Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
Leitsatz (redaktionell)
Betriebsratstätigkeit liegt nur insoweit außerhalb der Arbeitszeit im Sinne des § 37 Abs 3 S 1 BetrVG, als sie zusätzlich zu der (durch Arbeitsleistung oder erforderliche Betriebsratstätigkeit ausgefüllten) vertraglichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds geleistet wird.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 08.03.1988; Aktenzeichen 8 Sa 1770/87) |
ArbG Lingen (Entscheidung vom 29.10.1987; Aktenzeichen 1 Ca 820/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gewährung von Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG für die Rückreise von einer Betriebsräteversammlung im März 1987.
Der Kläger ist in dem Betrieb der Beklagten in N im Schichtdienst beschäftigt. Er ist Mitglied des dort gebildeten Betriebsrates. Die Hauptverwaltung der Beklagten hat ihren Sitz in M. Der Gesamtbetriebsrat ist im Hauptwerk der Beklagten in W bei M ansässig.
Der Gesamtbetriebsrat teilte der Geschäftsleitung der Beklagten mit Schreiben vom 13. Februar 1987 die für 1987 geplanten Termine der Betriebsräteversammlungen, Wirtschaftsausschußsitzungen, Gesamtbetriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen in Form einer Grobplanung mit und bat um "kurzfristige Absprache". Als Termin einer Betriebsräteversammlung/Gesamtbetriebsratssitzung, in der die Geschäftsleitung zu einer eventuellen Betriebsänderung im Werk T Stellung nehmen sollte, wurde die 12. Kalenderwoche vorgesehen.
Die Geschäftsleitung der Beklagten erwiderte mit Schreiben vom 18. Februar 1987, die 12. Kalenderwoche könne aus Termingründen nicht angesetzt werden. Es werde demzufolge gebeten, die 13. Kalenderwoche "(hier nur 26. oder 27.3.) zu prüfen".
Daraufhin lud der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates mit getrennten Schreiben jeweils vom 23. Februar 1987 einerseits zu einer Gesamtbetriebsratssitzung/Betriebsräteversammlung am Donnerstag, dem 26. März 1987, mit Beteiligung der Geschäftsleitung und andererseits zu einer Fortsetzung der Versammlung ohne Beteiligung der Geschäftsleitung am Freitag, dem 27. März 1987. Zum Versammlungsort wurde E bei W bestimmt.
Der Kläger reiste am Mittwoch an und nahm am Donnerstag von 10.00 bis 16.00 Uhr (einschließlich Mittagspause) und am Freitag von 10.00 bis 13.00 Uhr an der Versammlung teil. Sein Schichtdienst hätte am Mittwoch und Donnerstag jeweils von 13.30 bis 22.00 Uhr (acht Stunden) und am Freitag von 13.00 bis 21.30 Uhr (acht Stunden) gedauert. Die Rückreise nach N trat der Kläger am Samstag, dem 28. März 1987, zusammen mit dem Betriebsratsmitglied W in dessen Pkw an. Sie dauerte neun Stunden. An diesem Tage hatte der Kläger arbeitsfrei. Das Betriebsratsmitglied F, das ebenfalls am Freitag bis 13.00 Uhr an der Versammlung teilgenommen hatte, war bereits unmittelbar nach der Sitzung nach N zurückgefahren.
Die Beklagte vergütete dem Kläger für den 25., 26. und 27. März 1987 jeweils acht Stunden Arbeitszeit, die anläßlich der Betriebsräteversammlung ausgefallen waren. Für die Reisezeit am arbeitsfreien Samstag zahlte die Beklagte keine Vergütung. Sie stellte den Kläger auch nicht an einem anderen Tage unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei.
Mit der am 10. August 1987 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Gewährung von neun Stunden Freizeitausgleich für seine Reisezeit am Samstag begehrt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine Rückreise von der Betriebsräteversammlung habe aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner Arbeitszeit erfolgen müssen. Denn die Festsetzung des Termins auf den 26. und 27. März 1987 sei aufgrund einer "Intervention der Geschäftsleitung" erfolgt. Ein früherer Versammlungstermin mit der Folge, daß er während der Arbeitszeit hätte zurückreisen können, sei nicht möglich gewesen. Die für die Versammlung notwendigen Informationen über eine eventuelle Betriebsänderung hätten seitens der Geschäftsleitung frühestens am 26. März 1987 gegeben werden können. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates habe sich bei der Terminierung folglich nach den Wünschen der Geschäftsleitung gerichtet. Dies sei ein Umstand, der dem Arbeitgeberbereich zuzuordnen und daher betriebsbedingt sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm neun Stunden Freizeitausgleich zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Ansicht, dem Kläger bereits mehr ausgefallene Arbeitszeit vergütet zu haben, als dieser anläßlich der Betriebsräteversammlung an Betriebsratstätigkeit geleistet habe. Überdies ergebe sich aus der bloßen Terminabstimmung zwischen Gesamtbetriebsrat und Geschäftsleitung nicht, daß der Kläger aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner Arbeitszeit zurückgereist sei. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates habe auch einen anderen Versammlungstermin wählen können. Darüber hinaus sei es dem Kläger zuzumuten gewesen, die Rückreise bereits am Freitag nach Beendigung der Versammlung um 13.00 Uhr anzutreten.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet, denn die Vorinstanzen haben die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Heimreise von W nach N nicht, wie von der hier allein einschlägigen Anspruchsgrundlage des § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gefordert, aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner Arbeitszeit durchgeführt. Zwar lägen betriebsbedingte Gründe nicht nur dann vor, wenn bestimmte Gegebenheiten und Sachzwänge innerhalb der Betriebssphäre dazu geführt hätten, daß die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden könne. Vielmehr reiche es aus, wenn die Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit durch vom Arbeitgeber veranlaßte, also dem Arbeitgeberbereich zuzuordnende Umstände notwendig geworden sei. Diese Umstände müßten jedoch in dem Betrieb veranlaßt worden sein, in welchem das Betriebsratsmitglied beschäftigt sei. Im vorliegenden Fall sei keine dieser Voraussetzungen erfüllt. Die Rückreise am Samstag sei durch die Unternehmensstruktur der Beklagten bedingt gewesen und nicht durch Umstände innerhalb des Betriebes N. Auch das Schreiben der Beklagten vom 18. Februar 1987 führe zu keinem anderen Ergebnis. Dadurch habe die Beklagte keine Umstände veranlaßt, die die Heimreise des Klägers am Samstag notwendig gemacht hätten.
2. Es kann dahinstehen, ob dieser Begründung des Landesarbeitsgerichts in allen Einzelheiten zu folgen ist. Denn die Klage ist bereits deshalb unschlüssig, weil der Kläger auch unter Berücksichtigung der Reisezeit vom 28. März 1987 nicht dargetan hat, anläßlich der Betriebsräteversammlung in E mehr Stunden Betriebsratstätigkeit geleistet zu haben, als er bereits von der Beklagten wegen dieser Betriebsräteversammlung ohne Minderung seiner Vergütung von der Arbeit freigestellt worden war.
Es kann dahinstehen, ob Reisezeiten auch im Sinne des § 37 Abs. 3 (und nicht nur des § 37 Abs. 2) BetrVG als Betriebsratstätigkeit anzusehen sind mit der Folge, daß gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG für solche Reisen Freizeitausgleich verlangt werden könnte, wenn sie aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden (vgl. z.B. BAG Urteil vom 11. Juli 1978 - 6 AZR 387/75 - AP Nr. 57 zu § 37 BetrVG 1972). Denn selbst wenn man dieser Auffassung folgen wollte, kommen als Betriebsratstätigkeit im Sinne des § 37 Abs. 3 BetrVG jedenfalls nur solche Tätigkeiten in Betracht, die das Betriebsratsmitglied über den Umfang seiner (durch Arbeitsleistung bzw. erforderliche Betriebsratstätigkeit ausgefüllten) vertraglichen Arbeitszeit hinaus zusätzlich erbringt.
Der Gesetzgeber geht in § 37 Abs. 3 BetrVG erkennbar davon aus, daß es sich bei der außerhalb der Arbeitszeit durchgeführten Betriebsratstätigkeit um eine zusätzliche, d.h. zu der beruflichen Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds hinzutretende zeitliche Belastung handelt. Das ergibt sich bereits aus Sinn und Zweck des § 37 Abs. 3 BetrVG, dem Betriebsratsmitglied einen Ausgleich für eine aus betrieblichen Gründen unvermeidbare Mehrbelastung zu geben, die über die übliche Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds hinausgeht. Auch im Gesetzeswortlaut selbst ist dies deutlich zum Ausdruck gekommen; denn nach § 37 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ist, wenn die Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen nicht gewährt werden kann, die aufgewendete Zeit "wie Mehrarbeit" zu vergüten. Diese Regelung rechtfertigt sich allein daraus, daß der Gesetzgeber vorausgesetzt hat, daß die außerhalb der Arbeitszeit geleistete Betriebsratstätigkeit nicht anstelle der während der Arbeitszeit an sich zu leistenden beruflichen Tätigkeit, sondern zusätzlich angefallen ist.
3. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist im Entscheidungsfall nicht dargelegt worden. Läßt man den Anreisetag, Mittwoch, den 25. März 1987, für den der Kläger unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt worden war, außer Betracht, so hatte die Beklagte dem Kläger anläßlich der Betriebsräteversammlung in E für den 26. und 27. März 1987 jeweils acht Stunden = insgesamt 16 Stunden bezahlte Freistellung gewährt. Demgegenüber hat der Kläger am 26. März 1987 während etwa fünf Stunden (10.00 Uhr bis 16.00 Uhr abzüglich Mittagspause) und am 27. März 1987 nur während drei Stunden an der Betriebsräteversammlung teilgenommen. Für die Rückfahrt am 28. März 1987, für die der Kläger den streitgegenständlichen Freizeitausgleich verlangt, standen also noch acht Stunden bereits erfolgte Arbeitsfreistellung zur Verfügung, ohne daß dadurch der Gesamtumfang der von der Beklagten bereits gewährten 16-stündigen Arbeitsfreistellung überschritten wurde.
Mehr als diese acht Stunden können für die Rückfahrt am 28. März 1987 nicht angesetzt werden. Nach dem Vortrag des Klägers begann sie zwar um 8.00 Uhr und endete um 17.00 Uhr. Mangels abweichenden Vortrags muß jedoch davon ausgegangen werden, daß hierin insgesamt mindestens eine Stunde Pausenzeiten enthalten waren, die nicht mehr als Reisezeit und daher keinesfalls mehr als Betriebsratstätigkeit anzusehen sind.
Dr. Seidensticker Schliemann Dr. Steckhan
Seiler Stappert
Fundstellen
BB 1990, 777 |
BB 1990, 777 (LT1) |
DB 1990, 1141-1142 (LT1) |
ARST 1990, 64-65 (LT1) |
NZA 1990, 447-448 (LT1) |
ZTR 1990, 217 (LT1) |
AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 70 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung X Entsch 60 (LT1) |
AR-Blattei, ES 530.10 Nr 60 (LT1) |
AuA 1990, 266 (LT1) |
EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 101 (LT1) |