Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung - Arbeitsunfähigkeit
Orientierungssatz
1. Nach § 10 Nr 4 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 ist dem Arbeitnehmer in den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren der volle Jahresurlaub zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird.
2. Der gesetzliche Urlaubsanspruch setzt nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG voraus, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr.
3. Das Verlangen der Arbeitnehmerin, nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit das Verfahren fortzusetzen, enthält die Aufforderung, die in der Klageschrift bezeichnete Leistung nunmehr zu erbringen. Sie stellte sich somit als eine konkludente Mahnung dar. Eine solche reicht für die Begründung des Schuldnerverzugs aus.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 287, 286; BUrlG §§ 4, 7; BGB §§ 249, 271, 284; ZPO § 286
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.04.1987; Aktenzeichen 11 Sa 169/87) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 04.12.1986; Aktenzeichen 3 Ca 1656/86) |
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 14. September 1984 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. Darin heißt es u. a.:
"§ 9
Grundsätze der Urlaubsgewährung
...
3. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist
nur zulässig, wenn bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses/Ausbildungsverhält-
nisses noch Urlaubsansprüche bestehen.
...
...
§ 10
Allgemeine Urlaubsbestimmungen
...
3. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeit-
nehmer/Auszubildende gegen den alten und
neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf
so viele Zwölftel des ihm zustehenden
Urlaubs Anspruch, als er Monate bei ihnen
gearbeitet hat (Beschäftigungsmonate)/ausge-
bildet wurde (Ausbildungsmonate). Ein ange-
fangener Monat wird voll gerechnet, wenn die
Beschäftigung/Ausbildung mindestens zehn Ka-
lendertage bestanden hat.
...
4. In den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalender-
jahren ist der volle Jahresurlaub zu gewähren,
wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche
Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April
beendet wird.
Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem
Betrieb ausscheiden, haben unabhängig vom Termin
ihres Ausscheidens Anspruch auf den vollen
Jahresurlaubs, wenn sie im Austrittsjahr bis
zum 31. Januar tatsächlich gearbeitet haben.
...
8. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach
Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er
erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub
aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit
nicht genommen werden konnte."
Ab 9. Dezember 1985 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung der Beklagten am 18. April 1986. Unstreitig dauerte die Erkrankung der Klägerin mindestens bis zum 10. September 1986. Mit der am 3. Juni 1986 erhobenen Klage begehrt die Klägerin Abgeltung ihres 30-tägigen Erholungsurlaubs für das Jahr 1986 in unstreitiger Höhe.
Die Klägerin hat behauptet, sie sei ab dem 11. September 1986 arbeitsfähig gewesen. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
4.088,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat bestritten, daß die Klägerin ab 11. September 1986 arbeitsfähig gewesen sei, und die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch für 1986 sei nicht entstanden, weil die Klägerin in diesem Jahr keine Arbeitsleistungen erbracht habe. Jedenfalls sei aber ein etwaiger Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin bis 31. März 1987 nicht erfüllbar gewesen und in diesem Zeitpunkt verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung, mit der die Beklagte beantragt hat, die Klage abzuweisen, soweit die Verurteilung den Betrag von 522,13 DM brutto nebst Zinsen übersteigt, hat das Landesarbeitsgericht als unbegründet zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision bittet die Beklagte weiterhin um Abweisung der Klage, mit der die Klägerin Zinsen nur noch für die Zeit ab 4. Dezember 1986 verlangt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist auch insoweit begründet, als sie den der Klägerin bereits zuerkannten Betrag von 522,13 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 3. Juni 1986 übersteigt, der nicht mehr Gegenstand der Revision ist.
1. Der Klägerin stand für das Urlaubsjahr 1986 der volle Jahresurlaub in Höhe von unstreitig 30 Tagen zu. Dies ergibt sich aus § 10 Nr. 4 MTV, wonach in den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren der volle Jahresurlaub zu gewähren ist, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde durch ordentliche Kündigung der Beklagten zum 18. April 1986 beendet.
2. Dem Urlaubsanspruch für 1986 steht nicht entgegen, daß die Klägerin in diesem Urlaubsjahr keine Arbeitsleistungen erbracht hat.
a) Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu I 2 der Gründe) der Rechtsprechung des Sechsten Senats angeschlossen, nach der der gesetzliche Urlaubsanspruch nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraussetzt. Der Anspruch ist entgegen der Auffassung der Beklagten deshalb nicht wegen Rechtsmißbrauchs ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr wegen Krankheit nicht gearbeitet hat.
b) Gleiches gilt für den Urlaub, der der Klägerin nach dem Manteltarifvertrag über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus zustand. Aus § 10 Nr. 3 Abs. 1 MTV läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten.
Dies hat der Senat im Urteil vom 25. August 1987 - 8 AZR 331/85 - (AP Nr. 37 zu § 7 BUrlG Abgeltung) entschieden und ausführlich begründet. Die Revision, die dem widerspricht und sich dabei gegen das unveröffentlichte Urteil vom 10. März 1987 - 8 AZR 109/85 - wendet, in dem der Senat bereits die gleiche Auffassung vertreten hat, trägt keine Gesichtspunkte vor, die zu einer Überprüfung dieser Rechtsprechung Anlaß geben könnten.
3. Der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs für 1986 war, obwohl die Klägerin im Zeitpunkt des Ausscheidens, am 18. April 1986, noch arbeitsunfähig erkrankt war, entstanden.
Nach § 7 Abs. 4 BUrlG, auf den § 9 Nr. 3 Abs. 1 MTV inhaltlich Bezug nimmt, tritt mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung der Abgeltungsanspruch. Darauf, ob der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist, kommt es nicht an (ständige Rechtsprechung seit BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung; zuletzt Urteile des Senats vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 - BAGE 54, 184 = AP Nr. 12 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit und vom 25. August 1987 - 8 AZR 331/85 - AP Nr. 37 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Auch in diesem Punkt veranlassen die Ausführungen der Revision nicht zu einer Überprüfung der Rechtsprechung des Senats.
4. Allerdings ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung mit Ablauf des 31. März 1987 erloschen. Er ist nicht dadurch in das Urlaubsjahr 1987 übertragen worden, daß die Klägerin ihn nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht hat.
Nach § 10 Nr. 8 MTV erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Bei Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann diese Übertragungswirkung jedoch nicht eintreten. Der Abgeltungsanspruch erlischt nach § 10 Nr. 8 MTV mit Ablauf des auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden 31. März des nächsten Urlaubsjahrs (vgl. BAGE 50, 107 = AP Nr. 24 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu 3 der Gründe).
5. Der Klägerin steht der noch im Streit befindliche Betrag in Höhe von 3.566,07 DM jedoch als Schadenersatz zu, weil die Beklagte sich, als der Abgeltungsanspruch erlosch, in Schuldnerverzug befand (§ 284 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Satz 1 BGB).
a) Zwar war die Beklagte nicht nach § 284 Abs. 1 Satz 2 durch Erhebung der Klage in Verzug geraten, weil die Klägerin in diesem Zeitpunkt (3. Juni 1986) noch arbeitsunfähig erkrankt und der Urlaubsabgeltungsanspruch daher nicht erfüllbar war (vgl. BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu II 2 a der Gründe). Die Beklagte befand sich aber ab 18. September 1986 in Schuldnerverzug. An diesem Tag ging ihr laut Empfangsbekenntnis der im Tatbestand des Berufungsurteils u. a. in Bezug genommene Schriftsatz vom 10. September 1986 zu, in dem die Klägerin mitteilte, daß sie ab 11. September 1986 arbeitsfähig sei und um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung bitte. Darin lag eine Mahnung im Sinne des § 284 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das Verlangen der Klägerin, das Verfahren fortzusetzen, enthielt die Aufforderung, die in der Klageschrift bezeichnete Leistung nunmehr zu erbringen. Sie stellte sich somit als eine konkludente Mahnung dar. Eine solche reicht für die Begründung des Schuldnerverzugs aus (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 284 Anm. 3 b).
b) Diese Mahnung war wirksam. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung war fällig (§ 284 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 271 Abs. 1 BGB). Die Klägerin war zwischen dem 18. September 1986 und dem Verfalltag (31. März 1987) an so vielen Tagen arbeitsfähig, daß der Urlaubsanspruch für 1986 in Höhe von 30 Tagen erfüllbar gewesen wäre, wenn das Arbeitsverhältnis fortbestanden hätte.
Das Landesarbeitsgericht hat aufgrund einer Bescheinigung der AOK W vom 4. Dezember 1986 festgestellt, die Klägerin sei nur vom 9. Dezember 1985 bis zum 10. September 1986 und vom 9. Oktober 1986 bis zum 4. November 1986 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Durch das ärztliche Attest vom 12. November 1986 werde der Beweiswert der Bescheinigung der AOK nicht gemindert; daraus, daß der Arzt am 12. November 1986 die Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht positiv festgestellt, sondern nur bescheinigt habe, daß "laut vertrauensärztlicher Dienst der LVA vom 4. September 1986 ... die Arbeitsunfähigkeit am 10. September 1986 beendet" sei, sei nicht zu schließen, daß die Klägerin nach dem 12. November 1986 noch arbeitsunfähig gewesen sei.
Die dagegen gerichteten Verfahrensrügen der Beklagten greifen nicht durch. Soweit die Beklagte der Meinung ist, das Landesarbeitsgericht habe es unterlassen, den Beweiswert des ärztlichen Attests und der ärztlichen Bescheinigung der AOK zu prüfen und zu würdigen, ist eine Verletzung des § 286 ZPO durch das Berufungsgericht nicht erkennbar. Dieses hat dadurch, daß es die Bescheinigung der AOK vom 4. Dezember 1986 seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nichts unberücksichtigt gelassen, das nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen hätte beachtet werden müssen. Nach dem Vortrag der Parteien bestand für das Gericht keine Veranlassung anzunehmen, die Klägerin sei auch zu anderen Zeiten, als in der Bescheinigung der AOK angegeben, krank gewesen. Auch die Beklagte hat dafür keine Tatsachen behauptet. Nicht zu beanstanden ist auch, daß das Landesarbeitsgericht es für unerheblich gehalten hat, daß das ärztliche Attest die positive Feststellung, die Klägerin sei nach dem 12. November 1986 arbeitsfähig gewesen, nicht enthielt. Dies hinderte mangels entgegenstehender Behauptungen der Beklagten nicht die Annahme, die Klägerin sei außerhalb der in der Bescheinigung der AOK genannten Zeiten arbeitsfähig gewesen. Auch den Antrag der Beklagten auf Vernehmung eines Sachverständigen hat das Landesarbeitsgericht mangels Tatsachenvortrags der Beklagten zu Recht abgelehnt. Da das Landesarbeitsgericht somit ohne Rechtsfehler als erwiesen angesehen hat, daß die Klägerin nur in den Zeiten zwischen dem 9. Dezember 1985 und dem 10. September 1986 sowie zwischen dem 9. Oktober und dem 4. November 1986 arbeitsunfähig erkrankt war, kommt es darauf, daß der Arbeitnehmer für die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs beweispflichtig ist, nicht an.
Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek
K. Fox Dr. Pühler
Fundstellen