Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsschaden wegen verspäteter Anmeldung
Leitsatz (redaktionell)
1. Allein aus dem Beitritt des öffentlichen Arbeitgebers zu einer Zusatzversorgungskasse kann der Arbeitnehmer noch kein Recht herleiten, an dem Versorgungswerk der Kasse beteiligt zu werden. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber nach der Satzung der Kasse verpflichtet ist, den Arbeitnehmer anzumelden.
2. Hat aber der Arbeitgeber seinen Beitritt zur Zusatzversorgungskasse im Betrieb verlautbart und praktiziert, dann hat der Arbeitnehmer, der die satzungsmäßigen Voraussetzungen erfüllt, einen vertraglichen Anspruch darauf, daß der Arbeitgeber ihn zur Kasse anmeldet (ständige Rechtsprechung des Senats seit dem Urteil vom 12. Juli 1968 - 3 AZR 218/67 - AP Nr 128 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Der Arbeitgeber kann dann die Anmeldung nicht von einer längeren Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers oder von sonstigen Voraussetzungen abhängig machen, die in der Satzung der Kasse nicht vorgesehen sind.
Normenkette
BGB §§ 198, 249, 254, 280, 286, 611; ZPO § 139; BetrAVG § 1; ZPO § 561 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz, weil sie ihn verspätet zur Zusatzversorgungskasse angemeldet habe.
Der am 18. April 1928 geborene Kläger war vom 1. Mai 1944 bis zum 31. Mai 1988 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Seit dem 1. Juni 1988 bezieht er eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Zusatzversorgung aus der Zusatzversorgungskasse der bayerischen Gemeinden (ZVK), deren Mitglied die Beklagte seit 1. April 1943 ist.
§ 13 der ZVK-Satzung vom 28. Juni 1940 regelt die Voraussetzungen, unter denen ein Mitglied der ZVK seine Beschäftigten als Versicherte bei der Kasse anzumelden hat. Die Vorschrift lautet:
"§ 13.
Versicherte.
1. Das Mitglied hat alle nicht im Beamtenverhält-
nis stehenden Gefolgschaftsangehörigen mit einem
monatlichen Dienstbezug bis zu 600 RM als
Pflichtversicherte bei der Kasse zu versichern,
soweit diese
a) mindestens 1.300 Arbeitsstunden im Jahr be-
schäftigt werden und mehr als 18 Jahre alt,
b) beim Eintritt oder Wiedereintritt in das
Beschäftigungsverhältnis bei dem Mitglied
noch nicht 45 Jahre alt und
c) nicht nur auf eine bestimmte Zeit, für eine
bestimmte Arbeit oder zur Vertretung oder
Aushilfe eingestellt sind.
2. Gefolgschaftsangehörige mit einem monatlichen
Dienstbezug über 600 RM können als freiwillig
Versicherte aufgenommen werden.
..."
Bis zum 1. Januar 1985 bezogen Versorgungsberechtigte bei 35 Beitragsjahren eine Zusatzversorgungsrente von 75 % des letzten Bruttogehaltes. Ab dem 1. Januar 1985 betrug die Zusatzversorgung höchstens 91,75 % des Nettogehalts bei einer Versicherungszeit von 35 Beitragsjahren. Versicherte, die bis zum 31. Dezember 1984 bereits 35 Beitragsjahre zurückgelegt hatten, wurden von der Neuregelung ausgenommen und erhielten ihre Zusatzversorgung noch auf der Grundlage des Bruttogehalts. Für Versicherte, die bis zum 31. Dezember 1984 noch keine 35 Beitragsjahre zurückgelegt hatten, wurde eine Übergangsregelung geschaffen. Diese Regelung sah einen Ausgleichsbetrag in Höhe der Differenz zwischen Versorgungsrente ohne Nettobegrenzung und Versorgungsrente mit Nettobegrenzung vor, der in einem Zeitraum von sechs Jahren abzubauen war.
Die Beklagte hatte den Kläger ab 1. April 1954 bei der ZVK versichert. Wäre der Kläger vor dem 1. Januar 1950 angemeldet worden, hätte sich die Satzungsänderung ab 1. Januar 1985 auf seine Zusatzversorgung nicht ausgewirkt, da er dann bis zum 31. Dezember 1984 35 Beitragsjahre zurückgelegt hätte.
Mit Bescheid vom 1. Juni 1988 hat die Bayerische Versicherungskammer für den Kläger einen Ausgleichsbetrag von monatlich 556,20 DM ermittelt, den sie satzungsgemäß ab 1. Januar 1990 um jährlich 92,70 DM abbaut. Mit der am 27. Dezember 1989 erhobenen Klage verlangt der Kläger die einbehaltenen Ausgleichsbeträge als Schadensersatz wegen verspäteter Anmeldung zur ZVK.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihre Fürsorgepflicht verletzt. Sie sei verpflichtet gewesen, ihn satzungsgemäß ab 18. April 1946 (Vollendung seines 18. Lebensjahres) bei der ZVK als Pflichtversicherten anzumelden. Dazu hat der Kläger behauptet, die Beklagte habe von 1943 bis 1950 mindestens zehn Angestellte bei der ZVK angemeldet. Seine Anmeldung sei mit der Bemerkung abgelehnt worden, er sei noch zu jung. Im übrigen hat der Kläger die Ansicht vertreten, die Beklagte habe ihn spätestens bei der anstehenden Änderung der ZVK-Satzung auf die Möglichkeit einer Nachversicherung der Zeiten ab 1. Mai 1946 bis 31. März 1954 aufmerksam machen müssen. Die Beklagte müsse ihm daher die Minderung des Ausgleichsbetrages in Höhe von 92,70 DM monatlich ab 1. Januar 1990 ersetzen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit
vom 1. Januar 1990 bis 1. Oktober 1990 927,-- DM
(10 x 92,70 DM) nebst 4 % Zinsen seit 1. November
1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger ab 18. April 1946 bei der ZVK zu versichern. Die ZVK-Satzung könne keine Ansprüche des Klägers begründen. Aus dem Beitritt eines Arbeitgebers zu einer Pensionskasse folge nicht die Pflicht, versicherungsberechtigte Arbeitnehmer bei der Pensionskasse anzumelden. Sie habe 1943 lediglich zwei Angestellte bei der ZVK angemeldet, die damals bereits 20 Jahre lang bei ihr beschäftigt gewesen seien. Dem Kläger stehe daher kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Fürsorgepflichten zu. Vorsorglich weise sie darauf hin, daß der Kläger in der Zeit, in der er nicht zur ZVK angemeldet worden sei, Beitragsanteile erspart habe. Auch mache sie ein Mitverschulden des Klägers geltend, da dieser keine Nachversicherung verlangt habe. Im übrigen sei der Anspruch verjährt, da die Pflichtverletzung am 18. April 1946 gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten als Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung (§§ 280, 286, 249 BGB) die Minderung des Ausgleichs ab 1. Januar 1990 ersetzt verlangen.
1.Die Beklagte hat ihre Vertragspflichten gegenüber dem Kläger schuldhaft verletzt.
a)Nach § 13 der ZVK-Satzung war die Beklagte der ZVK gegenüber verpflichtet, den Kläger ab 18. April 1946 (Vollendung seines 18. Lebensjahres) als Pflichtmitglied zu versichern. Die Voraussetzungen dieser Satzungsbestimmung erfüllte der Kläger. Insbesondere war der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 561 Abs. 2 ZPO), zu diesem Zeitpunkt Angestellter und damit "Gefolgschaftsmitglied" im Sinne der ZVK-Satzung.
b)Der Beklagten ist zuzustimmen, daß ein Arbeitnehmer allein aus dem Beitritt seines Arbeitgebers zu einer Zusatzversorgungskasse noch kein Recht herleiten kann, an dem Versorgungswerk der Kasse beteiligt zu werden. Die satzungsmäßige Verpflichtung der Beklagten (§ 13 ZVK-Satzung) begründete für den Kläger noch keinen vertraglichen Anspruch auf Anmeldung zur Zusatzversorgung. Hat der Arbeitgeber aber seinen Beitritt zur Zusatzversorgungskasse im Betrieb verlautbart und praktiziert, dann hat der einzelne Arbeitnehmer einen vertraglichen Anspruch darauf, daß der Arbeitgeber ihn zur Kasse anmeldet, sofern deren Satzung dies zuläßt (ständige Rechtsprechung des Senats seit dem Urteil vom 12. Juli 1968 - 3 AZR 218/67 - AP Nr. 128 zu § 242 BGB Ruhegehalt).
c)Im vorliegenden Fall ergibt sich die arbeitsvertragliche Verpflichtung der Beklagten, den Kläger satzungsgemäß zur ZVK anzumelden, aus der tatsächlichen Handhabung der Beklagten in ihrer Verwaltung in Verbindung mit dem Vertrauensgrundsatz. Die Beklagte hat nach ihrem Beitritt zur ZVK von der Möglichkeit, ihren Arbeitnehmern eine Zusatzversorgung zu verschaffen, Gebrauch gemacht. Sie hat einige Angestellte versichert. Aus arbeitsrechtlichen Gründen der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes durfte sich die Beklagte nicht auf die Versicherung einiger Arbeitnehmer beschränken. Sie war vielmehr arbeitsvertraglich verpflichtet, alle ihre Arbeitnehmer zur ZVK anzumelden, die die satzungsmäßigen Voraussetzungen erfüllten. Die Beklagte durfte die Anmeldung nicht von einer längeren Beschäftigungsdauer oder von sonstigen Voraussetzungen, die in der ZVK-Satzung nicht vorgesehen waren, abhängig machen.
2.Das Verhalten der Beklagten war für den Schaden des Klägers ursächlich. Hätte die Beklagte den Kläger 1946 auf ihre Verpflichtung hingewiesen, ihn bei der ZVK zu versichern, wäre der Kläger zur Beitragsbeteiligung bereit gewesen. Es ist davon auszugehen, daß kein Arbeitnehmer sich rentenschädigend verhält (BAG Urteil vom 18. Dezember 1984 - 3 AZR 168/82 - AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 2 der Gründe, m.w.N.). Es kann daher als erwiesen angesehen werden, daß der Kläger bei sachgemäßer Belehrung sein Eigeninteresse in vernünftiger Weise gewahrt hätte. Wäre der Kläger 1946 bei der ZVK versichert worden, hätte ihn die Satzungsänderung vom 1. Januar 1985 nicht betroffen.
3.An der Entstehung und am Umfang des Schadens trifft den Kläger kein den Umfang der Schadensersatzverpflichtung einschränkendes Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 und 2 BGB).
a)Nach § 254 Abs. 1 BGB hängen die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend vom Kläger oder von der Beklagten verursacht worden ist. Es kann offenbleiben, ob der Kläger, wie er behauptet, 1946 von der Beklagten gefordert hatte, bei der ZVK versichert zu werden. Auch wenn er dies nicht getan hätte, müßte ein in diesem Unterlassen zu sehendes mitwirkendes Verschulden im Hinblick auf das erheblich höhere Verschulden der Beklagten außer Betracht bleiben. Als Arbeitgeberin des öffentlichen Dienstes hätte die Beklagte den Kläger über die bestehende Versicherungsverpflichtung bei der ZVK im Alter von 18 Jahren hinweisen müssen (zur Belehrungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers vgl. BAGE 14, 193 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst; BAG Urteil vom 18. Dezember 1984 - 3 AZR 168/82 - AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG Urteil vom 15. Oktober 1985 - 3 AZR 612/83 - AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen). Die Beklagte mußte, nachdem sie 1943 die ersten Angestellten bei der ZVK anmeldete, darauf hinweisen, daß sie als Mitglied der ZVK alle Arbeitnehmer, die unter die Versicherungspflicht nach § 13 Abs. 1 ZVK-Satzung fielen, zur Zusatzversorgung anzumelden hatte. Diese Belehrungspflicht hat die Beklagte verletzt. Von dem Kläger konnte nicht erwartet werden, daß er von sich aus tätig wird, zumal er 1946 möglicherweise gar keine Kenntnis davon hatte, daß die Beklagte Mitglied der ZVK war.
b)Der Kläger hat auch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ist dem Geschädigten als Mitverschulden anzurechnen, wenn er es unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern.
Zwar hätte der Kläger möglicherweise im Zusammenhang mit der Satzungsänderung vom 1. Januar 1985 eine Nachversicherung der offenen Beschäftigungszeiten vom 1. Mai 1946 bis 31. März 1954 erreichen können. Aber auch hier war es in erster Linie Sache der Beklagten, den Kläger auf die Nachversicherungsmöglichkeit hinzuweisen.
Im übrigen ist der Vortrag der Beklagten zur Nachversicherung widersprüchlich. Einerseits macht sie ein Mitverschulden des Klägers geltend, weil dieser keine Nachversicherung verlangt habe. Andererseits verteidigt sie sich gegen den Vorwurf eigener Pflichtwidrigkeit mit dem Hinweis, daß eine Nachversicherung bei der Zusatzversorgungskasse nicht möglich gewesen sei.
4.Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den 18. April 1946 als dem Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses abzustellen. Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs (§ 198 BGB). Der Schadensersatzanspruch entsteht nicht vor Eintritt des Schadens. Dies war erst im Jahre 1990 der Fall, als dem Kläger der Ausgleichsbetrag erstmals gekürzt wurde.
5.Auch die Berechnung des Schadens ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Kläger hat unter Vorlage des Rentenbescheids vom 1. Juni 1988 dargelegt, daß bei ihm der Ausgleichsbetrag von monatlich 556,20 DM ab 1. Januar 1990 in der Weise abgebaut wird, daß die ZVK-Rente ab 1. Januar 1990 um monatlich 92,70 DM gekürzt wird. Dies ergibt für die eingeklagten zehn Monate einen Betrag von 927,-- DM.
Zwar hat der Kläger durch die Nichtversicherung in der Zeit vom 1. Mai 1946 bis 31. März 1954 anteilige eigene Versicherungsbeiträge erspart. Für die Tatsachen, die einen Schadensersatzanspruch aus Gründen der Vorteilsausgleichung mindern sollen, ist nicht der Geschädigte, sondern der Ersatzpflichtige darlegungs- und gegebenenfalls beweispflichtig (vgl. BGH Urteil vom 24. April 1985 - VIII ZR 95/84 - BGHZ 94, 195, 217). Es war also Sache der Beklagten im einzelnen darzulegen, welche Beiträge der Kläger durch die unterbliebene Versicherung ersparte.
Die in diesem Zusammenhang von der Beklagten erhobene Rüge der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) ist nicht zulässig. Die Beklagte hat nicht angegeben, welche Fragen hätten gestellt werden müssen und vor allem, was die Partei darauf geantwortet hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Urteil vom 10. Juni 1988 - 2 AZR 7/88 - AP Nr. 5 zu § 1 BeschFG 1985).
6.Der Zinsausspruch war dem in der Revision gestellten Antrag des Klägers entsprechend zu korrigieren.
Dr. Heither Griebeling Dr. Wittek
Dr. Hoppe Paul
Fundstellen
DB 1992, 2252 (LT1-2) |
NZA 1993, 263 |
NZA 1993, 263-264 (LT1-2) |
RdA 1992, 350 |
ZTR 1992, 472-473 (LT1-2) |
AP § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen (LT1-2), Nr 34 |
EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht, Nr 58 (LT1-2) |
EzBAT § 46 BAT, Nr 18 (LT1-2) |
PersV 1994, 555 (L) |