Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterschutz bei Freistellung nach Wochenurlaub. AGB-DDR 1990
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 4; AGB-DDR 1990 §§ 58, 244, 246; BErzGG § 18; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2; Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 02.02.1994; Aktenzeichen 7 Sa 1140/93) |
ArbG Bonn (Urteil vom 12.08.1993; Aktenzeichen 5 Ca 2294/92) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. Februar 1994 – 7 Sa 1140/93 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Vergütungszahlung.
Die im Jahre 1962 geborene Klägerin ist Diplom-Ingenieurin für Ökonomie und war seit dem 1. August 1988 beim Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung der DDR (fortan: ASMW) als Inspektor der staatlichen Qualitätsinspektion im VEB-Kombinat Schuhe in Weißenfels beschäftigt.
Am 15. Januar 1990 wurde die Klägerin von ihrem zweiten Kind entbunden. Im März 1990 wurde die Beschäftigungsdienststelle der Klägerin in Weißenfels aufgelöst. Zum 1. Mai 1990 erhielt die Klägerin einen Änderungsvertrag des ASMW, wonach sie die Arbeitsaufgabe eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Fachabteilung Leder mit dem Arbeitsort Leipzig übernehmen sollte. Ab dem 9. August 1990 war die Klägerin gemäß § 246 Abs. 1 AGB-DDR 1990 freigestellt.
Mit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 wurde der Bundesminister für Wirtschaft gemäß Art. 13 des Einigungsvertrages zuständig für den Bereich des ASMW. Der Bundesminister überführte diese Einrichtung nicht.
Mit Schreiben vom 16. Juli 1991 teilte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) der Klägerin folgendes mit:
„Gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind die Regelungen des Einigungsvertrages über das Ruhen und die Beendigung der Arbeitsverhältnisse insoweit nichtig, als dadurch die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechtes durchbrochen werden.
Nach unseren Kenntnissen fallen Sie unter die Kündigungsvorschriften des § 58 Abs. 1 Buchstabe b AGB.
Im Namen der PTB und der BAM, die vom Bundeswirtschaftsministerium mit der Abwicklung des aufgelösten ASMW beauftragt waren, können wir Ihnen daher mitteilen, daß wir nach derzeitiger Sachlage von einem Fortbestehen Ihres Arbeitsverhältnisses ausgehen. Die Weiterbeschäftigung wird voraussichtlich in der PTB oder der BAM erfolgen, als Arbeitsort kommen Friedrichshagen oder Königs Wusterhausen in Betracht mit der Möglichkeit einer Zuweisung nach Charlottenburg oder Dahlem.
Zur Erörterung der Einzelheiten, Aufnahme Ihrer Personalien und Beschäftigungswünsche und Klärung Ihrer Verwendungsmöglichkeiten bitten wir Sie, sich am
6. August 1991, 9.00 Uhr im Haus 12, Raum 38
einzufinden.
…”
Bei der in diesem Schreiben genannten BAM handelt es sich um die Bundesanstalt für Materialforschung.
Die Klägerin nahm an dem Gespräch vom 6. August 1991 teil. Die Beklagte zahlte an die Klägerin für den Zeitraum vom 1. September bis zum 31. Dezember 1991 ein Bruttogehalt in Höhe von 7.760,– DM. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1991 teilte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt der Klägerin mit:
„Mit Schreiben vom 16.7.1991 hatten wir Ihnen mitgeteilt, daß wir seinerzeit von einem Fortbestehen Ihres Arbeitsverhältnisses ausgehen und Ihnen eine Weiterbeschäftigung in PTB und BAM mit Arbeitsorten in Friedrichshagen oder Königs Wusterhausen sowie der Möglichkeit einer Zuweisung nach Charlottenburg oder Dahlem in Aussicht gestellt. Zugleich hatten wir Sie für den 6.8.1991 eingeladen.
Nach unserer Kenntnis sind Sie zwar am 6.8.1991 in Friedrichshagen erschienen, haben jedoch nicht die Ihnen angebotene Tätigkeit bei der BAM angenommen.
Die PTB hat zunächst die Zahlung Ihres Gehaltes aufrechterhalten, um die Angelegenheit klären zu können.
Nunmehr gehen wir davon aus, daß Sie an einer Weiterbeschäftigung durch den Bund nicht weiter interessiert sind. Wir werden daher Ihre Gehaltszahlungen ab dem 1.1.1992 einstellen.”
Mit Schreiben vom 12. Februar 1992 forderte die Klägerin die Physikalisch-Technische Bundesanstalt auf, sich verbindlich zum Arbeitsverhältnis der Parteien zu erklären und die Gehaltszahlungen aufzunehmen.
Mit der am 9. Juni 1992 eingereichten Klage macht die Klägerin nach zwischenzeitlichen Klagerweiterungen Vergütungsansprüche für den Zeitraum Januar bis November 1992 in Höhe von (11 Monate zu 1.940,– DM brutto =) 21.340,– DM brutto geltend.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe am 6. August 1991 ihre Arbeitskraft ausdrücklich angeboten. Ihr sei daraufhin mitgeteilt worden, daß weder bei der PTB noch bei der BAM eine freie Planstelle vorhanden sei. Ein Umzug nach Berlin oder Königs Wusterhausen sei ihr durchaus möglich gewesen.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz erheblich, beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 21.340,– DM nebst 4 % Zinsen aus den Nettobeträgen seit dem 15.6.1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat erwidert, der Oberregierungsrat T. habe der Klägerin anläßlich des persönlichen Gesprächs am 6. August 1991 erklärt, daß die PTB oder die BAM der Klägerin einen Arbeitsplatz in Berlin-Friedrichshagen oder in Königs Wusterhausen, nicht aber in Weißenfels oder Leipzig anbieten könne. Die Klägerin habe geantwortet, daß sie ein solches Angebot nicht annehmen könne.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 23. November 1992 ihre Klage erweitert und den Feststellungsantrag angekündigt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ungekündigt fortbestehe. Die Beklagte hat insofern das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin gerügt und geltend gemacht, sie habe das ab dem 3. Oktober 1990 zu ihr bestehende, bislang nicht gekündigte Arbeitsverhältnis nie in Abrede gestellt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Bonn vom 21. Januar 1993 erklärt, es sei unstreitig, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien derzeit ungekündigt fortbestehe. Die Klägerin hat daraufhin ihre Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags zurückgenommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die erhobenen Vergütungsansprüche für den Zeitraum Januar bis November 1992 nicht zu. In der streitbefangenen Zeit hat zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 Einigungsvertrag mit Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit, denn sie wurde nicht weiterverwendet.
Die Klägerin gehört auch nicht zu dem nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (– 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 155) von den Rechtsfolgen der Einigungsvertrags-Regelung in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 aus genommenen Personenkreis der durch die „Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts geschützten Arbeitnehmerinnen”.
Zur Auslegung dieses durch das Bundesverfassungsgericht eingeführten unbestimmten Rechtsbegriffs hat der Senat mit Urteilen vom 10. Dezember 1992 (– 8 AZR 134/92 – AP Nr. 2 zu § 58 AGB-DDR) sowie vom 6. Juli 1995 (– 8 AZR 487/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) entschieden. Danach ergibt sich aus den Entscheidungsgründen des Bundesverfassungsgerichts folgendes:
Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 der Anlage I EV ist mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 GG insoweit unvereinbar und nichtig, als dadurch die Kündigungsvorschriften im Bereich des Mutterschutzrechts durchbrochen wurden. Für Schwangere und Mütter nach der Entbindung stellte die angegriffene Regelung eine unzumutbare Härte dar. Ihnen gegenüber konnte der Eingriff auch durch die wichtigen Gemeinschaftsgüter nicht gerechtfertigt werden, deren Schutz die angegriffene Regelung diente. Das Grundgesetz gewährt ihnen in Art. 6 Abs. 4 GG einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 32, 273, 277; 52, 357, 365). Der Gesetzgeber durfte deshalb ihre Arbeitsverhältnisse nicht ohne weiteres beenden und sie von einem Tag auf den anderen in eine Lage bringen, die der Arbeitslosigkeit zumindest nahekäme. Dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG trägt das geltende Mutterschutzrecht durch Kündigungsverbote Rechnung. Entgegenstehende Arbeitgeberinteressen müssen weitgehend zurückstehen (vgl. BVerfGE 52, 357, 365). Ohne wirksamen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz dürfen Schwangere und Mütter nach der Entbindung nicht bleiben. Das gebietet Art. 6 Abs. 4 GG.
Unter Zugrundelegung dieser Rechtslage ruhten in diesen Fällen die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-)Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 oder 3 Einigungsvertrag ab dem 3. Oktober 1990, sofern und soweit nicht durch eine Entscheidung der Beginn des Ruhens der Arbeitsverhältnisse um bis zu drei Monate hinausgeschoben war oder dies die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen hätte. Kündigungsvorschriften im Sinne des Mutterschutzrechts sind die durch Art. 6 Abs. 4 GG getragenen Kündigungsverbote während der Schwangerschaft und den auf die Entbindung folgenden Wochen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter. Demzufolge sind nach der befristet weitergeltenden DDR-Rechtslage (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. b Einigungsvertrag) Schwangere und Mütter während des Wochenurlaubs von 20 bzw. 22 Wochen Dauer (§ 244 Abs. 1 AGB-DDR 1990) vor einer Kündigung und damit auch den Folgen der Abwicklung ihrer Beschäftigungseinrichtung geschützt. Für die nach dem 31. Dezember 1990 geborenen Kinder gelten die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes. Geschützt sind Schwangere und Mütter bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung.
II. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Dementsprechend hat die Klägerin weder beim Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 noch während des anschließenden Ruhens ihres Arbeitsverhältnisses gemäß Nr. 1 Abs. 2 EV Mutterschutz im vorgenannten Sinne genossen.
Die Klägerin wurde am 15. Januar 1990 von ihrem zweiten Kind entbunden. Der Mutterschutz nach § 244 Abs. 1 AGB-DDR von 20 Wochen Dauer war damit am 3. Oktober 1990 längst beendet. Die Klägerin konnte zwar nach dem Wochenurlaub gemäß § 246 AGB-DDR von der Arbeit freigestellt werden und ihr durfte während der Freistellung nach § 58 AGB-DDR nicht ordentlich gekündigt werden, doch dieser weitergeltende Kündigungsschutz des DDR-Rechts entsprach dem nach § 18 BErzGG vorgesehenen Kündigungsschutz des im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmers und nicht dem durch Art. 6 Abs. 4 GG getragenen Kündigungsschutz in den auf die Entbindung folgenden Wochen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter.
III. Das Berufungsgericht hat demzufolge die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen, denn das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht rechtsgeschäftlich neu begründet worden. Entsprechenden Sachvortrag hat die Klägerin in keiner Vorinstanz gehalten. Soweit sie in der Revisionsinstanz mit Schriftsatz vom 15. November 1995 geltend macht, die Protokollerklärung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 21. Januar 1993 habe zu einer Novation des Arbeitsverhältnisses geführt, kann dem nicht gefolgt werden. Es fehlt insofern bereits an der Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung der Beklagten. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Erklärung als auch deren prozessualer Vorgeschichte.
Nachdem die Klägerin durch Klagerweiterung den ungekündigten Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen wollte, hatte die Beklagte unter Hinweis auf das seit dem 3. Oktober 1990 zu ihr bestehende, seinerzeit noch ungekündigte Arbeitsverhältnis das fehlende Feststellungsinteresse der Klägerin gerügt. Sowohl aus ihren Schriftsätzen als auch den vorprozessualen Erklärungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt ergab sich, daß die Beklagte rechtsirrtümlich annahm, die Klägerin gehöre zu dem nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 von den Rechtsfolgen der Nr. 1 Abs. 2 EV ausgenommenen Personenkreis. Dieser Rechtsirrtum veranlaßte sie zu der Anerkennung eines demzufolge ungekündigt fortbestehenden Arbeitsverhältnisses. Eine tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unterblieb hingegen sowohl vor als auch nach dieser Erklärung des Prozeßbevollmächtigten vom 21. Januar 1993. Zu einer Erklärung mit rechtserzeugender Wirkung bestand von daher kein Anlaß. Andererseits erwartete die Klägerin gerade die Fortsetzung ihres alten vor dem 3. Oktober 1990 begründeten Arbeitsverhältnisses. Im übrigen hätte es für den Neuabschluß eines Arbeitsvertrages angesichts des materiellen Streits der Parteien an jeder notwendigen Konkretisierung hinsichtlich der Arbeitsaufgabe und des Beschäftigungsortes gefehlt.
IV. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Dr. Wittek, Müller-Glöge, Mikosch, Dr. Haible, Mache
Fundstellen