Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwei Betriebsübergänge. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Ersterwerber
Leitsatz (redaktionell)
Der Widerspruch gegen einen Betriebsübergang kann nicht einem früheren Arbeitgeber gegenüber erklärt werden sondern nur gegenüber dem bisherigen oder dem neuen Betriebsinhaber.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 6 S. 2
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 13.09.2013; Aktenzeichen 3 Sa 130/13) |
ArbG Leipzig (Urteil vom 22.08.2012; Aktenzeichen 6 Ca 781/12) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 13. September 2013 – 3 Sa 130/13 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Frage, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis nach mehreren Betriebsübergängen und mehreren Widersprüchen der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses besteht.
Die Klägerin war 1977 in die Dienste einer Rechtsvorgängerin der Beklagten getreten, zuletzt arbeitete sie bei der Beklagten, einem bundesweit tätigen Telekommunikationsunternehmen, in der K (K) S in L.
Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin ging am 1. September 2007 von der Beklagten auf die V GmbH (V) über. Darüber war die Klägerin durch ein Unterrichtungsschreiben der V vom 26. Juli 2007 informiert worden. Die Klägerin erhob damals keinen Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Sie arbeitete nach dem Betriebsübergang für die V weiter.
Mit Schreiben vom Oktober 2008 wurde die Klägerin darüber informiert, dass eine T L GmbH (T) die K L am 15. Oktober 2008 von der V erworben habe und diese im Wege eines Betriebsübergangs am 1. Dezember 2008 übernehmen werde. Auch diesem weiteren Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die T widersprach die Klägerin zunächst nicht. Sie unterschrieb am 28. Dezember 2009 einen ihr von T vorgelegten neuen Arbeitsvertrag, demzufolge sich ihre Arbeitsbedingungen ab dem 1. Januar 2010 änderten. In § 1 dieses neuen Arbeitsvertrags wurde diesbezüglich bestimmt:
„Dieser Arbeitsvertrag regelt abschließend und vollständig die individualrechtlichen Rechte und Pflichten zwischen den Parteien mit Wirkung ab dem 01.01.2010. Er löst die bis dahin bestehenden individuellen Regelungen vollständig ab, insbesondere gelten in dem Arbeitsverhältnis seit dem 01.01.2010 keine tarifvertraglichen Regelungen kollektivrechtlich oder individualrechtlich.”
Mit Urteil vom 26. Mai 2011 (– 8 AZR 18/10 –) entschied der Senat zu einem wortgleichen Unterrichtungsschreiben der V, ebenfalls vom 26. Juli 2007, aber ein anderes Arbeitsverhältnis betreffend, dass die Unterrichtung fehlerhaft war.
Mit Anwaltsschreiben vom 17. Oktober 2011 ließ die Klägerin gegenüber der Beklagten dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V, der am 1. September 2007 stattgefunden hatte, widersprechen.
Durch ein weiteres Schreiben vom 17. Oktober 2011 widersprach sie auch dem zweiten Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von V auf T. Eine auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses mit V über den 30. November 2008 hinaus gerichtete, vor dem Arbeitsgericht Leipzig erhobene Klage nahm die Klägerin später zurück (ArbG Leipzig – 3 Ca 744/12 –).
Schließlich ließ sie ebenfalls unter dem 17. Oktober 2011 den mit T abgeschlossenen neuen Arbeitsvertrag vom 28. Dezember 2009 „unter sämtlichen Gesichtspunkten wegen arglistiger Täuschung und Irrtum” anfechten. Die danach auf Feststellung der Unwirksamkeit dieses Arbeitsvertrags gerichtete Klage wies das Arbeitsgericht Leipzig durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 16. Oktober 2012 (– 9 Ca 4323/11 –) als unzulässig ab.
T kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin am 29. Dezember 2011 zum 31. Juli 2012, da sie die Stilllegung der K L zum 30. Juni 2012 beschlossen hatte. Auch die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage wies das Arbeitsgericht Leipzig mit dem Urteil vom 16. Oktober 2012 (– 9 Ca 4323/11 –) rechtskräftig ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, im Oktober 2011 noch dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die V im Sommer 2007 widersprechen gekonnt zu haben. Die damalige Unterrichtung über den Betriebsübergang sei fehlerhaft gewesen und habe die Monatsfrist zum Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang gesetzt.
Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2014 hat die Klägerin im Revisionsverfahren vorgetragen, ihr Widerspruch gegen den zweiten Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von V auf T sei wirksam gewesen. Insoweit behauptet die Klägerin, dass auch bei der Unterrichtung zum zweiten Betriebsübergang Fehler gemacht worden seien, so habe es sich bei T um eine Neugründung gehandelt, worauf bei der Unterrichtung zum zweiten Betriebsübergang nicht hingewiesen worden sei. Die Klägerin ist der Auffassung, in Ansehung der EU-Richtlinie vom 12. März 2001 (RL 2001/23/EG) müsse der Senat den „Sachverhalt” dem EuGH vorlegen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass zwischen den Parteien über den 1. September 2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.
Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass die Klägerin jedenfalls ein etwa noch bestehendes Recht zum Widerspruch verwirkt habe. Von einem verwirklichten Zeitmoment sei unproblematisch auszugehen. Mit dem von der Klägerin bei T abgeschlossenen Arbeitsvertrag habe sie zudem auch das Umstandsmoment verwirklicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Einen wirksamen Widerspruch gegen den früheren Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V konnte die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis mittlerweile mit T bestand, nicht mehr einlegen, § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein etwa noch bestehendes Recht zum Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf V habe die Klägerin am 17. Oktober 2011 verwirkt gehabt. Nach vier Jahren und zwei Monaten sei das Zeitmoment erfüllt. Durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrags mit T sei auch das Umstandsmoment erfüllt, da damit das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue rechtliche Grundlage gestellt worden sei. Auf die Anfechtung dieses Arbeitsvertrags könne sich die Klägerin nicht berufen, da ihr ein Anfechtungsgrund nicht zur Verfügung stehe. Das Wissen über den Vertragsabschluss sei der Beklagten zuzurechnen.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I. Das Widerspruchsrecht gegen einen Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang ist in der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen (ABl. EG L 82 vom 22. März 2001 S. 16) nicht geregelt. Es ist jedoch in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt (EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 30 ff. mwN, Slg. 1992, I-6577). Der Inhalt dieses Rechts ist unionsrechtlich nicht ausgestaltet; die Rechtsfolgen eines Widerspruchs für das Arbeitsverhältnis richten sich nach nationalem Recht (EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 37, aaO). Für die Voraussetzungen des Widerspruchsrechts ergibt sich nichts anderes. Zudem verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten schon nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer für den Fall vorzusehen, dass der Arbeitnehmer sich frei dafür entscheidet, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen (EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO). Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Widersprechenden geschieht (EuGH 7. März 1996 – C-171/94 und C-172/94 – [Merckx, Neuhuys] Rn. 35, Slg. 1996, I-1253; 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO). Geht es somit um die Frage eines möglichen Widerspruchs gegen frühere Betriebsübergänge oder um die Frage, ob ein Widerspruch nach Ablauf der Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB noch erklärt werden kann oder ob diese Frist überhaupt zu laufen begonnen hat, so geht es nicht um die Frage unionsrechtlich geregelter Unterrichtungen. Für ein an den EuGH zu richtendes Vorabentscheidungsersuchen besteht kein Anlass.
II. Der Widerspruch vom 17. Oktober 2011 gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am 1. September 2007 erfolgte nicht gemäß § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB gegenüber dem „neuen Inhaber” (im Oktober 2011 T) oder „dem bisherigen Arbeitgeber” (im Oktober 2011 V), sondern gegenüber der Beklagten als einer früheren Arbeitgeberin. Eine solche Widerspruchsmöglichkeit besteht nach dem Gesetz nicht.
1. Nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB ist der Widerspruch gegenüber zwei Personen möglich: gegenüber dem „bisherigen Arbeitgeber” oder dem „neuen Inhaber”. Ein Widerspruchsrecht gegenüber einem ehemaligen Arbeitgeber ist danach nicht gegeben (vgl. auch BAG 24. April 2014 – 8 AZR 369/13 –). „Bisheriger” Arbeitgeber in der Situation, in der sich die Klägerin im Oktober 2011 nach zwei Betriebsübergängen befand, wäre im Sinne des Gesetzes die V gewesen. „Bisher/ig” bedeutet: „bis jetzt” (Brockhaus-Wahrig Deutsches Wörterbuch S. 703 [1980]); „von einem unbestimmten Zeitpunkt an bis zum heutigen Tag” (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. S. 607); „bislang/bis jetzt/bis heute/bis dato/bis zum heutigen Tage/bis zur jetzigen Stunde” (Knaurs Lexikon der sinnverwandten Wörter S. 116). Bezogen auf einen Betriebsübergang ist der „bisherige Arbeitgeber” derjenige, der vor dem aktuellen Arbeitgeber den Betrieb innehatte. Seit dem letzten Betriebsübergang ist die T „neue Inhaberin” iSd. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB, da sie bei diesem zweiten Betriebsübergang den Betrieb erworben hat. Zur Beklagten steht die Klägerin im Zeitpunkt der Erklärung ihres Widerspruchs nicht mehr in einer, auch nicht in einer durch § 613a Abs. 6 BGB vermittelten arbeitsrechtlichen oder sonstigen vertragsrechtlichen Beziehung. Die Beklagte war bei Zugang des Widerspruchs nicht „bisherige” Arbeitgeberin, sondern hatte diese Eigenschaft am 1. Dezember 2008 durch den Betriebsübergang von V auf T (an V) – also lange vor dem Widerspruch – verloren. V verlor durch diesen zweiten Betriebsübergang ihren Status als „neue Inhaberin” und wurde zur „bisherigen Arbeitgeberin”. Die Erklärung im Oktober 2011 gegenüber der Beklagten als einer früheren Arbeitgeberin ging damit ins Leere.
Auch systematische Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch nur gegenüber dem „bisherigen” Arbeitgeber oder „dem neuen Inhaber”, den letzten Übergang des Arbeitsverhältnisses betreffend, erklärt werden kann (näher BAG 24. April 2014 – 8 AZR 369/13 – Rn. 19 ff.).
2. Dies entspricht der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7760 S. 20) für das Widerspruchsrecht. Mit der Würde des Menschen, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 1, 2 und 12 GG) wäre es unvereinbar, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet würde, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat (BAG 22. April 1993 – 2 AZR 50/92 –; ebenso zu der Richtlinie 2001/23/EG: EuGH 16. Dezember 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91 – [Katsikas ua.] Rn. 32, Slg. 1992, I-6577; vgl. auch Art. 1 und Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Bezogen auf den Widerspruch vom 17. Oktober 2011 gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am 1. September 2007 von der Beklagten zur V kann es insofern nur auf eine Arbeitspflicht der Klägerin für die V ankommen. Eine solche bestand jedoch am 17. Oktober 2011 nicht mehr, da das Arbeitsverhältnis infolge des weiteren Betriebsübergangs seit dem 1. Dezember 2008 mit der T bestand.
III. Die Klägerin kann sich vorliegend auch nicht darauf berufen, dass sie zeitgleich mit dem gegenüber der Beklagten eingelegten Widerspruch auch dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von V auf T widersprochen habe. Denn dieser Widerspruch erfolgte jedenfalls außerhalb der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB, fand doch die Unterrichtung zu diesem Betriebsübergang bereits im Oktober 2008 statt. Über die Tatsache hinaus, dass er erfolgt sei, hat das Landesarbeitsgericht weitere tatbestandliche Feststellungen zu diesem Widerspruch oder zu der Unterrichtung über den zweiten Betriebsübergang nicht getroffen. Aufgrund der den Senat bindenden Feststellungen (§ 559 Abs. 2 ZPO) kann der Senat nur erkennen, dass der Widerspruch, der außerhalb der gesetzlichen Frist erfolgte, unwirksam ist. Soweit die Klägerin mit einem Schriftsatz im Revisionsverfahren nunmehr behauptet hat, die Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB sei nicht angelaufen, da auch die Belehrung zum zweiten Betriebsübergang fehlerhaft gewesen sei, stellt dies unzulässiges neues Vorbringen im Revisionsrechtszug dar, das der Senat nicht berücksichtigen darf, § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im Übrigen hat die Klägerin eine nach ihrem Widerspruch auch gegen den zweiten Übergang ihres Arbeitsverhältnisses erhobene Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses mit V zurückgenommen (ArbG Leipzig – 3 Ca 744/12 –).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Hauck, Breinlinger, Winter, N. Reiners, Andreas Henniger
Fundstellen