Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot der Anrechnung von Zulagen in Betriebsvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu – 1 AZR 319/97 – vom 9. Dezember 1997, zur Veröffentlichung vorgesehen
Normenkette
BetrVG § 77; TVG § 4 Ausschlußfristen; ZPO §§ 291, 293
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 17. Februar 1997 – 5 Sa 571/96 – aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung einer übertariflichen Zulage auf eine tarifliche Lohnerhöhung.
Der Kläger ist im Betrieb der Beklagten in Bramstedt, Niedersachsen, als Elektromonteur beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats. In seinem Arbeitsvertrag vom 23. September 1985 ist u.a. folgendes vereinbart:
„…
2. Der AN erhält einen Stundenlohn von brutto |
DM |
14,50 |
Lohnaufteilung: Tariflohn |
DM |
12,60 |
Leistungszulage |
DM |
1,90 |
Ist in dem Lohn eine Leistungszulage über die tarifliche Absprache hinaus enthalten, so behält sich der AG vor, künftige tarifliche Erhöhungen hierauf anzurechnen.
…”
Wie dem Senat aus dem Parallelrechtsstreit – 1 AZR 319/97 – bekannt ist, verwandte die Beklagte seinerzeit Formulararbeitsverträge, in denen es u.a. hieß:
„3. Diesem Vertrag liegt der jeweils gültige Tarifvertrag zwischen der Innung der Elektrohandwerke Bremerhaven-Wesermünde und der IG Metall, Bezirksleitung Hamburg, zugrunde.”
Von den genannten Tarifvertragsparteien war am 12. September 1984 ein Lohnabkommen abgeschlossen worden, das für die Ecklohngruppe (Monteure II ab 3. Gesellenjahr) einen Stundenlohn von 12,60 DM vorsah. Es wurde zum 30. April 1985 gekündigt. In einer Protokollnotiz vom 14. Oktober 1980 hatten die Tarifvertragsparteien vereinbart, daß der räumliche Geltungsbereich des Manteltarifvertrags für das metallverarbeitende Handwerk in Bremerhaven vom 9. Oktober 1969 (MTV Bremerhaven) auf den Altkreis Wesermünde, in dem Bramstedt liegt, ausgedehnt wird. Dieser zum 31. Dezember 1983 gekündigte Manteltarifvertrag bestimmte u.a.:
„§ 9
Verfall von Ansprüchen
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind binnen einer Ausschlußfrist von 2 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Werden sie abgelehnt, so sind sie binnen einer Ausschlußfrist von 2 Monaten nach Zugang der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen.”
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Arbeitsverhältnis unterliege kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit dem Lohntarifvertrag für die Elektrohandwerke im Land Niedersachsen (LTVN). Dieser Tarifvertrag nimmt u.a. die Samtgemeinde Hagen, zu der Bramstedt gehört, von seinem räumlichen Geltungsbereich aus. In seiner Fassung vom 1. April 1993 enthielt er u.a. folgende Bestimmungen:
„§ 2 Lohngruppen
…
Lohngruppe 4
Gesellen, die vom Arbeitgeber unter Beachtung der Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes über personelle Angelegenheiten infolge ihrer überdurchschnittlichen Leistungen anerkannt worden sind, über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, nach Zeichnung arbeiten können und im Betrieb vorwiegend mit schwierigen Arbeiten beschäftigt werden.
…
§ 3 Tariflohn
Der Tariflohn je Stunde beträgt:
Lohngruppen |
ab 1. April 1993 |
ab 1. März 1994 |
|
DM |
DM |
… |
|
|
Lohngruppe 4 |
19,27 |
20,05 |
… |
|
|
§ 4 Günstigkeitsklausel
Durch Inkrafttreten dieses Tarifvertrages darf der dem einzelnen Arbeitnehmer gezahlte Gesamtverdienst nicht gemindert werden. Bisher über Tarif gezahlte Zulagen sind hiermit abgegolten. Ausgenommen von der Abgeltung sind vertraglich ausgewiesene Leistungszulagen.
…”
Der Manteltarifvertrag für die Elektrohandwerke im Land Niedersachsen in der Fassung vom 7. März 1994 (MTVN) nimmt ebenfalls die Saratgemeinde Hagen von seinem Geltungsbereich aus. Er regelt die Geltendmachung von Ansprüchen wie folgt:
„§ 14
Verfall von Ansprüchen
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind binnen einer Ausschlußfrist von 3 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Werden sie schriftlich abgelehnt, so sind sie binnen einer Ausschlußfrist von 3 Monaten nach Zugang der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Ein Verzicht auf tarifliche Ansprüche ist ausgeschlossen.”
Nach Meinungsverschiedenheiten über die Anrechenbarkeit der Leistungszulage auf Tariferhöhungen unterzeichneten die Beklagte und der Betriebsrat Anfang 1988 ein Schriftstück, das „Betriebsvereinbarung über die Zahlung von Leistungszulagen” überschrieben war und in dem es hieß:
„…
Da wir über die Zahlung der Leistungszulage keine Einigung erzielen können, mit der der Betriebsrat zufrieden wäre, kommt der Betriebsrat auf Ihre Zusage vom 28.10.1987 zurück, in der Sie sagten:
Eine Einigung könnte dahingehend erzielt werden, daß zukünftige tarifliche Erhöhungen nicht mehr auf die Leistungszulage angerechnet werden, wenn der Betriebsrat keine weiteren rechtlichen Schritte unternimmt.
Der Betriebsrat versichert hiermit, in Bezug auf die Leistungszulage, keine weiteren rechtlichen Schritte zu unternehmen, wenn die Geschäftsleitung ihrerseits versichert, dem oben genannten Angebot nachzukommen.”
Unter dem 5. März 1987 hatte die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, aufgrund der von ihm bisher gezeigten Leistungen werde er in die nächsthöhere Lohngruppe 4 eingruppiert. Der neue Bruttolohn setze sich wie folgt zusammen: Tariflohn 14,90 DM, Leistungszulage 1,07 DM, Bruttolohn 15,97 DM. Seit 1989 betrug die Leistungszulage dann 1,80 DM und blieb in der Folgezeit unverändert.
Aus Anlaß der im niedersächsischen Lohntarifvertrag zum 1. April 1993 vorgenommenen Erhöhung in Lohngruppe 4 auf 19,21 DM rechnete die Beklagte den Erhöhungsbetrag von 0,54 DM in vollem Umfang auf die Leistungszulage des Klägers an. Ebenso verfuhr sie bei den anderen Empfängern der Zulage. Die folgende Tariflohnerhöhung zum 1. März 1994 rechnete die Beklagte ebenfalls bei allen Zulagenempfängern voll an. Dadurch verminderte sich die Zulage des Klägers um weitere 0,78 DM, insgesamt also um 1,32 DM pro Stunde.
In der Zwischenzeit war dem Betriebsrat auf einem Kopfbogen der Beklagten das folgende vom 21. Juni 1993 datierte Schreiben zugegangen:
„… unabhängig von der Rechtslage, ob die o.g. Betriebsvereinbarung Gültigkeit hat oder nicht, kündige ich diese zum nächstmöglichen Termin.
Da es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung handelt, wird eine Kündigungsfrist von 3 Monaten zugrunde gelegt.
Mit freundlichem Gruß
D. GmbH & Co. KG”
Vom Betriebsrat ist dieses Schreiben, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht zu Protokoll gegeben hat, immer als Kündigung der Betriebsvereinbarung gewertet worden.
Wegen der Beträge, um welche die Beklagte die Zulage des Klägers gekürzt hatte, kam es zu zwei Rechtsstreiten zwischen den Parteien, die rechtskräftig zugunsten des Klägers entschieden wurden. Für spätere, von diesen Urteilen nicht erfaßte Zeiträume weigerte sich die Beklagte aber wieder, die Zulage in der ursprünglichen Höhe von 1,80 DM zu zahlen. Der Kläger machte ihr gegenüber nach und nach die auf die Monate August 1994 bis einschließlich August 1995 entfallenden Differenzbeträge geltend, so für die Monate Juni, Juli und August 1995 mit Schreiben vom 25. September 1995.
Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm noch diese rechnerisch unstreitigen Beträge. Sie habe zu Unrecht die beiden Tariferhöhungen auf die Zulage angerechnet. Eine Anrechnung sei schon deshalb ausgeschlossen gewesen, weil es sich um eine Leistungszulage gehandelt habe. Auch habe der niedersächsische Lohntarifvertrag von 1993 die Anrechnung nicht zugelassen. Außerdem habe ihr die Betriebsvereinbarung von 1988 entgegengestanden. Dies gelte auch für die Tariferhöhung zum 1. März 1994. Die Betriebsvereinbarung sei nicht wirksam gekündigt worden. Materiell habe es sich nämlich um einen Vergleich gehandelt, der ordentlich nicht kündbar gewesen sei. Schließlich fehle es an einer ordnungsgemäßen Kündigungserklärung.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.886,11 DM brutto nebst 4 % Prozeßzinsen auf den sich aus 453,95 DM brutto ergebenden Nettobetrag ab Klagezustellung sowie 4 % Prozeßzinsen auf den sich aus 524,50 DM brutto ergebenden Nettobetrag ab Zustellung der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 30. März 1995 sowie 4 % Prozeßzinsen auf den sich aus 633,65 DM ergebenden Nettobetrag ab Zustellung der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 21. April 1995 sowie 4 % Prozeßzinsen auf den sich aus 456,05 DM ergebenden Nettobetrag ab Zustellung der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 5. Oktober 1995 sowie 4 % Prozeßzinsen auf den sich aus 817,96 DM ergebenden Nettobetrag ab Zustellung dieser Klageerweiterung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung stehen dem Kläger die geforderten Beträge nicht zu. Nach dem Arbeitsvertrag sei ihr die Anrechnung der Zulage auf Tariferhöhungen erlaubt gewesen. Es habe sich nicht um eine wirkliche Leistungszulage gehandelt. Durch das Anfang 1988 vom Betriebsrat und ihr unterzeichnete Schriftstück sei die Anrechnungsbefugnis nicht ausgeschlossen worden, denn hierbei habe es sich, wie schon aus der Verwendung des Konjunktivs ersichtlich, nicht um eine verbindliche Absprache gehandelt. Selbst wenn eine Betriebsvereinbarung zustande gekommen wäre, so hätte sie vor dem streitbefangenen Zeitraum geendet. Die ordentliche Kündigung sei durch den möglichen Vergleichscharakter der Absprache nicht ausgeschlossen gewesen. Die Kündigung sei auch wirksam erklärt worden. Formerfordernisse hätten insoweit nicht bestanden. Da hier allenfalls eine freiwillige Betriebsvereinbarung in Betracht komme, habe sie nicht nachgewirkt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die vom Landesarbeitsgericht angeführten Erwägungen tragen das Berufungsurteil nicht. Dem Senat ist allerdings eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht möglich. Hierzu bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß die Anrechnung der Tariferhöhungen auf die Zulage in voller Höhe unwirksam gewesen sei. Die Absprache der Betriebspartner von 1988 habe ihr entgegengestanden. Allerdings habe es sich hierbei nicht um eine Betriebsvereinbarung gehandelt, sondern um einen schuldrechtlichen Vertrag, den die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat gemäß § 328 BGB zugunsten der Arbeitnehmer geschlossenen habe. Eine Betriebsvereinbarung sei insoweit nicht in Betracht gekommen, weil die Absprache eine allgemeine außertarifliche Zulage zum Gegenstand gehabt habe, deren Höhe nach § 77 Abs. 3 BetrVG der normativen Gestaltung durch die Betriebsparteien entzogen gewesen sei. Der niedersächsische Lohntarifvertrag habe nämlich die Lohnhöhe geregelt. Der Vertrag zugunsten der Arbeitnehmer sei ordentlich nicht kündbar gewesen.
II. Diese Begründung erweist sich in mehrfacher Hinsicht als fehlerhaft.
1. Einem Ausschluß der Anrechnung durch Betriebsvereinbarung stand hier nicht etwa nach § 77 Abs. 3 BetrVG der niedersächsische Lohntarifvertrag entgegen.
a) Eine tarifliche Regelung entfaltet Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 BetrVG nur, soweit ihr Geltungsanspruch reicht. Das ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift, der in der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie besteht (BAGE 69, 134, 146 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C I 1 der Gründe). Es soll eine Normsetzung der Betriebspartner ausgeschlossen werden, die zu derjenigen der Tarifvertragsparteien in Konkurrenz treten würde (Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu I 1 der Gründe). Die Anwendung des § 77 Abs. 3 BetrVG setzt daher nach allgemeiner Meinung voraus, daß sich der betroffene Betrieb im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags befindet (GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 77 Rz 81, m.w.N.).
b) Daran fehlt es hier. Nach § 1 Buchst. a LTVN ist die Samtgemeinde Hagen vom räumlichen Geltungsbereich ausgenommen; eine entsprechende Einschränkung bestand bereits im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses der streitigen betrieblichen Regelung. Bramstedt gehört zur Samtgemeinde Hagen (Müllers Großes Deutsches Ortsbuch, 26. Aufl., S. 149, Stichwort „Bramstedt”).
c) Die Begrenzung des tarifvertraglichen Geltungsbereichs ist hier zu berücksichtigen, obwohl entsprechender Vortrag fehlt und im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt wird, daß auf das Arbeitsverhältnis der niedersächsische Lohntarifvertrag normativ anwendbar sei. Bei der Zugehörigkeit von Bramstedt zur Samtgemeinde Hagen handelt es sich um eine geographische Gegebenheit, die in allgemein zugänglichen Nachschlagewerken beschrieben wird. Solche Tatsachen sind offenkundig im Sinne des § 291 ZPO (z.B. MünchKomm-ZPO/Prütting, § 291 Rz 6 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 291 Rz 2; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 291 Anm. A III b 1).
Allerdings wird teilweise die Auffassung vertreten, das Gericht dürfe im Parteiprozeß offenkundige Tatsachen nicht berücksichtigen, wenn sie nicht vorgetragen sind. Das ergebe sich aus der Dispositionsmaxime (BAG Urteil vom 30. September 1976 – 2 AZR 402/75 – BAGE 28, 196, 201 = AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969, zu 4 der Gründe; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 291 Anm. A I a). Die Gegenmeinung wird damit begründet, daß der Gesetzgeber mit dem Ausschluß der Beweislast in § 291 ZPO auch die Behauptungslast ausgeschlossen habe; außerdem könne es nicht angehen, daß die Parteien der richterlichen Urteilsgrundlage offenkundige Tatsachen entziehen (MünchKomm-ZPO/Prütting, § 291 Rz 13). Zumindest dürfe das Gericht seinem Urteil solche Tatsachen nicht zugrunde legen, deren Gegenteil offenkundig sei (BAG Urteil vom 17. April 1996 – 3 AZR 56/95 – AP Nr. 35 zu § 16 BetrAVG, zu I 1 der Gründe; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 291 Rz 10). Der Senat hält die letztgenannte Auffassung für zutreffend, denn mit dem Richtigkeitsanspruch gerichtlicher Urteile läßt sich die Zugrundelegung offenkundig unzutreffender Tatsachen nicht vereinbaren.
Soweit damit eine Abweichung vom Urteil des Zweiten Senats vom 30. September 1976 (a.a.O.) vorliegt, ist diese im Ergebnis unerheblich. Vorliegend geht es nämlich um Tatsachen, die der Senat auch im Parteiprozeß ohnehin von Amts wegen zu beachten hat. Das Landesarbeitsgericht hat den Ausschluß einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 3 BetrVG auf den niedersächsischen Lohntarifvertrag gestützt. Betriebsvereinbarungen sind revisibles Recht (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 73 Rz 12). Alle zu ihrer Gültigkeit und Auslegung erforderlichen Ermittlungen hat das Gericht im Rahmen des § 293 ZPO von Amts wegen durchzuführen (GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 77 Rz 59; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 293 Rz 17, 70; vgl. zu Tarifverträgen BAGE 80, 316, 321 = AP Nr. 8 zu § 293 ZPO, zu II 2 b der Gründe). Soweit aber offenkundige Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen sind, ist das Revisionsgericht nicht an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden, die zu solchen Tatsachen in Widerspruch stehen (BAGE 80, 316, 321 = AP Nr. 8 zu § 293 ZPO, zu II 2 c der Gründe; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 291 Anm. A II a, A III b 2).
2. Irrig ist auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, bei der 1988 getroffenen Regelung habe es sich um einen Vertrag zugunsten der Arbeitnehmer nach § 328 BGB gehandelt. Betriebsrat und Arbeitgeber können einen solchen Vertrag nicht abschließen. Der Betriebsrat hat eine auf die Erfüllung seiner Aufgaben begrenzte Teilrechtsfähigkeit. Zum Zwecke der vertraglichen Rechtsgestaltung zugunsten der Arbeitnehmer hat das Betriebsverfassungsgesetz das Instrument der Betriebsvereinbarung geschaffen. Durch sie können nach § 77 Abs. 4 BetrVG Ansprüche der Arbeitnehmer unmittelbar gegen den Arbeitgeber begründet werden. Für eine zusätzliche, weitgehend gleichlaufende Gestaltungsmöglichkeit über § 328 BGB gibt es keine Anhaltspunkte und kein Bedürfnis. Ihr steht zudem entgegen, daß ein solches Instrument die Schranke der betrieblichen Normsetzungsbefugnis wirkungslos machen würde, welche § 77 Abs. 3 BetrVG im Interesse der Tarifautonomie aufgerichtet hat.
3. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht schließlich den Klageanspruch bejaht, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Kläger möglicherweise einschlägige tarifvertragliche Ausschlußfristen eingehalten hat.
a) Die Versäumung von Ausschlußfristen ist als anspruchsvernichtende Tatsache auch ohne Rüge zu beachten, wenn das Gericht aus dem Parteivortrag erkennt, daß tarifliche Normen für die Entscheidung erheblich sein können (BAGE 80, 316, 321 = AP Nr. 8 zu § 293 ZPO, zu II 2 b der Gründe). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach dem Vortrag der Parteien kommt die Anwendung entweder des niedersächsischen oder des Bremerhavener Manteltarifvertrags für die Elektrohandwerke in Betracht. Beide Tarifverträge enthalten Bestimmungen über Ausschlußfristen. Überdies hat der Kläger selbst darauf hingewiesen, daß er aus Rücksicht auf tarifliche Ausschlußfristen im Lauf des Verfahrens immer wieder Teilbeträge geltend machen müsse.
Das Landesarbeitsgericht hätte die Einhaltung der Ausschlußfristen des § 14 MTVN schon deshalb prüfen müssen, weil es von dessen normativer Anwendbarkeit ausgegangen ist. Unabhängig von dieser unzutreffenden Annahme des Landesarbeitsgerichts kann die Bestimmung hier aufgrund vereinbarter Anwendung entscheidungserheblich sein. Das folgt daraus, daß die Parteien ausweislich des Schreibens der Beklagten an den Kläger vom 5. März 1987 den niedersächsischen Lohntarifvertrag zumindest seit diesem Zeitpunkt auf das Arbeitsverhältnis angewandt haben; eine Lohngruppe 4, die besondere Leistungen voraussetzt, gibt es im niedersächsischen Lohntarifvertrag, nicht dagegen in demjenigen für den Altkreis Wesermünde. Mangels normativer Anwendbarkeit des niedersächsischen Lohntarifvertrags ist von seiner konkludenten Inbezugnahme auszugehen. Darüber, daß das Arbeitsverhältnis tatsächlich diesem Lohntarifvertrag unterliegt, besteht zwischen den Parteien auch Einigkeit. Wenden sie aber diesen Tarifvertrag an, dann liegt die vereinbarte Anwendung auch des dazugehörigen niedersächsischen Manteltarifvertrags nahe. Das löst die Ermittlungspflicht des Gerichts nach § 293 ZPO aus.
Sollte der niedersächsische Manteltarifvertrag nicht anwendbar gewesen sein, so hätte das Landesarbeitsgericht aufgrund des Parteivortrags alternativ der Frage nachgehen müssen, ob die Anwendung des Manteltarifvertrags Bremerhaven vereinbart war. Wie sich aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Parallelverfahren D. GmbH & Co. KG ./. L. (– 1 AZR 319/97 –) ergibt, verwandte die Beklagte jedenfalls im August 1985 einen Formulararbeitsvertrag, in dem auf den „jeweils gültigen Tarifvertrag zwischen der Innung der Elektro-Handwerke Bremerhaven-Wesermünde und der IG Metall, Bezirksleitung Hamburg” verwiesen war. Angesichts dessen durfte es das Landesarbeitsgericht zu der Frage, ob auch vorliegend diese Tarifverträge in Bezug genommen waren, nicht beim fehlenden Parteivortrag bewenden lassen. Nach § 139 ZPO gibt der Umstand, daß in dem nur sechs Wochen früher mit Herrn L abgeschlossenen und in dem vorgetragenen Teil wortgleichen Arbeitsvertrag eine solche Verweisung enthalten ist, Anlaß zur Frage, ob die Anwendung der Tarifverträge für Bremerhaven-Wesermünde auch im Arbeitsvertrag des Klägers des vorliegenden Verfahrens vereinbart ist.
Um einen Tarifvertrag im Sinne dieser Verweisungsklausel handelte es sich beim Manteltarifvertrag Bremerhaven, nachdem er durch eine Protokollnotiz der genannten Tarifvertragsparteien 1980 auf den Altkreis Wesermünde ausgedehnt worden war. Daß dieser Tarifvertrag beim Abschluß des Arbeitsvertrages am 23. September 1985 nur noch nachwirkte, stand seiner vertraglichen Inbezugnahme nicht im Wege (Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 734).
b) Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Kläger tarifliche Ausschlußfristen eingehalten hat, konnte im angefochtenen Urteil nicht etwa deshalb unterbleiben, weil insoweit keinerlei Anlaß zu Zweifeln bestanden hätte. Im Gegenteil erscheint es nicht sicher, ob der Differenzbetrag für Juni 1995 mit dem Schreiben vom 25. September 1995 rechtzeitig geltend gemacht wurde. Das gilt schon dann, wenn die Drei-Monats-Frist des niedersächsischen Manteltarifvertrags zugrunde gelegt wird. Die Zweifel mehren sich, wenn man von der Zwei-Monats-Frist in § 9 MTV Bremerhaven ausgeht.
III. Der Senat kann anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellung den Klageantrag nicht abschließend bescheiden. Zwar steht fest, daß die Klage teilweise begründet ist. Eine Entscheidung über die Höhe des sich hieraus ergebenden Anspruchs erfordert aber noch weitere Sachaufklärung.
1. Arbeitsvertraglich war die streitige Zulage allerdings anrechenbar.
Das ergibt sich aus der ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es insoweit unerheblich, daß die Zahlung im Arbeitsvertrag und auch später als „Leistungszulage” bezeichnet wurde. Aufgrund des ausdrücklichen Anrechnungsvorbehalts spielt hier die Auslegungsregel keine Rolle, daß zweckgebundene Zulagen wie Leistungszulagen von dem üblichen konkludenten Anrechnungsvorbehalt für übertarifliche Zulagen nicht erfaßt werden. Hinzu kommt, daß es sich vorliegend auch nicht um eine Leistungszulage im eigentlichen Sinn handelt, sondern um eine allgemeine übertarifliche Zulage, die nach ständiger Rechtsprechung im Zweifel auch ohne ausdrückliche Vereinbarung mit Tariferhöhungen verrechnet werden kann (vgl. BAGE 71, 164, 171 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu I 2 der Gründe). Daß die Gewährung der Zulage von Leistungskriterien abhängig gewesen wäre, ist nicht vorgetragen. Im Gegenteil sind der Anspruch auf die Zulage und ihre Höhe im Arbeitsvertrag unbedingt vereinbart.
Die vertraglichen Anrechnungsvoraussetzungen lagen hier vor. Der Lohn nach dem niedersächsischen Lohntarifvertrag, der auf das Arbeitsverhältnis jedenfalls kraft konkludenter Vereinbarung zwischen den Parteien anwendbar war, wurde erhöht. Für die Anrechnungsbefugnis macht es keinen Unterschied, ob der Anspruch auf den Tariflohn normativ (§ 4 Abs. 1 TVG) oder individualvertraglich begründet ist.
2. Erfolglos macht der Kläger auch geltend, die Anrechnung sei an der „Günstigkeitsklausel” des § 4 LTVN gescheitert. Hinsichtlich § 4 Satz 1 LTVN ergibt sich das schon daraus, daß sich durch die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der Gesamtlohn des Klägers nicht vermindert hat.
Auch § 4 Satz 3 LTVN stand der Anrechnung nicht im Wege. Das folgt zum einen aus dem Wortlaut, nach dem die Bestimmung nur Leistungszulagen betrifft; um eine solche handelt es sich hier aber nicht. Überdies ist § 4 Satz 3 LTVN deklaratorischer Natur und weist nur auf den allgemeinen Auslegungsgrundsatz hin, wonach ein Anrechnungsvorbehalt im Zweifel Leistungszulagen nicht erfaßt. Satz 3 schließt nämlich als Ausnahme an § 4 Satz 2 LTVN an, der die automatische Abgeltung übertariflicher Zulagen durch die Tariferhöhung zum Gegenstand hat. Satz 2 kann aber nur so verstanden werden, daß er lediglich auf die verbreiteten Vereinbarungen hinweist, nach denen Tariferhöhungen auf allgemeine Zulagen angerechnet werden können. Mit jedem weitergehenden, wenngleich hier vom Wortlaut mitumfaßten Inhalt (Anrechnung auf sämtliche übertarifliche Zulagen, Anrechnung auch über den Betrag der Tariferhöhung hinaus) wäre die Bestimmung wegen des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) wirkungslos.
Dieses Verständnis entspricht auch dem Grundsatz, daß die Tarifvertragsparteien im Zweifel Regelungen treffen wollen, die nicht wegen Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht unwirksam sind (BAGE 73, 364, 369 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 a bb der Gründe). Hätte die Bestimmung konstitutive Bedeutung mit der Folge, daß sie einen tariflichen Anspruch begründen sollte, die Tariferhöhung auf den bisherigen Effektivlohn aufzustocken, so wäre sie als sog. begrenzte Effektivklausel nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unwirksam (vgl. BAGE 73, 364, 370 f. = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 d aa der Gründe). Diese Rechtsprechung ist den Tarifvertragsparteien vertraut. Ohne entsprechende deutliche Hinweise im Tarifvertrag kann nicht angenommen werden, daß sie eine widersprechende Regelung schaffen wollten, um das Bundesarbeitsgericht in den zu erwartenden Streitfällen zur Überprüfung seiner Position zu veranlassen.
3. Ein Anrechnungshindernis ergab sich hingegen aus der streitigen Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat von 1988.
a) Danach konnte die Beklagte die Tariferhöhung um 0,54 DM zum 1. April 1993 nicht auf die Zulage anrechnen, und zwar auch nicht etwa zum 1. Oktober 1993.
aa) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die Betriebsparteien eine verbindliche Vereinbarung geschlossen haben. Dem steht der eigentümliche, teils im Konjunktiv und in Form von Konditionalsätzen gehaltene Wortlaut nicht entgegen. Auf dem Schriftstück sind die Positionen von Arbeitgeberin und Betriebsrat deckungsgleich beschrieben, die Einigung ist durch die Unterschriften beider Seiten besiegelt.
Die Absprache ist als Betriebsvereinbarung zu verstehen. Sie war ausdrücklich so bezeichnet. Auch konnten die Betriebsparteien ihr Regelungsziel nur auf diesem Weg erreichen. Mit dem Ausschluß der Anrechnung künftiger Tariferhöhungen auf die im Betrieb gezahlte „Leistungszulage” wollten sie nämlich entsprechende Ansprüche der Arbeitnehmer begründen. Hätte die Vereinbarung dagegen ausschließlich Rechte des Betriebsrats zum Gegenstand haben sollen, so wäre sie nur ein unverbindliches „gentlemen's agreement” gewesen. Der Ausschluß der Anrechnung einer Zulage betrifft nicht die Rechtsstellung des Betriebsrats, sondern wirkt sich nur auf der individualrechtlichen Ebene aus. Die Verfolgung der insoweit bestehenden Ansprüche der Arbeitnehmer ist dem Betriebsrat nach ständiger Rechtsprechung verwehrt (BAGE 63, 152, 157 = AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972, zu B 1 a der Gründe). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Betriebsparteien hier eine Absprache hätten treffen wollen, aus der sich weder für den Betriebsrat noch für die Arbeitnehmer Rechtswirkungen ergeben hätten.
bb) Die Betriebsvereinbarung ist wirksam zustande gekommen. Ihr stand nicht die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen. Das gilt selbst dann, wenn Anfang 1988 – was hier nicht aufgeklärt ist – im Altkreis Wesermünde für die Höhe der Löhne in den Elektrohandwerken eine tarifliche Regelung bestanden haben oder üblich gewesen sein sollte. Die Betriebsvereinbarung hatte auch in diesem Fall einen nicht vom Tarifvertrag erfaßten Gegenstand.
(1) Allerdings schließt § 77 Abs. 3 BetrVG eine bloße Aufstokkung der Tariflöhne durch Betriebsvereinbarung aus (BAG Urteil vom 13. August 1980 – 5 AZR 325/78 – AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 1 a der Gründe). Das gilt auch für die Gewährung allgemeiner, nicht an besondere Voraussetzungen wie z.B. Leistungsgesichtspunkte gebundener Zulagen. Soweit der Senatsbeschluß vom 17. Dezember 1985 (BAGE 50, 313, 317 = AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang, zu B II 3 der Gründe) dahin verstanden werden kann, daß übertarifliche Zulagen immer durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können, weil es sich bei ihnen ex definitione um tariflich nicht geregelte Gegenstände handelte, hält der Senat hieran nicht mehr fest. Wäre nämlich der Anwendungsbereich des § 77 Abs. 3 BetrVG derart eingeschränkt, so müßte die Vorschrift ihren Zweck verfehlen, eine Normsetzung der Betriebspartner auszuschließen, die zu derjenigen der Tarifvertragsparteien in Konkurrenz treten würde (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu I 1 der Gründe).
Eine solche Konkurrenz stellen auch betriebliche Regelungen dar, welche eine tarifliche Entgeltregelung lediglich durch gleichartige Ansprüche ergänzen (vgl. BAG Urteil vom 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu II 2 a der Gründe). Nach ständiger Rechtsprechung ist von einer Zweckübereinstimmung zwischen der tariflichen Grundvergütung und einer allgemeinen, also nicht an besondere Voraussetzungen gebundenen außertariflichen Zulage auszugehen. Die Auslegungsregel, nach der die Anrechenbarkeit solcher Zulagen auf Tariferhöhungen im Zweifel als stillschweigend vereinbart gilt, beruht gerade darauf, daß beide den Zweck haben, einen angemessenen Gegenwert für die Arbeitsleistung zu gewähren, und daß der Zweck der Zulage durch eine Tariflohnerhöhung (in deren Umfang) erfüllt wird (BAG Urteil vom 8. Dezember 1982 – 4 AZR 481/80 – AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung; BAGE 71, 164, 171 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu I 2 der Gründe). Hieraus folgt andererseits, daß eine Betriebsvereinbarung zusätzliche Entgeltbestandteile vorsehen kann, die an besondere Voraussetzungen gebunden sind, welche vom Tariflohn nicht berücksichtigt werden (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 77 Rz 77 f.; GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 77 Rz 93).
(2) Die Betriebsvereinbarung 1988 fiel nicht unter die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, weil sie keine eigenständige Bestimmung der Lohnhöhe enthielt, welche dem Zweck der Vorschrift zuwider laufen würde. In der Betriebsvereinbarung wurde kein Anspruch auf übertarifliche Bezahlung begründet, durch welchen die Betriebspartner in Konkurrenz zu den Tarifvertragsparteien getreten wären. Die Betriebsvereinbarung setzte vielmehr das Bestehen entsprechender einzelvertraglicher Ansprüche voraus. Hieran anknüpfend beschränkte sich ihr Regelungsgehalt auf das Verbot der Anrechnung von Tariferhöhungen auf die vorgefundene übertarifliche Zulage. Sie zielte damit auf einen Gegenstand, für den die Rechtsordnung nicht etwa den Primat tarifvertraglicher Regelung vorschreibt, sondern im Gegenteil den Tarifvertragsparteien mit dem Verbot von Effektivklauseln (vgl. BAGE 73, 364, 370 f. = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 d aa der Gründe) insoweit die Regelungszuständigkeit praktisch versperrt.
cc) Die Betriebsvereinbarung schloß eine Anrechnung der Tariferhöhung zum 1. April 1993 aus, denn in diesem Zeitpunkt galt sie noch.
Auch wenn die Beklagte, was das Landesarbeitsgericht nicht eindeutig festgestellt hat, unter Berufung auf die Kündigung der Betriebsvereinbarung eine Anrechnung dieser Tariferhöhung erst zum 1. Oktober 1993 vorgenommen haben sollte, wäre dies aufgrund der Betriebsvereinbarung nicht zulässig gewesen. Die Regelung kann nämlich nur so verstanden werden, daß jedenfalls die während ihrer Geltung erfolgenden Tariferhöhungen ungeschmälert weitergegeben werden sollten. Die Betriebsvereinbarung hätte ihren Zweck verfehlen müssen, wenn sie eine nachträgliche Anrechnung zurückliegender Tariferhöhungen, die im Geltungszeitraum erfolgt sind, zugelassen hätte.
Es kommt hinzu, daß der Arbeitgeber eine an die Erhöhung der Tariflöhne gebundene Anrechnungsbefugnis grundsätzlich nur im zeitlichen Zusammenhang mit der Tariferhöhung ausüben kann. Hat er diese dagegen erst einmal anrechnungsfrei und vorbehaltlos weitergegeben und damit auf die Ausübung seines Gestaltungsrechts verzichtet, so ist ihm die spätere Anrechnung verwehrt. Das folgt aus dem Zweck eines solchen Anrechnungsvorbehalts, der dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit eröffnen soll, die Effektivlöhne trotz einer Tariferhöhung entweder beizubehalten oder in lediglich geringerem Umfang als die Tariflöhne zu erhöhen. Dagegen umfaßt ein Vorbehalt der hier streitigen Art nicht die weitergehende Befugnis, die Effektivlöhne zu senken. Diese Wirkung hätte aber eine Anrechnung, die unter Bezugnahme auf zurückliegende, seinerzeit ungeschmälert weitergegebene Tariferhöhungen erfolgen würde.
b) Die Anrechnung der folgenden Tariferhöhung um 0,78 DM zum 1. März 1994 war freilich durch die Betriebsvereinbarung nicht blockiert. In diesem Zeitpunkt galt die Regelung nicht mehr. Sie war spätestens zum 30. September 1993 gekündigt worden und wirkte nicht nach.
aa) Die Betriebsvereinbarung war nach § 77 Abs. 5 BetrVG ordentlich mit einer Frist von drei Monaten kündbar. Zwar kann diese Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen werden. Eine ausdrückliche Vereinbarung in diesem Sinne haben die Betriebsparteien jedoch nicht getroffen. Die Betriebsvereinbarung enthielt auch keine konkludente Absprache, die so verstanden werden könnte. Ihr Inhalt – ein gegenseitiges Stillhalteabkommen – bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß hier die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit abbedungen sein sollte.
bb) Von ihrem Kündigungsrecht hat die Beklagte auch Gebrauch gemacht. Die Berufung des Klägers darauf, daß sich in den Akten des Betriebsrats lediglich ein nicht unterzeichnetes Kündigungsschreiben befinde, ist unerheblich. Nach allgemeiner Meinung kann eine Betriebsvereinbarung formlos gekündigt werden (z.B. GK- BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 77 Rz 315, m.w.N.). Maßgeblich ist hier, daß der Betriebsrat, also der Adressat, das Schreiben als Kündigungserklärung verstanden hat, wie der Kläger selbst einräumt.
Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob die mit Schreiben vom 21. Juni 1993 „zum nächstmöglichen Termin” erklärte Kündigung zum Monatsende oder zu einem früheren Termin im September 1993 erfolgt ist. In beiden Fällen liegt der Beendigungszeitpunkt erheblich vor der zweiten Tariferhöhung am 1. März 1994. Der Kläger verfolgt Entgeltansprüche erst für die Zeit ab August 1994.
cc) Die gekündigte Betriebsvereinbarung wirkte nicht gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Es handelte sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung. Bezüglich des Anrechnungsverbots bestand kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat zwar auch im Fall einer generellen Anrechnung bei der Entscheidung darüber mitzubestimmen, wie die für die Zulage noch zur Verfügung stehenden Mittel auf die Arbeitnehmer zu verteilen sind, dieses Mitbestimmungsrecht betrifft aber nicht die Festlegung des Dotierungsrahmens (z.B. Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu I 2 (1) der Gründe). Allein um letzteres ging es bei dem in der Betriebsvereinbarung enthaltenen Anrechnungsverbot, welches die Schmälerung des Zulagenvolumens verhindern sollte.
4. Die Erkenntnis, daß die Anrechnung in Höhe von 0,78 DM pro Stunde zulässig, im darüber hinausgehenden Betrag um weitere 0,54 DM dagegen unzulässig war, erlaubt jedoch noch keine abschließende Entscheidung darüber, welcher Teil der Klageforderung begründet ist. Wieviel Entgelt dem Kläger noch zusteht, hängt davon ab, ob und ggf. in welcher Höhe sein Anspruch wegen Versäumung einer tariflichen Ausschlußfrist verfallen ist. Insoweit bedarf es noch weiterer Feststellungen. Auch ist den Parteien, da diese Frage bisher nicht erörtert wurde, unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs noch Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, zugleich für den Ehrenamtlichen Richter Muhr, der an der Unterschriftsleistung verhindert ist., Spiegelhalter
Fundstellen