Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertariflichen Lohnbestandteil. Auslegung einer Betriebsvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
Hinweis des Senats:
Vereinbarung einer tariffesten Zulage in einer Betriebsvereinbarung
Normenkette
BetrVG §§ 77, 87 Abs. 1 Nrn. 10-11
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 26.04.1990; Aktenzeichen 5 Sa 1303/89) |
ArbG Wesel (Urteil vom 14.09.1989; Aktenzeichen 2 Ca 380/89) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. April 1990 – 5 Sa 1303/89 – wird zurückgewiesen mit der Maßgabe der Abänderung des angefochtenen Urteils dahingehend, daß Zinsen nur aus den sich aus den Bruttobeträgen ergebenden Nettobeträgen zu zahlen sind.
Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten zur Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine im Rahmen einer Prämienentlohnung gewährte übertarifliche Zulage.
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, seit dem 20. Juli 1960 als Fräser beschäftigt. Er ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten bestehenden Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge für die metallverarbeitende Industrie des Landes Nordrhein-Westfalen Anwendung.
Am 2. November 1970 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Prämienentlohnung der gewerblichen Arbeitnehmer einzelner Betriebsbereiche, u.a. auch der Fräserei. In dieser Betriebsvereinbarung heißt es u.a.:
§ 2
2. Prämienausgangslohn und Prämienkurve
a) Prämienausgangslohn
Prämienausgangslohn ist der tarifliche Zeitlohn der entsprechenden Lohngruppe, zuzüglich der von der Geschäftsleitung durch Aushang bekanntgegebenen übertariflichen Lohnbestandteile.
§ 15
2. b) Der § 2, Ziffer 2 hat die gleiche Laufzeit wie die von der Geschäftsleitung abgegebene Garantieerklärung für Prämiensätze und Zulagen.
Mit Aushang vom 2. November 1970 verpflichtete sich die Geschäftsleitung, ab 1. November 1970 bis zum 30. September 1971 in der Lohngruppe 8 eine übertarifliche Zulage von 0,80 DM, in den nachfolgenden niedrigeren Lohngruppen eine entsprechend geringere Zulage zu zahlen. In dem Aushang wurde nicht darauf hingewiesen, daß die übertarifliche Zulage unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit und Widerruflichkeit sowie jederzeitigen Anrechenbarkeit auf eine Tariflohnerhöhung erfolge.
Die Beklagte zahlte in den Folgejahren – von einer geringfügigen Korrektur des Zulagengefüges abgesehen – unverändert die übertarifliche Zulage, wobei sie sich von Jahr zu Jahr in einem Aushang hierzu verpflichtete. Eine Anrechnung auf Tariflohnerhöhungen unterblieb. Auch während einer Kurzarbeitsperiode im Jahre 1983 hielt die Beklagte an der Zulage fest. Unstreitig wies die Beklagte allerdings spätestens ab 1984 in ihrem Aushang darauf hin, daß die Leistung freiwillig und jederzeit widerruflich erfolge.
Am 25. März 1985 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat aus Anlaß von Verhandlungen über eine Neufestsetzung (Verkürzung) der Prämienvorgabezeiten einen „Nachtrag zur Betriebsvereinbarung vom 2. November 1970 …”, der auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
I. Der in § 2 Ziffer 2 Buchst. a der Betriebsvereinbarung vom 2. November 1970 genannte übertarifliche Lohnbestandteil wird für Prämienarbeiter der Lohngruppe 8 um DM 0,50 je Stunde angehoben und beträgt dann DM 1,34/Std.
Für Prämienarbeiter niedrigerer Lohngruppen vermindert sich dieser Betrag von DM 1,34/Std. gemäß Lohnschlüssel.
Diese Anhebung des übertariflichen Lohnbestandteils erfolgt Zug um Zug ab Einführung der neuen Prämienvorgabezeiten auf Basis des „Rump-Konzeptes”.
Der Beginn der Einführung ist am 1. Juni 1985.
…
Die Beklagte hat diese Betriebsvereinbarung zwischenzeitlich mit Schreiben vom 29. Juni 1989 zum 30. September 1989 gekündigt.
Seit der Einführung der verkürzten Prämienvorgabezeiten am 1. Juni 1985 zahlte die Beklagte die auf 1,34 DM (bzw. den entsprechend dem Lohnschlüssel verminderten Betrag) erhöhte übertarifliche Zulage. Aus Anlaß der Tariflohnerhöhung in der Metallindustrie vom 1. April 1988 rechnete die Beklagte die übertarifliche Zulage voll auf die Tariflohnerhöhung an. Dies führte beim Kläger zu einer Verringerung der übertariflichen Zulage um 0,64 DM/Std. In einem Aushang 17/1988 vom 8. April 1988 wurden wie in den früheren Jahren erneut die Lohnsätze bekanntgemacht und zugleich wurde auch auf die Freiwilligkeit der Gewährung übertariflicher Lohnbestandteile hingewiesen.
Mit Beschluß vom 11. August 1988 wies das Arbeitsgericht Wesel einen Antrag des Betriebsrats der Beklagten zurück, mit dem dieser die Feststellung seines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung vom 1. April 1988 begehrt hatte (2 BV 26/88 Arbeitsgericht Wesel). Dieser Beschluß wurde rechtskräftig, nachdem der Betriebsrat die dagegen erhobene Beschwerde im Termin vor dem Landesarbeitsgericht zurücknahm.
Mit Schreiben vom 6. Juni 1988 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die aus der Anrechnung resultierende Lohndifferenz für den Monat April 1988 in rechnerisch unbestrittener Höhe von 77,49 DM geltend. Gleichzeitig forderte er die Beklagte auch für die Zukunft zu entsprechenden Lohnzahlungen auf.
Mit seiner am 13. Februar 1989 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger zunächst die Zahlung dieses Betrages begehrt. Mit einem weiteren, der Beklagten am 14. März 1989 zugestellten Schriftsatz hat er darüber hinaus die entsprechenden Differenzbeträge für die Monate Mai 1988 bis Januar 1989 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 733,33 DM geltend gemacht, insgesamt somit 810,82 DM.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage nicht berechtigt. In der Betriebsvereinbarung vom 2. November 1970 seien ausdrücklich übertarifliche Zulagen als Bestandteile des Prämienausgangslohnes vereinbart worden. Bereits die Definition des Prämienausgangslohnes schließe eine Anrechnung aus. Jedenfalls sei eine entsprechende betriebliche Übung entstanden, weil die Beklagte bis 1984 und damit 13 Jahre lang die Zulage ohne jeden Vorbehalt gezahlt habe. Der erstmals 1984 im Aushang erklärte Vorbehalt sei als einseitige Erklärung unbeachtlich.
Unabhängig davon habe sich aber der Charakter der übertariflichen Zulage jedenfalls spätestens mit Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1985 geändert und sei seitdem zu einer echten Gegenleistung für eine Verkürzung der Prämienvorgabezeiten tarifbeständig geworden. Anlaß für die Erhöhung der Zulage sei die Umstellung der Prämienzeiten gewesen. Der Betriebsrat habe der Änderung zugestimmt gegen die Zusage einer entsprechenden Erhöhung der Zulage. Wenn die Beklagte jetzt anrechnen könne, führe dies im Ergebnis dazu, daß der Betriebsrat seine Zustimmung gegeben habe, ohne dafür eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten. Zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat habe zu keinem Zeitpunkt Einigkeit über eine Anrechenbarkeit der Zulage bestanden. Sein Anspruch ergebe sich darüber hinaus auch aus der jährlichen Garantieerklärung der Beklagten.
Der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1985 stehe keine tarifliche Regelung entgegen. Der einschlägige Lohnrahmentarifvertrag sehe eine Beteiligung des Betriebsrats auch beim Geldfaktor ausdrücklich vor. Selbst wenn die Betriebsvereinbarung 1985 unwirksam wäre, wäre sie dann umzudeuten in ein Angebot auf Abschluß einer inhaltsgleichen vertraglichen Regelung, das von den betroffenen Arbeitnehmern – also auch von ihm, dem Kläger – konkludent angenommen worden wäre.
Er habe die tarifliche Ausschlußfrist gewahrt, da er mit dem Schreiben vom 6. Juni 1988 nicht nur den Anspruch für den Monat April 1988 geltend gemacht habe, sondern auch die auf demselben Sachverhalt beruhenden künftigen Ansprüche. Dies sei nach dem erkennbaren Sinn der tariflichen Ausschlußfristen ausreichend für eine fristwahrende Geltendmachung.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 810,82 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat die Auffassung vertreten, die übertarifliche Zulage sei nicht gegenüber einer Tariflohnerhöhung beständig. Die Zulage sei freiwillig und jederzeit widerruflich gezahlt worden. Hiervon sei auch der Betriebsratsvorsitzende in dem Beschlußverfahren ausgegangen. Die Betriebsvereinbarung 1985 habe hieran nichts geändert, zumal auch darin ausdrücklich von einer übertariflichen Zulage die Rede gewesen sei. Unabhängig vom Wortlaut sei man sich darüber einig gewesen, daß der Zweck dieser Regelung nur darin bestehe, den übertariflichen Lohnbestandteil anzuheben, nicht aber, ihn tarifbeständig zu gestalten. Die Erhöhung der übertariflichen Zulage in 1985 habe dem Zweck gedient, die Arbeitnehmer an das Unternehmen zu binden. Die Betriebspartner seien sich darin einig gewesen, daß die Zulage jederzeit im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten angerechnet werden solle. Diese Schwierigkeiten seien im April 1988 eingetreten.
Die Vereinbarung eines tarifbeständigen Lohnbestandteils verstoße auch gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und sei demgemäß unwirksam. Auch eine Umdeutung der unwirksamen Betriebsvereinbarung in ein Bündel einzelvertraglicher Zusagen sei nicht möglich.
Die Ansprüche des Klägers seien schließlich teilweise verfallen. Das den Monat April 1988 betreffende Schreiben vom 6. Juni 1988 könne nicht als ordnungsgemäße Geltendmachung der Ansprüche für die Monate Mai 1988 bis Januar 1989 angesehen werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im wesentlichen unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht zur Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf den dem Kläger im Rahmen der Prämienentlohnng gewährten übertariflichen Lohnbestandteil berechtigt gewesen. Aus der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1985 (BV 1985) gehe hervor, daß diese Zulage fortan als fester, nicht widerruflicher Lohnbestandteil gelten solle.
Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Revision sind nicht begründet.
1. In der am 25. März 1985 als Nachtrag zur Betriebsvereinbarung vom 2. November 1970 (BV 1970) abgeschlossenen Betriebsvereinbarung haben die Betriebspartner unter Abschnitt I Abs. 1 vereinbart, der in § 2 Ziff. 2 Buchst. a BV 1970 genannte übertarifliche Lohnbestandteil werde für Prämienarbeiter der Lohngruppe 8 um 0,50 DM je Stunde angehoben und betrage dann 1,34 DM/Std. Bei der in Bezug genommenen Vorschrift aus der BV 1970 handelt es sich um die Regelung des Prämienausgangslohns. Prämienausgangslohn ist danach der tarifliche Zeitlohn der entsprechenden Lohngruppe zuzüglich der von der Geschäftsleitung durch Aushang bekanntgegebenen übertariflichen Lohnbestandteile.
Die Höhe des übertariflichen Lohnbestandteils war in der BV 1970 nicht festgelegt, sondern der einseitigen Bestimmung des Arbeitgebers überlassen. Unstreitig hat die Beklagte seit 1970 bis zur BV 1985 den übertariflichen Lohnbestandteil durchgehend mit 0,80 DM bzw. 0,84 DM gewährt, bekanntgegeben durch entsprechenden jährlichen Aushang.
Auch wenn man davon ausgeht, daß dieser Lohnbestandteil zunächst nicht anrechnungsfest war, wie dies das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht angenommen haben, ist in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen festzustellen, daß er mit der BV 1985 anrechnungsfest mit 1,34 DM vereinbart wurde. Dies ergibt die sinngerechte Auslegung der Betriebsvereinbarung.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge und diese wiederum wie Gesetze auszulegen. Danach ist maßgeblich auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gelangten Willen der Betriebspartner abzustellen und der von diesen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, soweit diese in der Regelung noch ihren Niederschlag gefunden haben (Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1987 – 1 ABR 51/86 – AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung, zu B II 2 b der Gründe; Senatsurteil vom 8. November 1988, BAGE 60, 94, 98 = AP Nr. 48 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe). Danach obliegt die Auslegung einer Betriebsvereinbarung auch dem Revisionsgericht. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist insoweit voll überprüfbar.
Diese Überprüfung bestätigt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung.
a) Abschn. I Abs. 1 BV 1985 bestimmt eine Anhebung des übertariflichen Lohnbestandteils um 0,50 DM, er „beträgt dann DM 1,34/Std.”. Ein Vorbehalt zeitlicher Art oder ein Vorbehalt der Anrechnung künftiger Tariflohnerhöhungen ist nicht enthalten. Der Wortlaut spricht insoweit schon für die Einsetzung eines festen Betrages auf Dauer.
Richtig ist, daß auf § 2 Ziff. 2 Buchst. a BV 1970 Bezug genommen wird. Danach gehörte der übertarifliche Lohnbestandteil zwar zum Prämienausgangslohn, war aber nicht beziffert, sondern sollte von der Geschäftsleitung bekanntgegeben werden. Wie sich aus § 15 Nr. 2 b BV 1970 ergibt, sollte sich die Laufzeit der Zulage entsprechend der Garantieerklärung für Prämiensätze bemessen. Die Beklagte hatte in jährlichen Aushängen die entsprechenden Erklärungen abgegeben.
Der Wortlaut läßt also – was der Beklagten zuzugeben ist – durch die Anbindung an die BV 1970 auch die Auslegung zu, es handele sich nur um die „Bekanntgabe” des vom Arbeitgeber einseitig festzusetzenden übertariflichen Lohnbestandteils mit 1,34 DM, ohne daß eine „Statusänderung” der Zulage eintreten sollte.
b) Dem widersprechen jedoch Anlaß und Zweck der in der BV 1985 getroffenen Regelung sowie ihre sonstige Ausgestaltung.
Bereits der Umstand, daß die Zulage ausdrücklich beziffert wurde, spricht dafür, daß die Partner der Betriebsvereinbarung – anders als bisher – von einem für die Laufzeit der Betriebsvereinbarung festen Betrag der übertariflichen Zulage ausgingen. Eine solche Bezifferung war in der BV 1970 gerade nicht enthalten, und zwar auch nicht etwa für den ersten Garantiezeitraum. Abschn. I Abs. 1 BV 1985 enthält auch keine zeitliche Beschränkung des Zeitraums, für den die angehobene übertarifliche Zulage gelten sollte, was gleichfalls für einen nunmehr allein auf die Laufzeit der Betriebsvereinbarung abgestellten festen übertariflichen Lohnbestandteil spricht.
Ein weiteres Indiz hierfür ist die Anhebung des übertariflichen Lohnbestandteils um 0,50 DM in der Betriebsvereinbarung. Da in der BV 1970 kein bezifferter Lohnbestandteil genannt wurde, der um 0,50 DM erhöht werden könnte, legt dies die Annahme nahe, daß die Betriebspartner den seit Einführung der Prämienentlohnung unverändert mit 0,80 DM bzw. 0,84 DM gezahlten Betrag als quasi festliegend betrachteten und diesen übertariflichen Lohnbestandteil nunmehr für die Dauer der Betriebsvereinbarung auf 1,34 DM neu festlegen wollten.
Dies ergibt sich – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – erst recht aus dem sonstigen Regelungsinhalt und dem mit der BV 1985 verfolgten Zweck. Hintergrund der BV 1985 war die Einführung des sog. „Rump-Konzeptes”. Dieses war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit einer Änderung (Verkürzung) der Prämienvorgabezeiten verbunden, was Lohneinbußen zur Folge haben konnte. Die Verschlechterung durch Verkürzung der Prämienvorgabezeiten sollte durch Erhöhung des Prämienausgangslohns ausgeglichen werden, nämlich durch Anhebung des übertariflichen Lohnbestandteils.
Die Revision hat diese Feststellungen mit Verfahrensrügen nicht angegriffen. Der Senat ist daher an sie gebunden.
c) Der festgestellte Anlaß und der Regelungszweck lassen in der Tat keine andere Deutung zu, als daß die Zahlung der ausdrücklich bezifferten übertariflichen Zulage fester Bestandteil des Prämiensystems sein sollte, nämlich die Gegenleistung des Arbeitgebers für das Einverständnis des Betriebsrats mit der Einführung der neuen Prämienvorgabezeiten auf der Grundlage des neuen Konzeptes. Dies erklärt auch, warum der Betrag in der Betriebsvereinbarung vereinbart und nicht etwa anläßlich des Abschlusses der neuen Betriebsvereinbarung außerhalb dieser „bekanntgegeben” wurde.
Das Landesarbeitsgericht stellt zu Recht fest, es widerspräche dem Zweck einer Gegenleistung für ein dauerhaftes Entgegenkommen des Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber nach Umstellung der Prämienvorgabezeiten den übertariflichen Lohnbestandteil – ggf. nach Abwarten etwa des laufenden Garantiezeitraums – dann doch wieder auf den alten Stand oder sogar darunter hätte festsetzen können.
Der Zusammenhang zwischen der Erhöhung der übertariflichen Zulage als Gegenleistung für die Zustimmung zur Einführung des Rump-Konzeptes ergibt sich auch insoweit aus Abschn. I BV 1985, als dort ausdrücklich festgestellt ist, die Anhebung des übertariflichen Lohnbestandteils erfolge Zug um Zug ab Einführung der neuen Prämienvorgabezeiten auf Basis des „Rump-Konzeptes”. Hierin kann vor dem geschilderten Hintergrund nicht lediglich eine zeitlich gemeinte Festlegung des Beginns gesehen werden, wie dies die Revision meint. Dies würde der Ausgleichsfunktion nicht gerecht.
Selbst wenn man die zusätzliche Angabe des Datums 1. Juni 1985 neben der Zug um Zug-Festlegung dadurch erklärt, daß die Umstellung ab diesem Zeitpunkt anlaufen, aber nicht gleichzeitig in allen betroffenen Bereichen sofort eingeführt werden sollte, so daß der Zug um Zug-Satz auch bei rein zeitlichem Verständnis nicht schlicht überflüssig wäre, spricht der Gesamtzusammenhang eindeutig für eine über die zeitliche Bedeutung hinausgehende Verknüpfung von Leistung – Zugeständnis des Betriebsrats zur Umstellung der Prämienvorgabezeiten – und Gegenleistung – bestandsfeste Anhebung des übertariflichen Bestandteils des Prämienausgangslohns.
d) Die Auslegung der Betriebsvereinbarung nach dem im Wortlaut erkennbaren Willen der Betriebspartner sowie dem Sinn und Zweck der Regelung rechtfertigt also die Annahme, daß der mit 1,34 DM bezifferte übertarifliche Lohnbestandteil jedenfalls ab diesem Zeitpunkt fester Bestandteil des Prämienausgangslohns sein und damit gegenüber künftigen Tariflohnerhöhungen anrechnungsfest sein sollte.
Danach war die Beklagte nicht berechtigt, die Tariflohnerhöhung 1988 auf den übertariflichen Lohnbestandteil des Prämienausgangslohns anzurechnen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht angenommen, die BV 1985 sei wirksam zustande gekommen.
1. Dem Betriebsrat steht bei Einführung eines Prämienlohnsystems ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG zu. Soweit in der BV 1985 eine Regelung über den Prämienausgangslohn enthalten ist – Festlegung eines (anrechnungsfesten) übertariflichen Lohnbestandteils – ergibt sich das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Danach besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einschließlich der Geldfaktoren. Geldfaktor ist der Faktor, der die Lohnhöhe für die Bezugs- oder Ausgangsleistung und damit den Preis für die Arbeit im Leistungslohn bestimmt, hier also der Prämienausgangslohn (grundlegend Senatsbeschluß vom 13. September 1983, BAGE 43, 278 = AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie mit zust. Anm. Hanau; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 87 Rz 148 a, 149; Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 87 Rz 727).
Der Umstand, daß es sich bei der übertariflichen Zulage als Bestandteil des Prämienausgangslohns letztlich um eine freiwillige Leistung handelt, steht dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen. Die Freiwilligkeit der Leistung schließt ein Initiativrecht auf ihre Einführung aus. Führt der Arbeitgeber aber Leistungen dieser Art als Bestandteil des Prämienausgangslohns ein, hat er dabei das Mitbestimmungsrecht zu wahren (Senatsbeschluß vom 13. September 1983, aaO, mit auch insoweit zust. Anm. Hanau; Gaul, BB 1990, 1549, 1553).
Da die BV 1985 somit eine Regelung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG enthält, gilt für sie auch nur der Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (vgl. zuletzt BAG GS Beschluß vom 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – DB 1992, 1579).
2. Danach wird das Mitbestimmungsrecht aber nur ausgeschlossen, wenn eine inhaltliche und abschließende tarifliche Regelung über den Mitbestimmungsgegenstand besteht. Eine solche liegt hier nicht vor. § 12 Lohnrahmenabkommen für die Metallindustrie Nordrhein-Westfalen enthält in Nr. 1 lediglich eine Bestimmung des Begriffs der Prämienlohnarbeit. § 12 Nr. 2 LohnRA legt weiter fest, daß die Prämienausgangsleistung mit dem Prämienausgangslohn abgegolten wird und daß der Arbeitnehmer mindestens Anspruch auf den tariflich festgelegten Zeitlohn je Stunde hat. § 12 Nr. 3 LohnRA verweist auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG.
Eine das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG verdrängende inhaltliche Regelung besteht mithin nicht. Angesichts eines fehlenden Verstoßes der BV 1985 gegen den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG kommt es nicht an auf die Hilfserwägung des Landesarbeitsgerichts, für den Fall der Annahme ihrer Unwirksamkeit sei die BV 1985 gem. § 140 BGB umzudeuten in ein Bündel von einzelvertraglichen Zusagen der Beklagten an die betroffenen Arbeitnehmer.
III. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die tarifliche Ausschlußfrist als gewahrt angesehen.
1. Gem. § 19 Nr. 2 Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie in Nordrhein-Westfalen (MTV) hat der Arbeitnehmer das „Recht”, Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:
- Ansprüche auf Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,
- alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.
Bei den hier streitbefangenen Ansprüchen handelt es sich um „übrige Ansprüche” in diesem Sinne. Eine bestimmte Form der Geltendmachung ist nicht vorgeschrieben. Nicht fristgerecht geltend gemachte Ansprüche sind gem. § 19 Nr. 4 MTV ausgeschlossen, es sei denn, daß der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Fristen einzuhalten.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 6. Juni 1988 unter detaillierter Darlegung der Berechnung den Differenzbetrag für den Monat April mit 77,49 DM geltend gemacht. Er hat in diesem Schreiben erklärt, er mache für die Zukunft eine diesem Antrag entsprechende Lohnzahlung geltend.
Der Kläger hat sodann mit Schreiben vom 8. Februar 1989 zunächst über den Betrag von 77,49 DM Klage erhoben und diese Klage mit Schreiben vom 14. März 1989, der Beklagten zugestellt am 18. März 1989, für die Monate Mai 1988 bis Januar 1989 um 733,33 DM erweitert.
2. Das Landesarbeitsgericht hat hierin zu Recht eine ausreichende Geltendmachung der streitbefangenen Ansprüche insgesamt gesehen.
a) Dies gilt ohne weiteres für die Ansprüche betreffend die Monate April 1988 bzw. Dezember 1988/Januar 1989. Diese sind in jedem Fall innerhalb der Drei-Monats-Frist nach Fälligkeit durch das Schreiben vom 6. Juni 1988 bzw. 14. März 1989 geltend gemacht worden.
b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend aber auch für die Monate Mai bis November 1988 eine rechtzeitige Geltendmachung durch das Schreiben vom 6. Juni 1988 angenommen, in dem der Kläger „für die Zukunft eine diesem Antrag entsprechende Lohnzahlung geltend” gemacht hatte.
Richtig ist, daß – wie auch das Landesarbeitsgericht gesehen hat – dies vom Wortlaut des Tarifvertrages nicht eindeutig gedeckt ist. Wenn dort Geltendmachung nach Fälligkeit verlangt wird, spricht das dafür, daß die Geltendmachung zukünftiger Ansprüche vor ihrer Fälligkeit grundsätzlich ausgeschlossen ist. Dies hat seinen Sinn deshalb, weil die Höhe künftiger Ansprüche in der Regel nicht vorab zu bestimmen ist.
Sinn und Zweck tariflicher Ausschlußfristen ist es, in kurzer überschaubarer Zeit Klarheit über das Bestehen von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zu schaffen. So soll insbesondere im Falle noch ausstehender, nicht erkennbarer Lohn- oder Gehaltsansprüche der Arbeitgeber in der tariflich bestimmten Frist erfahren, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer noch Forderungen erhebt (vgl. etwa BAGE 43, 71 = AP Nr. 78 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Diesem Zweck genügt aber bei den besonderen Umständen des vorliegenden Falles auch die Geltendmachung der auf dem gleichen Sachverhalt beruhenden künftigen Ansprüche, indem der Kläger für die Zukunft eine „diesem Antrag entsprechende Lohnzahlung” verlangte. Die Parteien stritten nicht über tatsächliche Umstände. Der Streit ging allein um die Rechtsfrage, ob ein bestimmter Lohnbestandteil unverändert weiterzuzahlen war oder nicht. Die Höhe des streitbefangenen Anspruchs war für die Beklagte für die künftigen Monate zweifelsfrei erkennbar und errechenbar. Es ging allein um die Frage, ob auf die in den einzelnen Monaten gemäß der Abrechnung der Beklagten abzurechnenden Stunden – ein etwaiger Streit über die Zahl der geleisteten Stunden wäre von der Geltendmachung nicht erfaßt – ein übertariflicher Lohnbestandteil von 1,34 DM oder 0,80 DM zu gewähren war. Daß der Kläger auch weiterhin 1,34 DM verlangte, ergab sich ohne jeden Zweifel aus dem Schreiben vom 6. Juni 1988.
Damit war aber dem mit der vorliegenden tariflichen Ausschlußfrist verbundenen Zweck voll genügt, dem Arbeitgeber Klarheit zu verschaffen, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer noch Forderungen geltend machte (vgl. auch Senatsurteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 131/89 – SAE 1991, 84, zu II 4 der Gründe; LAG Baden-Württemberg Urteil vom 15. August 1978 – 7 Sa 30/78 – ARST 1978, 188, Nr. 183).
Die Annahme einer fristwahrenden Geltendmachung durch das Schreiben vom 6. Juni 1988 rechtfertigt sich hier um so mehr, als der Tarifvertrag keine bestimmte Form der Geltendmachung vorschreibt. Soweit die Beklagte auf die Regelung des § 70 Abs. 2 BAT verweist, in der ausdrücklich festgehalten ist, daß für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs ausreicht, um die Ausschlußfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen, steht das dem hier gefundenen Auslegungsergebnis nicht entgegen. Der Umstand, daß andere Tarifvertragsparteien in einem anderen Tarifvertrag eine bestimmte Streitfrage in einem bestimmten Sinne ausdrücklich regeln, stellt kein entscheidendes Indiz für oder gegen eine Auslegung des hier maßgeblichen Tarifvertrags dar.
Nicht erheblich ist auch, daß ein anderer Arbeitnehmer – sei es auch der Betriebsratsvorsitzende – die monatlichen Differenzbeträge jeweils getrennt geltend gemacht hat, wie die Beklagte vorträgt. Daß dies dem Wortlaut unmittelbar entspricht, wurde bereits dargelegt.
Schließlich ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß zwischen den Betriebspartnern 1988 noch das Beschlußverfahren über die Frage einer Mitbestimmung des Betriebsrats bei Anrechnung der Tariflohnerhöhung anhängig war, welches erst mit der Rücknahme der Beschwerde durch den Betriebsrat in der mündlichen Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht am 14. Dezember 1988 endete. Für die Beklagte bestand also auch deshalb kein Anlaß zur Annahme, der Kläger wolle sein mit Schreiben vom 6. Juni 1988 ausdrücklich geltend gemachtes Recht auf Fortzahlung der ungekürzten Zulage nicht weiterverfolgen.
Mit dem Landesarbeitsgericht ist also die tarifliche Ausschlußfrist unter den gegebenen besonderen Umständen auch hinsichtlich der Monate Mai bis November 1988 durch das Schreiben des Klägers vom 6. Juni 1988 als gewahrt anzusehen.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger allerdings – das Urteil des Arbeitsgerichts auch insoweit bestätigend – zu Unrecht Zinsen aus dem Bruttobetrag zugesprochen.
Dies ist zwar von der Beklagten nicht gesondert gerügt worden. Da ihr Antrag aber auf Klageabweisung insgesamt gerichtet ist, ist diese Frage vom Antrag erfaßt und als Rechtsfrage zu überprüfen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Zinsen nur aus dem sich aus dem Bruttobetrag ergebenden Nettobetrag zu zahlen (BAGE 42, 244, 258 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II, zu V 2 der Gründe; BAG Urteil vom 13. Februar 1985 – 4 AZR 295/83 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Presse).
Insoweit ist das angefochtene Urteil entsprechend zu ändern. Da lediglich eine Nebenforderung betroffen ist, bleibt dies ohne Auswirkungen auf die Kosten, die in vollem Umfang von der Beklagten zu tragen sind.
Unterschriften
Dr. Kissel, Dr. Weller, Dr. Rost, Die Amtszeit der ehrenamtlichen Richterin Frau Lappe ist abgelaufen; sie ist damit an der Unterschrift verhindert., Dr. Kissel, Dr. Schmidt
Fundstellen