regelungsinhalt ist eine Anrechnung der die Arbeitszeitverkürzung kompensierenden Lohnerhöhung auf die Zulage gedeckt. § 11 Ziff. 1 LTV bestimmt ohne irgendwelche Einschränkungen, daß bei Tariflohnerhöhungen eine Anrechnung erfolgt, und der in Nr. 15 a MTS geregelte volle Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung wird konkret dadurch umgesetzt, daß zum 1. Oktober 1996 parallel zu der Arbeitszeitverkürzung auf 36 Stunden eine Tariflohnerhöhung um 2,78 % erfolgt. Diese Tariflohnerhöhung führt auch zu einem berechenbaren Erhöhungsbetrag, dh. der Differenz zwischen dem alten und neuen Tariflohn, der nach § 11 Ziff. 1 LTV zu 20 % auf die Zulage angerechnet werden soll. Inhaltlich geht es demnach auch bei dem Lohnausgleich um eine Tariflohnerhöhung, die tatbestandlich die Voraussetzung für die Anrechnung nach § 11 Ziff. 1 LTV erfüllt.
bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann aus dem Gesamtzusammenhang oder aus dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelungen kein anderes Ergebnis abgeleitet werden. Aus der Zielrichtung der Übergangsregelung in § 11 Ziff. 1 LTV, dh. dem Bestandsschutz hinsichtlich des bisherigen Tariflohns mit einer begrenzten Anrechnungsklausel, kann keine eindeutige Antwort auf die Frage abgeleitet werden, ob auch die Anrechnung einer die Arbeitszeitverkürzung kompensierende Lohnerhöhung gewollt ist. Insoweit besteht ein Unterschied zu der normalen arbeitsvertraglichen übertariflichen Zulage, die der Aufstockung des als nicht für ausreichend erachteten Tariflohns dient. Ebensowenig kann der Ausschluß der Anrechnung mit der Zielsetzung des vollen Lohnausgleichs gem. Nr. 15 a MTS begründet werden, weil diese Zielsetzung in der tariflichen Regelung bereits dadurch umgesetzt ist, daß die Lohnerhöhung dem Umfang der Arbeitszeitverkürzung entspricht. Daß darüber hinaus eine umfassende Lohnsicherung durch den Ausschluß der im LTV geregelten Anrechnung gewollt ist, ist nicht erkennbar. Aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen ergibt sich auch kein Rangverhältnis zwischen den beiden Regelungen in dem Sinne, daß die Regelung in Nr. 15 a MTS gegenüber der Regelung in § 11 Ziff. 1 LTV eine Spezialregelung darstellt. Die Regelung über die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in Nr. 15 a MTS und der Bestandsschutz hinsichtlich der früheren tariflichen Vergütung in § 11 Ziff. 1 LTV betreffen ganz unterschiedliche Fragen ohne ein Rangverhältnis. Der Zusammenhang und damit das Auslegungsproblem entsteht erst dadurch, daß § 11 Ziff. 1 LTV eine begrenzte Anrechenbarkeit bei Tariflohnerhöhungen vorsieht.
cc) Weil sich aus dem Gesamtzusammenhang, dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung und den sonstigen Auslegungsgesichtspunkten keine eindeutigen Gründe für den Ausschluß der Anrechenbarkeit ableiten lassen, muß es bei dem dem Wortlaut der Regelung entsprechenden Ergebnis bleiben, daß eine Anrechnung erfolgt. Dafür spricht auch, daß es sich vorliegend um verschiedene Regelungen derselben Tarifvertragsparteien handelt und nicht um das Zusammentreffen einer arbeitsvertraglichen Regelung mit einer tarifvertraglichen Regelung. Die Tarifvertragsparteien hatten 1994 in dem LTV die Bestandsschutzregelung mit der Anrechnungsklausel vereinbart. Sie haben dann in dem Jahr 1995 im Rahmen des MTS eine Tariflohnerhöhung als Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung vereinbart, die jedenfalls formal und inhaltlich der Anrechnungsregelung unterfiel. Es lag insoweit in ihrer Kompetenz, eine Klarstellung dahingehend vorzunehmen, wenn in diesem Fall eine Anrechnung nicht erfolgen sollte. Wenn die Tarifvertragsparteien das nicht getan haben, gebietet es die Respektierung der Tarifautonomie, daß die Gerichte nicht nach Zweckmäßigkeits- oder Billigkeitsgesichtspunkten einen anderen Regelungsinhalt festlegen, als er sich aus der an dem konkreten Wortlaut der Regelungen orientierten Auslegung ergibt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien die Frage der Anrechnung der durch den Lohnausgleich bedingten Tariflohnerhöhung nur deshalb nicht ausdrücklich geregelt haben, weil sie eine Anrechnung der Tariflohnerhöhung infolge der Arbeitszeitverkürzung nicht in Betracht gezogen haben.
dd) Für die Anrechnung jeder Tariflohnerhöhung, gleich aus welchem Grunde, spricht auch, daß die Differenzierung zwischen einer normalen Tariflohnerhöhung, die zur Anrechnung kommt, und einer Tariflohnerhöhung als Kompensation für eine Arbeitszeitverkürzung, die nicht angerechnet werden soll, nicht immer möglich ist. Möglich ist das nur, wenn die Tariflohnerhöhung als Lohnausgleich gesondert vorgenommen und beziffert wird oder wenn sie bei einem Zusammentreffen mit einer allgemeinen Tariflohnerhöhung jedenfalls gesondert ausgewiesen wird. Denkbar ist jedoch auch, daß bei einem Zusammentreffen von Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung nur ein teilweiser Lohnausgleich vorgenommen werden soll und die Höhe der beiden Elemente nicht konkret bestimmt werden. In diesem Fall wäre eine Differenzierung zwischen den beiden Arten der Lohnerhöhungen hinsichtlich der Anrechnung auf die Zulage gar nicht möglich.
4. Die Anrechnung der Tariflohnerhöhung verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es hier um die zutreffende Auslegung und Anwendung der tarifvertraglichen Regelung geht. Wenn die Beklagte diese tarifvertragliche Regelung vollzieht, kann darin keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegen.
5. Weil es bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die Zulage um den Vollzug der tariflichen Regelung geht, und die Beklagte bei dem Vollzug dieser Regelung auch keine weitergehende Gestaltung vorgenommen hat, kommt auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG nicht in Betracht.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Friedrich, Wolter, Pfeil, Gotsche
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.08.2000 durch Freitag, Urkunsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 584716 |
BB 2001, 1044 |
BB 2001, 788 |
DB 2001, 932 |
NWB 2001, 1644 |
FA 2001, 127 |
NZA 2001, 730 |
ZAP 2001, 666 |
AP, 0 |