Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung zur Vertretung
Normenkette
BGB § 620
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 9. Oktober 1997 – 10 Sa 47/97 – wird auf Kosten des beklagten Landes zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die wirksame Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger wird seit dem 9. August 1993 von dem beklagten Land als Lehrer für die Fächer Französisch und Deutsch an der J… -Schule eingesetzt. Nach dem Arbeitsvertrag vom 1. September 1993 war er für die Zeit vom 9. August 1993 bis zum 27. Juli 1994 als Aushilfsangestellter in Vollzeit zur Vertretung in Deutsch und Französisch bis zur Wiederbesetzung der Fachbereichsleiterstelle der Frau Dr. E… beschäftigt. Daran schloß sich ein für die Zeit vom 28. August 1994 bis zum 12. August 1995 vereinbarter Zeitvertrag vom 10. August 1994 zur Vertretung für die nicht besetzte Stelle von Frau Dr. E… in Vollzeit an. Wegen der geänderten Ferienordnung der J… -Schule wurde das Arbeitsverhältnis im Januar 1995 bis zum 20. August 1995 verlängert.
Die dem Kläger arbeitsvertraglich zugeordnete Fachbereichsleiterin war bereits im Mai 1993 verstorben. Ihre Stelle war seitdem vakant. Das am 15. Oktober 1993 eingeleitete Stellenbesetzungsverfahren war im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht abgeschlossen.
Im Arbeitsvertrag vom 10. August 1995, nachdem der Kläger befristet für die Zeit vom 21. August 1995 bis zum 18. August 1996 vollzeitbeschäftigt zur Vertretung von zwei anderen Lehrerinnen wurde, behielt sich der Kläger vor, die Unwirksamkeit der Befristung des vorherigen Arbeitsvertrags geltend zu machen.
Nachdem der Kläger am 1. Juli 1996 Klage auf Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses erhoben hatte, vereinbarten die Parteien erneut unter Vorbehalt am 19. August 1996 für die Dauer des Sabbatical-Freistellungsjahres von einer weiteren Lehrerin ein bis zum 17. August 1997 befristetes Arbeitsverhältnis mit einer Teilzeitbeschäftigung von 14 von 21 Pflichtwochenstunden. Der Kläger hat die ihm arbeitsvertraglich zugeordneten Lehrkräfte weder unmittelbar noch mittelbar vertreten.
Er hat gemeint, die Befristungen seien unwirksam, weil ein Vertretungsfall nicht vorgelegen habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu ansonsten unveränderten Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 10.08.1995 besteht.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Einstellung des Klägers sei erfolgt, um die Zeit bis zur Besetzung der Funktionsstelle der verstorbenen Fachbereichsleiterin zu überbrücken. Im übrigen beruhe die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf einem für den Bereich des Landesschulamtes ermittelten Gesamtvertretungsbedarf an Lehrkräften. Auch bei einer unwirksamen Befristung des Arbeitsvertrags bestehe zwischen den Parteien nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis. Der vom Kläger erklärte Vorbehalt zum Arbeitsvertrag vom 19. August 1996 betreffe lediglich die Dauer der arbeitsvertraglichen Bindungen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision erstrebt das beklagte Land die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, daß zwischen den Parteien infolge der unwirksamen Befristung des Arbeitsvertrags vom 10. August 1994 ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis besteht.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle auf den Zeitvertrag vom 10. August 1994 erstreckt. Die nachfolgenden Fristverträge vom 10. August 1995 und vom 19. August 1996 sind jeweils unter Vorbehalt vereinbart worden.
1. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung (zuletzt BAG Urteil vom 15. Februar 1995 – 7 AZR 680/94 – AP Nr. 166 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.) ist bei mehreren aufeinanderfolgenden Fristverträgen im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle grundsätzlich nur die Befristung des letzten Zeitvertrags auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Denn durch den vorbehaltlosen Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrags stellen die Parteien ihre arbeitsvertraglichen Beziehungen auf eine neue Rechtsgrundlage, die künftig für ihre Rechtsbeziehungen maßgeblich sind. Das gilt nicht, wenn die Parteien in einem nachfolgenden befristeten Vertrag dem Arbeitnehmer das Recht vorbehalten, die Wirksamkeit der vorangehenden Befristung überprüfen lassen zu können. Dieser Vorbehalt hat die Funktion, die arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle auch für den davor liegenden Vertrag zu eröffnen (BAG Urteil vom 4. April 1990 – 7 AZR 259/89 – BAGE 65, 86 = AP Nr. 136 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.).
2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien bei Abschluß der Zeitverträge vom 10. August 1995 und vom 19. August 1996 einen Vorbehalt vereinbart, der die gerichtliche Kontrolle der jeweils vorangegangenen Befristung zuläßt. Dem Arbeitsvertrag vom 10. August 1995 vorausgegangen war der Arbeitsvertrag vom 10. August 1994 für die Zeit vom 28. August 1994 bis zum 12. August 1995. Daran schloß sich an eine Ende Januar 1995 getroffene Vereinbarung für die Zeit vom 13. August bis 20. August 1995. Dabei kann offenbleiben, ob die Parteien damit den Zeitvertrag vom 10. August 1994 lediglich ergänzt oder ihr Vertragsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt haben. Auch wenn es sich um einen selbständigen Vertrag handeln sollte, ist der Vertrag vom 10. August 1994 in die arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle einzubeziehen. Bei der Vereinbarung vom Januar 1995 handelt es sich um einen sog. Annexvertrag. Dieser eröffnet auch ohne gesonderte Vereinbarung eines Vorbehalts die Kontrolle des vorausgegangenen Vertrags, weil er lediglich eine geringfügige Korrektur des im früheren Vertrag vereinbarten Endzeitpunkts betrifft, diese Korrektur sich am Sachgrund für die Befristung des früheren Vertrages orientiert und der Vertragsschluß der Anpassung der ursprünglichen Vertragszeit an später eintretende, im Zeitpunkt des vorangegangenen Vertragsschlusses nicht vorhersehbare Umstände dient (BAG Urteil vom 15. Februar 1995 – 7 AZR 680/94 – AP Nr. 166 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung zur einwöchigen Verlängerung der Laufzeit des Vertrags vom 10. August 1994 bezieht sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung in der Ferienordnung der J… -Schule und bezweckt damit eine Anpassung der Laufzeit des Zeitvertrags vom 10. August 1994.
II. Für die Befristung des Arbeitsvertrags vom 10. August 1994 hat ein Sachgrund nicht vorgelegen.
1. Auf den vom Landesarbeitsgericht geprüften Sachgrund der Gesamtvertretung kommt es für die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsvertrags vom 10. August 1994 allerdings nicht an. Auf diesen Sachgrund kann sich das beklagte Land nicht berufen, weil es einen Gesamtvertretungsbedarf an Lehrkräften erst für das Schuljahr 1995/1996 ermittelt hat, nachdem das Landesschulamt seit dem 1. Februar 1995 zentral für den Personaleinsatz von Lehrern an sämtlichen Berliner Schulen zuständig geworden war. Dabei handelt es sich um Umstände, die erst nach Abschluß des Zeitvertrags vom 10. August 1994 aufgetreten sind und deshalb bei der Prüfung der Wirksamkeit der Befristung dieses Zeitvertrags außer Acht bleiben müssen. Für den Sachgrund der Gesamtvertretung bezogen auf den Bereich der für den Lehrereinsatz im Schuljahr 1994/1995 zuständigen Bezirksbehörde fehlt es an konkretem Vorbringen des beklagten Landes. Die dem Gesamtvertretungsbedarf zugrunde liegenden Prognosen zum Vertretungsbedarf an Lehrkräften im Bereich des Landesschulamtes können für die Ermittlung des Gesamtvertretungsbedarfs an Lehrkräften für den wesentlich kleineren Zuständigkeitsbereich einer Bezirksbehörde nicht übertragen werden.
2. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die Befristung des Arbeitsvertrags vom 10. August 1994 auch nicht aus Gründen der Vertretung sachlich gerechtfertigt ist. Nach den ungerügten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger nach diesem Vertrag als Aushilfsangestellter zur Vertretung für eine nicht besetzte Fachbereichsleiterstelle eingestellt worden. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ergibt sich die Unwirksamkeit der darauf gestützten Befristung nicht daraus, daß der Kläger die frühere Stelleninhaberin weder unmittelbar noch mittelbar vertreten hat. An einem Sachgrund fehlt es vielmehr deswegen, weil das beklagte Land einen vorübergehenden Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers nicht dargelegt hat.
a) Die Einstellung eines Arbeitnehmers zur unmittelbaren oder mittelbaren Vertretung eines zeitweilig ausfallenden Mitarbeiters ist in der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als sachlicher Befristungsgrund anerkannt, weil der Arbeitgeber seinen Arbeitskräftebedarf an sich bereits durch den Arbeitsvertrag bzw. das Beamtenverhältnis mit dem Vertretenen abgedeckt hat und deshalb an der Arbeitskraft des Vertreters von vornherein nur ein vorübergehender, zeitlich durch die Rückkehr des Vertretenen begrenzter Bedarf besteht (BAG Urteil vom 24. September 1997 – 7 AZR 669/96 – AP Nr. 192 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Nach den Wertungsmaßstäben der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle ist in diesen Fällen die Befristung eines Arbeitsvertrags nicht funktionswidrig und stellt keine objektive Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes dar, wenn die Vertragsparteien aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte die Prognose stellen können, die Beschäftigungsmöglichkeit für den befristet eingestellten Arbeitnehmer werde zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses entfallen (BAG Urteil vom 3. Dezember 1997 – 7 AZR 651/96 – AP Nr. 196 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Dieser Sachgrund ist im Streitfall nicht gegeben. Das beklagte Land hatte keinen vorübergehenden Bedarf wegen feststehender Rückkehr eines dauerhaft beschäftigten Mitarbeiters.
b) Das beklagte Land kann sich auch nicht darauf berufen, den Arbeitsvertrag mit dem Kläger bis zur Neubesetzung der Stelle befristet zu haben. Zwar kann sich ein vorübergehender Bedarf an der Arbeitsleistung einer Vertretungskraft daraus ergeben, daß die fragliche Stelle künftig mit einem qualifizierteren Bewerber dauerhaft besetzt werden soll. Dann hat der Arbeitgeber eine auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Vertretungskraft bezogene Prognose zu erstellen, aus der sich die Besetzung der vorhandenen Stelle zum Ende der Befristung ergibt. Wird diese Prognose wie im Streitfall durch die nachfolgenden Ereignisse nicht bestätigt, hat der Arbeitgeber darüber hinaus substantiiert vorzutragen, aus welchen Gründen er von der Richtigkeit seiner damaligen Prognose zu einem vorübergehenden Vertretungsbedarf ausgehen konnte und warum der erwartete Sachverhalt nicht eingetreten ist (BAG Urteil vom 12. September 1996 – 7 AZR 790/95 – AP Nr. 182 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu II 3b der Gründe). Diesen Anforderungen genügt der pauschale Hinweis des beklagten Landes auf das im Oktober 1993 eingeleitete, zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht abgeschlossene Stellenbesetzungsverfahren nicht.
3. Danach besteht zwischen den Parteien infolge der unwirksamen Befristung des Arbeitsvertrags vom 10. August 1994 ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis.
Auf die Auslegung der Vorbehaltserklärung zum Arbeitsvertrag vom 19. August 1996 kommt es demnach nicht an.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Schmidt, Mikosch, P. Haeusgen, Meyer
Fundstellen