Entscheidungsstichwort (Thema)
Flachdachabdichtung als Baugewerbe
Orientierungssatz
Flachdachabdichtung als Baugewerbe; Arbeiten des Dachdeckerhandwerks; gelernte Dachdecker
Normenkette
TVG § 1; BauRTV § 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 08.02.1988; Aktenzeichen 14 Sa 429/87) |
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 06.11.1986; Aktenzeichen 5 Ca 1535/86) |
Tatbestand
Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt den Beklagten auf Auskunftserteilung für die Monate Januar und Februar 1986 in Anspruch. Die Nebenintervenientin ist dem Rechtsstreit auf der Beklagtenseite beigetreten.
Im Betrieb des Beklagten werden überwiegend Abdichtungs- und Isolierarbeiten an Flachdächern, Dachterrassen und Balkonen vorgenommen. Der Anteil der Abdichtungsarbeiten gegen aufsteigendes und drückendes Wasser an Kellerwänden, Kellerböden, Grundmauern, Außenwänden und Feuchtwänden war nur geringfügig. Der Betrieb des Beklagten war mit "Holz- und Bautenschutz" in die Handwerksrolle eingetragen. Im Januar 1988 legte der Beklagte eine Eignungsprüfung zur Erlangung einer Ausnahmebewilligung nach § 8 HandwO ab. Danach wurde der Betrieb als Betrieb des Dachdeckerhandwerks im Bereich Flachdach in die Handwerksrolle eingetragen. Im Anspruchszeitraum beschäftigte der Beklagte, der selbst mitarbeitete, zwei weitere Arbeitnehmer.
Im einzelnen hat die Klägerin mit der Klage von dem Beklagten für den vorgenannten Zeitraum Auskunft über die Zahl der bei dem Beklagten beschäftigten arbeiterrentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, die Höhe der Bruttolohnsumme und die entsprechende Höhe der Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft verlangt und sie für den Fall der Nichterfüllung auf Zahlung einer Entschädigung nach § 61 Abs. 2 ArbGG in Anspruch genommen. Dazu hat die Klägerin vorgetragen, mit ihrer weit überwiegenden Arbeitszeit seien im Anspruchszeitraum die Arbeitnehmer des Beklagten mit baugewerblichen Tätigkeiten beschäftigt worden. Flachdachabdichtungsarbeiten seien als Abdichtungs- und Isolierarbeiten Aufgaben der Klebeabdichter und damit solche des Baugewerbes. Ein Betrieb, der derartige Arbeiten ausführe, könne nur dann dem Dachdeckerhandwerk zugeordnet werden, wenn er auch Arbeiten ausführe, die ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk vorbehalten seien und entsprechend Dachdecker beschäftige. Daran fehle es, da der Beklagte außer der Flachdachabdichtung keine Arbeiten ausführe, die dem Dachdeckerhandwerk vorbehalten seien, und im Anspruchszeitraum keine gelernten Dachdecker beschäftigt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen Formular
Auskunft darüber zu erteilen,
1.1 wieviel Arbeitnehmer, die eine nach den Vor-
schriften der Reichsversicherungsordnung über
die Rentenversicherung der Arbeiter (RVO)
versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten,
in den Monaten Januar, Februar 1986 in dem
Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden sowie
in welcher Höhe die lohnsteuerpflichtige Brutto-
lohnsumme insgesamt für diese Arbeitnehmer und
die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft
in den genannten Monaten angefallen sind.
2. Für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunfts-
erteilung innerhalb einer Frist von vier Wochen nach
Urteilszustellung nicht erfüllt wird, an den Kläger
folgende Entschädigung zu zahlen:
zu Nr. 1.1: 2.8OO,-- DM
Gesamtbetrag: 2.800,-- DM.
Der Beklagte und die Nebenintervenientin haben Klageabweisung beantragt.
Der Beklagte und die Nebenintervenientin haben die Auffassung vertreten, daß der Betrieb als Betrieb des Dachdeckerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe ausgenommen sei. Flachdachabdichtungen seien Arbeiten, die ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk zuzuordnen seien. Der im Anspruchszeitraum beschäftigte Arbeitnehmer S sei gelernter Dachdecker. Der Arbeitnehmer M sei Maler und als Dachdecker angelernt worden. Außerdem habe der Beklagte durch die Ablegung der Eignungsprüfung nachgewiesen, daß er im Bereich der Flachdachabdichtung über Kenntnisse und Fertigkeiten wie ein Dachdeckermeister verfüge.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß die Entschädigungssumme auf 2.240,-- DM ermäßigt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Mit der von ihm gegebenen Begründung konnte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben.
Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren § 13 Abs. 1 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe i. d. F. vom 17. Dezember 1985 (Verfahrens-TV) ist. Damit kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob im Anspruchszeitraum im Betrieb des Beklagten vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßte Tätigkeiten verrichtet worden sind, wobei auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer des Beklagten und nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst, aber auch nicht auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen ist (BAG Urteile vom 24. Februar 1988 - 4 AZR 640/87 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, vom 14. Oktober 1987 - 4 AZR 342/87 - AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und - 4 AZR 317/87 - AP Nr. 87 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, beide auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Weiter ist davon auszugehen, daß unter den betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV diejenigen Betriebe fallen, in denen überwiegend im Abschnitt V von § 1 Abs. 2 Verfahrens-TV konkret genannte Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, ohne daß dann noch die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III der vorgenannten Tarifnorm zu prüfen sind (BAG Urteile vom 24. Februar 1988 - 4 AZR 640/87 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, vom 14. Oktober 1987 - 4 AZR 342/87 - AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 240/86 - AP Nr. 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, im Anschluß an BAGE 45, 11, 17 = AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Solche Tätigkeiten werden im Betrieb des Beklagten ausgeführt. Arbeitszeitlich überwiegend werden vom Beklagten und den zwei beschäftigten Arbeitnehmern Flachdachabdichtungen einschließlich der Abdichtung von Dachterrassen und Balkonen vorgenommen, wobei alle funktionsbedingten Schichten des Flachdaches sowie die erforderlichen An- und Abschlüsse hergestellt werden. Diese Tätigkeit rechnet zu den "Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit" i. S. des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 1 Verfahrens-TV (BAG Urteil vom 6. Mai 1987 - 4 AZR 664/86 -, n. v.).
Der Betrieb des Beklagten ist allerdings vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV ausgenommen, wenn es sich um einen Betrieb des Dachdeckerhandwerks handelt (§ 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 2 Verfahrens-TV).
Hinsichtlich der Zuordnung von Betrieben, die Flachdachabdichtungsarbeiten ausführen, zu den Betrieben des Baugewerbes oder zu denen des Dachdeckerhandwerks hat der Senat im Anschluß an die Urteile vom 6. Mai 1987 - 4 AZR 664/86 - (n. v.) und vom 14. Oktober 1987 - 4 AZR 342/87 - (AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) im Urteil vom 24. Februar 1988 - 4 AZR 640/87 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) Rechtsgrundsätze entwickelt, die auch vorliegend anzuwenden sind. Diese Rechtsgrundsätze sind sowohl der Klägerin als auch der Nebenintervenientin, die Beteiligte in den genannten Rechtsstreitigkeiten waren, bekannt. Zusammenfassend ergibt sich danach, daß Flachdachabdichtungsarbeiten sowohl von Dachdeckern als auch von Klebeabdichtern, deren Tätigkeit dem Baugewerbe zuzurechnen ist, vorgenommen werden. Für die Zuordnung von Betrieben, die derartige Arbeiten ausführen, zu den Betrieben des Dachdeckerhandwerks hat der Senat darauf abgestellt, ob der Betrieb neben Flachdachabdichtungen in nicht unerheblichem Umfange Arbeiten ausführt, die ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk vorbehalten sind (wie insbesondere die Eindeckung und Reparatur herkömmlicher Steildächer) oder ob die Flachdachabdichtungsarbeiten in nicht unerheblichem Umfang von gelernten Dachdeckern ausgeführt werden oder eine entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann des Dachdeckerhandwerks (Dachdeckermeister) besteht. Hinsichtlich der Beschäftigung gelernter Dachdecker ist nach der Senatsrechtsprechung nicht erforderlich, daß diese die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk abgelegt haben. Ausreichend ist vielmehr, wenn sie von einem Dachdeckermeister als Dachdecker angelernt wurden, wobei allerdings, wie die Klägerin mit Recht hervorhebt, das Anlernen zu einem bestimmten Klebeverfahren nicht ausreicht. Soweit es darauf ankommt, ob die Arbeiten von einem Fachmann des Dachdeckerhandwerks (Dachdeckermeister) beaufsichtigt wurden, ist entscheidend, daß es sich um eine unmittelbare Aufsicht am Arbeitsplatz und nicht nur um eine allgemeine Weisungsbefugnis bzw. eine lediglich geschäftlich-wirtschaftliche Aufsichtsfunktion handelt.
Diese Rechtsprechung des Senats hat das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil nicht in vollem Umfange berücksichtigt, so daß das angefochtene Urteil aus diesem Grunde aufzuheben ist. Zwar führt der Beklagte keine Arbeiten aus, die ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk vorbehalten sind - wie die Errichtung und Reparatur herkömmlicher Steildächer -, so daß eine Zuordnung des Betriebes zu den Betrieben des Dachdeckerhandwerks unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet. Auch wurde im Anspruchszeitraum kein Dachdeckermeister beschäftigt, so daß eine entsprechende Beaufsichtigung der Arbeiten nicht in Betracht kam. Das Landesarbeitsgericht verlangt jedoch für eine Zuordnung des Betriebes zu den Betrieben des Dachdeckerhandwerks, daß die Arbeiten überwiegend von gelernten Dachdeckern ausgeführt werden. Dies steht nicht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung, nach der es ausreichend ist, wenn die Arbeiten in nicht unerheblichem Umfang von gelernten Dachdeckern vorgenommen werden, wobei der Senat davon ausgegangen ist, daß der entsprechende Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz dann nicht verletzt ist, wenn 20 v. H. der Arbeiten durch gelernte Dachdecker i. S. der Senatsrechtsprechung ausgeführt werden (BAG Urteil vom 14. Oktober 1987 - 4 AZR 317/87 - AP Nr. 87 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Eine abschließende Entscheidung dieser Frage ist dem Senat mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen nicht möglich, so daß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. Ob der Beklagte in nicht unerheblichem Umfange im Anspruchszeitraum gelernte Dachdecker beschäftigt hat, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich. Zwar hat der Beklagte im Januar 1988 durch eine Eignungsprüfung Kenntnisse und Fertigkeiten nachgewiesen, aufgrund derer ihm eine Ausnahmebewilligung nach § 8 HandwO erteilt und der Betrieb als Betrieb des Dachdeckerhandwerks im Bereich Flachdach in die Handwerksrolle eingetragen wurde. Mit Recht verweist das Landesarbeitsgericht jedoch darauf, daß damit der Nachweis entsprechender Kenntnisse und Fertigkeiten für den zwei Jahre zurückliegenden Anspruchszeitraum nicht als erbracht angesehen werden kann und sich der Nachweis der Kenntnisse und Fertigkeiten nur auf den Bereich von Flachdachabdichtungen bezieht, dessen Zuordnung zum Baugewerbe oder zum Dachdeckerhandwerk gerade umstritten ist. Kenntnisse und Fertigkeiten allein auf dem Gebiet der Flachdachabdichtung können daher eine Zuordnung des Betriebes zu den Betrieben des Dachdeckerhandwerks nicht begründen.
Eine abschließende Entscheidung aufgrund der bisher festgestellten Tatsachen ist dem Senat auch nicht unter dem Gesichtspunkt möglich, daß es sich beim Betrieb des Beklagten um einen Handwerksbetrieb handelt. Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Nebenintervenientin ergeben sich aus den tariflichen Bestimmungen keine Anhaltspunkte dafür, daß Klebeabdichtungsarbeiten nur solche sind, die von Industriebetrieben vorgenommen werden. Deshalb kann die handwerkliche Ausführung nicht stets dem Dachdeckerhandwerk zugeordnet werden.
Mithin kommt es darauf an, ob der Beklagte im Anspruchszeitraum in nicht unerheblichem Umfange gelernte Dachdecker beschäftigt hat. Der Beklagte behauptet insoweit, daß der Arbeitnehmer S gelernter Dachdecker sei. Dies ist von der Klägerin bestritten worden. Ist die Behauptung des Beklagten zutreffend, so sind 1/3 der Arbeiten und damit ein nicht unerheblicher Umfang i. S. der Senatsrechtsprechung von einem gelernten Dachdecker ausgeführt worden. Dies kann nach der Senatsrechtsprechung die Zuordnung des Betriebes zu den Betrieben des Dachdeckerhandwerks rechtfertigen. Demgemäß wird das Landesarbeitsgericht den von ihm hinsichtlich dieser Frage bereits erlassenen Beweisbeschluß durchzuführen haben.
Sofern der Beklagte darüber hinaus behauptet, daß der Arbeitnehmer M, der gelernter Maler ist, als Dachdecker angelernt worden sei, ist darauf hinzuweisen, daß der Senat bei der Beurteilung, ob die Arbeiten von gelernten Dachdeckern ausgeführt werden, zwar nicht auf die Ablegung der Gesellenprüfung abstellt; der betreffende Arbeitnehmer muß jedoch zumindest von einem Dachdeckermeister als Dachdecker angelernt worden sein, d. h. er muß über die einem Dachdeckergesellen entsprechenden Fertigkeiten und Kenntnisse verfügen. Die Unterweisung in bestimmten Klebeverfahren bei der Flachdachisolierung, die zumeist von den Herstellern entsprechender Produkte vorgegeben werden, reicht insoweit allein nicht aus.
Stellt sich insgesamt heraus, daß der Betrieb des Beklagten aufgrund der Beschäftigung gelernter Dachdecker in nicht unerheblichem Umfange den Betrieben des Dachdeckerhandwerks zuzuordnen ist, so kann entgegen der Auffassung der Klägerin der Umstand, daß im Betrieb in geringfügigem Umfange Abdichtungsarbeiten an Kellerwänden, Kellerböden, Grundmauern, Außenmauern und Feuchträumen vorgenommen wurden, keine Bedeutung gewinnen.
Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mit zu entscheiden haben.
Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Freitag
Schaible H. Hauk
Fundstellen