Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschwerniszuschlag für Arbeiten im Tunnel
Leitsatz (amtlich)
Gerüstbauarbeiten in einem U-Bahnof sind, soweit sie nicht in den Fahrtunneln selbst verrichtet werden, keine “Arbeiten in … Tunneln …” im Sinne von § 6 RTV.
Normenkette
RTV für das Gerüstbaugewerbe vom 11. Mai 1987 i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 1. Juni 1990 (RTV) § 6
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 29.04.1992; Aktenzeichen 2 Sa 139/92) |
ArbG Essen (Urteil vom 10.09.1991; Aktenzeichen 6 Ca 1924/91) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. April 1992 – 2 Sa 139/92 – insoweit aufgehoben, als es die Beklagte zur Zahlung von 19,13 DM brutto und zur Tragung der Hälfte der Kosten des Rechtsstreits verurteilt hat.
- Auch insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 10. September 1991 – 6 Ca 1924/91 – zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt auch insoweit die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch um die Zahlung von Erschwerniszuschlägen für Arbeiten in einem Tunnel.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Gerüstbauer (Obermonteur) mit einem Stundenlohn von 19,62 DM brutto beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für das Gerüstbaugewerbe vom 11. Mai 1987 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 1. Juni 1990 (im folgenden: RTV) Anwendung. Dieser bestimmt in § 6 u.a.:
“§ 6 (Erschwerniszuschläge)
Der Arbeitnehmer hat für die Zeit, in der er mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt wird, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten prozentualen Erschwerniszuschlag zum Tarifstundenlohn:
- …
- Bei Arbeiten in Schächten, Tunneln und Klärbehältern (als Tunnel gelten nicht Bauwerke, die in offener Baugrube erstellt werden) 15 %
- Bei Arbeiten an oder in Bauten oder Anlagen mit außergewöhnlicher Schmutz- oder Staubentwicklung 10 %
…”
Am 3. April 1991 war der Kläger 6,5 Stunden auf der Baustelle U-Bahn D…, R…, beschäftigt. Diese Baustelle befindet sich in einem U-Bahnhof. Der Kläger verlangt für diese Stunden die Zahlung des Erschwerniszuschlags nach § 6 Ziffer 1.4 RTV in Höhe von 15 %. Er ist der Auffassung, U-Bahnhöfe seien “Tunnel” im Sinne von § 6 Ziffer 1.4 RTV. Der Begriff “Tunnel” umfasse nicht nur den eigentlichen Verkehrstunnel, sondern auch die Nebenbauwerke mit der im Tarifvertrag genannten Ausnahme, daß die Bauwerke in offener Baugrube erstellt werden. Da der U-Bahnhof R… bereits gedeckelt sei, sei er kein Bauwerk mehr, das in offener Baugrube erstellt werde. Es sei ein Tunnelbauwerk, da er – ähnlich wie ein Verkehrstunnel – insgesamt unterirdisch verlaufe. Außerdem verlangt der Kläger für diese Arbeiten und 5,25 Arbeitsstunden auf der Baustelle E… am 15. April 1991 die Zahlung eines Zuschlags für Arbeiten unter außergewöhnlicher Schmutz- oder Staubentwicklung nach § 6 Ziffer 1.5 RTV i. H. von 23,05 DM brutto.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 42,18 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, U-Bahnhöfe und die entsprechenden Zugänge seien keine “Tunnel” im Sinne einer normalen Begriffsbestimmung. Von einem Tunnel sei nur auszugehen, wenn das Gebilde für einen ganz speziellen verkehrstechnischen Zweck geschaffen worden sei und von den Abmessungen her neben der eigentlichen Funktion – Straßen- oder Schienenverkehr – nur minimalen Platz aufweise sowie sowohl von den Lichtverhältnissen als auch von der Luftzufuhr weit unter dem normalen Maß liege. Nur bei Vorliegen solcher widrigerer äußerer Umstände sei ein Erschwerniszuschlag zu zahlen. Das zeige sich ferner daran, daß die Zuschläge auch bei Arbeiten in Schächten und Klärbehältern, die üblicherweise eine erhebliche räumliche Enge aufwiesen, zu zahlen seien. Der RTV enthalte keine Vorschrift, wonach ein Zuschlag immer dann zu zahlen sei, wenn Arbeiten unterhalb der Erdoberfläche ausgeführt werden müßten. Da die Einrüstungsarbeiten durch den Kläger nicht im Bereich der Gleise erfolgt seien, seien die Arbeiten nicht unter den gleichen schlechten Licht- und Arbeitsverhältnissen wie in einem Verkehrstunnel durchgeführt worden. Der Schmutzzuschlag nach § 6 Ziffer 1.5 RTV sei nicht zu zahlen, wenn die außergewöhnliche Schmutz- und Staubentwicklung lediglich von den eingebrachten Gerüstbauteilen selbst herrühre.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung des Klägers dem Antrag auf Zahlung des Erschwerniszuschlags für Tunnelarbeiten i. H. von 19,13 DM brutto stattgegeben. Hinsichtlich der Zahlung des Schmutzzuschlags hat das Landesarbeitsgericht die Klage rechtskräftig abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte hinsichtlich der teilweisen Verurteilung ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts, soweit darin die Beklagte zur Zahlung des Erschwerniszuschlags für Tunnelarbeiten i. H. von 19,13 DM brutto und zur Tragung der Hälfte der Kosten des Rechtsstreits verurteilt worden ist. Auch insoweit ist die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Ersturteil – wie bereits hinsichtlich der Zahlung eines Zuschlages bei Arbeiten unter außergewöhnlicher Staub- und Schmutzentwicklung wegen verbliebener Putz- und Mauerreste in Höhe von 23,05 DM brutto im Berufungsurteil geschehen – zurückzuweisen und der Kläger zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
Die Arbeiten des Klägers im U-Bahnhof R… stellen keine Tunnelarbeiten im Tarifsinne dar, dem Kläger steht daher der geltend gemachte Erschwerniszuschlag nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit es die Beklagte zur Zahlung des Erschwerniszuschlags für Tunnelarbeiten verurteilt hat – ausgeführt, dem Kläger stehe der Anspruch auf den Erschwerniszuschlag nach § 6 Ziffer 1.4 RTV zu, da der U-Bahnhof als Tunnel im Sinne der Tarifvorschrift zu werten sei. Dies folge aus der Auslegung des RTV nach dem Tarifwortlaut unter Berücksichtigung der tariflichen Klammerdefinition, nach der nicht auf bloße Verkehrstunnel abzustellen sei, und des tariflichen Gesamtzusammenhangs. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei ein U-Bahnhof als unterirdisches Bauwerk, durch das eine Bahn geführt werde, ein Tunnel. Im Hinblick auf die Klammerdefinition sei davon auszugehen, der von den Tarifvertragsparteien verfolgte Sinn und Zweck des Erschwerniszuschlags bestehe darin, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß die Gerüstarbeiten in einem unterirdischen, umschlossenen Raum durchgeführt werden müßten. Es werde die zusätzliche Erschwernis abgegolten, daß – wie auch sonst in Tunnelbauwerken – Bahnen ein- und ausführen und es sich um ein Gewölbe handele, so daß auch insoweit ein erschwertes Arbeiten anzunehmen sei.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.
II. Zu Recht geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, daß U-Bahnhöfe nicht ohne weiteres als Tunnel zu werten sind. Entgegen der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt aber die Auslegung des RTV nicht, daß Arbeiten in bzw. an einem U-Bahnhof als “Arbeiten in einem Tunnel” oder “Schacht” im Sinne des § 6 Ziffer 1.4 RTV anzusehen sind.
Nach den Grundsätzen der Tarifauslegung, wonach – entsprechend der Gesetzesauslegung – zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen und darüber hinaus zur Feststellung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien und des von ihnen beabsichtigten Sinns und Zwecks der Tarifnormen auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen ist (BAGE 46, 308, 313 ff. = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), kann die vom Kläger am 3. April 1991 im U-Bahnhof R… geleistete Tätigkeit nicht als erschwerniszuschlagsberechtigende Tunnelarbeit angesehen werden.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Tunnel ein unterirdisches Bauwerk zur Führung von Straßen, Bahnen oder Kanälen (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1984, 6. Band) bzw. ein unterirdisches röhrenförmiges Bauwerk, besonders als Verkehrsweg durch einen Berg oder ähnliches (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1989); auch ein unterirdischer Gang wird als Tunnel bezeichnet (Duden, aaO). Der allgemeine Sprachgebrauch geht davon aus, daß die U-Bahn “aus dem Tunnel” in den U-Bahnhof einfährt.
Bereits nach dem Tarifwortlaut kann ein U-Bahnhof daher nicht generell als Tunnel angesehen werden, da ihm insbesondere – soweit nicht die Fahrtunnel für die Gleise der U-Bahn selbst betroffen sind – das Merkmal des “röhrenförmigen Bauwerks” fehlt. Gerade dieses Merkmal kennzeichnet einen Tunnel (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 22: Tunnel c): Unter Großstädten gearbeiteter Weg für Untergrundbahnen, vgl. Tunnelbahn: Der wichtigste Teil einer Untergrundbahn ist der Tunnel; für alle Tunnel, die mit Schildvortrieb herzustellen sind, wird daher die Form des kreisförmigen Röhrentunnels die günstigste sein, wie sie in den Untergrundbahnen … zur Ausführung gelangt ist).
Zwar gehört auch der U-Bahnhof zur U-Bahn. Er ist ein zum Großteil unterirdisches Bauwerk. Der tarifliche Gesamtzusammenhang und der Sinn und Zweck der Tarifnormen gebieten aber nicht, den U-Bahnhof selbst als Tunnel zu werten. Soweit die Tarifvertragsparteien des RTV die Zahlung eines Erschwerniszuschlags für Arbeiten in Tunneln vorgesehen haben, ist davon auszugehen, daß sie dadurch die Arbeitserschwerung abgelten wollten, die sich durch die einen Tunnel kennzeichnenden röhrenartigen, engen Orts- und Raumverhältnisse, unter denen die Arbeit geleistet werden muß, ergibt. Dies bestätigt der Zusammenhang mit den beiden anderen in Ziffer 1.4 des § 6 RTV genannten Merkmalen, Arbeiten in “Schächten” und “Klärbehältern”. Unter einem Schacht ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein hoher, schmaler, geschlossener Raum zu verstehen (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1983, 5. Band); auch insoweit ist die räumliche Enge kennzeichnend.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Klammerdefinition in § 6 Ziffer 1.4 RTV. Da der U-Bahnhof bereits nach der Auslegung des RTV nicht als Tunnel anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob er nach der Klammerdefinition nicht als Tunnel gelten soll. Die Klammerdefinition bestätigt vielmehr das Ergebnis, daß der U-Bahnhof, soweit nicht die Fahrtunnel mit den Gleisen betroffen sind, kein Tunnel im Tarifsinne ist, da in einer offenen Baugrube gerade die einen Tunnel kennzeichnenden, durch das Röhrenförmige des Tunnels hervorgerufenen besonderen örtlichen Arbeitsverhältnisse am Arbeitsplatz fehlen.
Entgegen den Ausführungen im Berufungsurteil kann der U-Bahnhof auch nach der Abdeckelung nicht einem Tunnel im Tarifsinne gleichgestellt werden. Nach dem RTV ist der Erschwerniszuschlag nach § 6 Ziffer 1.4 nicht für Gerüstarbeiten in unterirdischen, umschlossenen Räumen allgemein zu zahlen, sondern nur für Arbeiten in Tunneln bzw. Schächten. Da ein U-Bahnhof aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem tariflichen Gesamtzusammenhang weder Tunnel noch Schacht ist, hat der Kläger für die Arbeiten am 3. April 1991 keinen Anspruch auf Zahlung dieses Erschwerniszuschlags. Auf die Revision der Beklagten war daher das Urteil des Landesarbeitsgerichts insoweit aufzuheben und das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Böck, Hauck, Staedtler, Tirre
Fundstellen
Haufe-Index 845943 |
BB 1994, 148 |
NZA 1994, 284 |