Entscheidungsstichwort (Thema)

Auskunft nach § 2 Abs. 6 BetrAVG. Näherungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zum Senatsurteil vom 9. Dezember 1997 – 3 AZR 695/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen.

 

Normenkette

BetrAVG § 2 Abs. 6, 5 S. 2; BGB §§ 242, 315

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 29.11.1996; Aktenzeichen 4 Sa 732/96)

ArbG Köln (Urteil vom 21.03.1996; Aktenzeichen 17 Ca 5673/95)

 

Tenor

1. Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 29. November 1996 – 4 Sa 732/96 – werden zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte bei der nach § 2 Abs. 6 BetrAVG zu erteilenden Auskunft das in § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG beschriebene Näherungsverfahren anwenden muß.

Die am 19. Februar 1945 geborene Klägerin war von 1962 bis zum 28. Januar 1994 und der am 12. April 1944 geborene Kläger von 1969 bis zum 31. März 1994 bei der Beklagten beschäftigt. Die Versorgungsrichtlinien der Beklagten enthalten eine Gesamtversorgungsobergrenze. Bei deren Überschreitung wird die Betriebsrente gekürzt.

Als die Kläger Auskunft über die Höhe ihrer Versorgungsanwartschaft verlangten, wies die Beklagte darauf hin, daß sie nicht das Näherungsverfahren anwende. Ohne sozialversicherungsrechtliche Nachweise könne sie die Auskunft nicht erteilen.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse die Auskunft nach § 2 Abs. 6 BetrAVG anhand des Näherungsverfahrens erteilen. Die individuelle Berechnung sei für sie ungünstiger als das Näherungsverfahren. Wenn der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Anzahl der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreichten sozialversicherungsrechtlichen Entgeltpunkte nicht nachweise, müsse der Arbeitgeber das Näherungsverfahren zugrunde legen. Nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer stehe ein Wahlrecht zu. Im vorliegenden Falle gebiete auch der Gleichbehandlungsgrundsatz das Näherungsverfahren anzuwenden. Bei den AT-Angestellten sei die Beklagte vom Näherungsverfahren ausgegangen. Für eine schlechtere Behandlung der Tarifangestellten gebe es keine sachlichen Gründe.

Die Kläger haben zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihnen jeweils eine Auskunft über die Höhe der von ihnen nach Vollendung des 65. Lebensjahres zu erwartenden betrieblichen Versorgungsleistungen unter Heranziehung des Näherungsverfahrens zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber könne nach § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG zwischen der individuellen Berechnung der Betriebsrente und dem Näherungsverfahren wählen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichte die Beklagte nicht zur Anwendung des Näherungsverfahrens. Für die AT-Angestellten gelte eine andere, konzerneinheitliche Versorgungsordnung. Sie schreibe vor, daß im Rahmen der vertraglichen Besitzstandsermittlung das Näherungsverfahren zu benutzen sei.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klagen abgewiesen. Mit ihren Revisionen möchten die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Kläger sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die verlangte Auskunft zu erteilen.

I. Die Auskunftsklagen sind zulässig. Diesen Leistungsklagen fehlt nicht ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse. Die Argumente der Beklagten, mit denen sie das Rechtsschutzinteresse in Zweifel zieht, betreffen Inhalt, Bedeutung und Grenzen der Auskunftspflicht nach § 2 Abs. 6 BetrAVG. Diese Fragen gehören zur Begründetheit der Klagen.

II. Die Auskunftsklagen sind derzeit unbegründet. Die Kläger können nicht verlangen, daß die Beklagte bei der nach § 2 Abs. 6 BetrAVG zu erteilenden Auskunft das in § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG beschriebene Näherungsverfahren anwendet.

Nach § 2 Abs. 6 BetrAVG hat der Arbeitgeber dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer Auskunft darüber zu erteilen, ob für ihn die Voraussetzungen einer unverfallbaren betrieblichen Altersversorgung erfüllt sind und in welcher Höhe er Versorgungsleistungen bei Erreichen der in der Versorgungsordnung vorgesehenen Altersgrenze beanspruchen kann. § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG regelt, unter welchen Voraussetzungen bei der Berechnung der Versorgungsleistungen das Näherungsverfahren zum Zuge kommt. Entgegen der Auffassung der Kläger räumt § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG dem Arbeitgeber ein Wahlrecht ein. Dieses Wahlrecht entfällt nur, wenn die ausgeschiedenen Arbeitnehmer die für die individuelle Berechnung erforderlichen sozialversicherungsrechtlichen Daten bekanntgeben. Solange dies nicht geschieht, besteht das Wahlrecht.

1. Sind bei der Berechnung der Anwartschaft Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen, so kann nach § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG das bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen allgemein zulässige Verfahren (sog. Näherungsverfahren) zugrunde gelegt werden, wenn nicht der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Anzahl der im Zeitpunkt des Ausscheidens erreichten Entgeltpunkte nachweist. Wie der Senat bereits im Urteil vom 12. November 1991 (– 3 AZR 520/90BAGE 69, 19, 27 = AP Nr. 26 zu § 2 BetrAVG, zu II 4 der Gründe) entschieden hat, muß der Arbeitgeber nicht das Näherungsverfahren anwenden. Er kann stattdessen eine individuelle Berechnung vornehmen (ebenso Blomeyer/Otto, BetrAVG, 2. Aufl., § 2 Rz 436; Höfer, BetrAVG, 4. Aufl., Stand: September 1995, § 2 Rz 1980; zweifelnd Ahrend/Förster/Rößler, Steuerrecht der betrieblichen Altersversorgung, 1. Teil, Arbeitsrechtliche Grundlagen der betrieblichen Altersversorgung, Stand: Oktober 1997, Rz 418).

a) Bereits der Wortlaut spricht für ein Wahlrecht des Arbeitgebers. Das Wort „kann” bedeutet nicht nur im Verwaltungsrecht, sondern auch im Zivilrecht, daß ein bestimmtes Verhalten erlaubt ist, aber nicht zwingend vorgeschrieben wird. Bei einer rechtlichen Verpflichtung werden Formulierungen wie etwa „ist zugrunde zu legen” oder „hat zugrunde zu legen” gebraucht.

b) Ein Wahlrecht des Arbeitgebers entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG und trägt den Interessen beider Vertragspartner Rechnung. Die individuelle Berechnung ist die Grund- und Auffangregel. Weder der Arbeitgeber noch die ausgeschiedenen Arbeitnehmer können das Näherungsverfahren gegen den Willen ihres Vertragspartners durchsetzen. Jede Partei kann auf einer individuellen Berechnung der Anwartschaft bestehen.

aa) Die ausgeschiedenen Arbeitnehmer können jederzeit eine individuelle Berechnung verlangen. Wenn sie die Anzahl der im Zeitpunkt ihres Ausscheidens erreichten Entgeltpunkte nachweisen, darf der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG das Näherungsverfahren nicht mehr anwenden.

bb) Auch der Arbeitgeber kann die individuelle Berechnung durchsetzen. § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG will dem Arbeitgeber die Berechnung der Anwartschaft erleichtern und ihm größeren Aufwand ersparen (vgl. BT-Drucks. 7/1281 S. 27). Er muß jedoch von dieser in seinem Interesse geschaffenen Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Er hat die Wahl, ob er die mit dem Näherungsverfahren verbundenen Nachteile oder den für individuelle Berechnungen erforderlichen zusätzlichen Aufwand vermeiden will.

cc) An sich ist die Verweisung des Betriebsrentengesetzes auf eine pauschalierte steuerliche Berechnungsmethode nicht unbedenklich (vgl. Blomeyer/Otto, aaO, § 2 Rz 434 und 435; Höfer, aaO, § 2 Rz 1982). Über die Ausgestaltung des steuerlichen Näherungsverfahrens entscheidet eine Verwaltungsbehörde. Fiskalische Überlegungen stehen nicht ohne weiteres im Einklang mit den arbeitsrechtlichen Zielen des Betriebsrentengesetzes. Diese Bedenken verlieren nur deshalb ihre Bedeutung, weil sich weder der Arbeitgeber noch die ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf diese Berechnungsmethode einlassen müssen.

c) Der Arbeitgeber muß sein Wahlrecht gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen ausüben. Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte ihren Entscheidungsspielraum überschritten hat.

d) Der ausgeschiedene Arbeitnehmer kann das Wahlrecht des Arbeitgebers nicht dadurch unterlaufen, daß er die für die individuelle Berechnung erforderlichen sozialversicherungsrechtlichen Daten nicht nachweist. Ihn trifft die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, dem Arbeitgeber die benötigten sozialversicherungsrechtlichen Unterlagen auf dessen Kosten zu beschaffen (vgl. Blomeyer/Otto, aaO, § 2 Rz 443; Ahrend/Förster/Rößler, aaO, Rz 418 und 458; wohl auch Höfer, aaO, § 2 Rz 2012). Solange der Arbeitnehmer dieser Pflicht nicht nachkommt, kann der Arbeitgeber die nach § 2 Abs. 6 BetrAVG geschuldete Auskunft verweigern.

e) Wenn der Arbeitgeber die individuelle Berechnung gewählt hat, spielt es entgegen der Ansicht der Kläger keine Rolle, daß bei Anwendung des Näherungsverfahrens eine Auskunftserteilung möglich wäre. Die Auskunft dient dazu, dem Arbeitnehmer Klarheit über die zu erwartende Betriebsrente zu verschaffen, verpflichtet den Arbeitgeber aber nicht dazu, theoretische Berechnungen über eine nicht geschuldete Betriebsrente durchzuführen.

2. Die Beklagte hat das sich aus § 2 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG ergebende Wahlrecht nicht verloren. Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, verpflichtet der Gleichbehandlungsgrundsatz die Beklagte nicht dazu, auf die ausgeschiedenen Tarifangestellten das Näherungsverfahren anzuwenden. Für die AT-Angestellten besteht eine eigenständige, konzerneinheitliche Versorgungsordnung, die das Näherungsverfahren vorsieht. Die besonderen Regelungen für die AT-Angestellten enthalten keine willkürliche Gruppenbildung. Für die Unterscheidung zwischen Tarifangestellten und AT-Angestellten bestehen sachlich einleuchtende Gründe. Die AT-Angestellten sind mit besonders qualifizierten Tätigkeiten und Führungsaufgaben betraut. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß diesen Arbeitnehmern durch konzerneinheitliche Versorgungsregelungen ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Konzerns erleichtert werden soll. Arbeitnehmer in gehobenen Positionen, die der Arbeitgeber enger an das Unternehmen binden will, dürfen begünstigt werden (BAG Beschluß vom 11. November 1986 – 3 ABR 74/85BAGE 53, 309 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; BAG Urteil vom 22. November 1994 – 3 AZR 349/94BAGE 78, 288, 292 = AP Nr. 24 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B III 2 der Gründe).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Dr. Offergeld, H. Frehse

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951824

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