Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Fleischbeschautierärzte
Leitsatz (amtlich)
- § 20 des Tarifvertrages über die Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und Einfuhruntersuchungsstellen, der Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes ausschließt, die im jeweils vorangegangenen Kalenderjahr nicht mindestens eine Stundenvergütung für 1.000 Stunden erhalten haben, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist deshalb nichtig. Nur der Ausschluß von Angestellten, die geringfügig i.S.v. § 8 SGB IV tätig sind, ist zulässig. Dasselbe gilt ab 1. Januar 1997 für § 5 Abs. 3 des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe.
- Den zu Unrecht von der Zusatzversorgung ausgeschlossenen Angestellten muß der Arbeitgeber eine den begünstigten Angestellten entsprechende Zusatzversorgung verschaffen.
- Der amtlich bestellte Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei ist bestellter neuer Anwalt i.S.v. § 244 Abs. 1 ZPO.
Normenkette
BetrAVG § 1 Gleichbehandlung; GG Art. 3 Abs. 1; Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen (TV Ang iöS) §§ 20, 20a; Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) § 1; Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) § 5; Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) § 15; SGB IV § 8; ZPO §§ 244, 250
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 2. November 1995 – 7 Sa 38/95 – wird zurückgewiesen.
Der Urteilsausspruch wird wie folgt klargestellt:
Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihm zustünden, wenn er über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert gewesen wäre. Es wird weiter festgestellt, daß dieser Verschaffungsanspruch auch in Zukunft besteht, soweit der Kläger mehr als geringfügig im Sinne von § 8 SGB IV beschäftigt wird.
- Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob das beklagte Land verpflichtet ist, den Kläger über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder anzumelden und Versicherungsbeiträge abzuführen oder, falls dies nicht möglich sein sollte, den Kläger so zu stellen, als wäre er bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert worden.
Der Kläger ist Tierarzt und unterhält eine eigene Praxis. Aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 10. September 1981 wurde er seit dem 26. Juni 1981 auf unbestimmte Zeit als nicht vollbeschäftigter Fleischbeschautierarzt im Bereich des Vieh- und Schlachthofes S… beschäftigt. An die Stelle dieses Arbeitsvertrages trat am 11. Oktober 1988 ein “Arbeitsvertrag für nicht vollbeschäftigte Angestellte (Tierärzte)”, wonach der Kläger ab dem 1. Januar 1989 auf unbestimmte Zeit im Bereich des Senators für Gesundheit und Soziales als nicht vollbeschäftigter Angestellter (Tierarzt) in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie der Einfuhr- und Eingangsuntersuchung weiterbeschäftigt wurde. In beiden Arbeitsverträgen wird Bezug genommen auf Tarifverträge. In § 20 dieser jeweils in Bezug genommenen Tarifverträge hieß es bis zum 31. Dezember 1996:
“Der Angestellte ist nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages zu versichern, der für die unter den BAT fallenden Angestellten des Arbeitgebers gilt, wenn und solange er in dem jeweils vorangegangenen Kalenderjahr Stundenvergütungen für mindestens 1000 Stunden erhalten hat. …”
Das beklagte Land hatte den Kläger zunächst bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert. Mit Schreiben vom 4. Juli 1994 teilte es dem Kläger mit, er sei aufgrund seiner Einkünfte in den Jahren 1991, 1992 und 1993 ab 1. Januar 1992 nicht mehr versicherungspflichtig. Er werde deshalb mit Wirkung vom 1. Januar 1992 bei der VBL abgemeldet.
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, das beklagte Land müsse ihn auch weiterhin bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichern. Seine Schlechterbehandlung gegenüber den sonstigen Angestellten könne nicht damit gerechtfertigt werden, daß er beim Land eine Nebentätigkeit ausübe. Er habe vielmehr seine Tierarztpraxis als zusätzliche Nebentätigkeit angesehen, nachdem er habe feststellen müssen, daß sein Wunsch, beim beklagten Land vollschichtig tätig zu werden, sich nicht verwirklichen lasse. Seine Einkünfte aus eigener Praxis hätten bis 1990 unter den Einkünften aus dem Arbeitsverhältnis gelegen. In den folgenden Jahren habe sich dies zunächst kaum oder nur unwesentlich geändert. Erstmals im Jahre 1994 sei es zu einer Verschiebung zugunsten der Praxiseinkünfte gekommen.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, ihm im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihm zustünden, wenn er über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert gewesen wäre. Es wird weiter festgestellt, daß dieser Verschaffungsanspruch auch in Zukunft besteht, soweit der Kläger mehr als geringfügig im Sinne von § 8 SGB IV beschäftigt wird.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei lediglich formell, nicht materiell sein Arbeitnehmer. Im übrigen schließe § 20 des in Bezug genommenen Tarifvertrages eine Versicherungspflicht aus. Diese Norm berücksichtige zulässigerweise, daß nicht vollbeschäftigte amtliche Tierärzte aufgrund ihrer freiberuflichen Tätigkeit einer berufsständischen Einrichtung angehören können oder eine sog. befreiende Lebensversicherung zum Zwecke ihrer Altersversorgung abgeschlossen hätten. Das beklagte Land habe für den Kläger auch – unstreitig – in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 30. Juni 1993 Zuschüsse zum Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin und ab dem 1. Juli 1993 entsprechende Zuschüsse an das Versorgungswerk der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gezahlt und zahle sie auch weiterhin. Das Land weist in diesem Zusammenhang auf § 20a des Tarifvertrages hin, in dem es heißt:
“Zuschuß zu den Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und Lebensversicherungen
(1) Für den Angestellten, der nicht nach § 20 zu versichern und der als Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist, richtet sich die Beteiligung des Arbeitgebers am Beitrag zur berufsständischen Versorgungseinrichtung nach § 172 Abs. 2 SGB VI.
…”
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben entsprechend dem ursprünglichen Klageantrag festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, für den Kläger für die Zeit ab 1. Januar 1992 Versicherungsbeiträge in die Altersversorgung der Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zu zahlen. Mit seiner Revision verfolgt das beklagte Land den Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist zulässig, aber unbegründet.
Unterschriften
Dr. Heither, Mikosch, Bepler, Schmidt, Arntzen
Fundstellen
Haufe-Index 893894 |
NZA 1997, 1294 |