Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn und Ende der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst

 

Normenkette

BAT § 15 Abs. 7

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 29.11.1990; Aktenzeichen 6 Sa 285/89)

ArbG Lübeck (Urteil vom 05.07.1989; Aktenzeichen 4b Ca 934/89)

ArbG Lübeck (Urteil vom 05.07.1989; Aktenzeichen 4b Ca 933/89)

ArbG Lübeck (Urteil vom 11.05.1989; Aktenzeichen 1b Ca 596-599/89)

ArbG Lübeck (Urteil vom 11.05.1989; Aktenzeichen 1b Ca 470/89)

ArbG Lübeck (Urteil vom 11.05.1989; Aktenzeichen 1b Ca 559/89)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerinnen und Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 29. November 1990 – 6 Sa 285/89 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.

Die Klägerinnen und Kläger arbeiten für das beklagte Land in der Medizinischen Universität zu Lübeck (MUL). Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Verbandzugehörigkeit der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Dessen § 15 Abs. 7 lautete in der bis 31. März 1991 geltenden Fassung:

Regelmäßige Arbeitszeit

(7) Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder am Sammelplatz.

Protokollnotiz zu Abs. 7:

Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter dem Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte tatsächlich arbeitet.

Das Klinikgelände ist nach Osten zur Ratzeburger Allee eingezäunt. In der Mitte des Zaunes befindet sich die Haupteinfahrt. Außerdem befinden sich an den beiden Enden der Umzäunung Tore, die zu jeder Zeit für Fußgänger geöffnet sind. Innerhalb der Einfriedung erstreckt sich an der Ratzeburger Allee ein 100 m breiter Waldstreifen bestehend aus hohem Baumbestand und dichtem Unterholz. Im Norden grenzt das Gelände an Grundstücke, die mit Privathäusern bebaut sind. Diese Grundstücke sind durch Einfriedungen vom Klinikgelände abgegrenzt. Das Klinikgelände kann von dieser Seite aus nicht erreicht werden. Im Süden grenzt das Klinikum an landwirtschaftliche Flächen. Das Gelände ist hier nicht eingefriedet und wird lediglich durch einen Bauzaun und daneben von einem Graben mit einem Erdwall begrenzt. Zwischen den landwirtschaftlichen Flächen verläuft von der Ratzeburger Allee her teilweise der öffentliche Peter-Monnik-Weg, von dem aus auch ein Fußgängerweg auf das Klinikgelände führt. An der Westseite verläuft der Mönkhofer Weg als öffentliche Straße. Die Straße verläuft zunächst zwischen dem Klinikgelände und den unbebauten landwirtschaftlichen Flächen. Das Klinikgelände ist an dieser Seite durch einen Zaun eingefriedet. Im Zaun befinden sich insgesamt drei Zugänge, davon zwei Zugänge nur für Fußgänger (in Höhe Krankenpflegeschule und Landesbauamt). Das Klinikgelände kann mit dem Pkw nur mit Stechkarte über den Haupteingang oder den Mönkhofer Weg oder nach Einlaß durch den Pförtner an dem Haupteingang an der Ratzeburger Allee befahren werden.

Die Klägerinnen und Kläger sind mit Ausnahme des Klägers zu 7. im Haus 13 auf dem Gelände MUL tätig. Der Kläger zu 1. arbeitet in der Radiologie, der Kläger zu 2. in der plastischen Chirurgie (Station 23 b), die Kläger zu 3. und 4. und die Klägerinnen zu 5., 6. und 8. sind auf der Intensivstation der Chirurgie (Nr. 15) tätig. Der Kläger zu 7. ist in der Psychiatrie im Gebäude 50 (Station 24 b) eingesetzt.

Die Klägerinnen und Kläger haben die Auffassung vertreten, das gesamte Klinikgelände sei Arbeitsstelle im Sinne von § 15 Abs. 7 BAT. Die Gebäude der Dienststelle bzw. der Medizinischen Universitätsklinik befänden sich auf einem eingefriedeten Betriebsgelände. Daher beginne die Arbeitszeit mit Betreten des Betriebsgeländes am nächstgelegenen Eingang und ende mit Verlassen des Betriebsgeländes an diesem Eingang.

Die Klägerinnen und Kläger verlangen Vergütung für die von ihnen beanspruchte Wegezeit ab Dezember 1987 in jeweils unstreitiger Höhe.

Die Klägerinnen und Kläger haben beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen,

an den Kläger zu 1. DM 2.343,50 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 08.03.1989,

an den Kläger zu 2. DM 904,17 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 15.03.1989,

an den Kläger zu 3. DM 2.575,97 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 21.03.1989,

an den Kläger zu 4. DM 868,40 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 21.03.1989,

an die Klägerin zu 5. DM 1.406,20 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 21.03.1989,

an die Klägerin zu 6. DM 892,13 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 21.03.1989,

an den Kläger zu 7. DM 994,23 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 23.05.1989,

an die Klägerin zu 8. DM 2.968,85 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 23.05.1989

zu zahlen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Arbeitsstellen seien die jeweiligen Gebäude, in denen die Klägerinnen und Kläger arbeiteten. Es könne nicht auf das ganze auch von anderen benutzte Areal der MUL abgestellt werden. Es fehle bereits an der erforderlichen Einfriedung des Geländes. Die Einfriedung im Norden habe im Hinblick auf die dort liegenden privaten Grundstücke rein nachbarrechtliche Funktion. Im Süden sei es ohne weiteres möglich, von den landwirtschaftlichen Flächen her auf das Klinikum zu gelangen. Durch die Einfriedungen an der Ost- und Nordgrenze werde der Zugang zum Gelände nicht erschwert. An der Ostgrenze zur Ratzeburger Allee sei ein Zugang bereits aus naturgegebenen Gründen kaum möglich. Das dort befindliche Waldgelände sei so beschaffen, daß es von Passanten kaum gefahrlos zu durchschreiten sei. Die Einfriedung diene nicht dazu, den Zugang zu erschweren, sondern sei ausschließlich dazu bestimmt zu verhindern, daß unvernünftige Personen durch Betreten des unzugänglichen Waldgeländes zu Schaden kämen. Überall dort, wo eine Straße oder ein Weg zum Klinikgelände auf die Ratzeburger Allee führe, sei auch ein Tor, das zu jeder Zeit für Fußgänger geöffnet sei. Nicht wesentlich anders sei die Lage an der Westgrenze zum Mönkhofer Weg hin. Von Süden her gesehen verlaufe der Mönkhofer Weg zunächst zwischen dem Klinikgelände und unbebauten landwirtschaftlichen Flächen. An dieser Stelle sei das Klinikgelände vom Mönkhofer Weg her schon deshalb unzugänglich, weil es – wie an der Ostgrenze – durch eine unzugängliche naturbelassene Grundstücksfläche begrenzt werde. Aus allem ergebe sich auch, daß die Einfriedung nicht aufgrund der Organisationsbefugnis des beklagten Landes erfolgt sei. Keiner der Arbeitnehmer sei dadurch gezwungen, bestimmte Eingänge zu benutzen. Jedenfalls müßten die Arbeitnehmer nicht in einer Vielzahl von Fällen längere Wege in Kauf nehmen, denn selbst, wenn die Einfriedungen an der Ratzeburger Allee und am Mönkhofer Weg nicht vorhanden wären, könnte das Klinikgelände von keinem Mitarbeiter, woher er auch komme, auf einem kürzeren Wege erreicht werden.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Klägerinnen und Kläger ihr Klageziel weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Gelände der MUL sei nicht die Arbeitsstelle der Klägerinnen und Kläger i. S. des § 15 Abs. 7 BAT. Es sei bereits zweifelhaft, ob das Gelände der MUL als abgeschlossenes, umfriedetes Gelände angesehen werden könne. Die Einfriedung sei nicht geschlossen. Außerdem befänden sich auf dem Gelände auch andere Einrichtungen. Entscheidend sei, daß die darlegungspflichtigen Klägerinnen und Kläger nicht ausreichend vorgetragen hätten, daß die vorhandene Einfriedung ursächlich für längere Umwege einer Vielzahl von Arbeitnehmern sei. Im Norden sei der Zugang zum Klinikum bereits deswegen ausgeschlossen, weil dort private Grundstücke an das Klinikgelände anschlössen. Im Süden sei der Zugang lediglich aufgrund der tatsächlichen Geländeverhältnisse erschwert, nicht jedoch durch die vorhandene Teileinfriedung. Im Osten – Ratzeburger Allee – und im Westen – Mönkhofer Weg – könnten die Arbeitnehmer, gleichgültig aus welcher Richtung sie kämen, bereits bei Erreichen des Geländes das Klinikum durch dort befindliche Eingänge betreten. Die in der MUL tätigen Arbeitnehmer seien überdies deswegen nicht zu längeren Umwegen gezwungen, weil sie auch ohne die Einfriedung die Wege, die von den Eingängen zu den Gebäuden führen, benutzen müßten. Das ergebe sich daraus, daß keine Straße und kein Weg innerhalb des Klinikgeländes durch die Einfriedung abgeschnitten werde. Das gesamte Klinikgelände sei auch nicht deswegen Arbeitsstelle i. S. von § 15 Abs. 7 BAT, weil die Medizinische Universität eine Dienststelle im Sinne des Personalvertretungsrechtes mit einem eigenen Personalrat sei.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts können revisionsrechtlich keinen Bestand haben.

II. Das Landesarbeitsgericht hat keine ausreichenden Feststellungen zur Arbeitsstelle der Klägerinnen und Kläger i. S. des § 15 Abs. 7 BAT getroffen.

1. Nach § 15 Abs. 7 BAT beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 29. April 1982 – 6 ABR 54/79 – AP Nr. 4 zu § 15 BAT; Urteile vom 15. September 1988 – 6 AZR 637/86BAGE 59, 335 = AP Nr. 12 zu § 15 BAT und vom 18. Januar 1990 – 6 AZR 386/89BAGE 65, 1 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT und – 6 AZR 551/88 – n.v.) den Begriff der Arbeitsstelle dahingehend konkretisiert, daß dieser nicht mit dem Begriff des Arbeitsplatzes identisch ist, sondern einen weiteren räumlichen Bereich umfaßt. Als Arbeitsstelle kann ein Gebäude in Betracht kommen. Die Arbeitsstelle kann aber auch das gesamte Dienststellengelände mit einem oder mehreren Gebäuden umfassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis die Dienststelle mit einer Umfriedung umgibt und die Arbeitnehmer auf diese Weise zwingt, bestimmte Eingänge zu benutzen, so daß in einer Vielzahl von Fällen längere Wege in Kauf genommen werden müssen.

Bei dem Tarifbegriff der Arbeitsstelle i. S. des § 15 Abs. 7 BAT handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Beurteilung übersehen hat (vgl. z.B. BAG Urteil vom 7. Dezember 1988 – 7 AZR 138/88 – AP Nr. 8 zu § 543 ZPO 1977, zu II 2 c der Gründe; Urteil vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v., zu II 1 der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung den Tarifbegriff Arbeitsstelle so zugrunde gelegt, wie er vom Senat verstanden wird. Davon geht auch die Revision aus. Soweit das Landesarbeitsgericht Zweifel hat, ob das Gelände der Medizinischen Universität als abgeschlossenes umfriedetes Gelände angesehen werden kann, weil die Einfriedung nicht geschlossen sei und sich auf dem Gelände auch andere Einrichtungen befänden, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es für den Tarifbegriff Arbeitsstelle nicht erforderlich, daß die Einfriedung das Gelände ausnahmslos umgeben muß. Einfriedung bedeutet nicht, daß das gesamte Gelände mit einer Umzäunung umgeben sein muß. Entscheidend ist vielmehr, daß der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis eine räumlich-organisatorische Einheit schafft. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Gelände im Osten eingezäunt und im übrigen durch einen etwa 100 m breiten unzugänglichen Waldstreifen begrenzt. Im Norden ist das Gelände durch Einfriedungen von benachbarten Privatgrundstücken abgegrenzt. Es kann von dieser Seite weder begangen noch befahren werden. Vom Süden her kann es weder begangen noch befahren werden, weil sich hier außer einem Bauzaun ein Graben und ein bis zu sechs Meter hoher Erdwall befinden. Das Gelände ist auch an der Westseite durch einen Zaun umfriedet. Es kann nur durch zwei Einlässe im Osten und drei Einlässe im Westen betreten werden. Somit liegen die Voraussetzungen eines abgeschlossenen umfriedeten Betriebsgeländes vor. Dieses Gelände ist unstreitig aufgrund der Organisationsbefugnis der Beklagten geschaffen und wird als organisatorisch selbständige Einheit MUL verwaltet.

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es für die räumlich-organisatorische Einheit der MUL rechtlich unerheblich, daß sich auf dem Gelände auch noch andere selbständige oder unselbständige Dienststellen befinden. Der Begriff der Arbeitsstelle als räumlich-organisatorische Einheit stellt inhaltlich auf die Organisationsbefugnis des Arbeitgebers ab. Dieser bestimmt durch die räumliche Gestaltung und die Organisation der Arbeitsstelle Beginn und Ende der Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Dafür, ob ein bestimmtes Gelände Arbeitsstelle ist, ist deshalb nicht entscheidend, ob auf diesem nur eine oder mehrere Dienststellen untergebracht sind. Vielmehr kann der Arbeitsstellenbegriff in bezug auf das gesamte Gelände auch erfüllt sein, wenn sich darauf weitere selbständige und unselbständige Dienststellen befinden. Entscheidend ist, daß der beklagte Arbeitgeber das Gelände räumlich-organisatorisch gestaltet hat (vgl. zuletzt BAG Urteile vom 18. Januar 1990, BAGE 65, 1 = AP, a.a.O., und vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v.). Dies ist vorliegend gegeben (vgl. II 2 a).

c) Aufgrund der bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist auch davon auszugehen, daß die Arbeitnehmer durch die Umfriedung des Geländes der MUL, das durch zwei Einfahrten und drei Fußgängereingänge geöffnet ist, gezwungen werden, diese Eingänge zu benutzen.

d) Es fehlt jedoch jede Feststellung dazu, daß dadurch eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen müssen. Dieser Mangel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht, das dazu weitere Tatsachen feststellen muß.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat diese Voraussetzung des Tarifbegriffs der Arbeitsstelle verneint, weil die Einfriedung nicht ursächlich für längere Wege einer Vielzahl von Arbeitnehmern sei. Die Arbeitnehmer würden nicht zu längeren Wegen gezwungen, weil sie auch ohne die Einfriedung die Wege, die von den Eingängen zu den Gebäuden führen, benutzen müßten, denn keine Straße und kein Weg innerhalb des Klinikgeländes würden durch die Einfriedung abgeschnitten. Dies verstößt gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze. Ist ein Gelände so eingefriedet, daß die Arbeitnehmer gezwungen werden, bestimmte Eingänge zu benutzen, so ist im Regelfall diese räumliche Gestaltung ursächlich dafür, daß damit eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen muß, weil der einzelne nicht den für ihn kürzeren Weg benutzen kann.

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht das Vorliegen dieser Voraussetzung damit verneint hat, daß die darlegungspflichtigen Klägerinnen und Kläger dazu nicht ausreichend vorgetragen hätten, geschah dies unter Verkennung der Grundsätze der Darlegungslast. Die Regelung des § 15 Abs. 7 BAT gibt selbst keinen Hinweis darauf, wer die Darlegungslast dafür hat, daß eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen muß. Es ist deshalb von dem allgemeinen Grundsatz auszugehen, daß jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darzulegen und im Streitfall zu beweisen hat. Danach müssen – insoweit ist dem Landesarbeitsgericht im Ansatz zuzustimmen – die Klägerinnen und die Kläger darlegen, daß das Gelände der MUL, auf dem sich mehrere Gebäude befinden, eingefriedet ist und nur durch bestimmte Eingänge betreten werden kann. Insoweit ist der Vortrag der Parteien unstreitig. Für die weitere von den Klägerinnen und Klägern behauptete Voraussetzung, daß die Einfriedung und die vorhandenen Eingänge zu längeren Wegezeiten für eine Vielzahl von Arbeitnehmern führe, spricht der Beweis des ersten Anscheins. Wenn ein Gebäude innerhalb einer Umzäunung liegt, und nur durch bestimmte Eingänge erreicht werden kann, ist nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge davon auszugehen, daß eine Vielzahl von Streckenverlängerungen durch die Benutzung der Eingänge notwendig wird. Wenn die Einfriedung nicht vorhanden wäre, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, daß für eine Vielzahl von Arbeitnehmern kürzere Wege anfallen würden. Nur ausnahmsweise kann es denkbar sein, daß eine derartige Vielzahl von Eingängen vorhanden ist, daß praktisch von einer Einfriedung und der damit verbundenen Verlängerung von Wegezeiten nicht ausgegangen werden kann. Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen dieser den Beweis des ersten Anscheins entkräftenden Ausnahmesituation ergibt, hat das beklagte Land vorzutragen. Für diese Darlegungslast des Arbeitgebers spricht im übrigen auch der für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast maßgebende Gesichtspunkt der Sachnähe. Nur der Arbeitgeber vermag letztlich die Ausnahmesituation zu beweisen, daß die Arbeitnehmer nicht in einer Vielzahl von Fällen längere Wege in Kauf nehmen müssen. Er kennt die Wohnorte der Arbeitnehmer und damit die Anfahrtswege zum Dienststellengelände. Er kann somit anders als der einzelne Arbeitnehmer beurteilen, an welchen Eingängen die Arbeitnehmer ankommen und welche Dienstgebäude sie aufsuchen müssen. Er allein kann aufgrund dieser Kenntnis dartun, ob eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen muß oder nicht.

e) Aufgrund dieser Sach- und Rechtslage ist dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, die Behauptung der Klägerinnen und Kläger, daß eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen müsse, durch substantiierten und notfalls zu beweisenden Tatsachenvortrag in Frage zu stellen.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Spiegelhalter, Wax

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065195

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