Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerkrafttreten eines Rahmenkollektivvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Anwendung des § 31 Nr. 3 InkrG auf Sachverhalte nach dem 30. Juni 1990 ist das Rechtsstaatsprinzip zu beachten, welches grundsätzlich das Vertrauen darauf schützt, daß die mit abgeschlossenen Tatbeständen verbundenen Rechtsfolgen anerkannt bleiben (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 13. Juli 1994 – 4 AZR 400/93 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

2. Die echte Rückwirkung eines Gesetzes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise dann zulässig, wenn das Vertrauen auf die Rechtslage hinsichtlich des abgeschlossenen Tatbestandes nicht schutzwürdig ist, z.B. weil der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den das Gesetz zurückwirkt, mit einer Änderung der Rechtslage rechnen mußte (z.B. BVerfGE 13, 261, 272).

3. Die Ablösung eines Rahmenkollektivvertrages nach § 31 Nr. 3 InkrG durch Tarifrecht nach dem Tarifvertragsgesetz ist bei Eingriff in einen abgeschlossenen Tatbestand durch den ablösenden Tarifvertrag ein Fall der gesetzlichen Rückwirkung, da sowohl die Geltung des Rahmenkollektivvertrages als auch seine Außerkraftsetzung auf Gesetzen – der ehemaligen DDR – beruhte.

4. Die Beseitigung eines durch einen Rahmenkollektivvertrag Anfang 1990 begründeten Anspruchs auf erhöhtes Überbrückungsgeld i. S. von § 121 Abs. 2 AGB-DDR nach § 31 Nr. 3 InkrG vom 21. Juni 1990 durch das Inkrafttreten eines Tarifvertrages mit Wirkung vom 1. Juli 1990 verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, da die Normadressaten des Rahmenkollektivvertrages nach Abschluß des Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 mit der Ablösung des Arbeitsrechts der früheren DDR und der kraft dessen geltenden Rahmenkollektivverträge ab 1. Juli 1990 rechnen mußten.

 

Normenkette

AGB-DDR § 14 Abs. 2, § 121; TVG § 4 Abs. 5

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 28.02.1994; Aktenzeichen 7 (1) Sa 80/93)

ArbG Chemnitz (Urteil vom 23.10.1992; Aktenzeichen 5 Ca 5089/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 28. Februar 1994 – 7 (1) Sa 80/93 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 23. Oktober 1992 – 5 Ca 5089/91 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte aufgrund eines Rahmenkollektivvertrages dem Kläger gegenüber zur Zahlung eines erhöhten Überbrückungsgeldes im Sinne von § 121 Abs. 2 AGBDDR verpflichtet ist.

Der Kläger wurde durch die „Rationalisierungsvereinbarung zur Rationalisierung der Arbeitsprozesse im Direktionsbereich Hauptbuchhalter in der Kombinatsleitung des VEB Bergbau- und Hüttenkombinat A. F., Fr.” vom 31. Mai 1990 mit Wirkung vom 1. Juni 1990 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten freigesetzt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß für die dem vorgenannten Vertrag zugrunde liegende Rationalisierung die „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen für Werktätige, die im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen eine andere Arbeit aufnehmen”, vom 1. Februar 1990 (Reg. unter 29/90) – nachfolgend kurz: RKV Strukturveränderungen – und der 1. Nachtrag dazu vom 2. April 1990 (Reg. unter 228/90) galten.

Am 10. Juni 1990 schied der Kläger aus den Diensten der Beklagten aus und begründete am nächsten Tag ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber außerhalb des Bergbaus. Mit dem nachfolgend auszugsweise zitierten Schreiben vom 12. Juni 1990 teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

Auf der Grundlage der „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen für Werktätige, die im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen eine andere Arbeit aufnehmen” vom 1. Februar 1990 erfolgt für Sie die Berechnung des erhöhten Überbrückungsgeldes sowie für den Wegfall bzw. Minderung der zusätzlichen Belohnung. Diese wird wie folgt berechnet:

Entsprechend der o.g. Vereinbarung erhalten Sie am 10. Juni 1990 diesen für das 1. Jahr in Höhe von

8.226,– M

ausgezahlt. Dieser Betrag wird Ihnen überwiesen. Die Auszahlung des 2. Betrages in gleicher Höhe erfolgt am 10. Juni 1991 und des 3. Betrages am 10. Juni 1992.

Voraussetzung zur Zahlung des 2. und 3. Betrages ist, daß Sie eine Bestätigung Ihres Betriebes, in welchem Sie zu diesem Zeitpunkt tätig sind, vorlegen, aus welcher Ihr Nettodurchschnittsverdienst ersichtlich ist. Treten in Ihrer neuen Tätigkeit Lohnveränderungen aufgrund von neuen Regelungen in Rechtsvorschriften einschließlich RKV ein, ist von uns das Überbrückungsgeld für das zweite bzw. dritte Jahr neu zu berechnen. Diese Bestätigung ist von Ihnen mindestens 4 Wochen vor o.g. Termin dem alten Betrieb bzw. Rechtsnachfolger vorzulegen.

Die erste Rate des erhöhten Überbrückungsgeldes wurde zusagegemäß an den Kläger überwiesen.

Am 10. Juli 1990 kam es zwischen mehreren Unternehmen der Nichteisenmetallurgie, darunter der Beklagten, und der Industriegewerkschaft Bergbau-Energie-Wasserwirtschaft zum Abschluß des Tarifvertrages zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei Rationalisierung und Strukturveränderung (Arbeitsplatzsicherung) – nachfolgend kurz: TVRA-NE –, der nach § 10 Abs. 1 rückwirkend am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Unter der Überschrift „Schlußbestimmungen” ist in § 10 Abs. 2 des TVRA-NE bestimmt, daß mit dessen Inkrafttreten „die Vereinbarung vom 1. Februar 1990 Reg. unter 29/90 und der erste Nachtrag vom 2. April 1990 Reg. unter 228/90 außer Kraft” treten.

Die Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen führten bei der Beklagten zu einem erheblichen Personalabbau. Nachdem sie im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers noch rund 4.700 Arbeitnehmer beschäftigt hatte, reduzierte sich diese Zahl auf ca. 2.600 im Juli 1991, weiter auf knapp 1.600 im Juli 1992 und sodann auf gut 900 im Januar 1993.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1990 teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

Auf der Grundlage der „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen für Werktätige, die im Zusammenhang mit Strukturveränderung und Rationalisierungsmaßnahmen eine andere Arbeit aufnehmen” vom 1. Februar 1990 wurde eine 2. bzw. 3. einmalige Abfindung – also erhöhtes Überbrückungsgeld – Ihnen mit Schreiben vom 12. Juni 1990 zugesagt.

Mit dem Abschluß des Tarifvertrages zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei Rationalisierung und Strukturveränderung TVRA-NE vom 1. Juli 1990 wurde die o.g. Vereinbarung außer Kraft gesetzt. Die SAXONIA AG sieht sich außerstande, darin enthaltene Verbindlichkeiten zu realisieren und betrachtet sich von diesen entbunden.

Der Kläger widersprach diesen Ausführungen mit Schreiben vom 11. Januar 1991 und bestand auf der Zahlung des erhöhten Überbrückungsgeldes. Mit Schreiben vom 29. April 1991 übersandte er der Beklagten eine Lohnbescheinigung der Fa. K. GmbH Fr. vom selben Tage, ausweislich derer sein „Durchschnittsverdienst für einen Monat per 30. April 1991 netto M 1.131,29” betrug, und forderte sie zur Zahlung der am 12. Juni 1991 fälligen zweiten Rate auf. Die Beklagte leistete dieser Aufforderung keine Folge. Mit seiner Zahlungsklage verfolgt der Kläger diesen Anspruch weiter, den er auf 7.200,96 DM beziffert.

Er hat vorgetragen, ihm stehe nach dem RKV-Strukturveränderungen das erhöhte Überbrückungsgeld zu. Die Beklagte habe dessen Zahlung überdies mit Schreiben vom 12. Juni 1990 zugesagt. Seinem Anspruch stehe nicht der TVRA-NE entgegen, denn sein Anspruch sei bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden; lediglich seine Fälligkeit sei ratenweise gestaffelt. Der TVRA-NE regele ausschließlich nach dem 31. Dezember 1990 entstandene Ansprüche. Da er – der Kläger – die Voraussetzungen für den Anspruch auf erhöhtes Überbrückungsgeld bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt habe, werde sein Anspruch auch durch den Einigungsvertrag nicht berührt. Bei einer monatlichen Lohndifferenz von 600,08 DM ergebe sich ein Anspruch auf die zweite Rate des erhöhten Überbrückungsgeldes in Höhe von 7.200,96 DM.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn Überbrückungsgeld in Höhe von 7.200,96 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 10. Juni 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, durch die Außerkraftsetzung des RKV Strukturveränderungen und seines 1. Nachtrages bestehe kein Anspruch des Klägers mehr auf erhöhtes Überbrückungsgeld. Auch aus dem Einigungsvertrag folge, daß dieser Anspruch des Klägers nicht mehr bestehe. Dieser bestimme, daß Rationalisierungsschutz abkommen, die vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossen und registriert worden seien, ohne Nachwirkung am 31. Dezember 1990 außer Kraft träten. Im übrigen wäre es unbillig, wenn der Kläger, der nicht arbeitslos geworden sei, erheblich besser gestellt würde als zahlreiche betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer, die bei völligem Verlust ihres Arbeitsplatzes nach dem ab 1. Juli 1990 geltenden TVRA-NE deutlich unter dem erhöhten Überbrückungsgeld liegende Abfindungen erhalten hätten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des erhöhten Überbrückungsgeldes.

1. Ein tarifvertraglicher Anspruch des Klägers auf Zahlung des erhöhten Überbrückungsgeldes besteht nicht. Ob ein solcher durch den RKV Strukturveränderungen wirksam begründet worden ist, bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn der RKV Strukturveränderungen ist durch den TVRA-NE mit Wirkung vom 1. Juli 1990 abgelöst worden. Damit ist auch ein etwa zugunsten des Klägers entstandener Anspruch auf das erhöhte Überbrückungsgeld beseitigt worden.

1.1 Ob durch den RKV Strukturveränderungen ein tarifvertraglicher Anspruch auf erhöhtes Überbrückungsgeld begründet worden ist, kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend entschieden werden.

Zwar ist die als Rahmenkollektivvertrag anzusehende Vereinbarung vom 1. Februar 1990, dementsprechend hier als RKV Strukturveränderungen bezeichnet, nach § 14 Abs. 2 AGB-DDR in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung ordnungsgemäß von dem zuständigen Ministerium bestätigt und registriert worden (vgl. BAG Urteil vom 13. Februar 1992 – 8 AZR 269/91 – BAGE 69, 360 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR), wie die Parteien übereinstimmend vorgetragen haben. Gleiches gilt ebenfalls für dessen ersten Nachtrag vom 2. April 1990. Beide Registrierungen sind auch mit genauer Bezeichnung in § 10 Abs. 2 TVRA-NE genannt.

Die Vorinstanzen haben jedoch nicht erkannt, daß die Zusage eines erhöhten Überbrückungsgeldes vom Vorliegen der in § 121 Abs. 2 AGB-DDR aufgeführten Tatbestandsmerkmale abhängt, und demzufolge dazu nicht die erforderlichen Tatsachenfeststellungen getroffen.

Wie der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner unveröffentlichten Entscheidung vom 16. Februar 1995 – 8 AZR 773/93 – ausgeführt hat, war der mögliche Inhalt eines Rahmenkollektivvertrages in § 14 Abs. 1 AGB-DDR a.F. allgemein als „besondere Bestimmungen über den Arbeitslohn, die Arbeitszeit und den Erholungsurlaub sowie weitere arbeitsrechtliche Bestimmungen” geregelt. Zur Regelung eines Überbrückungsgeldes für Arbeitnehmer, die infolge von Rationalisierungsmaßnahmen oder Strukturveränderungen ihren Arbeitsplatz wechselten, gab es in § 121 Abs. 1 AGBDDR a.F. eine gesetzliche Sonderregelung. Danach erhielten Werktätige, die infolge Rationalisierungsmaßnahmen oder Strukturveränderungen eine andere Arbeit im Betrieb oder in einem anderen Betrieb übernahmen und dadurch ihren bisherigen Durchschnittslohn nicht wieder erreichen konnten, ein einmaliges Überbrückungsgeld in Höhe der Jahressumme der voraussichtlichen Minderung des Durchschnittslohnes. Die Zahlung von Überbrückungsgeld in Höhe von 8.226,– DM an den Kläger für die Zeit vom 10. Juni 1990 bis 9. Juni 1991 hat in dieser gesetzlichen Vorschrift ihre Rechtsgrundlage.

Nach § 121 Abs. 2 AGB-DDR a.F. konnte in Rechtsvorschriften festgelegt werden, daß Werktätige bei Vorliegen besonderer Bedingungen ein höheres Überbrückungsgeld erhalten. Eine Rechtsvorschrift in diesem Sinne ist auch die Regelung in einem Rahmenkollektivvertrag. Die Festlegung eines – im Vergleich zu dem gesetzlich in § 121 Abs. 1 AGB-DDR geregelten, auf den Ausgleich des Minderverdienstes für ein Jahr begrenzten – höheren Überbrückungsgeldes setzt nach dessen Abs. 2 das „Vorliegen besonderer Bedingungen” voraus (Urteil des Achten Senats vom 16. Februar 1995 – 8 AZR 773/93 –, n.v.). Dazu fehlt es an jeglichem Vortrag der Parteien und demzufolge auch an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Die Vorinstanzen haben sich auch nicht damit befaßt, ob, gegebenenfalls unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen, in welcher Weise und mit welchem Inhalt in der Zeit vor dem Beginn der zur Vereinigung führenden Entwicklung in der DDR von der Möglichkeit der Zubilligung eines höheren Überbrückungsgeldes nach § 121 Abs. 2 AGB-DDR Gebrauch gemacht worden ist.

Beim Fehlen der tatsächlichen Voraussetzungen für das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens besonderer Bedingungen hätten die Parteien des RKV Strukturveränderungen die Grenzen der ihnen durch § 121 Abs. 2 AGB-DDR erteilten Regelungsmacht überschritten mit der Folge, daß ein Anspruch auf ein höheres Überbrückungsgeld im Sinne dieser Vorschrift nicht wirksam begründet worden wäre (Urteil des Achten Senats vom 16. Februar 1995 – 8 AZR 773/93 –, n.v.).

1.2 Zugunsten des Klägers kann jedoch unterstellt werden, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 AGB-DDR für die Festlegung eines erhöhten Überbrückungsgeldes durch den RKV Strukturveränderungen vorlagen und der Anspruch des Klägers darauf zur Entstehung gelangt ist. Auch in diesem Fall hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung der geforderten 7.200,96 DM, denn der RKV Strukturveränderungen besaß nach dem 30. Juni 1990 keine Gültigkeit mehr. Auch der bereits am 10. Juni 1990 aus den Diensten der Beklagten ausgeschiedene Kläger kann daraus für die Zeit ab 1. Juli 1990 keine Ansprüche auf erhöhtes Überbrückungsgeld mehr herleiten.

1.2.1 Der RKV Strukturveränderungen ist mit Inkrafttreten des TVRA-NE am 1. Juli 1990 außer Kraft getreten und hat über diesen Zeitpunkt hinaus keine Rechtswirksamkeit entfaltet.

Die Fortgeltung des RKV Strukturveränderungen war durch § 31 Nr. 3 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 – InkrG – (GBl DDR I S. 357, 362) bis zum Abschluß eines ablösenden Tarifvertrages beschränkt. Diese Norm bildete die Rechtsgrundlage für eine Fortgeltung der registrierten Rahmenkollektivverträge über den 30. Juni 1990 hinaus. Zu diesem Zeitpunkt traten die Vorschriften über die Rahmenkollektivverträge im AGB-DDR (1977) außer Kraft, die ihre Geltung für die unterworfenen Arbeitsverhältnisse anordneten.

Der Abschluß eines Tarifvertrages nach dem 30. Juni 1990 im Geltungsbereich eines registrierten Rahmenkollektivvertrages führte zum Außerkrafttreten des Rahmenkollektivvertrages. Der Wegfall seiner Fortgeltung beschränkte sich nicht auf beiderseits Tarifgebundene, denn dieses Merkmal gab es nicht nach den Regeln des AGB-DDR. Der Wortlaut des § 31 Nr. 3 InkrG läßt für das Ende der Rechtswirkung des Rahmenkollektivvertrages allein die Übereinstimmung seines Geltungsbereichs mit dem des ablösenden Tarifvertrages ausreichen (Urteil des Senats vom 13. Juli 1994 – 4 AZR 400/93 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Für die Identität der Regelungen des RKV Strukturveränderungen und seines 1. Nachtrags vom 2. April 1990 nach Geltungsbereich, soweit er hier von Bedeutung ist, und Inhalt spricht die Vorschrift des § 10 Abs. 2 TVRA-NE, nach der der TVRA-NE den RKV Strukturveränderungen und dessen 1. Nachtrag ersichtlich ersetzen soll.

Dem Landesarbeitsgericht kann nicht darin gefolgt werden, der RKV Strukturveränderungen habe nach dem Willen der Parteien des TVRA-NE für die am 1. Juli 1990 bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer weitergelten sollen. Das Kollisionsproblem zwischen dem RKV Strukturveränderungen und dem TVRA-NE ist den Parteien des TVRA-NE bewußt gewesen, wie die Vorschrift seines § 10 Abs. 2 zeigt. Dort haben sie ohne Einschränkung die Vereinbarung vom 1. Februar 1990 und den 1. Nachtrag dazu vom 2. April 1990 außer Kraft gesetzt. Die übergangsweise Weitergeltung des RKV Strukturveränderungen für bestimmte Altfälle entsprach somit gerade nicht ihrem Willen.

Ebenso wie sich die Geltung der Normen eines Rahmenkollektivvertrages nach den Regeln des AGB-DDR, also nach dem Gesetz richtete, galt dies auch für deren Beseitigung. Kraft Gesetzes verloren die Rahmenkollektivverträge nach § 31 InkrG ihre Rechtswirksamkeit, sobald für denselben Geltungsbereich oder Teile desselben ein neuer Tarifvertrag in Kraft trat. Ihre zeitliche Fortgeltung war durch § 31 Nr. 3 InkrG von vornherein auf den Abschluß bzw. das Inkrafttreten des ablösenden Tarifvertrages begrenzt.

Da der RKV Strukturveränderungen bereits nach dem Recht der ehemaligen DDR am 1. Juli 1990 seine Geltung verloren hat, kommt es auf die Regelung der Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14 des Einigungsvertrages (BGBl II S. 885, 1023) für diesen Rechtsstreit nicht mehr an.

1.2.2 Der RKV Strukturveränderungen fand auch nicht kraft Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 31 Nr. 3 InkrG entfällt jegliche Fortgeltung der registrierten Rahmenkollektivverträge bei Abschluß ablösender Tarifverträge. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. Juli 1994 – 4 AZR 400/93 – AP, a.a.O. ausführlich begründet. Auf diese Ausführungen kann verwiesen werden. Der Kläger hat sich im übrigen nicht auf die Geltung des RKV Strukturveränderungen kraft Nachwirkung berufen.

1.2.3 Die vom Kläger gegen die Beseitigung seines Anspruchs auf das erhöhte Überbrückungsgeld durch § 31 Nr. 3 InkrG wegen Inkrafttretens des TVRA-NE vorgetragenen Bedenken sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht begründet. Das Außerkrafttreten des RKV Strukturveränderungen mit Abschluß (§ 31 Nr. 3 Satz 1 InkrG) bzw. Inkrafttreten (§ 31 Nr. 3 Satz 2 InkrG) des TVRA-NE beinhaltet keinen unzulässigen Eingriff in eine geschützte Rechtsposition des Klägers.

1.2.3.1 Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom

13. Juli 1994 – 4 AZR 400/93 – AP, a.a.O. ausgeführt hat, ist der Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips bei der Rechtsanwendung des § 31 Nr. 3 InkrG auf Sachverhalte nach dem 30. Juni 1990 zu beachten. Nach Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrages vom 18. Mai 1990 (GBl DDR I S. 331, 332) ist das fortbestehende Recht der DDR im Sinne der in Art. 2 Abs. 1 und den im Gemeinsamen Protokoll niedergelegten Grund- und Leitsätzen im Einzelfall auszulegen und anzuwenden (BGHZ 120, 10, 17 f. = NJW 1993, 259, 260). Die Regelungen des Staatsvertrages sind durch Verfassungsgesetz der DDR vom 21. Juni 1990 (GBl DDR I S. 331) in nationales Recht transformiert worden. Zu diesen Grundsätzen gehört auch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 Satz 1). Bei § 31 Nr. 3 InkrG handelt es sich um fortbestehendes Recht im Sinne des Art. 4 Abs. 1 des Staatsvertrages.

1.2.3.2 § 31 Nr. 3 InkrG widerspricht nicht dem Rechtsstaatsprinzip und dem darin enthaltenen Gedanken des Vertrauensschutzes.

Dem Kläger ist zuzugestehen, daß bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien der Anspruch auf das erhöhte Überbrückungsgeld nach dem RKV Strukturveränderungen – dessen Wirksamkeit hier unterstellt – in voller Höhe entstanden war. Nach Ziff. 3.4 RKV Strukturveränderungen wird das Überbrückungsgeld als einmaliger Gesamtbetrag ermittelt und in drei bzw. zwei gleichen Teilen gezahlt. Lediglich seine Fälligkeit tritt also ratenweise ein. Die Höhe der zweiten und dritten Rate kann sich durch Veränderung der Vergütungshöhe für die neue Tätigkeit ändern. Ansonsten kann das erhöhte Überbrückungsgeld nur bei schwerwiegender Verletzung der Arbeitspflichten bzw. der Arbeitsdisziplin, die gemäß § 56 AGBDDR a.F. zur fristlosen Entlassung bzw. Abberufung geführt haben, entfallen oder gekürzt werden. Damit greift die Regelung des § 31 Nr. 3 InkrG, welche den am 10. Juni 1990 entstandenen Anspruch des Klägers infolge des am 10. Juli 1990 abgeschlossenen und am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen TVRA-NE beseitigt, in einen abgeschlossenen Tatbestand ein.

Gleichwohl liegt eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nicht vor. Im Streitfall geht es nicht um das Problem rückwirkender Tarifverträge, sondern rückwirkender Gesetze, denn die Beseitigung der Geltung des RKV Strukturveränderungen beruht auf § 31 Nr. 3 InkrG, ebenso wie auch seine Geltung auf dem Gesetz – dem AGB-DDR – beruhte. Die Verfassung schützt zwar grundsätzlich das Vertrauen darauf, daß die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen anerkannt bleiben (BVerfGE 30, 367, 386). Das Verbot der sog. echten Rückwirkung gilt jedoch nur grundsätzlich. Eine echte Rückwirkung ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn das Vertrauen auf die Rechtslage hinsichtlich des abgeschlossenen Tatbestandes nicht schutzwürdig ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts u.a. dann der Fall, wenn der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den das Gesetz zurückwirkt, mit einer Änderung der Rechtslage rechnen mußte (BVerfGE 13, 261, 272; 18, 429, 439; 30, 367, 386; 31, 222, 227; 43, 291, 392; 72, 200, 260). Das ist in der Regel der Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses des Bundestages (BVerfGE 72, 200, 262).

Der Kläger mußte bei Abschluß der Rationalisierungsvereinbarungen vom 31. Mai 1990 mit einer Änderung der Rechtslage hinsichtlich seines Anspruchs auf erhöhtes Überbrückungsgeld rechnen.

Einen bedeutsamen Schritt zur Herstellung der deutschen Einheit stellt der Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 (GBl DDR I S. 331, 332 ff.) dar. Die Regierung der DDR hat sich in diesem zur Einführung einer Sozialen Marktwirtschaft auf ihrem Staatsgebiet verpflichtet (Art. 1 Abs. 3). Als Bestandteil der Wirtschaftsordnung wird darin ausdrücklich die Tarifautonomie (Art. 17) und das Recht der Koalitionen anerkannt, im Wege freier Vereinbarung Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen festzulegen (A III 3 des Gemeinsamen Protokolls über Leitsätze). Die DDR hat sich in Art. 3 Satz 2 weiter verpflichtet, bis zur Errichtung der Währungsunion, als deren Beginn in Art. 1 Abs. 2 Satz 1 der 1. Juli 1990 vereinbart war, die in der Anl. II bezeichneten Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland u.a. auch auf den Gebieten der Wirtschafts- und Sozialunion in der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft zu setzen. Als solche sind in der Anl. II unter IV Ziff. 5 und 6 das Betriebsverfassungsgesetz und das Tarifvertragsgesetz genannt. Der Kläger konnte daher zum einen nicht mit der Weitergeltung des gesetzlichen Arbeitsrechts der DDR rechnen. Zum anderen war die Ablösung der bisherigen, auf staatlicher Reglementierung beruhenden Rahmenkollektivverträge vorgezeichnet, die mit dem Recht der Koalitionen, im Wege freier Vereinbarung Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen festzulegen, nicht in Einklang zu bringen waren. Die in ihnen enthaltenen Arbeitsbedingungen sind nicht durch freie Vereinbarungen von Koalitionen entstanden und entsprachen nicht mehr der durch die Wirtschafts- und Währungsunion veränderten Leistungsfähigkeit der Wirtschaft der DDR.

Wie gering das Vertrauen der betroffenen Kreise in die Bestandskraft kollektiver Regelungen aus dem ersten Halbjahr 1990 über Leistungen an durch Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen betroffene Arbeitnehmer war, zeigt sich daran, daß diese Regelungen in zahlreichen Fällen nach Beginn der Währungsunion am 1. Juli 1990 einvernehmlich geändert worden sind, obgleich aus diesen vielfach aus abgeschlossenen Tatbeständen bereits Ansprüche erwachsen waren. Die Koalitionen haben ebenfalls solche rückwirkenden Änderungen vereinbart, wie auch der Streitfall zeigt. Dies weist aus, wie weit verbreitet die Zweifel an der Bestandskraft und Erfüllbarkeit kollektiver Vereinbarungen aus dem ersten Halbjahr 1990 über Leistungen an durch Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen betroffene Arbeitnehmer waren.

1.2.3.3 Die Rechtslage ist unverändert, wenn sie – weil im Ergebnis der TVRA-NE den RKV Strukturveränderungen beseitigt hat – nach den Grundsätzen beurteilt würde, die für die Rückwirkung von Tarifnormen gelten. Angesichts des Rechtsnormcharakters der Tarifnormen sind die Grenzen für ihre Rückwirkung die gleichen wie bei derjenigen von Gesetzen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 23. November 1994 (– 4 AZR 879/93 – NZA 1995, 844, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) entschieden, daß in den Grenzen des Vertrauensschutzes auch bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen (sog. „wohlerworbene Rechte”), rückwirkend durch Tarifvertrag geändert werden können.

1.2.3.4 Der Kläger wird durch die rückwirkende Beseitigung seines Anspruchs auf erhöhtes Überbrückungsgeld auch nicht im Vergleich zu den anderen Arbeitnehmern der Beklagten, die durch Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen in ihrem Arbeitsverhältnis betroffen wurden, benachteiligt. Eine Ungleichbehandlung zu Arbeitnehmern, für die bis zum 30. Juli 1990 der RKV Strukturveränderungen angewandt worden ist, rügt der Kläger nicht. Im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die Leistungen nach dem TVRA-NE erhalten haben, schneidet der Kläger deutlich besser ab: Obgleich er nicht arbeitslos geworden ist, hat er ein Überbrückungsgeld in Höhe von 8.226,– DM erhalten, während sich nach dem TVRA-NE der Abfindungshöchstbetrag, also die Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes, auf 5.000,– DM beläuft (§ 8 Abs. 1 TVRA-NE).

2. Der Kläger hat auch keinen einzelvertraglichen Anspruch auf erhöhtes Überbrückungsgeld. In der „Rationalisierungsvereinbarung” vom 31. Mai 1990 haben die Parteien vereinbart, daß für die Rationalisierung die „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit Strukturänderungen und Rationalisierungsmaßnahmen für Arbeiter und Angestellte im Stammbetrieb Fr. Raum” vom 11. Mai 1990 gilt. Auf diese Vereinbarung hat der Kläger seinen Anspruch nicht gestützt, sondern auf den RKV Strukturveränderungen vom 1. Februar 1990; er hat auch den Text der in der „Rationalisierungsvereinbarung” genannten „Vereinbarung … vom 11. Mai 1990” weder vorgelegt noch ihren Inhalt vorgetragen. Das Schreiben der Beklagten vom 12. Juni 1990 enthält lediglich die Mitteilung, welche dem Kläger aus ihrer damaligen Sicht zustehenden tariflichen Leistungen er von ihr erhalten werde. Eine darüber hinausgehende vertragliche Zusage ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Dies zeigt insbesondere der Einleitungssatz, in dem es heißt, daß der Kläger die nachfolgenden Leistungen „auf der Grundlage der Vereinbarung … vom 1. Februar 1990” erhalten soll. Wenn in dem Schreiben der Beklagten vom 19. Dezember 1990 an den Kläger davon die Rede ist, ihm sei ein erhöhtes Überbrückungsgeld mit Schreiben vom 12. Juni 1990 „zugesagt” worden, dann ist damit ebenfalls nur ihre Mitteilung gemeint, welche tariflichen Leistungen der Kläger erhalten werde.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er unterlegen ist (§ 91 ZPO).

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Bott, Hecker, Grätz

 

Fundstellen

Haufe-Index 439476

BAGE, 15

BB 1996, 163

NZA 1996, 1047

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