Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sondervergütung. Umfang der Arbeitsleistung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 14 des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer des Betonsteingewerbes Nordwestdeutschland vom 29. April 1982 besteht ein Anspruch auf Jahressonderzuwendung auch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, sofern der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum überhaupt Arbeitsleistung erbracht hat. Der Umfang der Arbeitsleistung ist tarifrechtlich ohne Bedeutung.
Normenkette
Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des Betonsteingewerbes Nordwestdeutschland vom 29. April 1982 § 14; BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 23.02.1989; Aktenzeichen 10 Sa 1866/88) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 30.06.1988; Aktenzeichen 2 Ca 4472/87) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. Februar 1989 – 10 Sa 1866/88 – aufgehoben.
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 30. Juni 1988 – 2 Ca 4472/87 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine tarifliche Jahressondervergütung.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit Oktober 1980 als Betonwerker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des Betonsteingewerbes (Betonund Fertigteilindustrie und Betonsteinhandwerk) Nordwestdeutschland vom 29. April 1982 (RTV) Anwendung.
§ 14 RTV regelt die Jahressondervergütung wie folgt:
- “
Jedem Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht und arbeitnehmerseitig nicht gekündigt ist, ist eine Jahressondervergütung – zahlbar spätestens mit der fälligen Novemberabrechnung – zu gewähren.
Die Jahressondervergütung beträgt:
ab |
1982 |
… |
… |
ab |
1987 |
100 % |
des tariflichen Monatsverdienstes.
Berechnungsformel: Tarifstundenlohn × tarifliche Wochenarbeitszeit gemäß § 3 Ziffer 1 × 4,33.
Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit werden zusammengerechnet, wenn die Unterbrechung nicht vom Arbeitnehmer veranlaßt wurde und wenn sie nicht länger als 6 Monate gedauert hat. In diesem Falle beträgt die Jahressondervergütung 1/12 des Gesamtbetrages nach Absatz 2 für jeden Monat des laufenden Kalenderjahres, in dem der Arbeitnehmer mehr als 12 Tage gearbeitet hat.
- …”
Der Kläger hat im Bezugszeitraum vom 1. Dezember 1986 bis zum 30. November 1987 in der Zeit vom 7. bis zum 22. September 1987 ganztägig sowie am 27. und 28. Oktober 1987 jeweils 2,5 bzw. 4,25 Stunden gearbeitet. In der übrigen Zeit war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig.
Die Beklagte verwehrte dem Kläger deshalb die tarifliche Jahressondervergütung 1987 in unstreitiger Höhe von 2.473,30 DM brutto.
Der Kläger hat gemeint, ihm stehe der Anspruch auf Zahlung der Jahressondervergütung auch für das Jahr 1987 zu, da § 14 RTV keine Arbeitsleistung während des gesamten Bezugszeitraumes voraussetze. Die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erforderliche Arbeitsleistung von mindestens zwei Wochen im Bezugszeitraum habe er erbracht.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.473,30 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, daß der Kläger im Hinblick auf den überwiegenden Entgeltcharakter der Jahressondervergütung keinen Anspruch habe, da § 14 Ziff. 1 Abs. 4 RTV eine höhere Mindestarbeitsleistung als zwei Wochen im Bezugszeitraum fordere.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Jahressondervergütung gemäß § 14 Ziff. 1 Abs. 1 RTV. Diese Regelung gewähre überwiegend eine Sonderzahlung als Belohnung für im Bezugszeitraum geleistete Arbeit. Ein Anreiz für künftige Betriebstreue trete dagegen zurück. Aus § 14 Ziff. 1 Abs. 4 RTV sei zu entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien den Anspruch von einer nicht unwesentlichen Arbeitsleistung im Bezugszeitraum abhängig gemacht haben. Dort sei für die Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit geregelt, daß ein Arbeitnehmer für jeden Monat des laufenden Kalenderjahres eine Sondervergütung erhalte, in dem er mehr als 12 Tage gearbeitet habe. Daraus folge, daß die Tarifvertragsparteien, da sie bereits bei unterbrochener Betriebszugehörigkeit eine Mindestarbeitszeit von mehr als 12 Tagen im Monat als anspruchsbegründend festgesetzt haben, erst recht an den Anspruch auf Zahlung der vollen Jahressondervergütung eine entsprechend höhere Mindestarbeitsleistung knüpfen wollten. Diese Voraussetzung sei bei dem Kläger nicht gegeben, weil er im Kalenderjahr 1987 nur an 12 Werktagen gearbeitet habe.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
II.1. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der Jahressondervergütung in Höhe eines tariflichen Monatsverdienstes gemäß § 14 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 RTV, weil sein Beschäftigungsverhältnis am 30. November 1987 ungekündigt 12 Monate ununterbrochen bestand. Die langandauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit führte nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG Urteile vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation und vom 23. August 1990 – 6 AZR 124/89 – NZA 1991, 69, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
2. Für den Anspruch auf Jahressondervergütung gemäß § 14 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 RTV ist es auch unerheblich, daß der Kläger im Bezugszeitraum nur an 12 Arbeitstagen sowie an zwei Arbeitstagen stundenweise gearbeitet hat.
a) § 14 RTV enthält keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß die Tarifvertragsparteien die Zahlung der Jahressondervergütung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit überhaupt von einer Arbeitsleistung im Bezugszeitraum abhängig machen wollten (vgl. zu einer ausdrücklichen Regelung BAG Urteil vom 23. August 1990 – 6 AZR 124/89 –, aaO). Sie haben die Auswirkung einer längeren krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auf den Anspruch auf Jahressondervergütung überhaupt nicht geregelt. In einem solchen Fall kommt es entscheidend darauf an, welchen Zweck die Tarifvertragsparteien der Jahressondervergütung beilegen wollten. Bei Sondervergütungen mit reinem Entgelt- bzw. mit Mischcharakter, bei der neben der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Erwartung einer zukünftigen Betriebstreue der Entgeltcharakter für geleistete Dienste vorliegt, ist im Zweifel davon auszugehen, daß nur dann kein Anspruch besteht, wenn jegliche Arbeitsleistung fehlt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich geregelt haben, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit für den Anspruch auf Sondervergütung unschädlich ist (BAG Urteil vom 29. August 1979 – 5 AZR 293/79 – AP Nr. 103 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteile vom 23. August 1990 – 6 AZR 124/89 – und vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 –, jeweils aaO).
b) Die Jahressondervergütung gemäß § 14 RTV stellt eine Entgeltzahlung mit Mischcharakter dar. Es wird die Dauer der Betriebszugehörigkeit honoriert und damit eine zusätzliche Vergütung für im Bezugszeitraum geleistete Arbeit bezweckt. Darüber hinaus zeigt jedoch die Bindungsklausel, wonach das Arbeitsverhältnis arbeitnehmerseitig nicht gekündigt sein darf, daß die Tarifvertragsparteien eine weitere anspruchsbegründende Voraussetzung geregelt haben, die zweckbestimmt zukünftige Betriebstreue belohnen soll (vgl. dazu BAG Urteil vom 10. Januar 1991 – 6 AZR 205/89 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Damit besteht der Anspruch des Klägers auf Gewährung der Jahressondervergütung, denn der Kläger hat im Bezugszeitraum Arbeitsleistung erbracht.
3.a) Der Anspruch des Klägers ist aber selbst dann begründet, wenn der Rechtsprechung des früher für Fragen des Gratifikationsrechts zuständigen Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts zu folgen wäre. Danach soll ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung haben, wenn eine Arbeitsleistung als anspruchsbegründende Voraussetzung angenommen werden kann und der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung erbracht hat. Beim Fehlen anderweiter Anhaltspunkte sei diese Voraussetzung bei einer Arbeitsleistung von wenigstens zwei Wochen im Bezugszeitraum erfüllt (vgl. zuletzt BAG Urteile vom 29. August 1979 – 5 AZR 763/78 – und – 5 AZR 511/79 – AP Nr. 102 und 104 zu § 611 BGB Gratifikation). Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 7. September 1989 (– 6 AZR 637/88 –, aaO) bereits Bedenken gegen diese ergänzende Auslegung geltend gemacht. Damit wird eine weitere anspruchsbegründende Voraussetzung für eine Sondervergütung geschaffen. Über den Umfang tatsächlicher Arbeitsleistung im Bezugszeitraum ergeben sich jedoch meist aus den sonstigen Normen eines Regelungswerkes keine sicheren Anhaltspunkte, so daß ohne Begründung auf eine Arbeitsleistung von wenigstens zwei Wochen zurückgegriffen wird. Einer abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage bedarf es im vorliegenden Fall jedoch nicht, denn der Kläger hat im Bezugszeitraum vom 7. bis 22. September 1987 und damit mehr als zwei Wochen gearbeitet.
b) § 14 Ziff. 1 Abs. 4 RTV enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien von einer höheren Arbeitsleistung als zwei Wochen für den Anspruch auf Jahressondervergütung ausgegangen sind.
Nach § 14 Ziff. 1 Abs. 4 RTV werden für den Anspruch auf Jahressondervergütung gemäß § 14 Ziff. 1 Abs. 1 RTV Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen zusammengerechnet. In diesem Fall beträgt die Jahressondervergütung ein Zwölftel des tariflichen Monatsverdienstes für jeden Monat des laufenden Kalenderjahres, in dem der Arbeitnehmer mehr als 12 Tage gearbeitet hat. Die Vorschrift regelt somit Grund und Höhe des Anspruchs auf Jahressonderzuwendung für die Monate, in denen die Betriebszugehörigkeit unterbrochen wird. Für einen solchen Monat erhält der Arbeitnehmer nur dann den vollen tariflichen Monatsverdienst als Sondervergütung, wenn er mehr als 12 Tage in diesem Monat der Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses gearbeitet hat. Darin erschöpft sich diese Regelung. Sie hat keinen Bezug zum Umfang der tatsächlichen Arbeitsleistung im Bezugszeitraum als anspruchsbegründende Voraussetzung.
Aber selbst wenn die Vorschrift des § 14 Ziff. 1 Abs. 4 RTV Anhaltspunkte für das Maß notwendiger Arbeitsleistung gäbe, erfüllt der Kläger diese Voraussetzungen. Er hat nämlich mehr als 12 Tage im Bezugszeitraum gearbeitet. Die Tatsache, daß sich die Arbeitstage auf zwei Kalendermonate verteilen, ist unschädlich. Denn bei sachgerechter, am Sinn und Zweck der Regelung orientierter Auslegung, ist nicht auf den Monat der tatsächlichen Tätigkeit, sondern auf den gesamten Bezugszeitraum abzustellen. Der Anspruch auf Jahressondervergütung hinge sonst von dem infolge Krankheit nicht beeinflußbaren Umstand ab, ob die Arbeitsleistung in einem Monat erbracht wird oder nicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Jobs, Dörner, Bitter, Möller-Lücking, Fohrmann
Fundstellen
Haufe-Index 839226 |
BAGE, 19 |
BB 1991, 1342 |
RdA 1991, 189 |