Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung
Normenkette
ZPO §§ 233, 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. September 1995 – 8 Sa 557/95 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die 1968 geborene Klägerin war seit 1990 als Arbeitnehmerin im Betrieb der Gemeinschuldnerin beschäftigt. Der Beklagte war zunächst vorläufiger Vergleichsverwalter und Sequester und wurde mit Wirkung ab dem 30. Juni 1994, dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, zu deren Konkursverwalter bestellt. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung des Beklagten vom 30. Juni 1994, die dieser der Klägerin – ebenso wie den anderen Arbeitnehmern – auf einer Betriebsversammlung am 1. Juli 1994 aushändigte.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Gegen das ihm am 8. Mai 1995 zugestellte Urteil vom 8. Februar 1995 hat der Beklagte am 6. Juni 1995 Berufung eingelegt und diese am 10. Juli 1995 begründet. Nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis hat der Beklagte am 27. Juli 1995 wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er ausgeführt: Die Berufungsbegründungsschrift sei in diesem und in anderen Verfahren am 10. Juli 1995 beim Landesarbeitsgericht eingereicht worden, weil er davon ausgegangen sei, daß die Berufungsschrift erst am 8. Juni 1995 bei Gericht eingereicht worden sei. Er habe die ausdrückliche Anweisung an sein Personal gegeben, die bereits vorbereitete Berufungsschrift erst am 8. Juni 1995 einzureichen und dementsprechend den 10. Juli 1995 im Terminkalender als Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zu notieren. Die eingeschaltete Aushilfskraft, die aufgrund der urlaubsbedingten Abwesenheit der zuständigen Sachbearbeiterin die Berufungen zu Gericht gebracht habe, habe seine Anweisung übersehen und die Berufungsschrift bereits am 6. Juni 1995 bei Gericht eingereicht. Die dadurch bedingte Verkürzung der im Fristenkalender bereits notierten Berufungsbegründungsfrist sei im Terminkalender nicht vermerkt worden. Erst nach der am 13. Juli 1995 eingegangenen gerichtlichen Mitteilung habe er das Büroversehen bemerkt.
Der Beklagte hat beantragt,
- ihm wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
- das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 8. Februar 1995 – 4 Ca 2032/94 –, soweit es die Klägerin betrifft, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat mit zutreffender Begründung den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unbegründet zurückgewiesen und deshalb die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.
1. Der Beklagte hat die einmonatige Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG versäumt. Diese endete am 6. Juli 1995, die Berufungsbegründungsschrift ist demgegenüber erst am 10. Juli 1995 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
2. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten ist unbegründet, denn der Beklagte war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO). Der Anwalt, der als Prozeßbevollmächtigter eine Partei vertritt (§ 85 Abs. 2 ZPO) bzw. als Partei kraft Amtes sich selbst vertritt, muß alle zur Fristwahrung notwendigen Maßnahmen veranlassen. Dazu gehört die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Führung des Fristenkalenders und einer sorgfältigen Fristenkontrolle. Wird die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender anhand des Datums der Absendung der Berufungsschrift notiert, so kann es sich dabei lediglich um eine vorläufige Notierung dieser Frist handeln. Dies gilt umso mehr, wenn – was an sich schon einen Organisationsmangel darstellt – diese Frist nicht anhand des tatsächlichen Abgangs der Berufungsschrift, sondern bei fertig vorliegendem Schriftsatz anhand des späteren Datums der beabsichtigten Aufgabe zur Post berechnet wird. Jedenfalls muß die vorläufig notierte Berufungsbegründungsfrist anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung erneut überprüft werden. Diese Eingangsbestätigung dient gerade dazu, dem Anwalt die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist zu ermöglichen (Senatsbeschluß vom 23. Mai 1989 – 2 AZB 1/89 – AP Nr. 14 zu § 233 ZPO 1977; BGH Beschluß vom 9. Dezember 1993 – IX ZB 70/93 – AP Nr. 29, a.a.O.). Es stellt ein Organisationsverschulden dar, wenn der Anwalt nicht sichergestellt hat, daß nach Eingang der gerichtlichen Eingangsbestätigung eine Überprüfung der vorläufig berechneten Berufungsbegründungsfrist erfolgt. Darüber hinaus muß der Anwalt die Frist selbst nachprüfen, wenn ihm die Prozeßakten zur Bearbeitung einer fristgebundenen Prozeßhandlung wie der Fertigung einer Berufungsbegründungsschrift vorgelegt werden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., § 233 Rz 105, m.w.N.).
3. Danach war der Beklagte, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, daß er entsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen hätte, die eine abschließende Fristberechnung anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung sichergestellt hätten. Zu diesem Organisationsverschulden, das der Beklagte mit der Revision nicht ernsthaft bestreitet, kommt hinzu, daß der Beklagte, was ebenfalls als schuldhaft anzusehen ist, beim Diktat der Berufungsbegründung am 6. Juli 1995, als die Frist noch hätte gewahrt werden können, nicht selbst eine erneute Fristüberprüfung vorgenommen hat.
4. Zu Unrecht rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, daß es sich um ein Massenverfahren gehandelt habe und deshalb von geringeren Sorgfaltspflichten des sachbearbeitenden Anwalts auszugehen sei. Es läßt sich schon kaum rechtfertigen, die vorliegende Sache als Massensache anzusehen. Das Urteil des Arbeitsgerichts, gegen das Berufung einzulegen war, betraf zwar 28 Klägerinnen und Kläger. Es hätte jedoch ausgereicht, gegen dieses Urteil insgesamt nur eine Berufung einzulegen. Die Fristen wären dann nur einmal zu berechnen gewesen. Der Beklagte kann gerade deshalb nicht für sich geringere Sorgfaltspflichten reklamieren, weil er selbst das Verfahren auf entsprechend viele Berufungsverfahren aufgespalten und damit die Risiken herbeigeführt hat, von denen er jetzt befreit werden möcht. Abgesehen davon ist es sachlich nicht gerechtfertigt, geringere Sorgfaltspflichten des Anwalts deshalb anzusetzen, weil die gleiche Frist für zahlreiche Berufungsverfahren zu berechnen war. Mit Rücksicht auf die große Anzahl der betroffenen Verfahren bestand im Gegenteil eher Anlaß zu gesteigerter Sorgfalt bei der Fristberechnung. Abgesehen davon hatte der Beklagte nach seinem eigenen Vorbringen sichergestellt, daß in den betreffenden Verfahren die gleiche Frist lief. Hätte er nur in einem Verfahren die Eintragung der vorläufigen Frist im Terminkalender überprüft, wäre ihm das Büroversehen aufgefallen, und in allen Verfahren hätte die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig eingereicht werden können. Wenn das Bundesarbeitsgericht bei Massenverfahren (über 200 Kündigungsschutzsachen) das Unterschriftserfordernis bei der Klageschrift großzügig interpretiert hat (BAG Urteil vom 14. Dezember 1978 – 1 AZR 154/76 – AP Nr. 60 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), so ist diese Rechtsprechung nicht auf Fälle wie den vorliegenden zu übertragen mit der Folge, daß bei Massenverfahren allgemein im Rahmen des § 233 ZPO ein geringerer Verschuldensmaßstab anzulegen wäre.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Wolter, Beckerle
Fundstellen