Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Gehaltserhöhung
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 05.12.1996; Aktenzeichen 7 Sa 878/95) |
ArbG Dessau (Urteil vom 18.08.1995; Aktenzeichen 9 Ca 197/95) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. Dezember 1996 – 7 Sa 878/95 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden Gehalts.
Der Kläger war bei der Beklagten und ihrem Rechtsvorgänger seit dem 1. September 1954 beschäftigt, zuletzt als „Leiter Fertigung-Getriebebau” nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 1. April 1992.
Der Kläger ist Mitglied der IG-Metall, die Beklagte Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt e.V. Nach ihrem § 1 Abs. 1 Buchstabe c gelten der Manteltarifvertrag für die Angestellten in der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt vom 6. März 1991 (im folgenden: MTV) und der Gehaltstarifvertrag vom selben Tage „persönlich: für alle Angestellten im Sinne des § 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes”. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 beider Tarifverträge sind vom Geltungsbereich ausgenommen „Angestellte, die aufgrund eines schriftlichen Einzelarbeitsvertrages als außertarifliche Angestellte gelten und deren Jahreseinkommen geteilt durch zwölf das letzte Richtgehalt der Gruppe 7 um mehr als 15 % übersteigt”.
Der Anstellungsvertrag vom 1. April 1992 lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Aufgabengebiet
(1) Herr M. übernimmt ab 1. April 1992 im Unternehmen als außertariflicher Angestellter die folgende Position Leiter Fertigung – Getriebebau
§ 2 Vergütung
(1) Als Vergütung für die Tätigkeit nach diesem Vertrag zahlt das Unternehmen ein monatliches Bruttogehalt von 4.100 DM, das jeweils zum Ende eines jeden Monats fällig wird.
(2) Das Gehalt wird jährlich überprüft, wobei sowohl die Lebenshaltungskosten als auch die allgemeine Gehaltsentwicklung berücksichtigt werden.
(3) Herr M. leistet Mehrarbeit in einem angemessenen Umfang.
§ 3 Nebentätigkeit
(1) Herr M. wird seine ganze Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung stellen. Dies gilt während der allgemein festgelegten Arbeitszeit und im Rahmen des Üblichen und Zumutbaren auch darüber hinaus, soweit es der Arbeitsablauf erfordert oder besondere Aufgaben zu erfüllen sind. Die Übernahme jeglicher auf Erwerb gerichteter Nebentätigkeit bedarf der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Geschäftsführers.”
Nach § 7 des Vertrages vom 1. April 1992 hatte die Beklagte zugunsten des Klägers eine Unfallversicherung abzuschließen. In § 12 war ein Wettbewerbsverbot vereinbart. Einen Verweis auf tarifvertragliche Bestimmungen enthielt dieser Vertrag nicht.
Die Beklagte erhöhte das Gehalt des Klägers ab April 1993 auf 4.900,00 DM, worüber die Parteien am 28. Juli 1993 einen „Nachtrag zum Arbeitsvertrag” unterzeichneten. Weiter erhöhte die Beklagte das Gehalt ab 1. Dezember 1993 auf 5.500,00 DM und ab Juli 1994 auf 5.700,00 DM. Das tarifliche Richtgehalt der Gruppe 7/Stufe 3 belief sich ab April 1992 auf 3.598,56 DM, ab Juni 1993 auf 4.356,42 DM brutto, ab Dezember 1993 auf 4.828,30 DM brutto und ab Juli 1994 auf 5.490,00 DM brutto. Seit dem 8. April 1995 befindet sich der Kläger im „vorgezogenen Altersruhestand”.
Der Kläger ist der Auffassung, sein Gehalt müsse jeweils 15 % über dem letzten Richtgehalt der Gehaltsgruppe 7 des Gehaltstarifvertrages liegen, da er außertariflicher Angestellter sei. Also müsse sich sein Monatsgehalt ab Juli 1994 auf 6.314,00 DM belaufen. Er begehrt mit seiner Klage die Gehaltsdifferenzen zu dem ihm gezahlten Gehalt für die Monate Juli 1994 bis März 1995 in rechnerisch unstreitiger Höhe. Er hat vorgetragen: Nicht nur aus § 1, sondern auch aus anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages vom 1. April 1992, insbesondere aus dessen § 2 Abs. 3, ergebe sich, daß er außertariflicher Angestellter habe sein sollen. Folglich müsse seine Vergütung der Mindestvergütung eines außertariflichen Angestellten entsprechen, da er sonst seinen Status als außertariflicher Angestellter verliere. Dies könne die Beklagte nur durch Änderungskündigung erreichen. „Hilfsweise” könne er, der Kläger, Gehaltsanpassung gemäß § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages beanspruchen. Diese Bestimmung könne nur so ausgelegt werden, daß sein Gehalt mindestens entsprechend der tariflichen Entwicklung erhöht werden müsse.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.526,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 31. Mai 1995 zu zahlen;
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.496,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 31. Mai 1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei trotz der Bezeichnung in § 1 des Arbeitsvertrages kein außertariflicher Angestellter im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 der Tarifverträge, da sein Gehalt außer für einen kurzen Zeitraum das Tarifgehalt nicht um mehr als 15 % überstiegen habe. Vielmehr seien die Parteien davon ausgegangen, daß der Kläger nur deshalb „außertariflicher Angestellter” sei, weil er kraft seiner Tätigkeit, Qualifikation und der von ihm wahrgenommenen Aufgaben aus den Tätigkeitsmerkmalen der höchsten Eingruppierungsgruppe des Tarifvertrages herausrage. Sie, die Beklagte, sei auch nicht nach § 2 des Arbeitsvertrages zu einer weitergehenden Erhöhung des Gehalts verpflichtet: gewesen. Zu berücksichtigen seien nach dieser Bestimmung u.a. die „allgemeine”, und nicht die branchenspezifische Gehaltsentwicklung sowie die Lebenshaltungskosten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger stehen für die Monate Juli 1994 bis März 1995 weitere 5.526,00 DM brutto nebst Zinsen zu.
I. Der „Hilfsantrag” betrifft keinen vom Hauptantrag verschiedenen Streitgegenstand. Es handelt sich nur um eine andere rechtliche Begründung für den Anspruch auf Zahlung eines höheren Gehalts.
II. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage mit folgender Begründung stattgegeben: Aus der im Arbeitsvertrag vom 1. April 1992 enthaltenen Bestimmung, daß der Kläger außertariflicher Angestellter sei, folge bei beiderseitiger Organisationszugehörigkeit ein Anspruch auf entsprechende Bezahlung. Das ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut, als auch aus Sinn und Zweck dieser Regelung. Da der Kläger unstreitig höherwertige als im Tarifvertrag geregelte Aufgaben zu erfüllen habe, bestehe lediglich Streit über die Konsequenzen des vertraglich vereinbarten AT-Status. Der von der Beklagten mit der Vereinbarung des AT-Status verfolgte Zweck ergebe sich aus dem Vertrag vom 1. April 1992. Danach sei der Kläger zur Leistung von Mehrarbeit in angemessenem Umfang ohne zusätzliche Vergütung verpflichtet. Dies sei aber bei beiderseitiger Organisationszugehörigkeit nach § 4 Abs. 3 TVG nur möglich, wenn der Tarifvertrag keine Anwendung mehr finde, also die Voraussetzungen der Nichtanwendbarkeit des Tarifvertrages vorlägen, der Arbeitnehmer z.B. AT-Angestellter – bei beiderseitiger Organisationszugehörigkeit – nach Maßgabe des Tarifvertrages sei. Zur Definition des AT-Angestellten im hier einschlägigen Tarifwerk gehöre aber eine modifizierte Vergütungskomponente, so daß zur Bestimmung des Vergütungsanspruchs des Klägers als AT-Angestellten aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit auf die tarifvertragliche Definition für den außertariflichen Angestellten zurückgegriffen werden müsse. Damit hätten Tariflohnerhöhungen Auswirkungen auf die Gehaltsfindung des Klägers als AT-Angestellten. Da der Tarifvertrag einen Mindestabstand zur obersten tariflichen Gehaltsgruppe vorsehe (15 %), würde der Kläger bei unterschreiten des Mindestabstands Tarifangestellter. Eine Veränderung des AT-Status habe aber die Beklagte nach eigenem Vortrag nicht gewollt, so daß von Anfang an ein Anspruch auf den tarifvertraglich vorgesehenen Mindestabstand bestanden habe, der bei Gehaltserhöhungen einzuhalten sei. Anspruchsgrundlage sei § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages, allerdings mit der Maßgabe, daß die Bezüge dem vertraglich vereinbarten Status des Klägers ohne entsprechende Vertragsänderung entsprechen müßten.
III. Diese Vertragsauslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Auslegung nichttypischer Willenserklärungen ist nach ständiger Rechtsprechung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt, und ob sie rechtlich möglich ist. Dagegen ist die Auslegung typischer Willenserklärungen vom Revisionsgericht voll nachprüfbar.
Im Streitfall geht es um die Auslegung individueller Erklärungen. Zwar hat die Beklagte vergleichbare Formulierungen auch im Anstellungsvertrag mit dem Kläger des Parallelverfahrens (Dr. O. – 5 AZR 127/97 –) getroffen. Das macht die entsprechenden Vertragsbestimmungen aber noch nicht zu typischen Erklärungen.
2. Bei Anlegung des für nichttypische Erklärungen geltenden Überprüfungsmaßstabs erweist sich die Auslegung des Landesarbeitsgerichts als möglich. Es hat weder gegen gesetzliche Auslegungsregeln und anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen noch wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen.
Die Revision meint, das Landesarbeitsgericht habe den tarifvertraglichen Begriff des außertariflichen Angestellten verkannt. Das trifft nicht zu. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 der Tarifvertäge sind von ihrem Geltungsbereich ausgenommen Angestellte, die aufgrund schriftlichen Einzelvertrages als außertarifliche Angestellte gelten und deren Jahreseinkommen das höchste Tarifgehalt um mehr als 15 % übersteigt. Beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Das hat das Landesarbeitsgericht bejaht. Es hat den Arbeitsvertrag so ausgelegt, daß der Kläger nach dem Arbeitsvertrag als außertariflicher Angestellter gilt und er Anspruch auf ein Gehalt hat, das das höchste Tarifgehalt um mehr als 15 % übersteigt.
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht seine Vertragsauslegung keinesfalls ausschließlich auf die Bezeichnung als außertariflicher Angestellter in § 1 Abs. 1 des Arbeitsvertrages gestützt. Es hat maßgeblich auch auf § 2 Abs. 3 des Arbeitsvertrages abgestellt. Danach hatte der Kläger „Mehrarbeit in einem angemessenen Umfang” zu leisten. Aus der systematischen Stellung dieser Vertragsbestimmung unter der Überschrift „Vergütung” ergibt sich, daß der Kläger dafür keine Vergütung erhalten sollte. Wäre der Kläger Tarifangestellter, wie die Beklagte im Prozeß vorgetragen hat, so hätte er Anspruch auf Bezahlung der Mehrarbeit. Es kann nicht angenommen werden, daß die Beklagte durch ihre Vertragsgestaltung dem Kläger beides vorenthalten wollte, die Rechte als Tarifangestellten und die Rechte als außertariflicher Angestellter. Der Arbeitsvertrag enthält auch im übrigen Klauseln, die in Arbeitsverträgen mit außertariflichen Angestellten häufig verwendet werden. So wird in § 3 des Arbeitsvertrages die Verpflichtung zur Leistung von Mehrarbeit noch über den Rahmen des § 2 Abs. 3 hinaus erweitert und vom Kläger gefordert, „seine ganze Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung (zu) stellen”.
Wenn das Landesarbeitsgericht bei dieser Sachlage dem Umstand, daß die in § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages genannte Gehaltssumme nicht mehr als 15 % über dem höchsten Tarifgehalt lag, sondern geringfügig darunter, bei der Vertragsauslegung keine entscheidende Bedeutung zumaß, so läßt das Rechtsfehler nicht erkennen. Der Kläger hatte somit für den Streitzeitraum Anspruch auf ein Gehalt, das das höchste tarifliche Gehalt um mehr als 15 % überstieg. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit ihren bisherigen Zahlungen nur teilweise erfüllt, so daß der Kläger Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Differenzbeträge hat.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Kreft, Werner, Schwefeß
Fundstellen