Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 01.03.1994; Aktenzeichen 11 Sa 147/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 01.09.1993; Aktenzeichen 17 Ca 9033/92) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 1. März 1994 – 11 Sa 147/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Ziff. 1 Abs. 4 Ziff. 1 und Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 und Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der 1936 geborene Kläger war seit 1963 Angehöriger der Volkspolizei der ehemaligen DDR. Von 1965 bis 1967 besuchte er die Offiziersschule Aschersleben und schloß diese als Offizier der mittleren Laufbahn ab. Von 1969 bis 1974 erhielt er im Fernstudium an der Hochschule der Deutschen Volkspolizei eine Ausbildung zum Diplom-Staatswissenschaftler. Ab 1977 war der Kläger im Dienstrange eines Majors der Volkspolizei als stellvertretender Leiter des Bezirksschutzes im Flughafen Berlin-Schönefeld eingesetzt. Von 1981 bis 30. September 1990 war der Kläger als Stellvertreter des Leiters der Volkspolizei Operativ bei der Volkspolizei-Inspektion T. tätig, seit 1982 im Range eines Oberstleutnants.
Nach der Vereinigung Berlins im Oktober 1990 wurde der Kläger in den Polizeidienst des Landes Berlin übernommen. In seinem Personalfragebogen vom 2. Dezember 1990 verneinte er unter Nr. 65 die Frage, ob er für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (fortan: MfS/AfNS) oder für eine der Untergliederungen dieser Ämter oder vergleichbare Institutionen tätig gewesen sei, sowie die Frage, ob er eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit einer der genannten Stellen unterschrieben habe. Unter Nr. 66 bejahte der Kläger die Frage, ob er von einer der unter Nr. 65 genannten Stellen oder von einem Nachrichtendienst dienstlich oder privat kontaktiert worden sei und ergänzte diese Antwort mit „1958/59 im MfV und RAW durch Mitarbeiter des MfS, 1980 im BS-Amt durch Major W. MfS”. Zur abschließenden Frage nach besonderen Bemerkungen vermerkte der Kläger: „Zu den Punkten 66 … bitte ich zusätzlich mündliche Aussagen treffen zu dürfen”.
In seiner Anhörung durch den Beklagten gab der Kläger am 19. August 1991 an, aufgrund seiner Dienststellung als Stellvertreter des Leiters Operativ und zeitweiliger Stellvertreter des Leiters der VPI T. sowie als Beauftragter für Einstellungsgespräche mit Bewerbern für die DVP eine erhebliche Anzahl von dienstlichen Kontakten zum MfS gehabt zu haben. Am 5. September 1991 teilte der Beklagte dem Kläger mit, die Personalauswahlkommission habe nach Prüfung seines Personalfragebogens seine persönliche und fachliche Eignung für eine Weiterbeschäftigung festgestellt und eine Übernahme in den gehobenen Dienst empfohlen.
Der Polizeipräsident beabsichtige, der Empfehlung zu folgen. Abschließend werde der Kläger allerdings vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, daß eine wesentliche Grundlage der Entscheidung über die Weiterbeschäftigung die Angaben im Personalfragebogen seien. Falsche Angaben würden den Bestand des Beschäftigungs- bzw. Beamtenverhältnisses auch später noch gefährden.
Mit Schreiben vom 11. Februar 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis auf der Grundlage von Abs. 4 Ziff. 1 und Abs. 5 Ziff. 2 EV fristgemäß mit der sich aus § 55 AGB-DDR ergebenden Frist von drei Monaten zum Ende des Kalendervierteljahres. Die Kündigung wurde damit begründet, daß der Kläger falsche Angaben im Personalfragebogen gemacht habe. Der Kläger habe erst bei seiner Anhörung am 19. August 1991 auf konkrete Fragen hin eingeräumt, daß er aufgrund seiner Dienststellung als Stellvertreter des Leiters Operativ seit 1982 eine erhebliche Anzahl von dienstlichen Kontakten zum MfS gehabt habe. Des weiteren gehe aus nun zur Verfügung stehenden Unterlagen hervor, daß der Kläger von 1982 bis 1988 eine erhebliche Anzahl von dienstlichen und privaten Kontakten zu Offizieren des sowjetischen Nachrichtendienstes gehabt habe. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 24. Februar 1992 zu.
Mit der am 6. März 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam.
Im August 1992 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR dem Beklagten mit, daß der Kläger aufgrund einer Verpflichtungserklärung vom 13. März 1959 bis Juni 1959 unter dem Decknamen „Mars” als GI (Geheimer Informator; Kategorie des inoffiziellen Mitarbeiters bis 1968) für das MfS tätig gewesen sei. Grund und Ziel der Werbung sei die „Gewinnung eines IM aus dem Gaststättenmilieu zur operativen Beobachtung von Personen und Aufklärung der Mitarbeiter der allgemeinen Verwaltung seiner Dienststelle” gewesen. Es sei um „Wiedergutmachung von fehlerhaftem Verhalten durch Berichterstattung auf inoffizieller Grundlage an das MfS” gegangen. Es lägen vier handschriftliche Berichte des GI, sechs Berichte der Führungsoffiziere nach mündlichen Informationen des GI und fünf Treffberichte der Führungsoffiziere vor. Grund der Beendigung der Tätigkeit sei „Perspektivlosigkeit für das MfS durch Arbeitsstellenwechsel des GI” gewesen. In einer weiteren MfS-Akte sei belegt, daß der Kläger als stellvertretender Leiter des Betriebsschutzes im Flughafen Berlin-Schönefeld im Dienstrange eines Majors von 1977 bis 1982 dienstliche Kontakte zum MfS hatte.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Die persönlichen Voraussetzungen für seine Weiterbeschäftigung im Range eines Polizeioberrates lägen vor. Er sei nicht für das MfS tätig gewesen. Die vermeintliche IM-Tätigkeit habe zur Zeit der Kündigung 32 Jahre zurückgelegen und auch nur drei Monate gedauert. Er habe nur vier handschriftliche Berichte abgegeben. Diese seien nichtssagend, allgemein und insgesamt aus der Sicht des MfS ungenügend gewesen. Im übrigen sei er vom MfS zur Mitarbeit gezwungen worden, und zwar wegen ungenehmigter Verwandtenbesuche im Westen und wegen des Kaufs einer Cordhose im Westen. Die erzwungene Mitarbeit sei auch in den MfS-Akten dokumentiert, wenn dort von „Wiedergutmachung von fehlerhaftem Verhalten” gesprochen werde. Daß es später aufgrund seiner polizeidienstlichen Tätigkeit zu dienstlichen Kontakten zu Vertretern des MfS und auch zu sowjetischen Stellen gekommen sei, könne ihm nicht angelastet werden.
Im Personalfragebogen habe er nichts verschweigen wollen. So habe er angegeben, daß er für Nachfragen zur Verfügung stehe. An die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung habe er sich nicht mehr erinnert.
Im übrigen habe er nach dem Schreiben des Beklagten vom 5. September 1991 darauf vertrauen können, daß ihm nicht mehr wegen mangelnder persönlicher Eignung gekündigt werde.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11. Februar 1992 nicht aufgelöst worden sei, sondern ungekündigt fortbestehe.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei für den Polizeiberuf persönlich ungeeignet. Der Kläger sei in den Jahren 1958 und 1959 aufgrund einer Verpflichtungserklärung als IM „Mars” für das MfS tätig gewesen. Von 1977 bis 1982 habe er als stellvertretender Leiter des Betriebsschutzes im Flughafen Berlin-Schönefeld dienstliche Kontakte zum MfS gehabt. Auch danach habe er bis zum 30. September 1990 in seiner Dienststellung als Stellvertreter des Leiters Operativ und zeitweiliger Stellvertreter des Leiters der VPI T. sowie als Beauftragter für Einstellungsgespräche mit Bewerbern für die Volkspolizei Kontakte zum MfS gehabt. Wer freiwillig solche Ämter übernommen habe, die mit einer Zusammenarbeit mit dem MfS verbunden gewesen seien, sei für das MfS im Sinne des Abs. 5 Ziff. 2 EV tätig gewesen. Im übrigen habe der Kläger von 1982 bis 1988 auch Kontakte zu Offizieren der sowjetischen Streitkräfte unterhalten, wie sich aus einer Zeugenaussage vom 20. Dezember 1991 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen geheimdienstlicher Tätigkeit ergeben habe.
Die Erklärungen des Klägers im Personalfragebogen seien unrichtig und unvollständig. Die Frage Nr. 65 nach einer Tätigkeit für das MfS und einer entsprechenden Verpflichtungserklärung habe der Kläger falsch beantwortet. Bei der Frage Nr. 66 habe er seine dauerhaften und regelmäßigen Kontakte zum MfS ebenso verschwiegen wie seine dienstlichen und privaten Kontakte zu sowjetischen Offizieren, die im nachrichtendienstlichen Auftrag handelten.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 564 Abs. 1, § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers nach Abs. 4 Ziff. 1 und Abs. 5 Ziff. 2 EV sei unwirksam. Grundlage der rechtlichen Prüfung sei dabei derjenige Sachverhalt, den das beklagte Land zum Gegenstand der Beteiligung des Personalrates gemacht habe. Dabei handele es sich um Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers, die sich aus der unvollständigen Ausfüllung des Personalfragebogens (Fragen Nr. 65 und 66) sowie aus der Auskunft der Gauck-Behörde, insbesondere dem Verschweigen der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung, ergeben. Die Gauck-Auskunft sei wegen nachträglicher Beteiligung des Personalrats verwertbar.
Eine Tätigkeit des Klägers für das MfS liege nicht vor. Eine bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung sei keine Tätigkeit für das MfS im Sinne des Abs. 5 Ziff. 2 EV. Sonstige konkrete Vorwürfe einer Tätigkeit seien dem Personalrat nicht zur Kenntnis gebracht worden.
Der Kläger habe zwar im Fragebogen unrichtige Angaben zur Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung gemacht. Eine grobe Unehrlichkeit des Klägers, die zur Zerstörung der für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauensgrundlage führe, läge jedoch nicht vor. Dies folge schon aus der erheblichen zeitlichen Differenz zwischen der Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung und der Abgabe der objektiv unzutreffenden Erklärung des Klägers, so daß die Kammer der Einlassung des Klägers folgen könne, er habe sich nicht mehr erinnert.
Im übrigen habe der Kläger den auf den Zeitraum 1958/59 datierten Kontakt zum MfS unter Nr. 66 des Fragebogens angegeben und insoweit ausdrücklich um Gelegenheit zur weiteren mündlichen Erläuterung gebeten.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne dieser Bestimmung ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
a) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Der Angestellte des öffentlichen Dienstes muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361, 364 f. = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1, 2 der Gründe).
b) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – BAGE 72, 176, 182 = AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – BVerwGE 61, 200 = AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
c) Eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV kann auch auf die frühere Tätigkeit des Arbeitnehmers für das MfS gestützt werden. In diesem Fall müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 13. Juni 1996 – 8 AZR 595/94 –, n.v., zu B II 3 der Gründe; im übrigen BAG Urteil vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) auch die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV gegeben sein.
Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).
Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4, a.a.O., zu B II 1 c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit des IM sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.
Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob ein inoffizieller Mitarbeiter nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Im Fall eines inoffiziellen Mitarbeiters ist darauf abzustellen, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt wird, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht aufgebaut werden auf der Annahme, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.
Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat. Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 415/92 – NJ 1993, 379).
d) Auch die falsche Beantwortung von Fragen nach einer früheren MfS-Tätigkeit und nach einer entsprechenden Verpflichtungserklärung indiziert regelmäßig die mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Diese Fragen sind zulässig und vom Arbeitnehmer wahrheitsgemäß zu beantworten (Senatsurteile vom 26. August 1993, a.a.O., und vom 7. September 1995 – 8 AZR 828/93 – AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Die Ausübung des Fragerechts dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut. Begründet schon die freiwillig bekundete Bereitschaft, zukünftig für das MfS tätig zu werden, erhebliche Zweifel an der persönlichen Eignung, so indiziert die Falschbeantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit oder einer Verpflichtungserklärung darüber hinaus regelmäßig die mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Die Beantwortung dieser Fragen ist für den öffentlichen Arbeitgeber von besonderer Bedeutung. Wer zu diesen Fragen falsche Angaben macht, mißbraucht das Vertrauen seines Dienstherrn gröblich. Die Falschbeantwortung belegt aber nicht zwangsläufig die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers im Sinne des Einigungsvertrages. Neben dem Maß individueller Schuld des Arbeitnehmers sind vielmehr alle sonstigen Umstände des Einzelfalles, die für oder gegen die persönliche Eignung des Arbeitnehmers sprechen, in die Beurteilung einzubeziehen. Hat z.B. der Arbeitnehmer später, als er noch nicht mit der Aufdeckung seiner früheren Tätigkeit für das MfS rechnen mußte, diese offenbart und so dem Arbeitgeber die sachgerechte Entscheidung über eine Weiterbeschäftigung ermöglicht, kann dies eine positive Prognose hinsichtlich der künftigen Loyalität des Arbeitnehmers zulassen (vgl. BAG Urteil vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).
2. Ob nach diesen Grundsätzen die Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers wirksam ist, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend beurteilt werden. Das Berufungsgericht wird noch zu prüfen haben, ob sich aus einer Tätigkeit des Klägers für das MfS im Jahre 1959 und dem späteren Verschweigen dieser Tätigkeit im Personalfragebogen eine persönliche Ungeeignetheit des Klägers für den Polizeiberuf ergibt.
a) Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann eine Tätigkeit des Klägers für das MfS im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht verneint werden.
Das Landesarbeitsgericht hat lediglich geprüft, ob die vom Kläger am 13. März 1959 unterzeichnete Verpflichtungserklärung als Tätigkeit für das MfS angesehen werden kann. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht dies in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zu Recht verneint. Eine „Tätigkeit” für das MfS (AfNS) setzt nämlich voraus, daß der Arbeitnehmer entsprechend seiner Verpflichtungserklärung tatsächlich tätig wurde (vgl. Urteil des Senats vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 124 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 3 der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat sich aber nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger aufgrund dieser Verpflichtungserklärung als Informant für das MfS tätig geworden ist und ob deshalb für den Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar ist. Bereits aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Bei der Frage der Zumutbarkeit wird das Landesarbeitsgericht den Grad der Verstrickung des Klägers vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit als GI sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS zu bewerten haben. Dabei wird das Landesarbeitsgericht auch zu berücksichtigen haben, daß die Berichtstätigkeit des Klägers aus dem Jahre 1959 schon sehr lange zurückliegt.
Soweit das Landesarbeitsgericht die dem Kläger vorgeworfene GI-Tätigkeit von März bis Juni 1959 deshalb nicht geprüft hat, weil dieser nachgeschobene Kündigungssachverhalt dem Personalrat nicht mitgeteilt worden sei, rügt dies die Revision zu Recht. Der Beklagte hat noch in der Berufungsinstanz den zuständigen Personalrat mit Schreiben vom 4. Januar 1994 um Zustimmung zur Kündigung wegen der neuen Kündigungsgründe gebeten und dabei den im August 1992 erhaltenen Gauck-Bericht in Kopie beigelegt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG Urteil vom 18. Dezember 1980 – 2 AZR 1006/78 – BAGE 34, 309 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972; Urteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – BAGE 49, 39 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972), daß der Arbeitgeber Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, im Kündigungsschutzprozeß nachschieben kann, wenn der Arbeitgeber zuvor den Betriebs- oder Personalrat hierzu angehört hat.
Soweit das Landesarbeitsgericht die Auffassung vertritt, der Personalrat sei nur hinsichtlich des Kündigungsgrundes „Verschweigen der Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung” nachträglich beteiligt worden, ist dem nicht zu folgen. In dem Schreiben an den Personalrat heißt es:
„Aus dem Bericht der Gauck-Behörde geht hervor, daß Herr M. für einen kurzen Zeitraum aufgrund einer persönlichen Verpflichtungs-Erklärung als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig war. Die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS im Personalfragebogen hat er verneint. Damit steht fest, daß Herr M. bewußt unwahre Angaben gemacht hat.
Wir bitten Sie deshalb, der Berücksichtigung dieses neuen Kündigungsgrundes zuzustimmen.”
Als neuer Kündigungssachverhalt ist damit der gesamte Absatz vor der Zustimmungsbitte und nicht nur der in den beiden letzten Sätzen enthaltene Vorwurf falscher Angaben zu berücksichtigen.
Soweit der Beklagte allerdings die Kündigung darauf stützt, der Kläger sei in seiner Dienststellung als Stellvertreter des Leiters Operativ und als Stellvertreter des Leiters VPI T. sowie als Beauftragter für Einstellungsgespräche für das MfS tätig gewesen, kann dieser Sachverhalt mangels Beteiligung des Personalrats nicht berücksichtigt werden. Der Personalrat wurde nur über „dienstliche Kontakte” des Klägers zum MfS ab 1982 informiert, die er im Fragebogen verschwiegen habe. Wenn nun der Kündigungsgrund der falschen Beantwortung der Frage nach dienstlichen Kontakten zum MfS um den Vorwurf erweitert wird, der Kläger sei seit 1982 für das MfS im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV tätig geworden, so ändert dies das Gewicht des Kündigungsgrundes mit der Folge, daß es sich nicht um eine bloße Erläuterung, sondern um ein Nachschieben eines neuen Kündigungsgrundes handelt (vgl. KR-Etzel, 4. Aufl., § 102 BetrVG Rz 70).
b) Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach die Falschbeantwortung des Fragebogens nicht die mangelnde persönliche Eignung des Klägers rechtfertige, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist zwar die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe sich beim Ausfüllen des Fragebogens im Dezember 1990 nicht mehr an seine Verpflichtungserklärung vom 13. März 1959 erinnern können. Das Landesarbeitsgericht übersieht jedoch, daß der Kläger unter Nr. 65 des Fragebogens auch eine Tätigkeit für das MfS verneinte. Wie der Kläger zuletzt einräumte, hat er immerhin vier Berichte an das MfS verfaßt. Zwar mag nach 30 Jahren die Erinnerung an eine Verpflichtungserklärung verloren gegangen sein, für eine Berichtstätigkeit über drei Monate gilt dies unter normalen Umständen jedoch nicht. Im übrigen hat der Kläger selbst nur erklärt, er habe von der Verpflichtungserklärung nichts mehr gewußt. Daß er sich im Zeitpunkt der Ausfüllung des Fragebogens nicht mehr an seine Berichtstätigkeit erinnert habe, hat der Kläger selbst nicht behauptet.
c) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind dagegen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach das Verschweigen dienstlicher und privater Kontakte zum MfS sowie zu Angehörigen sowjetischer Dienste die Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht rechtfertige. Der Kläger hat die entsprechende Frage Nr. 66 bejaht und lediglich eine unvollständige Erläuterung gegeben. Immerhin hat er am Ende des Fragebogens gebeten, zum Punkt Nr. 66 zusätzlich mündliche Aussagen treffen zu dürfen.
3. Sollte das Landesarbeitsgericht aufgrund der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis kommen, daß die ordentliche Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers gerechtfertigt sei, wird sie nicht an einer Verwirkung des Kündigungsrechtes scheitern. Der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, daß ihm nicht mehr gekündigt werde. In dem Schreiben des Beklagten vom 5. September 1991 war der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß „wesentliche Grundlage der Entscheidung über die Weiterbeschäftigung die Angaben im Personalfragebogen seien, falsche Angaben würden den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses auch später noch gefährden”.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Mache, Harnack
Fundstellen