Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Arbeitnehmers bei Doppelarbeitsverhältnis

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1, §§ 168, 317, 381 Abs. 1, §§ 393-395, 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 1228 Abs. 1 Nr. 4, § 1385 Abs. 4 Buchst. a, §§ 1396, 1397 Abs. 1, 3, § 1400; SGB IV § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; BGB §§ 242, 249-250, 280, 286, 826; ZPO § 138

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 30.11.1988; Aktenzeichen H 4 Sa 85/88)

ArbG Hamburg (Urteil vom 18.07.1988; Aktenzeichen H 2 Ca 432/87)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 30. November 1988 – H 4 Sa 85/88 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Beklagte war bei der Klägerin als Raumpflegerin beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 1. August 1983 hatten die Parteien eine Arbeitszeit von zehn Stunden wöchentlich und einen monatlichen Festlohn von 350,– DM vereinbart. Im Abschnitt „Angaben zur Beurteilung der Sozialversicherungspflicht/-freiheit” hat die Beklagte die Frage unter Ziff. 3, ob sie gegenwärtig noch andere Beschäftigungen ausübe, verneint. Am Ende des Vertragstextes heißt es:

„Ich verpflichte mich, die Aufnahme jeder weiteren Beschäftigung sowie jede Tatsache, die für die Beurteilung der Versicherungspflicht entscheidend sein könnte und Änderungen in meinen persönlichen Daten sofort mitzuteilen.”

Am 30. November 1987 forderte die Nebenintervenientin die Klägerin auf, die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung für die Beklagte nachzuentrichten, die im Arbeitsverhältnis der Parteien auf die Zeit vom 1. September 1983 bis 31. Oktober 1983 entfallen. In dieser Zeit sei die Beklagte außer bei der Klägerin gleichzeitig bei der Firma S. beschäftigt gewesen. Diese Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) betrugen 206,58 DM. Auf den von ihr angefochtenen Nachforderungsbescheid der Nebenintervenientin hat die Klägerin bisher keine Zahlungen geleistet.

Mit der am 5. Januar 1988 zugestellten Klage hat die Klägerin Schadenersatz verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe sich pflichtwidrig verhalten, indem sie die anderweitige Beschäftigung nicht mitgeteilt habe. Die Beklagte müsse deshalb dafür haften, daß für die Zeit der Doppelbeschäftigung im Arbeitsverhältnis der Parteien die Beitragspflicht entstanden sei. Dies habe, wie der Beklagten bekannt gewesen sei, durch den geringen Umfang der Beschäftigung vermieden werden sollen. Die Beklagte müsse die Arbeitgeberanteile und die Arbeitnehmeranteile ersetzen. Das sozialversicherungsrechtliche Nachforderungsverbot könne zugunsten der Beklagten keine Anwendung finden, weil einem Arbeitnehmer nicht erlaubt sei, einseitig und für sich kostenlos die Sozialversicherungspflicht herbeizuführen. Darin liege eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitgebers. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 206,58 DM zu zahlen,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von allen Inanspruchnahmen der Nebenintervenientin freizuhalten, die der Nebenintervenientin gegenüber der Klägerin daraus erwachsen können, daß die Beklagte auch anderweitig einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nachgegangen ist,

weiter hilfsweise

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die dieser daraus entstanden sind und noch entstehen können, daß die Beklagte einer anderweitigen geringfügig entlohnten Beschäftigung nachgegangen ist.

Die Beklagte, die am 31. Oktober 1983 aus dem Betrieb der Klägerin ausgeschieden ist, hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat mit Nichtwissen bestritten, daß sie neben der Beschäftigung bei der Klägerin weitere Beschäftigungen ausgeübt habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist unbegründet.

I. Dies ergibt sich allerdings für den auf Zahlung gerichteten Hauptantrag nicht daraus, daß die Klägerin bisher keine Zahlungen an die Nebenintervenientin geleistet hat. Zwar besteht der Schaden, den die Klägerin behauptet, einstweilen nur in der Belastung mit einer Verbindlichkeit gegenüber der Nebenintervenientin, was zur Folge hat, daß der Ersatzanspruch der Klägerin nach § 249 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht auf Zahlung, sondern auf Befreiung von dieser Verbindlichkeit gerichtet ist. Nach § 250 Satz 2 Halbsatz 1 BGB geht der Freistellungsanspruch jedoch in einen Geldanspruch über, wenn der Geschädigte erfolglos eine Frist zur Naturalherstellung mit Ablehnungsandrohung gesetzt hat. Diese Bestimmung greift hier ein, obwohl die Klägerin es an diesen Erklärungen hat fehlen lassen. Ebenso wie beim Verzug sind Fristsetzung und Ablehnungsandrohung entbehrlich, wenn der Schuldner die Naturalherstellung oder überhaupt jede Schadenersatzleistung ernsthaft und endgültig abgelehnt hat. In diesem Fall wandelt sich der Befreiungsanspruch in dem Zeitpunkt in eine Geldforderung um, in welchem der Berechtigte Geldersatz fordert. Für die Annahme einer ernsthaften und endgültigen Ablehnung der Schadenersatzforderung genügt es, wenn der Schädiger sich während des Rechtsstreits mit dem Geschädigten beharrlich auf den Standpunkt stellt, seine Haftung bestehe schon dem Grund nach nicht (BGHZ 40, 345, 352; BGH (Urteil vom 2. April 1987 – IX ZR 68/86 – BB 1987, 1201, 1202). So liegt der Fall nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier.

II. Der Zahlungsanspruch besteht jedoch nicht. Für die Beurteilung der Rechtslage ist zwischen den Arbeitgeberanteilen und den Arbeitnehmeranteilen der Sozialversicherungsbeiträge zu unterscheiden. Die Klägerin hat, soweit sie den Ersatz der an die Nebenintervenientin zu entrichtenden Arbeitgeberanteile begehrt, nicht behauptet, daß ihr durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden sei. Soweit die Klage auf Ersatz der Arbeitnehmeranteile gerichtet ist, ist die Klägerin zwar durch das Verhalten der Beklagten geschädigt worden. Sie kann dafür jedoch aus Rechtsgründen keinen Ersatz verlangen. Dabei geht der Senat davon aus, daß das Arbeitsverhältnis zu der Firma S. bestand. Die Beklagte hat diese Behauptung der Klägerin mit Nichtwissen bestritten. Dies war unzulässig (§ 138 Abs. 4 ZPO).

1. Die Beklagte hat es pflichtwidrig unterlassen, die Klägerin über das weitere Arbeitsverhältnis zu unterrichten, das sie gleichzeitig zu der Firma S. unterhielt.

Die Beklagte hat nach dem Vertragsabschluß der Parteien die weitere Beschäftigung bei der Firma S. aufgenommen. Sie hat dadurch, daß sie der Klägerin dies nicht mitteilte, ihren Arbeitsvertrag mit der Klägerin verletzt (§§ 280, 286 BGB analog). Der Senat hat bereits im Urteil vom 18. November 1988 (BAGE 60, 135 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis, mit Anm. von Gitter) entschieden, daß ein Arbeitnehmer, der geringfügig beschäftigt und daher in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung versicherungsfrei ist, verpflichtet ist, die Aufnahme einer weiteren geringfügigen Beschäftigung seinem Arbeitgeber mitzuteilen.

2. Durch das schuldhafte Verhalten der Beklagten sind der Klägerin zusätzliche Aufwendungen entstanden.

Nach § 8 Abs. 2 SGB IV war die bei der Klägerin ausgeübte geringfügige Beschäftigung mit der gleichzeitig bei der anderen Arbeitgeberin ausgeübten geringfügigen Beschäftigung zusammenzurechnen. Dadurch wurde die Grenze der Geringfügigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV überschritten und die Versicherungsfreiheit entfiel. Nach § 8 Abs. 1 SGB IV ist eine Beschäftigung nur dann geringfügig, wenn sie weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig einen bestimmten Betrag im Monat nicht übersteigt. Für die Zeit der Doppelbeschäftigung der Beklagten betrug er 390,– DM (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 a SGB IV). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte während dieser Zeit diese Grenzen der Geringfügigkeit überschritten.

3. Die zusätzlichen Aufwendungen der Klägerin stellen jedoch nur insoweit einen durch das Verhalten der Beklagten verursachten Schaden dar, als es sich um die Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge handelt, die die Klägerin gegenüber der Nebenintervenientin tragen muß.

a) Das Verhalten der Beklagten war nicht ursächlich, soweit die Klägerin die Arbeitgeberanteile tragen muß (§ 381 Abs. 1, § 1385 Abs. 4 Buchst. a RVO). Die Beklagte hat es unterlassen, der Klägerin Auskunft zu erteilen. Dies allein führte jedoch nicht zu dem Schaden der Klägerin. Nur wenn die Klägerin bei Erteilung der Auskunft ihrerseits Maßnahmen zur Vermeidung der Beitragspflicht ergriffen hätte, das Arbeitsverhältnis also gekündigt hätte, war die Beitragspflicht Folge der Pflichtverletzung der Beklagten. Die Klägerin hat jedoch nicht behauptet, daß sie auf die Mitteilung der Beklagten in dieser Weise reagiert hätte. Sie hat in tatsächlicher Hinsicht nur vorgetragen, die Beklagte habe das weitere Arbeitsverhältnis nicht mitgeteilt. Diese Behauptung läßt auch die Möglichkeit offen, daß die Klägerin die Beklagte trotz der durch die weitere geringfügige Beschäftigung entstandenen Versicherungspflicht weiterbeschäftigt hätte, entweder in jedem Fall oder doch bei hinreichend guter Auftragslage. Dann aber wäre die Unterlassung der Mitteilung des weiteren Arbeitsverhältnisses nicht ursächlich dafür, daß die Klägerin die Beiträge an die Nebenintervenientin abführen muß. Dies wäre dann vielmehr auf die unternehmerische Entscheidung der Klägerin zurückzuführen, die Beklagte trotz der durch die Versicherungspflicht entstandenen Erhöhung der Personalkosten zu beschäftigen. Auch dem Vortrag der Klägerin, die Sozialversicherungsfreiheit sei Geschäftsgrundlage gewesen, ist nicht zu entnehmen, daß die Klägerin bei Kenntnis der Versicherungspflicht das Arbeitsverhältnis alsbald beendet hätte. Aus dem Arbeitsvertrag selbst, der dem Senat vorliegt, ergibt sich nicht, daß die Mitteilung weiterer Arbeitsverhältnisse durch den Arbeitnehmer einem anderen Zweck dienen sollte als der ordnungsgemäßen Erfüllung der Beitragspflicht durch die Klägerin. Wie die Klägerin bei Kenntnis anderweitiger Beschäftigungen in bezug auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses gehandelt hätte, läßt sich somit anhand der Darlegungen der Klägerin nicht feststellen. Dies geht zu Lasten der Klägerin, die als Gläubigerin des mit der Klage erhobenen Schadenersatzanspruchs die Darlegungslast dafür trägt, daß das Verhalten der Beklagten für den Schaden ursächlich war.

b) Anders liegen die Dinge hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile, die nach § 381 Abs. 1 Satz 1, § 1385 Abs. 4 Buchst. a RVO von der Beklagten zu tragen waren. Insoweit ist der Klägerin durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden. Denn dadurch, daß die Beklagte der Klägerin die Mitteilung über das weitere Arbeitsverhältnis vorenthalten hat, konnte die Klägerin die Arbeitnehmeranteile nicht gemäß § 394 Abs. 1, § 395 Abs. 1 und Abs. 2, § 1397 Abs. 1 und Abs. 3 RVO während des Arbeitsverhältnisses vom Lohn der Beklagten abziehen. Hier hat die Klägerin ihre Darlegungslast für die Ursächlichkeit des Schadens allein dadurch erfüllt, daß sie die Pflichtverletzung der Beklagten vorgetragen hat. Denn es muß davon ausgegangen werden, daß die Klägerin bei sachgemäßer Unterrichtung durch die Beklagte ihr Eigeninteresse in vernünftiger Weise gewahrt und rechtzeitig den Lohnabzug vorgenommen hätte. Für ein abweichendes Verhalten der Klägerin wäre die Beklagte, die insoweit nichts vorgetragen hat, darlegungs- und beweispflichtig gewesen (vgl. BAG Urteil vom 18. Dezember 1984 – 3 AZR 168/82 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen).

Nachdem das Lohnabzugsverfahren wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist, ist der Erstattungsanspruch der Klägerin jedoch gemäß § 394 Abs. 1 Satz 2, § 1397 Abs. 1 Satz 2 RVO ausgeschlossen, und zwar auch, soweit er auf Vertragsverletzung oder unerlaubte Handlung (mit Ausnahme des § 826 BGB) gestützt wird (BAGE 57, 192 = AP Nr. 7 zu §§ 394, 395 RVO).

4. Eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB kommt nicht in Betracht. Dies verkennt auch die Revision nicht.

a) Der Senat hat sich im Urteil vom 14. Januar 1988 (BAGE 57, 192 = AP, a.a.O.) der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen, daß dann, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich die Unwahrheit gesagt bzw. vorsätzlich eine spätere Mitteilung unterlassen hat, trotz des in § 394 Abs. 1 Satz 2 und § 1397 Abs. 1 Satz 2 RVO bestimmten Nachforderungsverbots ein Anspruch des Arbeitgebers aus § 826 BGB in Betracht kommen kann, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.

b) Die Beklagte hat sich zwar sittenwidrig verhalten, es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte für ihren Schädigungsvorsatz.

aa) Als sittenwidrig war das Verhalten der Beklagten einzustufen. Die Verletzung bestehender und dem Verpflichteten bekannter Offenbarungspflichten gegenüber dem Vertragspartner ist durchweg ein Sittenverstoß (vgl. MünchKomm-Mertens, BGB § 826 Rz 49 mit weiteren Nachweisen).

bb) Die Haftung der Beklagten scheitert jedoch daran, daß ihr Schädigungsvorsatz nicht feststellbar ist. Zwar kann der Schädigungsvorsatz aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns zu folgern sein; es genügt, wenn er als bedingter Vorsatz gegeben ist und wenn der Täter die Art des Schadens und die generelle Richtung des Schadensverlaufs abgesehen hat. Der Schaden ist aber nur insoweit zu ersetzen, als er von der Vorstellung des Täters über eine mögliche Schädigung umfaßt wurde (vgl. dazu MünchKomm-Mertens, a.a.O., Rz 60 bis 62). Aus den für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen läßt sich nicht entnehmen, daß die Beklagte die Klägerin schädigen wollte. Das Schweigen der Beklagten kann allein dem Zweck gedient haben, sich selbst dem Abzug der Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge zu entziehen. Aus dem Handeln der Beklagten ergibt sich nicht ohne weiteres, daß sie sich vorstellte, die Klägerin könne ihrerseits mit den Arbeitnehmeranteilen belastet werden. Auf eine dahingehende Vorstellung der Beklagten könnte nur geschlossen werden, wenn besondere Anhaltspunkte vorlägen, etwa im Arbeitsvertrag auf die rechtlichen Zusammenhänge hingewiesen worden wäre. An solchen Anhaltspunkten fehlt es jedoch.

III. Da die Beklagte der Klägerin dem Grunde nach nicht zum Schadenersatz verpflichtet ist, sind die auf Freistellung und Feststellung gerichteten Hilfsanträge ebenfalls unbegründet.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Dr. Weiss, Brückmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073470

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