Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsärztliche Untersuchung außerhalb der Arbeitszeit
Normenkette
TV Arb Deutsche Bundespost §§ 4b, 6 Abs. 4, § 23c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; BGB §§ 611, 324, 276
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 30.08.1994; Aktenzeichen 6 Sa 928/92) |
ArbG München (Urteil vom 14.10.1992; Aktenzeichen 31 Ca 3472/92) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 30. August 1994 – 6 Sa 928/92 – aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 14. Oktober 1992 – 31 Ca 3472/92 – abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits auch insoweit zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten einen Ausgleich für die Zeit einer ärztlichen Untersuchung.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Vereinbarungsgemäß und kraft Organisationszugehörigkeit findet der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) vom 6. Januar 1955 Anwendung. Der Kläger war zunächst als Urlaubsvertreter befristet vom 3. bis zum 24. April 1991 beschäftigt. Danach wurde der Arbeitsvertrag bis zum 31. Mai 1991 verlängert. Zum Zwecke weiterer Beschäftigung auf unbestimmte Zeit mußte nach § 4 d TV Arb eine Einstellungs- und Kfz-Tauglichkeitsuntersuchung bei dem zuständigen Betriebsarzt der Beklagten durchgeführt werden. Als Untersuchungstermin wurde der 21. Mai 1991 vereinbart. Die Diensteinteilung des Klägers an diesem Tag war bei Vereinbarung des Untersuchungstermins (Ende April 1991) noch nicht vorhersehbar. Nach Erstellung des Dienstplans zeigte sich, daß der Kläger am 21. Mai 1991 von 3.45 Uhr bis 8.10 Uhr zum Fahrdienst und anschließend zu einer etwa dreistündigen Bedarfsfahrt eingeteilt war, deren Durchführung die Anordnung von Überstunden vorausgesetzt hätte und die sich zum Teil mit dem Untersuchungstermin überschnitt. Der Kläger leistete den Fahrdienst bis 8.10 Uhr. Um die betriebsärztliche Untersuchung des Klägers außerhalb der dienstplanmäßigen Arbeitszeit stattfinden zu lassen, übertrug die Beklagte die Bedarfsfahrt einem anderen Beschäftigten. Die Beklagte lehnte für die Zeit der betriebsärztlichen Untersuchung Freizeitausgleich und Bezahlung ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm für die fünf Stunden dauernde ärztliche Untersuchung fünf Überstunden gutzuschreiben. Nach § 6 Abs. 8 TV Arb seien der dreistündigen Arbeitszeit zwei Arbeitsstunden hinzuzurechnen.
Der Kläger hat den Antrag gestellt:
Der Kläger erhält für die postärztliche Untersuchung am 21. Mai 1991 fünf Überstunden zuzüglich zwei Überstunden besondere Schicht.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Untersuchung habe außerhalb der Arbeitszeit des Klägers stattgefunden. Die dafür aufgewendete Zeit sei von ihr nicht zu bezahlen oder in Freizeit abzugelten.
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger fünf Überstunden zugesprochen und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Zahl der dem Kläger zugesprochenen Überstunden auf drei ermäßigt und im übrigen die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter teilweiser Aufhebung des Berufungsurteils zur Klageabweisung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe dem Kläger für die ärztliche Untersuchung am 21. Mai 1991 drei Überstunden abzugelten. Die Rechtsgrundlage finde sich in § 611 BGB i.V.m. § 324 Abs. 1 BGB. Mit der Änderung des Dienstplanes habe die Beklagte dem Kläger die Ausführung der für ihn vorgesehenen Bedarfsfahrt unmöglich gemacht. Dies habe die Beklagte zu vertreten (§ 276 BGB). Der Kläger als Schuldner habe seinen Anspruch auf die Gegenleistung, vorliegend auf Gewährung von drei Überstunden (§ 324 Abs. 1 BGB), behalten.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.
II. Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Zeit der betriebsärztlichen Untersuchung keinen Anspruch auf die bei Überzeitarbeit vorgesehenen tariflichen Leistungen erlangt und demgemäß auch keinen Anspruch wegen eines von der Beklagten zu vertretenden Leistungsstörung. Die Untersuchung fiel nicht in eine Zeit, für die die Beklagte Überzeitarbeit des Klägers angeordnet hatte.
1. Aus § 6 Abs. 4 TV Arb kann der Anspruch nicht hergeleitet werden. Nach dieser Bestimmung werden Überstunden grundsätzlich durch Freizeit ausgeglichen. Die für die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit durchgeführte betriebsärztliche Untersuchung aufgewendete Zeit stellt keine Überstunden i.S. dieser Tarifnorm dar. Nach § 6 Abs. 1 TV Arb sind Überstunden Arbeitsstunden, die auf Anordnung, Anforderung oder mit Billigung des Dienstvorgesetzten über die tägliche dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet werden. Arbeitsstunden hat die Beklagte jedoch durch die Festlegung des Untersuchungstermins auf den 21. Mai 1991 nicht angeordnet.
Bei der für die betriebsärztliche Untersuchung aufzuwendenden Zeit handelt es sich nicht um arbeitsstunden. Dies ergibt sich aus § 23 c Abs. 1 Nr. 2 Buchs. b TV Arb. Danach ist der Arbeiter bei einer betriebsärztlichen Untersuchung, soweit nicht die Angelegenheit außerhalb der Arbeitszeit erledigt werden kann, von der Arbeit freizustellen. Durch diese Regelung haben die Tarifvertragsparteien ausdrücklich klargestellt, daß die Zeit einer betriebsärztlichen Untersuchung keine Arbeitszeit darstellt. Sonst wäre die Freistellung von der Arbeit rechtlich nicht erforderlich (vgl. BAG Urteil vom 16. Dezember 1993 – 6 AZR 325/93 – nicht veröffentlicht). Diese Bewertung durch die Tarifvertragsparteien entspricht der bisherigen Rechtsprechung. Die betriebsärztliche Untersuchung des Klägers am 21. Mai 1991 ist nicht mit einer durch gesundheitspolizeiliche Verfügung angeordneten Untersuchung zu vergleichen, die im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse des einzelnen Arbeitgebers stattfindet und deshalb als Arbeitszeit zu bewerten ist (vgl. BAGE 4, 105 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnanspruch). Die Untersuchung diente vielmehr – entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts – ganz überwiegend dem Interesse des Klägers, der auf Dauer eingestellt werden wollte. Sie stellte sich somit nicht als eine Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diente, und somit nicht als Arbeit im Rechtssinne dar (vgl. dazu BAGE 11, 25 = AP Nr. 12 zu § 611 BGB Lohnanspruch).
2. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht aus § 23 c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b TV Arb herleiten. Sinn und Zweck dieser Tarifnorm ist es, das Zusammentreffen einer zeitlich festgelegten Pflicht zur Arbeitsleistung mit einer zeitlich festgelegten Pflicht zur betriebsärztlichen Untersuchung dahingehend zu lösen, daß der Arbeiter bei einer solchen Kollision von der Arbeit freizustellen ist (vgl. BAG Urteil vom 16. Dezember 1993 – 6 AZR 325/93 – nicht veröffentlicht). Eine solche Kollision liegt jedoch nicht vor, da der Kläger während der betriebsärztlichen Untersuchung nicht zur Arbeit in Form der Durchführung der Bedarfsfahrt eingeteilt war.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger zwar am 21. Mai 1991 zur Durchführung einer Bedarfsfahrt eingeteilt. Die Beklagte hat jedoch, nachdem sie die Kollision mit der Untersuchung des Klägers erkannt hatte, die Bedarfsfahrt auf einen anderen Beschäftigten übertragen. Dazu war die Beklagte aufgrund des ihr zustehenden Direktionsrechts berechtigt.
Das Direktionsrecht darf nur nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 BGB ausgeübt werden (ständige Rechtsprechung: BAGE 33, 71, 75 = AP Nr. 26 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zu III 1 der Gründe; BAGE 47, 314, 321 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969, zu II 3 b der Gründe; BAGE 47, 363, 375 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zu B III 2 c bb der Gründe; BAGE 61, 77, 83 = AP Nr. 4 zu § 2 BeschFG 1985, zu B II 1 der Gründe; zuletzt BAG Urteil vom 23. Juni 1993 – 5 AZR 337/92 – AP Nr. 42 zu § 611 BGB Direktionsrecht). Die Konkretisierung der Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber entspricht billigem Ermessen, wenn sie die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat (BAG Urteil vom 28. September 1977 – 4 AZR 743/76 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk, m.w.N.; BAG Urteil vom 3. November 1985 – 5 AZR 115/83 – n.v.). Dies war vorliegend der Fall. Das Interesse der Beklagten, dadurch Lohnkosten einzusparen, daß die betriebsärztliche Untersuchung nicht während der für den Kläger angeordneten Überstunden stattfand, war berechtigt. Dies ergibt sich insbesondere auch aus § 23 c Abs. 1 Satz 1 TV Arb, wo die Tarifparteien zur Vermeidung des Lohnfortzahlungsanspruchs ausdrücklich eine Verlegung der Angelegenheit vorgesehen haben. Demgegenüber hat der Kläger für sein der Dienstplanänderung entgegenstehendes Interesse nichts vorgetragen. Dazu wäre er aber als vorrangig an der ärztlichen Untersuchung Interessierter verpflichtet gewesen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, H. Schmidt, Schneider
Fundstellen