Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung einer Versorgungsregelung durch Rundschreiben
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitgeber, der durch Rundschreiben seinen Arbeitnehmern eine verschlechternde Versorgungsregelung anträgt, darf die widerspruchslose Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse allein noch nicht als Annahme seines Änderungsangebots verstehen. Etwas anderes kann jedoch für einzelne Arbeitnehmer dann gelten, wenn besondere Umstände vorliegen, die nach Treu und Glauben einen ausdrücklichen Widerspruch erwarten lassen.
2. Ein Personalleiter, der Rundschreiben mit Vertragsänderungsangeboten formuliert und mitunterschreibt, stimmt damit der eigenen Vertragsänderung noch nicht zu. Sein Arbeitgeber wird aber unter Umständen erwarten dürfen, daß er, will er das Änderungsangebot für seine Person ablehnen, darauf ausdrücklich hinweist.
Normenkette
BGB § 242; BetrAVG § 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 09.02.1983; Aktenzeichen 7 Sa 932/82) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 29.06.1982; Aktenzeichen 1 Ca 1960/82) |
Tatbestand
Die Kläger sind die Ehefrau und die Kinder des im Verlaufe des Revisionsverfahrens verstorbenen Erblassers. Dieser wurde im Jahre 1935 geboren. Er war vom 1. September 1973 bis zum 31. Dezember 1980 sieben Jahre und vier Monate im Konzern der F AG als Personalleiter tätig, und zwar zunächst bei der F GmbH und danach bei der F AG. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin des letzten Beschäftigungsunternehmens. Im Arbeitsvertrag des Verstorbenen wird wegen der Altersversorgung allgemein auf die Pensionsordnung des Konzerns verwiesen. Daneben werden einige Grundsätze für die Versorgung von höheren Angestellten zusammengefaßt. Nach der Pensionsordnung des Konzerns ist Voraussetzung der Zahlung von Ruhegeld eine anrechnungsfähige Dienstzeit von 15 Jahren und der Eintritt eines Versorgungsfalles. Das Witwengeld beträgt 60 v.H. der Mannesrente. In den Grundsätzen für die Versorgung von gehobenen Angestellten heißt es:
a) Für jedes Dienstjahr werden 1,6 % des für die
Pension anrechnungsfähigen Einkommens zugrun-
de gelegt.
b) Die Wartezeit beträgt 10 Jahre.
c) Das für die Pension anrechnungsfähige Einkommen
ist das letzte Monatsgehalt (ohne Gratifikatio-
nen und Zulagen) bis zur Höchstgrenze von DM
3.600,--, mindestens jedoch das höchste Tarif-
gehalt.
d) Sofern und insoweit von Arbeitgeberseite die
Hälfte zur Angestelltenversicherung getragen wur-
de, wird die Rente aus der gesetzlichen Renten-
versicherung bis zur Hälfte in Abzug gebracht.
5 Vordienstjahre werden angerechnet.
Mit Schreiben vom 15. September 1978 teilte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die F AG, dem Erblasser mit:
"In Ihrem Anstellungsvertrag vom 26. Februar 1973
haben wir Ihnen die Anrechnung von 5 Fremddienst-
jahren für die Festsetzung der Werkspension zuge-
sagt.
Unterschiede im Text der Zusagen haben verschie-
dentlich zu Unklarheiten und Auslegungsschwierig-
keiten geführt.
Um solche Differenzen - die der Zusammenarbeit
nicht dienlich sind - auszuschalten, stellen wir
deshalb den Inhalt der Zusagen gegenüber allen
Mitarbeitern wie folgt klar:
Die Zusage entfaltet eine Wirkung nur für
den Fall, daß Sie in unseren Diensten pen-
sioniert werden oder der Versorgungsfall
in unseren Diensten eintritt. Wenn Sie vor-
her ausscheiden, werden Ihnen keine Fremd-
dienstjahre angerechnet. Bei der Feststel-
lung, ob und in welcher Höhe Sie in diesem
Fall eine unverfallbare Anwartschaft er-
worben haben, bleiben deshalb allein die in
unserem Unternehmen tatsächlich geleisteten
Dienstjahre maßgeblich."
Der Erblasser äußerte sich darauf nicht. Er hatte in seiner Eigenschaft als Personalleiter gleichlautende Schreiben für andere Angestellte unterschrieben.
Der Erblasser hat die Auffassung vertreten, daß er eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben habe. Nach dem Anstellungsvertrag sei auf die Frist, von deren Ablauf die Unverfallbarkeit abhängt, eine fünfjährige Vordienstzeit anzurechnen. Im übrigen habe die Beklagte auch anderen Arbeitnehmern die Vordienstzeit auf die Unverfallbarkeitsfrist angerechnet.
Der Erblasser hat beantragt
festzustellen, daß ihm eine unverfallbare
Anwartschaft nach den Bestimmungen für die
Pensionierung von gehobenen Angestellten
im F Konzern zusteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß der Kläger keine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben habe. Die Vordienstzeiten seien nur auf die Wartezeit anzurechnen. Mit Schreiben vom 15. September 1978 habe ihre Rechtsvorgängerin überdies klargestellt, daß die Vordienstzeiten nur dann berücksichtigt werden würden, wenn ein Versorgungsfall in ihren Diensten eintrete. Damit habe sich der Kläger auch einverstanden erklärt. Von einem Personalleiter sei Widerspruch zu erwarten, wenn er Erklärungen zur Altersversorgung abgebe, die er selbst nicht billige oder nicht gegen sich gelten lassen wolle. Zumindest verhalte er sich widersprüchlich, wenn er anders als die übrigen gehobenen Belegschaftsangehörigen behandelt werden wolle.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstreben die Kläger die Feststellung, daß dem Erblasser bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zugestanden habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Die Kläger können noch nach dem Tode des Erblassers die von diesem eingeleitete Feststellungsklage (§ 256 ZP0) weiterverfolgen. Auch sie haben ein rechtliches Interesse an der Feststellung, ob diesem eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zustand. Das Versorgungswerk der Beklagten sieht zwar Hinterbliebenenversorgung vor, diese hängt aber in ihrer Höhe von der aufrecht erhaltenen Versorgungsanwartschaft ab, so daß deren Klärung und Feststellung zu einem prozeßökonomisch sinnvollen Ergebnis auch für die Hinterbliebenen führt.
II. In der Sache ist ein abschließendes Urteil ohne weitere Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht möglich.
1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG wird eine Versorgungsanwartschaft unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis des Versorgungsberechtigten nach Vollendung des 35. Lebensjahres beendet wird und die Versorgungszusage mindestens drei Jahre bestand und dem Versorgungsberechtigten zwölf Jahre Betriebszugehörigkeit zuzurechnen sind. Der im Jahre 1935 geborene Erblasser ist im Jahre 1980 im Alter von 45 Jahren aus den Diensten der Beklagten geschieden. Zu diesem Zeitpunkt bestand seine Versorgungszusage sieben Jahre. Eine zwölfjährige Betriebszugehörigkeit erreichte er allerdings nur dann, wenn man die vertragliche Anrechnung von fünf Vordienstjahren mitrechnet.
2. Die Beklagte muß die Vordienstzeiten bei der Berechnung der Frist, von der die Unverfallbarkeit abhängt, berücksichtigen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat die Versorgungszusage dahin ausgelegt, daß sich die Anrechnung von Vordienstzeiten nur bei der Höhe der Versorgungsleistungen auswirken soll. Für diese Auslegung beruft es sich auf den Wortlaut der Versorgungszusage, den Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen und auf das fehlende Interesse der Beklagten, sich alsbald unverfallbaren Versorgungsanwartschaften auszusetzen. Diese Auslegung ist vom Revisionsgericht überprüfbar, weil der Inhalt der Versorgungszusage sich aus Urkunden ergibt, die in gleicher Geschlossenheit dem Landesarbeitsgericht wie dem Revisionsgericht vorliegen (BAG Urteil vom 7. Dezember 1956 - 1 AZR 135/55 - AP Nr. 3 zu § 63 RegelungsG; Urteil vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 418/55 - AP Nr. 6 zu § 550 ZP0; BAG 6, 321 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG 10, 122 = AP Nr. 1 zu § 164 HGB; BGH LM § 133 (A) BGB Nr. 2). Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Dem Landesarbeitsgericht ist bei der Auslegung der Versorgungszusage im Anstellungsvertrag vom 26./28. Februar 1978 entgangen, daß die Parteien unabhängig von der Pensionsordnung den jährlichen Steigerungssatz des Ruhegeldes, die Abkürzung der Wartezeit und das für die Pension anrechnungsfähige Einkommen geregelt haben. Hiervon abgesetzt haben sie eine Bestimmung in den Arbeitsvertrag aufgenommen, daß dem Erblasser fünf Vordienstjahre gutgebracht werden. Da die Parteien die Wartezeit gegenüber der Pensionsordnung verkürzt und zusätzlich Vordienstzeiten angerechnet haben, kann es ihnen nicht nur um die Berechnung der Betriebsrente gegangen sein. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist auch ein eigenes Interesse der Beklagten denkbar, die Unverfallbarkeitsfristen abzukürzen, um den Erblasser durch attraktive Arbeitsbedingungen als Arbeitnehmer zu gewinnen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts besaß dieser bei Begründung des Arbeitsverhältnisses bereits langjährige Erfahrungen als Personalleiter und sollte als stellvertretender Personalleiter mit Handlungsvollmacht eingesetzt werden.
b) Wer im Rahmen einer Versorgungszusage die Anrechnung von Vordienstzeiten verspricht, muß hinnehmen, daß der Versorgungsberechtigte die Anrechnung umfassend verstehen kann, also sowohl bei der Frist, von der die Unverfallbarkeit abhängt, als auch bei der Wartezeit, die der Entstehung des Versorgungsanspruchs vorausgeht, wie auch schließlich bei der Berechnung der Höhe der Ruhegeldleistungen. Von dieser Auslegungsregel ist der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgegangen (BAG Urteil vom 25. Januar 1979 - 3 AZR 1096/77 - AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG, zu II 1 der Gründe), und zwar immer dann, wenn die Versorgungszusage erteilt wurde, nachdem die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften im Wege richterlicher Rechtsfortbildung (BAG 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) oder durch Gesetz (§ 1 BetrAVG) bereits anerkannt war. Die Auslegungsregel ergibt sich aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß Zweifel bei der Auslegung zu Lasten desjenigen gehen, der ein Versorgungswerk geschaffen hat (vgl. dazu auch § 5 AGB-Gesetz).
Im vorliegenden Fall ist die Versorgungszusage erst erteilt worden, nachdem in der Rechtsprechung durch Urteil vom 10. März 1972 (BAG 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) die Unverfallbarkeit anerkannt worden war. Daher konnte der Erblasser bei Abschluß des Vertrages darauf vertrauen, daß ihm die Vordienstzeit auch bei der Bemessung der Frist berücksichtigt würde, von der die Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft abhängt.
3. Das Landesarbeitsgericht wird aber nach Einräumung des rechtlichen Gehörs noch weitere Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die Parteien im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses die Anrechnung von Vordienstzeiten dahin eingeschränkt haben, daß diese nur noch bei der Wartezeit oder bei der Errechnung der Betriebsrente berücksichtigt werden soll.
a) Es mag rechtlich möglich sein, daß ein Arbeitgeber eine unklar formulierte Bestimmung einer Versorgungsordnung klarstellt, solange ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand des Arbeitnehmers noch nicht erwachsen ist. Dies liegt z.B. nahe, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit noch nicht angetreten hat oder Arbeitsleistungen im Vertrauen auf eine bestimmte Auslegung noch nicht erbracht worden sind. Jedoch konnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Schreiben vom 15. September 1978 ihre Versorgungszusage nicht mehr einseitig klarstellen, nachdem der Erblasser bereits mehr als fünf Jahre in ihren Diensten gestanden hatte.
b) Das Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 15. September 1978 enthielt zugleich das Angebot zum Abschluß eines Änderungsvertrages. Ob der Erblasser dieses Angebot angenommen hat, ist unklar.
Das Schreiben wurde gegenüber dem Erblasser von zwei Vorstandsmitgliedern, im übrigen inhaltsgleich bei anderen Arbeitnehmern von einem Vorstandsmitglied und dem Erblasser unterzeichnet. Aus ihm ergibt sich eindeutig, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine betriebseinheitliche Regelung dahin anstrebte, daß angerechnete Vordienstzeiten jedenfalls bei der Unverfallbarkeitsfrist nicht berücksichtigt werden sollen. Auf dieses Schreiben hat der Erblasser nicht geantwortet. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung liegt also nicht vor. Gleichwohl kann auch das Schweigen die Zustimmung zu der angetragenen Änderung bedeuten, wenn für den Erblasser eine Rechtspflicht bestand, sich zum Begehren seiner Arbeitgeberin zu äußern, wenn also die widerspruchslose Weiterarbeit den Eindruck erweckte, der Erblasser billige die angetragene Änderung.
Das Bundesarbeitsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, daß in der widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers auf eine vorgeschlagene Vertragsänderung in der Regel eine Einverständniserklärung nur dann zu sehen ist, wenn die vorgeschlagene Änderung die eigentliche Arbeitsleistung betrifft und sich unmittelbar auswirkt. Hingegen ist das Schweigen des Arbeitnehmers in der Regel ohne rechtsgeschäftliche Bedeutung, wenn es sich um Bedingungen handelt, die für den Arbeitnehmer nicht unmittelbar praktisch werden, z.B. die Änderung von Versorgungsgrundsätzen (BAG Urteil vom 8. Juli 1960 - 1 AZR 72/60 - AP Nr. 2 zu § 305 BGB; Urteil vom 20. Mai 1976 - 2 AZR 202/75 - AP Nr. 4 zu § 305 BGB, zu 2 der Gründe). Die Regel, daß das Schweigen nach einer vorgeschlagenen Änderung von Versorgungsgrundsätzen als Ablehnung zu verstehen ist, gilt jedoch nicht ohne Ausnahme. Wenn die angetragene Änderung von dem betroffenen Arbeitnehmer selbst im Betrieb vertreten wird und durchgesetzt werden soll, ergibt sich daraus eine Sonderstellung, die das Schweigen des Arbeitnehmers in anderem Licht erscheinen lassen kann. Der Senat hat zwar entschieden, daß die bloße Unterzeichnung von Schriftwerk, das eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer selbst und für andere Angestellte in gleicher Lage vorsieht, einen Änderungsvertrag noch nicht zustande bringt (BAG Urteil vom 17. Juli 1965 - 3 AZR 302/64 - AP Nr. 101 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu 3 der Gründe). Indes kann ein Arbeitgeber darauf vertrauen, daß ein gehobener Angestellter, der für die Bearbeitung solcher Angelegenheiten zuständig ist, sich an eine auch ihm vorgeschlagene und von ihm anderweitig durchgesetzte Vertragsänderung festhalten läßt, sofern er ihr nicht für seine Person widerspricht.
c) Insoweit wird das Landesarbeitsgericht noch weitere Feststellungen zu treffen haben. Entscheidend ist die Frage, ob der Erblasser durch sein ganzes Verhalten für die Rechtsvorgängerin einen Vertrauenstatbestand begründet hat, daß er mit dem Inhalt des Rundschreibens einverstanden sei. Dabei kann eine Rolle spielen, von wem die Rundschreiben veranlaßt wurden, über welchen Zeitraum der Erblasser sie versandt hat und inwieweit sie im allgemeinen hingenommen worden sind. Im einzelnen können dem Landesarbeitsgericht insoweit keine weiteren Hinweise erteilt werden.
Dr. Dieterich Schaub Dr. Peifer
Heimann Falkenstein
Fundstellen
Haufe-Index 438386 |
BB 1985, 1668-1669 (T) |
DB 1985, 2055-2056 (LT1-2) |
BetrAV 1985, 201-202 (LT1-2) |
AP § 1 BetrAVG (LT1-2), Nr 12 |
AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 155 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 460 Nr 155 (LT1-2) |
EzA § 1 BetrAVG, Nr 34 |