Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung
Normenkette
BGB § 286 Abs. 1, §§ 284-285; TVAL II § 49
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 31.10.1996; Aktenzeichen 7 Sa 229/96) |
ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 09.01.1996; Aktenzeichen 5 Ca 516/95 P) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 1996 – 7 Sa 229/96 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung.
Der Kläger ist seit 1989 bei den amerikanischen Streitkräften in P. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) Anwendung.
Im Rahmen der Truppenreduzierung kündigten die amerikanischen Streitkräfte am 30. März 1993 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 1993. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage endete durch einen am 24. Mai 1995 vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis über den 30. Juni 1993 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter fortbesteht. Die dem Kläger zustehenden Arbeitsvergütungen für die Monate Juli bis Dezember 1993 wurden ihm im November 1994 nachgezahlt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe schon bei Ausspruch der Kündigung die Unwirksamkeit der Kündigung erkennen können. Sie habe ihm deshalb den Schaden zu ersetzen, der dadurch eingetreten sei, daß die Beklagte die Arbeitsvergütungen von Juli bis Dezember 1993 nicht fristgerecht, sondern erst im November 1994 gezahlt habe. Bei fristgerechter Zahlung hätte er 1993 91,56 DM und 1994 425,01 DM Steuer rückerstattet erhalten. Aufgrund der tatsächlichen Lohnzahlung habe er 1993 491,49 DM Steuerrückvergütung erhalten und für 1994 einen Betrag von 2.208,64 DM Steuern nachzahlen müssen. Daraus errechne sich ein Steuerschaden in Höhe von 2.233,72 DM. Zur Feststellung dieses Steuerschadens habe er sich der Hilfe eines Steuerberaters bedienen müssen, wofür ihm 172,50 DM in Rechnung gestellt worden seien. Darüberhinaus schulde ihm die Beklagte wegen der verspäteten Vergütungszahlungen Verzugszinsen in Höhe von 322,00 DM.
Der Kläger hat, soweit in der Revision von Bedeutung, beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.728,22 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, ein Schadensersatzanspruch des Klägers scheide schon deshalb aus, weil sie die verspäteten Lohnzahlungen nicht zu vertreten habe. Die kündigende Dienststelle habe davon ausgehen können, daß die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 1993 wirksam sei. Für einen Anspruch aus positiver Forderungsverletzung sei der Kläger darlegungs- und beweispflichtig. Im übrigen sei der geltend gemachte Anspruch tariflich verfristet.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte habe den Verzögerungsschaden nicht gem. § 285 BGB zu vertreten. Der Ausspruch einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers sei für sich allein noch kein Tatbestand, der ein Vertretenmüssen in bezug auf einen Verzögerungsschaden auslöse. Die Ausübung dieses Gestaltungsrechtes und der sich daran anschließende Kündigungsschutzprozeß führe dazu, daß Ungewißheit über die Frage entstehe, ob nach Ablauf der Kündigungsfrist noch Lohnansprüche geschuldet werden. Dieser Sachverhalt sei solange ungeklärt, bis das Verfahren rechtskräftig beendet sei oder ein sonstiges, das Verfahren beendigendes Ereignis vorliege. Die Beklagte sei vorher nicht verpflichtet gewesen, im Hinblick auf die Ungewisse Rechtslage den Lohn abzurechnen und Sozialabgaben und Steuern an die zuständigen Stellen zu entrichten, obwohl sie von der Wirksamkeit ihrer Kündigungsmaßnahmen überzeugt gewesen sei. Nur wenn klar auf der Hand gelegen hätte, daß die Kündigung von vornherein unwirksam gewesen sei, hätte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Nachzahlung erfolgen müssen. Hierzu habe der Kläger aber nichts vorgetragen.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten zu § 285 BGB verkannt.
1. Ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges zusteht (§ 286 Abs. 1 i.V.m. § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB), kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entschieden werden.
a) Nach § 285 BGB setzt Schuldnerverzug die rechtswidrige Verzögerung der noch möglichen Leistung aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund voraus. Was der Schuldner zu vertreten hat, regeln die §§ 276 bis 279 BGB. Danach hat der Schuldner für eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertretern einzustehen. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Der Arbeitgeber kann mit der Leistung der Arbeitsvergütung auch dadurch in Verzug geraten, daß er infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr leistet, obwohl er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist. Anders verhält es sich, wenn der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht. Ist die Rechtslage nämlich nicht eindeutig, so handelt der kündigende Arbeitgeber so lange nicht fahrlässig, als er auf die Wirksamkeit seiner Kündigung vertrauen durfte. Dieses Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung kann im Laufe eines Kündigungsrechtsstreits seine Berechtigung verlieren, z.B. nach Durchführung einer Beweisaufnahme, die zum Ergebnis geführt hat, daß keine Kündigungsgründe vorliegen. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Entgeltzahlungen weiterhin zurück, gerät er in Schuldnerverzug. Hätte der Arbeitgeber allerdings schon im Zeitpunkt der Kündigung bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist, so gerät er bereits von vornherein bei nicht fristgerechter Zahlung des Arbeitsentgeltes in Schuldnerverzug. Nach § 285 BGB trägt der Schuldner, mithin der kündigende Arbeitgeber, der keine Arbeitsvergütung mehr zahlt, die Darlegungs- und Beweislast für Entschuldigungsgründe, die den Eintritt des Verzuges hindern.
b) Da der Kläger einen Verzugsschaden geltend macht, weil die amerikanischen Streitkräfte schuldhaft die Lohnzahlungen von Juli bis Dezember 1993 nicht fristgerecht geleistet hätten, ist die Beklagte verpflichtet darzulegen, daß sie bzw. die amerikanischen Streitkräfte auf die Wirksamkeit der Kündigung zum 30. Juni 1993 vertrauen durften. Das Landesarbeitsgericht verkennt die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten, wenn es die Klage mit der Begründung abweist, der Kläger habe nichts dafür vorgetragen, daß die Unwirksamkeit der Kündigung „auf der Hand gelegen habe”.
Die Beklagte wird daher darzulegen haben, weshalb und bis zu welchem Zeitpunkt sie bzw. die amerikanischen Streitkräfte auf die Wirksamkeit der Kündigung zum 30. Juni 1993 vertrauen durften. Dabei könnte es auch eine Rolle spielen, inwieweit das Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung zum 30. Juni 1993 deshalb erschüttert war, weil eine inhaltsgleiche Kündigung bereits vorher ausgesprochen und im Laufe des deshalb anhängigen Kündigungsschutzverfahrens die Unwirksamkeit dieser Kündigung deutlich geworden war. Sollte die Unwirksamkeit der Kündigung zum 30. Juni 1993 für die amerikanischen Streitkräfte erst im Jahre 1994 erkennbar gewesen sein, so entfiele die Ersatzpflicht der Beklagten für den Steuerschaden, der durch die Nachzahlung für die Monate Juli bis Dezember 1993 im Jahre 1994 entstanden war.
2. Waren die amerikanischen Streitkräfte mit den Gehaltszahlungen für Juli bis Dezember 1993 bereits im Jahre 1993 in Verzug geraten, so erfaßte der nach § 286 Abs. 1 BGB zu ersetzende Verzugsschaden auch den durch die verspätete Zahlung entstandenen Steuerschaden.
Nach dem im Steuerrecht geltenden „Zuflußprinzip” sind Arbeitsvergütungen grundsätzlich im Steuerjahr des Zuflusses zu versteuern. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsvergütung für eine dem Steuerjahr vorangegangene Beschäftigungszeit an den Arbeitnehmer nachgezahlt wird. Kommt es danach, wie im Streitfall, zu einer Nachzahlung aus dem Vorjahr, so kann die einmalige Zahlung zusammen mit der Zahlung der laufenden Arbeitsvergütung im Steuerjahr zu einer „progressionsbedingten” erhöhten Steuerbelastung führen. Auch dieser steuerliche Nachteil kann als Verzugsschaden bei Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB geltend gemacht werden.
Zu Unrecht meint die Beklagte, dieser Steuerschaden könne ihr nicht i.S.v. § 286 BGB normativ zugerechnet werden. Zwar beruht der finanzielle Nachteil des Klägers auf einer Anwendung zwingender Steuervorschriften. Haben die amerikanischen Streitkräfte allerdings schuldhaft nicht fristgerecht die Gehaltszahlungen an den Kläger geleistet, so liegt die Ursache für den Steuerschaden im Schuldnerverzug. Solche steuerrechtlichen Nachteile sind daher von der Ersatzpflicht miterfaßt. Sie sind das spiegelbildliche Gegenstück für die Anrechnung von steuerrechtlichen Vorteilen im Wege des Vorteilsausgleichs (vgl. hierzu BGH Urteil vom 18. Dezember 1969 – VII ZR 121/67 – BGHZ 53, 132).
III. Der Rechtsstreit ist nicht deshalb entscheidungsreif, weil ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers tariflich verfallen wäre. Insoweit kann den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts gefolgt werden.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch unterliegt der dreimonatigen Verfallfrist des § 49 Ziff. 2 b TVAL II. Der etwaige Anspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges ist kein Anspruch „aus fehlerhafter Berechnung des Arbeitsverdienstes”, sondern ein „sonstiger Anspruch aus dem Beschäftigungsverhältnis” im Sinne dieser Tarifvorschrift. Hierüber streiten die Parteien auch nicht.
2. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die dreimonatige Verfallfrist des § 49 Ziff. 2 b TVAL II jedenfalls nicht vor Januar 1995 begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger die Gehaltsabrechnungen für das zweite Halbjahr 1993 und 1994. Frühestens ab Januar 1995 war für den Kläger damit der im Jahre 1994 eingetretene Steuerschaden erkennbar und ungefähr berechenbar.
Zwar beginnt die dreimonatige Verfallfrist nach dem Wortlaut des § 49 Ziff. 2 b TVAL II „vom Tage der Maßnahme oder Unterlassung, auf die sich der Anspruch stützt”. Dem Landesarbeitsgericht ist jedoch darin zu folgen, daß bei einer solchen tariflichen Bestimmung die Verfallfrist für einen Schadensersatzanspruch erst dann beginnt, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann (vgl. BAG Urteil vom 17. Oktober 1974 – 3 AZR 4/74 – AP Nr. 55 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht das Schreiben der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 27. März 1995 somit als rechtzeitige Geltendmachung des Steuerschadens angesehen.
IV. Dem etwaigen Schadensersatzanspruch des Klägers wird auch der Vergleich der Parteien vom 24. Mai 1995 nicht entgegenstehen. Sollte dieser Vergleich tatsächlich nur die Aussage enthalten haben, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. Juni 1993 hinaus zu unveränderten Bedingungen weiter fortbesteht, so kann nicht davon ausgegangen werden, daß mit diesem Vergleich auf andere Ansprüche, z.B. auch auf einen Schadensersatzanspruch wegen des eingetretenen Steuerschadens, verzichtet wurde.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Krause, E. Schmitzberger
Fundstellen
Haufe-Index 1254602 |
BuW 1998, 720 |
AuA 1999, 34 |