Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot der Diskriminierung befristet Beschäftigter. Teilweise Parallelsache zu den Senatsurteilen vom 11. Dezember 2003 – 6 AZR 651/02 –, – 6 AZR 24/03 –, – 6 AZR 64/03 –, – 6 AZR 245/03 –
Leitsatz (redaktionell)
Die Regelung in § 23 Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Post AG verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 TzBfG und ist unwirksam, soweit über den 31. Dezember 2000 hinausgehende befristete Arbeitsverhältnisse von der Gewährung der Besitzstandszulagen und Zuschläge ausgenommen werden.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; TzBfG §§ 1, 3 Abs. 1, §§ 4, 17 S. 1; BGB § 611 Abs. 1; BeschFG 1996 § 1 Abs. 5; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über tarifliche Besitzstandszulagen.
Der Kläger ist seit dem 15. Februar 1999 bei der Beklagten als Zusteller beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst mehrfach befristet, zuletzt gemäß Arbeitsvertrag vom 3. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2000. Die Wirksamkeit der Befristung wurde von dem Kläger nicht angegriffen. Seit dem 1. Januar 2001 besteht zwischen den Parteien auf Grund des Arbeitsvertrags vom 29. Dezember 2000 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Post AG Anwendung.
Mit dem am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Beklagten (Dritter Teil des Tarifvertrags Nr. 75 d) vom 20. Oktober 2000 (ETV-Arb) wurden die bisherigen Grundvergütungen abgesenkt und leistungsabhängige variable Entgeltbestandteile eingeführt. In diesem Zusammenhang ist in ETV-Arb bestimmt:
Ҥ 23
Geltungsbereich für § 24 und § 25
Für Arbeiter, die am 31.12.2000 bereits und am 01.01.2001 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG standen und stehen, finden die Regelungen der §§ 24 und 25 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung.
§ 24
Besitzstand Lohn
Der Arbeiter erhält eine monatlich zu zahlende Besitzstandszulage (Besitzstandszulage Lohn) gemäß Anlage 6.
§ 25
Besitzstand Zulagen, Zuschläge und Entschädigungen Der Arbeiter erhält eine monatlich zu zahlende Besitzstandszulage (Besitzstandszulage Zuschläge) gemäß Anlage 9.”
Mit dem ETV-Arb setzten die Tarifvertragsparteien eine Eckpunktevereinbarung vom 21. März 2000 (Petersburger Eckpunktepapier) um. Darin verpflichtete sich die Beklagte ua. 1.200 Zusteller aus dem Kreis der befristet beschäftigten Arbeitnehmer auf Dauer einzustellen. Außerdem verzichtete sie bis zum 31. Dezember 2003 auf die Fremdvergabe von Zustellbezirken und schloss für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2004 betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus.
Der Kläger erhielt seit dem 1. Januar 2001 weder die Besitzstandszulage Lohn noch die Besitzstandszulage Zuschläge. Er hat deshalb gemeint, er unterfalle der tarifvertraglichen Besitzstandsregelung, da sein Arbeitsverhältnis durch die Aufhebung der Befristungsabrede als durchgängig unbefristet zu werten sei. Die Zahlung der Zulagen nur an Arbeiter, die sowohl am 31. Dezember 2000 als auch am 1. Januar 2001 unbefristet beschäftigt gewesen seien, diskriminiere befristet beschäftigte Arbeitnehmer.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm seit dem 1. Januar 2001 eine Besitzstandszulage nach § 24 iVm. Anlage 6 sowie § 25 iVm. Anlage 9 des Dritten Teils des ETV-Arb Nr. 75d zu zahlen, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB bezogen auf den jeweiligen Bruttodifferenzbetrag zwischen tatsächlich erhaltenem und beantragtem Entgelt, hilfsweise
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn für das Jahr 2001 als Besitzstandszulage Entgelt in Höhe von 8.145,38 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, für die Monate Januar bis April 2002 auf der Basis einer Bruttoentgeltminderung von 347,05 Euro monatlich einen Betrag von 1.388,22 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, die Höhe der Besitzstandszulagen Lohn und Zuschläge seit dem 1. Mai 2002 monatlich zu berechnen und an ihn jeweils mit dem Arbeitsentgelt auszuzahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien seien im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie berechtigt gewesen, die an den Stichtagen befristet beschäftigten Arbeiter von der Zahlung der Besitzstandszulagen auszunehmen. Unabhängig davon rechtfertigten auch die aus dem Petersburger Eckpunktepapier folgenden sachlichen Gründe die unterschiedliche Behandlung.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen.
- Die Klage ist zulässig. Für das Feststellungsbegehren fehlt nicht das von § 256 Abs. 1 ZPO vorausgesetzte Feststellungsinteresse. Wegen der vom Kläger sowohl für zurückliegende als auch künftige Monate beanspruchten Besitzstandszulagen in noch nicht feststehender Höhe ist eine Bezifferung des Anspruchs nicht möglich. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat eine Leistungsklage daher keinen Vorrang.
Der Kläger hat nach § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 23 ETV-Arb keinen Anspruch auf die tariflichen Besitzstandszulagen. Nach dieser Bestimmung finden die Regelungen der §§ 24 und 25 ETV-Arb für Arbeiter, die am 31. Dezember 2000 bereits und am 1. Januar 2001 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten standen und stehen, für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Er wird ab dem 1. Januar 2001 unbefristet beschäftigt.
1. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Auslegung des Arbeitsvertrags der Parteien vom 29. Dezember 2000 hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Willenserklärungen sind in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt nachprüfbar. Dies gilt nicht für mustermäßige, typische Vertragsbedingungen (st. Rspr. vgl. BAG 3. April 2003 – 6 AZR 163/02 –; 16. Februar 2000 – 4 AZR 14/99 – BAGE 93, 328). Sie liegen vor, wenn sich beide Vertragsteile gewissen Vertragsbedingungen unterwerfen, die als allgemeine Norm in gleicher Weise für eine Vielheit von Vertragsverhältnissen in weiteren Gebieten bestimmt sind. Dies ist vorliegend gegeben. Der vorgedruckte Vertrag ist als Formular für eine Vielzahl von Verträgen von der Beklagten verwendet worden. Dies hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch klargestellt.
b) Die insoweit vom Kläger mit Schriftsatz seines Prozessvertreters vom 8. Juli 2004 erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist geltend gemachten Auslegungsrügen können deshalb vom Revisionsgericht berücksichtigt werden. Grundsätzlich unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichts zwar nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist (§ 559 ZPO). Die Auslegungsrügen des Klägervertreters beziehen sich auf den Arbeitsvertrag der Parteien vom 29. Dezember 2000 und die Erklärung des Klägers vom 3. Januar 2001 zu diesem Arbeitsvertrag. Beide Schriftstücke waren Gegenstand der tatrichterlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht. Ob die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der typischen Vertragsbedingungen frei von Rechtsfehlern ist, ist keine tatbestandliche Feststellung, sondern rechtliche Würdigung. Insoweit besteht keine Bindung an die Beurteilung des Berufungsgerichts.
c) Die Vorinstanzen haben richtig erkannt, dass die §§ 24 und 25 ETV-Arb gemäß § 23 ETV-Arb auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anzuwenden sind, weil dieser am 31. Dezember 2000 in einem befristeten und noch nicht in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hat. Das ergibt eine Auslegung des Arbeitsvertrags vom 29. Dezember 2000. Danach haben die Parteien einen Vertrag zur Änderung des Arbeitsvertrags geschlossen und bestimmt, dass die bisherige Dauer des Arbeitsverhältnisses geändert und ab dem 1. Januar 2001 das Arbeitsverhältnis unbefristet ist. Darin kommt der Wille zum Ausdruck, das bisherige und am 31. Dezember 2000 endende Arbeitsverhältnis durch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis abzulösen. Anhaltspunkte dafür, dass sie mit ihrer Vereinbarung das mit Ablauf der Befristung endende Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 15. Februar 1999 in ein unbefristetes umwandeln wollten, finden sich weder im Vertrag noch ergeben sie sich aus den sonstigen Umständen im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss. Nichts anderes folgt auch aus der Erklärung des Klägers vom 3. Januar 2001 zum Arbeitsvertrag vom 29. Dezember 2000. Hierin bestätigt der Kläger, dass er darüber informiert worden sei, eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis durch die Beklagte sei nur zu den Bedingungen des seit dem 1. Januar 2001 gültigen ETV-Arb möglich, der ETV-Arb habe den Tarifvertrag für Arbeiter (TV-Arb/TV-Arb-O) abgelöst und ua. zu Veränderungen beim Monatsentgelt geführt.
2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die in § 23 ETV- Arb getroffene Regelung wirksam ist, soweit sie Arbeitern den Anspruch auf die tariflichen Besitzstandszulagen versagt, die erst nach dem 31. Dezember 2000 im unmittelbaren Anschluss an ein befristetes Arbeitsverhältnis ein Dauerarbeitsverhältnis mit der Beklagten begründet haben.
a) Ab der Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses fehlt es an einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Seit diesem Zeitpunkt unterfällt der Kläger nicht mehr dem persönlichen Geltungsbereich der Norm. Dieser erstreckt sich auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer. Dazu zählen nach § 3 Abs. 1 TzBfG diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag auf eine bestimmte Zeit geschlossen ist, sei es, dass die Befristung kalendermäßig oder zweckbefristet erfolgt. Dazu gehört der Kläger ab dem Beginn des Dauerarbeitsverhältnisses nicht mehr.
b) Entgegen der Annahme des Klägers schützt § 4 Abs. 2 TzBfG nicht Arbeitnehmer, die im Anschluss an ein befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen eingehen. Dieser Schutz ist dem Befristungskontrollrecht vorbehalten. Nach § 17 Satz 1 TzBfG, der die gleichlautende Vorschrift des § 1 Abs. 5 BeschFG 1996 ersetzt hat, kann der Arbeitnehmer zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristung binnen einer Frist von drei Wochen nach Ablauf der Befristung Klage auf Feststellung des Fortbestandes des befristeten Arbeitsverhältnisses erheben. Macht er von dieser Kontrollmöglichkeit keinen Gebrauch, kann er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge der Befristung nicht mehr in Frage stellen. Mit dem Versäumen der Klagefrist werden alle Voraussetzungen einer rechtswirksamen Befristung fingiert (BAG 9. Februar 2000 – 7 AZR 730/98 – BAGE 93, 305). Ein gesetzlicher Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses im Anschluss an ein als wirksam befristet geltendes Arbeitsverhältnis besteht nicht. Vielmehr kann der Arbeitgeber frei darüber entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen er dem Arbeitnehmer ein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags unterbreitet. Danach hat der befristet beschäftigte Arbeitnehmer wegen der wirksamen Befristung einen geringeren arbeitsvertraglichen Bestandsschutz als ein auf Dauer eingestellter Arbeitnehmer. Dieser ist grundsätzlich vor einer einseitigen Änderung der Vertragsbedingungen durch § 2 KSchG geschützt. Demgegenüber muss ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer davon ausgehen, dass im Anschluss an eine als wirksam geltende Befristung die Begründung eines weiteren befristeten oder eines Dauerarbeitsverhältnisses und damit im letzteren Fall zu geänderten Arbeitsbedingungen erfolgen kann. An diese Unterschiede im vertraglich erworbenen Besitzstand (vgl. BAG 20. Februar 2002 – 7 AZR 600/00 – BAGE 100, 304) knüpft die tarifliche Regelung in zulässiger Weise an.
3. Der Anspruch des Klägers auf die tariflichen Besitzstandszulagen folgt nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Ob der Gleichheitssatz die Tarifvertragsparteien in gleicher Weise wie den Gesetzgeber bindet, bedarf keiner Entscheidung. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor. Der Kläger wird gegenüber der für ihn maßgeblichen Vergleichsgruppe der neu eingestellten unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer nicht ungleich behandelt.
b) Auch die Herausnahme solcher Arbeiter aus dem Kreis der Zulageberechtigten, die erst nach dem 31. Dezember 2000 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zur Beklagten eingegangen sind, ist nicht gleichheitswidrig. Die Tarifvertragsparteien sind durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht daran gehindert, für eine Zulagenberechtigung Stichtage einzuführen (vgl. BVerfG 7. Juli 1992 – 1 BvL 51/86 ua. – BVerfGE 87, 1, 43). Stichtage sind als Ausdruck einer pauschalierten Betrachtung und im Interesse der Praktikabilität grundsätzlich zulässig, wenn sich die Wahl des Zeitpunktes am zu regelnden Sachverhalt orientiert und demnach sachlich vertretbar ist (BAG 25. Juni 2003 – 4 AZR 405/02 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu A II 2b aa der Gründe; 18. Oktober 2000 – 10 AZR 643/99 – insoweit nicht veröffentlicht, zu II 3a aa (1) der Gründe; 19. April 1983 – 1 AZR 498/81 – BAGE 42, 217, 222). Eine Umstellung von Vergütungssystemen wäre ohne Stichtagsregelungen nicht durchführbar. Dementsprechend knüpft auch § 23 ETV-Arb an die Einführung eines neuen tariflichen Vergütungssystems an, um Nachteile für bestandsgeschützte Arbeitsverhältnisse zu vermeiden.
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Kapitza, Erika Holzhausen
Fundstellen
Haufe-Index 1283512 |
BAGReport 2005, 287 |