Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung. Beweislast bei Rechtfertigungsgründen

 

Normenkette

KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 14.04.1989; Aktenzeichen 12 Sa 130/88)

ArbG Wilhelmshaven (Urteil vom 22.01.1988; Aktenzeichen 1 Ca 528/87)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. April 1989 – 12 Sa 130/88 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der am 30. Dezember 1958 geborene Kläger war seit 1. Juli 1981 bei der Beklagten im Versand als Sachbearbeiter beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 4.038,– DM.

Wegen der bei der Beklagten eingeführten gleitenden Arbeitszeit hieß es in der Betriebsvereinbarung vom 9. Juni 1982 u.a.:

„Die Sollarbeitszeit kann – ohne Auswirkung auf die Höhe des Arbeitsentgelts – monatlich bis zu 10 Stunden über- oder unterschritten werden; Gleitzeitübertragung kann in Form eines Zeitguthabens bzw. Zeitschuld erfolgen. Der Gleitzeitübertrag wird mit der Sollarbeitszeit des jeweils folgenden Monats verrechnet.

Ein über 10 Stunden hinausgehendes Zeitguthaben wird nicht angerechnet; eine Unterschreitung der Sollzeit um mehr als 10 Stunden wird als unbezahlte Abwesenheit behandelt.

…”

Überstunden wurden bei der Beklagten unter Verwendung eines besonderen Formulars „Anordnung von Mehrarbeit” angeordnet und besonders entgolten. Zeitguthaben galten nach einem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrag nicht als Überstunden.

Unter dem 3. Mai 1985 schrieb der frühere Abteilungsleiter Tappen an den Kläger, er habe sich eigenmächtig ein Überstundenkontingent aufgebaut, er werde gebeten, sich künftig an die Anweisungen zu halten.

Vom 8. November 1985 bis zum 22. November 1985 war der Kläger Urlaubsvertreter einer Angestellten, im Anschluß daran vertrat er diese Angestellte bis zum 17. Dezember 1985. Für die Dauer der Vertretung hatte die Beklagte Mehrarbeit und zwar täglich bis zu zwei Stunden angeordnet. In der Zeit vom 24. Dezember 1985 bis zum 31. Dezember 1985 blieb der Kläger im Einvernehmen mit seinem Vorgesetzten der Arbeit fern und baute auf diese Weise sein Zeitguthaben auf 1.440 Minuten ab.

Mit Beginn des Jahres 1986 wurde der bisherige stellvertretende Abteilungsleiter S Abteilungsleiter des Klägers. Diesem legte der Kläger Anfang Januar 1986 eine Abrechnung der von ihm geleisteten Überstunden vor. Dabei trug er in das zu verwendende Formular neben den von ihm tatsächlich geleisteten Überstunden auch Überstunden für die Samstage 9., 16., 23., 30. November sowie 7. und 14. Dezember 1985 ein. An diesen Tagen war er nicht im Betrieb gewesen und hatte auch nicht gearbeitet. Unter Zugrundelegung dieser Abrechnung wurden ihm 101 Stunden Überarbeit mit einem Zuschlag von 25 % vergütet, insgesamt 2.172,51 DM brutto. Das für Samstagarbeit anfallende pauschalierte Wegegeld erhielt er nicht. Er hatte es auch nicht beantragt.

Als der Kläger 1987 unter Berufung auf seine Vertretungstätigkeit eine höhere tarifliche Vergütung verlangte, überprüfte die Beklagte seine Abrechnung. Mit Schreiben vom 5. August 1987 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum Ablauf des 30. September 1987, weil sie der Auffassung war, der Kläger habe sich ihm nicht zustehende Entgelte erschwindelt.

Der Kläger hält die Kündigung für ungerechtfertigt. Er hat geltend gemacht, die von ihm aufgeschriebenen überstunden seien von ihm auch alle als überstunden geleistet worden, wenn auch nicht an den von ihm angegebenen Samstagen. Er habe nicht etwa sein Zeltguthaben als überstunden deklariert. Daß er die Samstage als (Überstundenarbeit-) Arbeitstage in der Berechnung angegeben habe, beruhe auf der Anweisung des Abteilungsleiters S. Die bei der Beklagten durch die Vertretung anfallende Arbeit habe in der normalen Arbeitszelt und innerhalb der vom Betriebsrat gebilligten Überarbeitszeit gar nicht bewältigt werden können. Seine Vorgesetzten hätten verheimlichen wollen, daß die Betriebsvereinbarung „Gleitende Arbeitszelt”, die das Ausmaß der von ihm geleisteten überstunden an sich gehindert hätte, tatsächlich laufend umgangen worden sei. Es hätten Konflikte mit dem Betriebsrat vermieden werden sollen. S. habe ihm am 2. Januar 1986 aufgetragen, das gesamte bis dahin angesammelte Gleitzeltguthaben abzurechnen, damit er „bei Null” anfangen könne. Über seine Vorgehensweise sei auch die Personalabteilung informiert gewesen. Ihm seien nämlich die automatisch für samstags geleistete Überstunden anfallenden Wegezeiten nicht vergütet worden, da man gewußt habe, daß er an den in der Abrechnung aufgeführten Samstagen tatsächlich nicht gearbeitet habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 5. August 1987 nicht zum Ablauf des 30. September 1987 beendet worden sei.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe sie vorsätzlich getäuscht und sich dadurch die Bezahlung von sechsundzwanzig nicht geleisteten Überstunden erschlichen. Sie habe den Kläger angewiesen, insgesamt fünfundsiebzig überstunden zu leisten. Durch die Art der Abrechnung habe er erreichen wollen, daß ihm das Zeitguthaben als überarbeit angerechnet werde. Der Abteilungsleiter S. habe die vom Kläger behauptete Anweisung nicht gegeben, auch der Personalabteilung sei das pflichtwidrige Vorgehen des Klägers nicht bekannt gewesen. Im übrigen könne er sich auf eine Billigung S nicht berufen, denn wenn seine Behauptung zuträfe, hätte auch S. sich pflichtwidrig verhalten. Das Vertrauensverhältnis zum Kläger sei so gestört, daß ihr eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zuzumuten sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweiserhebung die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, wenn ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber angeblich geleistete überstunden vortäusche mit der Folge einer Bezahlung dieser Stunden, so sei ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund gegeben. Insoweit werde der Vertrauensbereich berührt, eine vorherige Abmahnung sei dann entbehrlich.

Wenn allerdings die Behauptungen des Klägers zuträfen, wäre sein Verhalten zwar immer noch vertragswidrig, jedoch durch eine entsprechend billigende Übung im Hause der Beklagten in einem milderen Lichte zu sehen und die Kündigung nicht berechtigt, sondern lediglich eine Abmahnung mit Belehrung über die Rechtsauffassung der Beklagten.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne nicht davon ausgegangen werden, der Kläger habe die für den 9., 16., 23. und 30. November 1985 sowie 7. und 14. Dezember 1985 aufgezeichneten Überstunden auf Veranlassung des Zeugen S. so niedergeschrieben. Die Zeugen hätten die Behauptungen des Klägers nicht bestätigt, der Kläger sei beweisfällig geblieben, denn ihn treffe die Beweislast dafür, daß die Art der Aufzeichnung auf Anordnung S. und in Kenntnis der Geschäftsführung erfolgt sei. Habe der Arbeitnehmer vertragswidrig gehandelt, dann müsse er die Zustimmung oder Duldung des Arbeitgebers dartun.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit es die Entscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, der Kläger sei beweisfällig gewesen.

1. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist der Nachprüfung im Revisionsverfahren nur im beschränkten Maße zugänglich. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 24. September 1987 – 2 AZR 26/87 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).

2. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ausgangspunkt darin zu folgen, die Täuschung des Arbeitgebers durch Vorlage einer falschen Abrechnung, mit der eine ungerechtfertigte Entlohnung erreicht werden solle, sei an sich geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen (vgl. dazu KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 333, 333 a). Der Arbeitnehmer mißbraucht in diesen Fällen das Vertrauen des Arbeitgebers, so daß bei gewichtigem Vorgehen der Arbeitnehmer selbst erkennen kann, der Arbeitgeber sei auch ohne vorherige Abmahnung nicht bereit, bei Erkenntnis der dolosen Handlungsweise das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

3. Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei die Ansicht vertreten, eine Kündigung könne dann ungerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer auf Weisung seines Abteilungsleiters gehandelt habe. Wenn die Beklagte nämlich diese vom Kläger vorgenommene Art der Abrechnung tatsächlich erbrachter Überstunden angeordnet hätte, um Schwierigkeiten mit dem Betriebsrat aus dem Wege zu gehen, so hätte der Kläger sich keiner Täuschung, insbesondere keines Betruges schuldig gemacht. Daß der Kläger etwa arglistig mit dem Abteilungsleiter S. zu Lasten der Beklagten zusammengearbeitet hätte, behauptet die Beklagte selbst nicht.

4. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, der Kläger sei für die Tatsache der Billigung seiner Handlungsweise beweispflichtig und im konkreten Fall beweisfällig geblieben.

a) Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen muß entnommen werden, das Berufungsgericht sei nicht davon überzeugt gewesen, der Abteilungsleiter S. habe die vom Kläger behauptete Anweisung nicht erteilt. Steht nämlich eine von einer Partei zu beweisende Tatsache zur Überzeugung des Gerichts fest, so kommt es nicht darauf an, wer den Beweis erbracht hat und wer beweisbelastet war. Das Landesarbeitsgericht geht in seinen Formulierungen davon aus, der Kläger sei beweisfällig geblieben und es macht nähere Ausführungen, der Arbeitnehmer trage die Beweislast für die Billigung einer von ihm begangenen Vertragswidrigkeit durch den Arbeitgeber.

b) Ist somit revisionsrechtlich davon auszugehen, das Berufungsgericht habe keine abschließende Überzeugung davon gewonnen, weder im positiven noch im negativen Sinne, ob die behauptete Anweisung Stocks vorlag oder nicht, so hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht insoweit die Beweislast dem Kläger auferlegt. Derjenige, der eine Kündigung ausspricht und damit ein Gestaltungsrecht ausübt, ist darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können, die Grundlage für seine Rechtsausübung darzustellen (BAGE 2, 333, 338 = AP Nr. 8 zu § 626 BGB, zu II 6 der Gründe; KR-Hillebrecht, a.a.O. § 626 BGB Rz 275; m.w.N.; MünchKomm-Schwerdtner, BGB. 2. Aufl., § 626 Rz 110; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 335, 336; Ascheid. Beweislastfragen im Kündigungsschutzgesetz, Pfaffenweiler 1989, S. 61, 113 f.). Die Darlegungs- und Beweislast ist nicht so aufzuteilen, daß der Kündigende nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund und die bei der Interessenabwägung für den Gekündigten ungünstigen Umstände und der Gekündigte seinerseits Rechtfertigungsgründe für ihn entlastende Umstände vorzutragen und zu beweisen hätte. Vielmehr trifft den Kündigenden die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG Urteil vom 24. November 1983 – 2 AZR 327/82 – AP Nr. 76 zu § 626 BGB; Urteil vom 27. Februar 1985 – 7 AZR 525/83 – n.v.; Urteil vom 6. August 1987 – 2 AZR 226/87 – AP Nr. 97 zu § 626 BGB, unter Aufgabe des Urteils des Dritten Senats vom 16. Juni 1976 – 3 AZR 73/75 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Treuepflicht; Ascheid. a.a.O. S. 118 f.). Das gilt entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch für einen Kündigungssachverhalt der vorliegenden Art. 5. Das Landesarbeitsgericht wird daher nach der Zurückweisung des Rechtsstreit zu klären haben, ob die vom Kläger behauptete Entschuldigungslage tatsächlich vorlag oder nicht. Bleiben hieran Zweifel, so ist zu Lasten der Beklagten zu entscheiden, da sie dann nicht alle Tatsachen dargetan hat, die die Kündigung zu rechtfertigen vermögen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Ascheid, Peter Jansen, Strümper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073767

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