Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslösung im Baugewerbe

 

Orientierungssatz

§ 7.2.2 BauRTV legt den für den Auslösungsanspruch eines Arbeitnehmers nach § 7.4.1 BauRTV maßgeblichen Betrieb fest. Es ist die ständige Vertretung des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird.

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 15. September 1997 - 5 Sa 114/96

- in der Kostenentscheidung sowie insoweit aufgehoben, wie es die

Beklagte zur Zahlung von 2.294,60 DM nebst 4 % Zinsen aus 725,60

DM seit dem 12. Juni 1995, aus 707,60 DM seit dem 21. Juli 1995

und 861,40 DM seit dem 5. Juli 1995 verurteilt hat.

Insoweit wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung

und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das

Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

2. Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten wegen seiner Arbeiten auf Baustellen im Stadtgebiet von Hamburg in den Jahren 1995 und 1996 Auslösung und die Erstattung der Kosten von Wochenendheimfahrten verlangen kann.

Der alleinstehende Kläger ist seit dem 15. August 1983 bei dem beklagten Bauunternehmen als Rohrleger im Stundenlohn beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für das Baugewerbe kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. In der vom Kläger unterzeichneten Einstellungsanzeige ist als Einstellungsort Bremen vermerkt, wo die Beklagte eine Niederlassung unterhält. Seit Beginn seiner Tätigkeit bewohnte der Kläger ein Zimmer in der Niederlassung der Beklagten in Bremen in der B straße .

Der Kläger war zunächst für die Beklagte in Bremen und Umgebung tätig. Später wurde er von deren Niederlassung in Hamburg aus eingesetzt und auf Baustellen im Raum Hamburg beschäftigt. Während dieser Tätigkeiten übernachtete der Kläger in Hamburg und erhielt mehrere Jahre lang Auslösung und Fahrtkosten für Wochenendheimfahrten. Der Kläger nahm an Betriebsratswahlen des Hamburger Betriebes der Beklagten teil.

Auf Veranlassung der Beklagten mußte der Kläger das ihm in Bremen in der B straße zur Verfügung gestellte möblierte Zimmer Ende Januar oder Ende Februar 1995 räumen. Seit dem 7. Juli 1995 ist der Kläger in Bremen, F Straße , im Haus des Zeugen S als wohnhaft gemeldet. Der Kläger arbeitet weiter auf Hamburger Baustellen. Während der Woche übernachtet er in einem Wohncontainer auf dem Betriebsgelände der Niederlassung Hamburg der Beklagten und zahlt hier ein tägliches Wohngeld von 8,00 DM. Seit dem 1. März 1995 zahlt die Beklagte an den Kläger keine Auslösung mehr. Der Kläger erhält nur noch einen Verpflegungszuschuß sowie Fahrgeld für Heimfahrten am Wochenende.

Im hier interessierenden Zusammenhang bestimmt der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau):

"§ 2

Beginn des Arbeitsverhältnisses

1. Arbeitspapiere

Der Arbeitnehmer hat bei seiner Einstellung die üblichen

Arbeitspapiere, zu denen auch die Lohnnachweiskarte für

Urlaub, Lohnausgleich und Zusatzversorgung im Baugewerbe sowie

die Unterlagen über vermögenswirksame Leistungen gehören, dem

Arbeitgeber zu übergeben.

...

§ 7

Fahrtkoste1. Allgemeines

Der Arbeitnehmer kann auf allen Bau- oder sonstigen

Arbeitsstellen des Betriebes eingesetzt werden, auch auf

solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht an jedem

Arbeitstag erreichen kann.

2. Begriffsbestimmungen

2.1 Entfernung und Wohnung

Entfernungen sind nach Maßgabe des kürzesten (im Falle der Nr.

4.7 des günstigsten) mit Personenkraftwagen befahrbaren

öffentlichen Weges zwischen der Bau- oder Arbeitsstelle und

der Wohnung (Unterkunft) des Arbeitnehmers im räumlichen

Geltungsbereich dieses Tarifvertrages zu bestimmen.

2.2 Betrieb

Als Betrieb gilt die Hauptverwaltung, die Niederlassung, die

Filiale, die Zweigstelle oder die sonstige ständige Vertretung

des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird.

Wird der Arbeitnehmer auf einer Bau- oder Arbeitsstelle

eingestellt, so gilt die nächstgelegene Vertretung des

Arbeitgebers als Betrieb.

3. Bau- oder Arbeitsstellen mit täglicher Heimfahrt

3.1 Fahrtkostenabgeltung

Der Arbeitnehmer, der auf einer mindestens 6 km von seiner

Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des

Betriebes arbeitet, und dem kein Auslösungsanspruch gemäß Nr.

4.1 zusteht, hat Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung ...

4. Bau- oder Arbeitsstellen ohne tägliche Heimfahrt

4.1 Auslösung

Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder Arbeitsstelle tätig

ist, die mehr als 25 km vom Betrieb entfernt ist, und dem die

tägliche Rückkehr zur Wohnung (Erstwohnung) nicht zuzumuten

ist, hat für jeden Kalendertag, an dem die getrennte

Haushaltsführung hierdurch verursacht ist, Anspruch auf eine

Auslösung.

...

Das Merkmal der getrennten Haushaltsführung gilt als erfüllt,

wenn der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten mindestens einer

Wohnung (Erstwohnung oder Zweitwohnung) überwiegend trägt und

außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet.

Die tägliche Rückkehr ist nicht zumutbar, wenn der normale

Zeitaufwand für den einzelnen Weg von der Wohnung zur Bau-

oder Arbeitsstelle bei Benutzung des zeitlich günstigsten

öffentlichen Verkehrsmittels oder eines vom Arbeitgeber zur

Verfügung gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeugs mehr als 1 1/4

Stunden beträgt.

..."

Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Zeitaufwand für den einzelnen Weg von der F Straße in Bremen zu den Baustellen der Beklagten in Hamburg bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels mehr als 1 1/4 Stunden beträgt.

Mit seiner Klage hat der Kläger Auslösung und Fahrtkostenersatz für die Monate März, April, Mai, August, September und Oktober 1995 sowie März bis August 1996 verlangt. Er hat von den von ihm als Nettobeträge errechneten Forderungen den von der Beklagten gezahlten Verpflegungszuschuß und die Fahrtkostenerstattung in Abzug gebracht und den Differenzbetrag geltend gemacht. Die Beklagte ist dem Rechenwerk nicht entgegengetreten.

Der Kläger hat behauptet, er habe ständig seinen Wohnsitz in Bremen beibehalten und sei an jedem Wochenende zurück in seine Wohnung gefahren. Nach dem Auszug aus den Räumen in der B straße in Bremen sei er umgehend in die F Straße in Bremen umgezogen. Dort habe er ein Zimmer für 150,00 DM monatlich angemietet. Dort führe er auch seinen Haushalt. Die offizielle Ummeldung sei verspätet erfolgt. Die Beklagte müsse deshalb die Auslösung und die Fahrtkostenerstattung für Wochenendheimfahrten nach § 7.4 BRTV-Bau auch über den 28. Februar 1995 hinaus zahlen. Der für die Auslösung maßgebliche Betrieb sei weiterhin die Niederlassung in Bremen, wo er eingestellt worden sei. Ein anderer Arbeitsort sei nicht vereinbart worden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 725,60 DM netto nebst 4 %

Zinsen seit dem 12. Juni 1995, weitere 707,60 DM netto nebst 4 %

Zinsen seit dem 21. Juli 1995, weitere 861,40 DM netto nebst 4 %

Zinsen seit dem 5. Juli 1995, weitere 510,00 DM netto nebst 4 %

Zinsen seit dem 19. Oktober 1995, weitere 879,00 DM netto nebst 4

% Zinsen seit dem 14. November 1995, weitere 925,80 DM netto nebst

4 % Zinsen seit dem 20. Dezember 1995, weitere 1.594,30 DM netto

nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Juli 1996, weitere 1.602,20 DM netto

nebst 4 % Zinsen seit dem 23. August 1996 sowie weitere 1.318,60

DM nebst 4 % Zinsen seit dem 14. Oktober 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung ist ihre Niederlassung in Hamburg der maßgebliche Betrieb i.S.v. § 7.2.2 BRTV-Bau. Der Kläger sei nicht vertraglich verpflichtet, seine Arbeitsleistungen für die Niederlassung Bremen zu erbringen, sondern dazu, für ihre Niederlassung Hamburg zu arbeiten. Alle ihre im Hamburger Stadtgebiet liegenden Baustellen, auf denen der Kläger im Streitzeitraum tätig gewesen sei, seien weniger als 25 km von diesem Betrieb entfernt gewesen.

Die Beklagte hat bestritten, daß der Kläger einen Wohnsitz in Bremen habe. Er sei dort nur zum Schein angemeldet. Er habe sich dort erst angemeldet, nachdem er bereits in Hamburg beschäftigt worden sei. Sie hat weiter bestritten, daß der Kläger an den Wochenenden nach Bremen gefahren sei. Jedenfalls stehe ihm in Bremen nicht mehr als ein möbliertes Zimmer zur Verfügung. Er habe mithin keinen eigenen Hausstand, der Voraussetzung für einen Auslösungsanspruch sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht nach Beweisaufnahme der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung erster Instanz an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit das Landesarbeitsgericht dem Kläger für die Zeit seit dem 7. Juli 1995 Auslösung und Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 6.829,90 DM zugesprochen hat. Insoweit steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nach § 7.4 BRTV-Bau zu.

Ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 7.4.1 BRTV-Bau auch wegen der weiteren 2.294,60 DM, die das Landesarbeitsgericht dem Kläger für die Zeit vom 1. März 1995 bis zum 7. Juli 1995 zuerkannt hat, vorliegen, steht demgegenüber noch nicht fest. Insoweit führt die Revision der Beklagten zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits.

I. Maßgeblicher Betrieb im Sinne von § 7.4.1 BRTV-Bau ist die Niederlassung der Beklagten in Bremen. Von ihr waren die Hamburger Baustellen, auf denen der Kläger tätig war, mehr als 25 km entfernt.

1. § 7.2.2 BRTV-Bau legt den für den Auslösungsanspruch eines Arbeitnehmers nach § 7.4.1 BRTV-Bau maßgeblichen Betrieb fest. Es ist die ständige Vertretung des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird. Der Kläger ist im August 1983 in Bremen in der dortigen Niederlassung der Beklagten eingestellt worden. Sie gilt als für den Kläger maßgeblicher Betrieb i.S.v. § 7.2.2 BRTV-Bau.

2. An diesem tarifvertraglichen Mittelpunkt seines Arbeitsverhältnisses hat sich in der Folgezeit nichts geändert.

a) Für eine Änderung des tarifvertraglich maßgeblichen "Betriebes, in dem der Arbeitnehmer eingestellt wird", reichen organisatorische Veränderungen durch die Arbeitgeberin des Baugewerbes ebensowenig wie eine vom Arbeitnehmer stillschweigend hingenommene Versetzung. Es bedarf einer eindeutigen Vertragsänderung durch übereinstimmende Willenserklärungen.

aa) Bei der Festlegung des für den Auslösungsanspruch maßgeblichen Betriebes kommt es nicht darauf an, in welche der in § 7.2.2 Satz 1 BRTV-Bau genannten betrieblichen Organisationen ein Arbeitnehmer aktuell eingegliedert ist und von wo aus er seine Weisungen erhält. Hieraus kann sich zwar die tatsächliche Zugehörigkeit zu einem bestimmten Betrieb des Arbeitgebers ergeben. Die Tarifvertragsparteien haben aber nicht auf solche tatsächlichen Umstände während des laufenden Arbeitsverhältnisses, sondern auf Einstellung und Einstellungsort abgestellt. Nach der tarifvertraglichen Regelung kommt es damit auf den mit der Arbeitsaufnahme verbundenen Arbeitsvertragsschluß an. Dies gilt unbeschadet des Umstandes, daß die Tarifvertragsparteien nicht von dem Betrieb gesprochen haben, in dem der Arbeitnehmer eingestellt "worden ist", sondern von dem, in dem er eingestellt "wird". Diese Wortwahl bedeutet nicht, daß damit jede während des Arbeitsverhältnisses herbeigeführte Änderung des tatsächlichen Beschäftigungsmittelpunktes als Einstellung i.S.d. § 7.2.2 Satz 1 BRTV-Bau anzusehen wäre. Die von den Tarifvertragsparteien gewählte Gegenwartsform ist vielmehr damit zu erklären, daß sie mit dem Begriff "Einstellung" den während eines Arbeitsverhältnisses einmaligen Vorgang des Arbeitsvertragsschlusses gemeint haben. Dies zeigt § 7.2.2 Satz 2 BRTV-Bau. Dort wird bestimmt, was gilt, wenn ein Arbeitnehmer auf einer Baustelle "eingestellt wird". In diesem Fall soll die der Baustelle nächstgelegene Vertretung des Arbeitgebers der maßgebliche Betrieb sein. Hier kann mit dem Begriff der Einstellung nur der mit der Arbeitsaufnahme verbundene Arbeitsvertragsschluß gemeint sein. Der weisungsgemäße Arbeitsantritt auf einer neuen Baustelle innerhalb eines laufenden Arbeitsverhältnisses wird nach dem allgemeinen Wortgebrauch nicht als "Einstellung" auf dieser Baustelle verstanden. Es ist dann aber auszuschließen, daß die Tarifvertragsparteien den Ausdruck "eingestellt werden" in § 7.2.2 Satz 1 BRTV-Bau in einem anderen, weiteren Sinne verstanden haben als in § 7.2.2 Satz 2 BRTV-Bau.

bb) Allerdings ist trotz des Wortlauts vom § 7.2.2 BRTV-Bau nicht davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien den für einen Auslösungsanspruch maßgeblichen Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses mit dem Ort des Arbeitsvertragsschlusses ein für allemal und unabänderlich festschreiben wollten.

Hierfür spricht zwar, daß ein Arbeitnehmer grundsätzlich nur einmal in ein Arbeitsverhältnis "eingestellt" wird. Aus dem Ort der Einstellung ergibt sich dann der zunächst privatautonom geschaffene und danach von den Tarifvertragsparteien mit normativer Wirkung aufgegriffene Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses. Er bleibt dies grundsätzlich auch für die Dauer des Arbeitsvertrages. Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck tarifvertraglicher Auslösungsbestimmungen. Es geht darum, die erhöhten Kosten des Arbeitnehmers auszugleichen, die durch die getrennte Haushaltsführung entstehen, die ihrerseits durch auswärtige Tätigkeit verursacht worden ist (BAG Urteil vom 29. Juli 1992 - 4 AZR 512/91 - AP Nr. 155 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, zu II 3 b der Gründe). Man kann davon ausgehen, daß die Tarifvertragsparteien es als Normalfall angesehen haben, daß ein Arbeitnehmer des Baugewerbes in der Nähe seiner Wohnung eingestellt wird. Mit der Wahl der dem Einstellungsort zugeordneten Vertretung des Arbeitgebers als des maßgeblichen Ausgangspunktes für den pauschalierten Aufwendungsersatz durch eine Auslösung werden die privaten und die betrieblichen Interessen der Beteiligten angemessen berücksichtigt. Einerseits kann der Arbeitgeber des Baugewerbes entsprechend den Besonderheiten der Branche den Arbeitsort weitergehend als im allgemeinen Arbeitsrecht üblich bestimmen, indem er auch Arbeitsorte festlegt, die der Arbeitnehmer von seiner Wohnung aus nicht an jedem Arbeitstag erreichen kann, wenn sie nur dem betreffenden Betrieb zugeordnet sind. Andererseits hat der Arbeitnehmer die Planungssicherheit, daß der Aufwand, der erforderlich ist, um die auswärtige Baustelle von seiner Wohnung aus zu erreichen, ausgeglichen wird.

Diese Gesichtspunkte zeigen aber zugleich, daß die Tarifvertragsparteien den "Betrieb, in dem der Arbeitnehmer eingestellt wird", nicht abschließend und für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses festlegen wollten. Es kann dringende private Gründe geben, wie einen familiär veranlaßten Umzug, den Arbeitsmittelpunkt zu verändern. Ebenso kommen betriebliche Gründe in Betracht, die es nahelegen, den für den Auslösungsanspruch des einzelnen Arbeitnehmers maßgeblichen Betrieb zu ändern, wie der Wegfall von geeigneten Baustellen im Einzugsbereich einer Niederlassung oder gar deren Auflösung. In beiden Fällen könnte es den Arbeitsvertragsparteien nicht verwehrt werden, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen und einen neuen Arbeitsvertrag an anderer Stelle abzuschließen. Aus dem tariflichen Regelungszusammenhang ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien die in § 7.2.2 BRTV-Bau an die privatautonome Entscheidung der Parteien bei Vertragsschluß abgestellt haben, dafür den einfacheren Weg einer einvernehmlichen Vertragsänderung ausschließen wollten (im Ergebnis ebenso: Karthaus/Müller, Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, 4. Aufl., S. 236).

cc) Als für den Auslösungsanspruch maßgeblicher Betrieb i.S.d. § 7.2.2 BRTV-Bau ist deshalb auch ein Betrieb anzusehen, den die Arbeitsvertragsparteien während des laufenden Arbeitsverhältnisses übereinstimmend zu dessen neuem Mittelpunkt gemacht haben. Angesichts des Wortlautes des Tarifvertrages, der grundsätzlich den Ort des Vertragsschlusses für maßgeblich erklärt, und der Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien kann hierfür aber nicht genügen, daß der Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber vorgenommene Neuorganisation lediglich hinnimmt. Es bedarf vielmehr einer ausdrücklichen oder doch zumindest mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommenen konkludenten Vertragsänderung, wenn der für den Aufwendungsersatz maßgebliche Vertragsmittelpunkt geändert werden soll.

b) Eine solche eindeutige Vereinbarung zur Verlegung des Arbeitsmittelpunktes des Klägers gibt es nicht. Die Beklagte hat die schriftliche Einstellungsanzeige, die Bremen als Einstellungsort ausweist, nicht durch eine vom Kläger unterzeichnete Änderungsanzeige abgeändert. Für die Annahme einer wirksamen Vertragsänderung reicht es auch nicht aus, daß der Kläger bereits seit mehreren Jahren vom Sitz des Hamburger Betriebes der Beklagten aus angewiesen und auf Baustellen eingesetzt worden ist. Der Einsatz auf Arbeitsstellen, die dem Hamburger Betrieb zugeordnet waren, mag arbeits- und tarifvertragswidrig gewesen sein (§ 7.1 i.V.m. § 7.2.2 BRTV-Bau). Die bloße Hinnahme solcher Weisungen kann aber nicht zu einer Vertragsänderung führen. Auch der Umstand, daß der Kläger im Hamburger Betrieb der Beklagten an der Betriebsratswahl teilgenommen hat, ist ohne wesentliche Bedeutung. Für die Wahl zum Hamburger Betriebsrat war der Kläger wahlberechtigt, weil er in den dortigen Betrieb unabhängig von seiner arbeitsvertraglichen Situation auch tatsächlich eingegliedert war.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entscheidend darauf abgestellt, daß es für den Kläger nicht erkennbar war, daß die Beklagte den Mittelpunkt seines Arbeitsverhältnisses einvernehmlich mit ihm ändern wollte. Sie hat dem Kläger bis Februar 1995 Auslösungen für seine Arbeit auf Hamburger Baustellen gezahlt, obwohl bei einer wirksamen Verlegung des Arbeitsmittelpunktes ein Auslösungsanspruch nicht angefallen wäre. Die Änderung ihrer Abrechnungsweise mit dem 1. März 1995 hat der Kläger nicht hingenommen, sondern innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist angegriffen.

II. Im Anspruchszeitraum seit dem 7. Juli 1995 ist für den Kläger durch den Einsatz in Hamburg eine getrennte Haushaltsführung verursacht worden, weil ihm die tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung nicht zumutbar war. Demgegenüber steht für die Beschäftigungszeit zwischen dem 1. März und dem 7. Juli 1995 noch nicht fest, ob während ihrer Zeit das tarifliche Anspruchsmerkmal der getrennten Haushaltsführung erfüllt war.

1. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, der Kläger habe in Bremen in der F Straße vom Zeugen S ein Zimmer für 150,00 DM angemietet und Küche und Dusche mit benutzen können. Diese Feststellung hat die Beklagte in der Revisionsinstanz nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger mit diesem Zimmer eine Erstwohnung i.S.v. § 7.4.1 Satz 3 BRTV-Bau unterhalten hat. Der Tarifvertrag stellt keine besonderen Voraussetzungen dafür auf, wie eine Erstwohnung ausgestattet zu sein hat, deren Kosten ein Arbeitnehmer überwiegend tragen muß, damit er mit einer durch den Baustelleneinsatz verursachten auswärtigen Übernachtung das Merkmal der getrennten Haushaltsführung erfüllt. Nach dem Sinn der tarifvertraglichen Regelung genügt es, daß der Arbeitnehmer einen Haushalt führt. Dies ist bereits dann der Fall, wenn er einen Hausstand finanziert und nutzt, in dem sich sein Lebensmittelpunkt befindet. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer wie dem Kläger reicht es hierfür aus, daß er ein möbliertes Zimmer mit dem Recht der Küchen- und Badbenutzung angemietet hat. In diesem Zimmer befindet sich der Lebensmittelpunkt des Arbeitnehmers, wenn er im Rahmen des Zumutbaren regelmäßig vom Einsatzort dorthin zurückkehrt (ebenso: Karthaus/Müller, Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, 4. Aufl., § 7.4.1 S. 242 (Beispiel 7)). Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob bei einer solchen Konstellation zugleich eine doppelte Haushaltsführung im steuerrechtlichen Sinne vorliegt. Die Tarifvertragsparteien haben in § 7.4.1 BRTV-Bau an den Begriff der getrennten Haushaltsführung angeknüpft und ihn eigenständig bestimmt. Die Auslösung soll zwar Ersatz für den Mehraufwand für Verpflegung und Übernachtung im steuerrechtlichen Sinne sein. Das bedeutet aber nicht, daß sie auch nur dann gezahlt werden soll, wenn auf sie keine Steuern entfallen. Die Auslösung ist von den Tarifvertragsparteien unabhängig vom individuellen Mehraufwand pauschal festgelegt worden. Inwieweit sie steuerfrei ist, hängt von der Anwendung steuerlicher Vorschriften ab, begrenzt aber nicht den arbeitsrechtlichen Anspruch.

2. Die Beklagte stellt in der Revisionsinstanz nicht mehr in Frage, daß der Kläger das Zimmer in der F Straße jedenfalls seit dem in der polizeilichen Anmeldung angegebenen Einzugsdatum des 7. Juli 1995 bewohnt. Sie rügt jedoch, daß das Landesarbeitsgericht es als erwiesen angesehen hat, der Kläger sei unmittelbar nach seinem Auszug aus dem von ihm bewohnten Zimmer in der B straße in das Haus des Zeugen S eingezogen. Diese Rüge ist begründet. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß das Protokoll der Beweisaufnahme nicht erkennen läßt, daß der Zeuge S zum Zeitpunkt der Anmietung des Zimmers durch den Kläger oder zum Zeitpunkt des Einzugs befragt worden ist. Auch aus den Entscheidungsgründen ist nicht erkennbar, daß eine solche Befragung stattgefunden hat und nur versehentlich nicht protokolliert worden ist. Für eine solche Annahme reicht es auch nicht aus, daß der Beweisbeschluß des Landesarbeitsgerichts als Beweisthema die Behauptung des Klägers genannt hat, er habe seit Räumung seines Zimmers auf dem Betriebsgelände der Beklagten ein Zimmer in der F Straße in Bremen angemietet und bewohne dieses Zimmer an Wochenenden. Weder aus dem Protokoll der Beweisaufnahme noch aus sonstigen Umständen wird erkennbar, daß der Zeuge S zu dem zeitlichen Aspekt des Beweisthemas eine Aussage gemacht hat oder hierzu auch nur befragt worden ist.

Damit steht noch nicht fest, ob der Kläger zwischen März und Juli 1995 in Bremen i.S.v. § 7.4.1 Satz 3 BRTV-Bau die Kosten einer Erstwohnung überwiegend getragen hat und deshalb während seines Einsatzes auf Baustellen in Hamburg die Merkmale einer getrennten Haushaltsführung vorlagen.

3. Dies wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben. Sollte die Behauptung des Klägers bewiesen werden, er habe unmittelbar nach seinem Auszug aus dem von der Klägers zur Verfügung gestellten Zimmer in Bremen sein Zimmer bei dem Zeugen S angemietet, ist die Klage auch wegen der auf diesen Zeitraum entfallenden Auslösungen und Erstattungsbeträge für Wochenendheimfahrten in der unstreitigen Höhe von 2.294,60 DM begründet. Dem Kläger war die tägliche Rückkehr nicht zumutbar, weil der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von seiner Bremer Wohnung zu den Baustellen in Hamburg bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels mehr als 1 1/4 Stunden betrug.

4. Die geltendgemachten Beträge für die Zeit seit dem 7. Juli 1995 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 6.829,90 DM stehen dem Kläger unabhängig vom Ergebnis dieser Beweisaufnahme zu. Insoweit ist die Revision deshalb unbegründet. In der Zeit seit dem 7. Juli 1995 lagen beim Kläger die Merkmale einer getrennten Haushaltsführung im Hinblick auf das unstreitig seit dieser Zeit unterhaltene Zimmer in Bremen vor. Dem Kläger war auch die tägliche Rückkehr zu dieser Wohnung i.S.v. § 7.4.1 Satz 4 BRTV-Bau unzumutbar.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die getrennte Haushaltsführung in dieser Zeit selbst dann durch den auswärtigen Einsatz des Klägers auf den Hamburger Baustellen verursacht worden, wenn er zuvor in Bremen vorübergehend keinen eigenen Hausstand unterhalten haben sollte. Es ist schon nicht ersichtlich, warum es bei unverändertem Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 7.4.1, § 7.2.2 BRTV-Bau nach einem vorübergehenden Wechsel des Erstwohnsitzes in die Nähe von Baustellen, auf denen ein Arbeitnehmer längerfristig eingeplant ist, ausgeschlossen sein soll, durch Wiederbegründung des ursprünglichen Wohnsitzes oder eines in dessen Nähe gelegenen neuen Wohnsitzes erneut die Voraussetzungen für einen Auslösungsanspruch zu erfüllen. Darauf kommt es aber nicht einmal an. Der Kläger hat tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt nicht von Bremen nach Hamburg verlegt, mag er auch für einen Zwischenzeitraum keine eigene Erstwohnung unterhalten haben. Die Beklagte selbst ist hiervon ausgegangen, wie ihre Anordnung vom 13. März 1995 zeigt, an den Kläger in Zukunft zwar keine Auslösung, dafür aber Fahrgeld für Heimfahrten am Wochenende zu zahlen.

Kremhelmer Kreft Bepler

Furchtbar Der ehrenamtliche Richter Lohre ist wegen

Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhindert.

Kremhelmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI610912

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