Entscheidungsstichwort (Thema)
AWbG Nordrhein-Westfalen. Freistellungserklärung
Normenkette
AWbG NW § 1 Abs. 1, § 7; ZPO § 561
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 25.07.1991; Aktenzeichen 4 Sa 1460/89) |
ArbG Herford (Urteil vom 03.08.1989; Aktenzeichen 3 Ca 1214/88) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25. Juli 1991 – 4 Sa 1460/89 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch zur Entscheidung über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes für den Besuch einer Veranstaltung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger war bei der Beklagten von Februar 1985 bis Mai 1989 als Tischler tätig. In dem in NRW gelegenen Betrieb der Beklagten werden ca. 220 Arbeitnehmer mit der Herstellung von Möbeln beschäftigt.
Mit Urteil des Arbeitsgerichts vom 3. November 1988 wurde die Beklagte im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens verpflichtet, den Kläger für die Veranstaltung „Bedrohte Umwelt – bedrohtes Leben” von der Arbeit freizustellen. Der Kläger nahm in der Zeit vom 7. bis 11. November 1988 an der Veranstaltung in Norddeich teil. Dem Kläger fiel durch den Besuch der Veranstaltung in der Zeit vom 7. November 1988 bis 11. November 1988 der Bruttolohn in Höhe von 834,68 DM aus.
Mit der am 2. Dezember 1988 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 834,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Herford hat die Beklagte verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Herford abgeändert und die Klage abgewiesen.
Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
Das Landesarbeitsgericht hat zur anspruchsbegründenden Voraussetzung der Freistellung des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 AWbG (vgl. Senatsurteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen) widersprüchliche Feststellungen getroffen. Der Senat kann daher nicht beurteilen, ob dem Kläger der geltend gemachte Lohnanspruch zusteht oder nicht. Er ist durch § 561 Abs. 2 ZPO nicht an widersprüchliche Feststellungen gebunden (BAGE 19, 342, 350 = AP Nr. 13 zu § 91 a ZPO; Münch. Komm. – Musielak, ZPO, § 314 Rz 5)
1. Der Kläger hat einen Anspruch nach § 7 AWbG i. V. mit § 1 Abs. 1 AWbG, wenn die Beklagte ihn für die Zeit vom 7.–11. November 1988 zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung von der Arbeit freigestellt hat. In diesem Fall kann die Beklagte den Lohn nicht mit der Begründung verweigern, die Veranstaltung diene nicht der politischen und/oder der beruflichen Weiterbildung oder andere Anerkennungsvoraussetzungen i. S. von § 9 Satz 1 AWbG seien nicht erfüllt. Diese Einwände können nur gegenüber dem Freistellungsanspruch geltend gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 –, vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – und vom 19. Oktober 1993 – 9 AZR 499/91 –).
2. Der Kläger hat keinen Anspruch nach dem AWbG, wenn der Arbeitgeber keine Freistellung nach diesem Gesetz erklärt hat. Das AWbG gewährt den Arbeitnehmern einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch, kein Selbstbeurlaubungsrecht. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann daher nur entstehen, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung des Anspruchs eine Freistellungserklärung abgegeben hat oder nach § 894 Abs. 1 ZPO diese Erklärung als abgegeben gilt.
3. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist unklar, ob die Beklagte den Kläger nach dem AWbG freigestellt hat, das im einstweiligen Verfügungsverfahren am 3. November 1988 verkündete Urteil nach § 929 ZPO vollzogen worden oder der Kläger ohne Freistellung der Arbeit ferngeblieben ist. Das Landesarbeitsgericht hat in seinem Tatbestand auf Bl. 2 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Beklagte dem Kläger und zwei weiteren Mitarbeitern zunächst die Freistellung verweigert und darauf der Kläger die Freistellung durch die einstweilige Verfügung vom 3. November 1988 erreicht hat. Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht im Tatbestand auf S. 4 des angefochtenen Urteils festgestellt, die Beklagte hatte mit Schreiben vom 29. September 1988 dem Freistellungsantrag des Klägers stattgegeben.
Beide Feststellungen sind nicht miteinander vereinbar. Sie binden den Senat daher nicht. Damit ist ungeklärt, welcher Sachverhalt der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegen soll. Allein deswegen kann das Urteil keinen Bestand haben und muß aufgehoben werden. Der Rechtsstreit muß zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.
II. In der erneuten Berufungsverhandlung wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, ob der Kläger am 29. September 1988 von der Beklagten freigestellt oder ob später durch den Vollzug der einstweiligen Verfügung vom 3. November 1988 die verweigerte Freistellung ersetzt worden ist. In beiden Fällen ist der Klage zu entsprechen. Im anderen Fall ist zu prüfen, ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch zusteht, weil die Beklagte ihm zu Unrecht die Freistellung im Jahre 1988 verweigert hat (vgl. Senatsurteil vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 –; Senatsurteil vom 15. Juni 1993 – 9 AZR 261/90 –; Senatsurteil vom 24. August 1993 – 9 AZR 409/90 –). Dann wird das Landesarbeitsgericht auch zu würdigen haben, ob die vom Kläger besuchte Veranstaltung der politischen und/oder beruflichen Bildung gedient hat (§ 1 Abs. 2 AWbG).
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dörner, Düwell, Schodde, Brückmann
Fundstellen