Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an zulässige Berufungsbegründung

 

Normenkette

ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 08.05.1996; Aktenzeichen 5 Sa 218/95)

ArbG Magdeburg (Urteil vom 19.01.1995; Aktenzeichen 8 Ca 4590/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 8. Mai 1996 – 5 Sa 218/95 – aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der jedenfalls seit 1. Oktober 1991 bei dem Beklagten als „Leiter der Musikabteilung” bzw. als „Erster Musikredakteur” zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 8.048,00 DM beschäftigte Kläger hat sich mit seiner Klage gegen eine ordentliche Kündigung des Beklagten vom 22. September zum 31. Dezember 1994 gewandt.

Er hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Belang, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22. September 1994 nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben.

Seine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat der Beklagte in einem 33 Seiten umfassenden Schriftsatz im wesentlichen damit begründet, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, der Kläger sei bereits seit 1984 bei einer „Rechtsvorgängerin” des Beklagten beschäftigt gewesen, und entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts rechtfertigten die – mit der Berufungsbegründung erneut im einzelnen unter Beweisantritt vorgetragenen – Verhaltensweisen des Klägers eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG, wobei es auf ein Verschulden nicht ankomme. Das Arbeitsgericht habe die zahlreichen Beweisantritte des Beklagten übergangen bzw. keinen Hinweis gemäß § 139 ZPO gegeben, welche zusätzlichen Stellungnahmen zum Vorbringen des Klägers es für erforderlich halte. Hilfsweise hat der Beklagte beantragt:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufgelöst.

Den Hilfsantrag hat der Beklagte mit diversen zwischen den Parteien geführten Rechtsstreiten und einem darüber in der „Frankfurter Rundschau” erschienen Artikel begründet, der nur erklärlich sei, wenn der Kläger dieser Zeitung Einsicht in die laufenden Akten gewährt habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Berufung einschließlich des Hilfsantrags zurückzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung, hilfsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zulässig.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Berufung des Beklagten sei nicht ausreichend begründet und deshalb gemäß § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO unzulässig. Die Berufungsbegründung lasse nicht erkennen, aus welchen Gründen das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts unrichtig sein solle. Sie rüge lediglich eine falsche Rechtsanwendung in einer höchst allgemeinen Form, gebe nicht an, welche Beweisantritte das Arbeitsgericht unzulässig übergangen habe, und lege auch nicht näher dar, was der Beklagte auf Hinweise gemäß § 139 ZPO noch vorgetragen hätte. In der Sache wiederhole der Beklagte weitestgehend seinen Sachvortrag erster Instanz. Die Berufungsbegründung hätte er jedoch inhaltlich an den als unrichtig angesehenden Urteilsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils ausrichten müssen. Da dies nicht erfolgt sei, sei auch über den Auflösungsantrag des Beklagten nicht zu entscheiden.

II. Dem folgt der Senat nicht.

1. Die Berufung ist jedenfalls insoweit zulässig, als der Beklagte erstmals einen Auflösungsantrag gemäß § 9 KSchG gestellt hat. § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG, der als lex specialis gegenüber dem Novenrecht der ZPO anzusehen ist (KR-Spilger, 4. Aufl., § 9 KSchG Rz 20; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., S. 1242), bestimmt ausdrücklich, daß der Antrag bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden kann. Für den erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag des Arbeitnehmers wird zwar überwiegend verlangt, daß der Arbeitnehmer durch das arbeitsgerichtliche Urteil beschwert ist (vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1993 – 2 AZR 56/93 – AP Nr. 23 zu § 9 KSchG 1969; KR-Spilger, a.a.O.; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 9 Rz 21; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 9 Rz 22, m.w.N.; zweifelnd Schaub, a.a.O.). Die Mängelfreiheit der Berufungsbegründung wird jedoch, soweit ersichtlich, weder in der Literatur gefordert, noch nach dem Wortlaut von § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG vorausgesetzt. Beschwert war der Beklagte hier durch das Urteil des Arbeitsgerichts.

Zudem unterscheidet sich der Antrag des Arbeitgebers von dem des Arbeitnehmers dadurch, daß er kein unechter, sondern regelmäßig ein echter Hilfsantrag ist (KR-Spilger, a.a.O., Rz 17; Hueck/von Hoyningen-Huene, a.a.O., Rz 25; Löwisch, a.a.O., Rz 45; Schaub, a.a.O., S. 1243). Letzteres ist aber nicht zwingend. Der Arbeitgeber kann die Sozialwidrigkeit der Kündigung in der Berufungsinstanz auch nicht mehr bestreiten bzw. insoweit anerkennen und nur noch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses begehren (vgl. BAG Urteil vom 29. Januar 1981 – 2 AZR 1055/78BAGE 35, 30 = AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969; Hueck/von Hoyningen-Huene, a.a.O., Rz 26; Löwisch, a.a.O.; KR-Spilger, a.a.O., m.w.N.). Es wäre widersprüchlich, dem Arbeitgeber einerseits zuzugestehen, das Urteil des Arbeitsgerichts über die Sozialwidrigkeit als richtig anzuerkennen, andererseits aber zu verlangen, daß sich der Arbeitgeber in seiner Berufungsbegründung im einzelnen damit auseinandersetzt, weshalb dieses Urteil rechtlich nicht haltbar sein soll.

2. Davon abgesehen genügt die Berufungsbegründung auch im übrigen den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfordert eine gemessen an § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zulässige Berufungsbegründung lediglich, daß sie erkennbar auf bestimmte Einzelheiten des konkreten Streitstoffs eingeht und erkennen läßt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil unrichtig sein soll; es genügt auch, wenn die Begründung zu erkennen gibt, daß nach Auffassung des Berufungsklägers über eine von ihm unter Beweisantritt behauptete Tatsache hätte Beweis erhoben werden müssen oder daß der Berufungskläger die rechtliche Würdigung des erstinstanzlichen Urteils bekämpft; eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung setzt § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht voraus (BAG Urteil vom 1. Juli 1967 – 3 AZR 393/66 – AP Nr. 18 zu § 519 ZPO; BAG Urteil vom 13. Mai 1987 – 5 AZR 370/86 – n.v.). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung gerecht.

a) Sie geht, wenn auch überwiegend den Sachvortrag und die Beweisantritte aus der I. Instanz wiederholend, auf Einzelheiten des konkreten Streitstoffs ein und läßt erkennen, daß sie die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts in all diesen Punkten für fehlerhaft hält. Insbesondere macht sie deutlich, daß das Arbeitsgericht nach Ansicht des Beklagten zu Unrecht ein Verschulden bei dem dem Kläger zum Vorwurf gemachten Fehlverhalten für erforderlich gehalten hat. Ob diese Rechtsauffassung des Beklagten im konkreten Fall zutreffend ist, ist für die Zulässigkeit der Berufung ohne Belang.

b) Mit der Berufungsbegründung hat der Beklagte ferner z.B. unter Beweisantritt vorgetragen, eine Beauftragung des Herrn G. hinsichtlich der Zusammenstellung eines Sicherungsprogramms sei weder durch den Beklagten, noch durch den Kläger erfolgt; demgegenüber hatte das Arbeitsgericht dazu ausgeführt, der Kläger habe unwidersprochen vorgetragen, für das „Sicherungsprogramm” sei Herr G beauftragt worden. Auch hinsichtlich des vom Arbeitsgericht als unwidersprochen angesehenen Vorbringens des Klägers zur Ablieferung eines Konzepts für die „Oldie-Nacht” in Zörbig hat der Beklagte mit der Berufungsbegründung unter Beweisantritt detaillierten gegenteiligen Sachvortrag geleistet. Gleiches gilt für die Annahme des Arbeitsgerichts, der Beklagte habe sich mit dem erheblichen Gegenvorbringen des Klägers hinsichtlich des Umsetzungsvorschlags zur neuen Honorarordnung und hinsichtlich der Bearbeitung von Zuhörerpost nicht auseinandergesetzt. Auch insoweit enthält die Berufungsbegründung detailliertes Bestreiten unter Beweisantritt.

c) Wie der vorstehend – auf Wesentliches beschränkt – wiedergegebene Inhalt der Berufungsbegründung belegt, hat der Beklagte damit nicht nur im einzelnen Gründe der Anfechtung sowie neue Tatsachen und Beweismittel zur Rechtfertigung seiner Berufung angeführt (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), die Berufungsbegründung richtet sich vielmehr entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts auch „inhaltlich an den als unrichtig angesehenen Urteilsgründen I. Instanz” aus. Das Landesarbeitsgericht wird über die Wirksamkeit der streitigen Kündigung unter Berücksichtigung des bisherigen und eventuell des weiteren Vorbringens der Parteien zu befinden haben. Sollte sich danach das Urteil des Arbeitsgerichts als insoweit zutreffend herausstellen, wird über den Hilfsantrag des Beklagten, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, zu entscheiden sein.

 

Unterschriften

Etzel, Richter am BAG Bitter hat Urlaub. Etzel, Fischermeier, Kuemmel-Pleißner, Dr. Roeckl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1254442

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