Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsurteil ohne Tatbestand
Orientierungssatz
- Ein Berufungsurteil ist im Revisionsverfahren grundsätzlich aufzuheben, wenn es keinen Tatbestand enthält. Dies gilt auch, wenn die Revision erst auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das Revisionsgericht zugelassen worden ist.
- Gibt die Klägerin in ihrer Klageschrift zu einem Sachverhalt bestimmte Erklärungen ab, erklärt sie diese aber entgegen § 54 Abs. 2 Satz 2 ArbGG vor dem Arbeitsgericht nicht – erneut – zu Protokoll, liegt kein bindendes vorweggenommenes Geständnis iSv. § 288 Abs. 1 ZPO vor, das nur unter den engen Voraussetzungen des § 290 ZPO widerrufen werden kann. Die Erklärung zu Protokoll ist in diesem Stadium des arbeitsgerichtlichen Verfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung eines Geständnisses.
Normenkette
ZPO a.F. § 543 Abs. 2, § 313 Abs. 1 Nr. 5; ZPO a.F. Abs. 2; ZPO a.F. § 313a Abs. 1 S. 1; ArbGG § 69 Abs. 2; ZPO §§ 286, 288 Abs. 1; ArbGG § 54 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.01.2001; Aktenzeichen 8 Sa 37/00) |
ArbG Ulm (Urteil vom 21.07.2000; Aktenzeichen 3 Ca 168/00) |
Tenor
Auf die Revision der beklagten Stadt wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 30. Januar 2001 – 8 Sa 37/00 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Die Klägerin war seit dem 1. Juli 1971 bei der beklagten Stadt als Verwaltungsangestellte beschäftigt und in der Kasse eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehörte es ua., alle Barzahlungen entgegenzunehmen, die Beträge in das Barkassenbuch einzutragen und das Geld in der Barkasse aufzubewahren sowie die Einzahlungen in einem landesüblichen EDV-Verfahren zu erfassen. Die beklagte Stadt hat ihre außerordentliche Kündigung vom 23. März 2000 damit begründet, die Klägerin habe in zahlreichen Fällen Gelder unterschlagen.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der beklagten Stadt vom 22. März 2000 aufgelöst worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der beklagten Stadt zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Von der Darstellung des Tatbestandes hat es abgesehen, weil dieses Urteil nicht der Revision unterliege (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der beklagten Stadt hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 19. Juni 2001 – 3 AZN 222/01 – die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die beklagte Stadt ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Das Berufungsurteil ist schon deshalb aufzuheben, weil es entgegen § 543 Abs. 2 iVm. § 313 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 1 ZPO aF keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält und dieser auch weder nach § 543 Abs. 1 noch nach § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO aF entbehrlich war. Dieser von Amts wegen (ständige Rechtsprechung BAG 22. November 1984 – 6 AZR 103/82 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 5 = EzA ZPO § 543 Nr. 5; 16. August 1990 – 2 AZR 182/90 – RzK I 5h Nr. 18; 9. Juli 1998 – 2 AZR 762/97 – nv.) zu berücksichtigende Mangel macht eine revisionsrechtliche Überprüfung unmöglich.
- Gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der vorbehaltlich der Sonderregelung des § 543 ZPO aF bzw. des § 69 Abs. 2 ArbGG auch für das Berufungsurteil gilt, muß das Urteil einen den Anforderungen des § 313 Abs. 2 ZPO entsprechenden Tatbestand enthalten. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet bzw. ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht eingelegt werden kann (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO), kann von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO aF). Ist hingegen die Revision statthaft, muß das Berufungsurteil einen Tatbestand enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs. 2 ZPO aF gelten. Ein Berufungsurteil ist im Revisionsverfahren aufzuheben, wenn es entgegen der gesetzlichen Bestimmung keinen Tatbestand enthält. Dies gilt auch, wenn die Revision erst auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das Revisionsgericht zugelassen worden ist (BAG 16. August 1990 aaO; 19. Februar 1998 – 8 AZR 500/96 – FA 1998, 219; 9. Juli 1998 aaO; 15. März 2001 – 2 AZR 147/00 – EzA BGB § 626 nF Nr. 185; 25. April 2002 – 2 AZR 352/01 – nv.; BGH 30. Januar 1979 – VI ZR 154/78 – BGHZ 73, 248, 249; 26. September 1991 – I ZR 149/89 – BGHZ 115, 210, 211 f.; 1. Juli 1997 – VI ZR 313/96 – NJW-RR 1997, 1486). Einem solchen Berufungsurteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, so daß dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung nicht möglich ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils und insbesondere dessen Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen, im Einzelfall deshalb erreicht werden kann, weil der Sach- und Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen ausreichendem Umfang ergibt (BAG 30. Oktober 1987 – 7 AZR 92/87 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 7 = EzA ZPO § 543 Nr. 6; 21. April 1993 – 5 AZR 413/92 – EzA ZPO § 543 Nr. 8; BGH 26. September 1991 – I ZR 149/89 – BGHZ 115, 210, 211).
- Das Berufungsurteil enthält keinen Tatbestand, der dem Senat die Nachprüfung auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstandes ermöglichen würde. Das Landesarbeitsgericht hat unter Hinweis auf § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO ausdrücklich von einer Darstellung des Sachverhalts abgesehen, weil es offenbar davon ausgegangen ist, sein Urteil unterliege nicht der Revision. Darin kann auch keine Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils iSv. § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesehen werden (BAG 15. März 2001 und 25. April 2002 beide aaO).
Auch die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Tatbestandselemente geben keine hinreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Ihnen läßt sich nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen, ob das Landesarbeitsgericht den unstreitigen Tatbestand und insbesondere das streitige Vorbringen der beklagten Stadt berücksichtigt und gewertet hat.
- So hat beispielsweise das Landesarbeitsgericht in seinen Entscheidungsgründen (S 3) den Vortrag der beklagten Stadt über die “Vorgänge am 13. März 2000” mit der Begründung für unsubstantiiert gehalten, die beklagte Stadt habe im Hinblick auf den Urlaub der Klägerin ab dem 13. März 2000 näher darlegen müssen, welche Gelder sie bereits am frühen Morgen dieses Tages kassiert haben soll; es hat weiter ausgeführt, die Klägerin habe “im März 2000 65,00 DM kassiert und nicht in die Kasse eingelegt”, wobei davon auszugehen sei, daß es sich bei diesem Betrag um die 15,00 DM von Frau B…. und die weiteren 50,00 DM von Frau E…. handele. Das Arbeitsgericht hatte hingegen festgestellt, daß die Klägerin am Freitag, den 10. März 2000 15,00 DM und 50,00 DM an sich genommen hat, ohne die Beträge zu verbuchen. Nach dem Vortrag der beklagten Stadt, den die Klägerin insoweit nicht bestritten hat, sind die Gebühren von Frau B…. und Frau E…. am 8. März und nicht am 10. März gezahlt worden. Auch hat das Landesarbeitsgericht zum einen als unstreitig angenommen, die Klägerin habe am 13. März 2000 ab 8.00 Uhr genehmigten Urlaub gehabt (Seite 3 der Entscheidungsgründe) und zum anderen ebenfalls als unstreitig aufgeführt (Seite 4 der Entscheidungsgründe), die Klägerin sei am 13. März 2000 sehr wohl im Dienst gewesen. Für diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Feststellungen mag es eine plausible Erklärung geben, aus den Entscheidungsgründen wird dies jedoch auf Grund des fehlenden Tatbestandes nicht deutlich. Dies gilt umso mehr, als das Landesarbeitsgericht der beklagten Stadt in dem Zusammenhang noch vorgehalten hat, es wäre an ihr gewesen, im einzelnen darzulegen, welche Gelder die Klägerin bereits am frühen Morgen des 13. März 2000 kassiert hat. Schon diese Diskrepanzen machen deutlich, daß unklar bleibt, welchen – festgestellten – Sachverhalt das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
- Ferner ist nicht erkennbar, ob das Landesarbeitsgericht den substantiierten Sachvortrag der beklagten Stadt aus ihrem Schriftsatz vom 28. Dezember 2000 bei der Beurteilung des Kündigungssachverhalts überhaupt bzw. in welchem Umfang berücksichtigt hat. Sie hat ua. – was im übrigen von der Klägerin nicht substantiiert bestritten worden ist – vorgetragen, daß ua. am 12. Juli 1999 Herr Y…. für eine Meldebestätigung 10,00 DM und Frau G…. für Kopien 1,50 DM auf dem Hauptamt der Beklagten gezahlt hätten und daß am 14. Juli 1999 A…. für eine Bescheinigung 10,00 DM und Herr K…. für einen Personalausweis 15,00 DM gezahlt hätten. Die Klägerin habe per handschriftlichem Kürzel bestätigt, diese vier Einzahlungen in Höhe von insgesamt 36,50 DM vom Hauptamt erhalten zu haben. Sie habe jedoch nur die Beträge für den Personalausweis K…. und die Bescheinigung A…. verbucht und lediglich die 25,00 DM in die Kasse eingelegt. Nicht verbucht habe sie die ersten beiden Einnahmen, also die 10,00 DM für die Meldebescheinigung von Herrn Y…. und die 1,50 DM für die Kopien von Frau G…..
Die Sache ist daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
- Dabei wird sich das Landesarbeitsgericht näher damit auseinandersetzen müssen, ob nicht schon eine für die Kündigung hinreichende schwere Pflichtverletzung darin zu sehen ist, daß die als Kassiererin eingesetzte Klägerin, der eine besondere arbeitsvertragliche Pflicht zur Betreuung der Vermögenswerte der beklagten Stadt zukam, die von ihr eingenommenen Gelder nicht der Kasse zugeführt und verbucht hat, ohne daß es auf eine Aneignungsabsicht der Klägerin – die das Landesarbeitsgericht mit wenig überzeugender Begründung abgelehnt hat – ankommt.
Das Landesarbeitsgericht wird sich darüber hinaus eingehender mit der Frage beschäftigen müssen, welche prozessuale Bedeutung den Einlassungen der Klägerin in ihrer Klageschrift zukommt. Die Klägerin hatte dort eingeräumt, “kleinere” ihr nicht bekannte Geldbeträge tatsächlich an sich genommen zu haben. Insbesondere hatte sie ausgeführt, am Freitag, den 10. März 2000 insgesamt 65,00 DM erhalten und nicht in die dafür bei der Beklagten vorgesehene Kasse gelegt, sondern an sich genommen zu haben. Die Klägerin hatte in diesem Zusammenhang erklärt, “daß es in der jüngeren Vergangenheit zur Aneignung kleinerer Geldbeträge kam, der in der Kündigungsschrift genannte Betrag jedoch bei weitem übersetzt ist” und weiter vorgetragen, sich “bei Aneignung in einem psychischen Ausnahmezustand, der ihre Schuldfähigkeit komplett ausschloß oder so herabsetzte, daß ein wichtiger Grund nicht gegeben sei” befunden zu haben. Diesen Einlassungen hat das Landesarbeitsgericht bisher zu wenig Beachtung geschenkt.
Entgegen der Auffassung der Revision können diese Äußerungen der Klägerin jedoch nicht als ein – vorweggenommenes – Geständnis nach § 288 ZPO, das nur unter den engen Voraussetzungen des § 290 ZPO widerrufen werden könnte, gewertet werden. Die Klägerin hat ihre Erklärungen nur in ihrer Klageschrift abgegeben, sie aber nicht in der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht zu Protokoll erklärt.
Nach § 288 Abs. 1 ZPO liegt ein Geständnis im Sinne dieser Norm vor, wenn eine Partei die ihr ungünstigen gegnerischen Tatsachenbehauptungen in einer mündlichen Verhandlung oder einer dieser gleichgestellten Gelegenheit zugesteht. § 54 Abs. 2 Satz 2 ArbGG legt darüber hinaus fest, daß ein in der Güteverhandlung erklärtes gerichtliches Geständnis nur dann bindende Wirkung hat, wenn es zu Protokoll erklärt worden ist. Die Erklärung zu Protokoll ist in diesem Stadium des arbeitsgerichtlichen Verfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung. Eine Erklärung in einem vorbereitenden Schriftsatz reicht deshalb nicht aus (Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 288 Rn. 13; MünchKommZPO/Prütting § 288 Rn. 25; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 54 Rn. 35; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozeßrecht 15. Aufl. § 114 I 1c).
- Das Berufungsgericht hätte aber die Erklärungen der Klägerin in der Klageschrift als ein außergerichtliches Geständnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen näher beachten müssen. Dabei hängt dessen Beweiskraft von den Umständen des Falles ab. Sie ist aber umso größer, je mehr davon auszugehen ist, daß sich der Erklärende der Bedeutung seines Zugeständnisses bewußt war (Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO § 114 I 1c; Stein/Jonas/Leipold aaO § 288 Rn. 24).
- Schließlich hätte – worauf die Revision zutreffend hinweist – das Landesarbeitsgericht die weiteren Kündigungsvorwürfe und Vorfälle gegebenenfalls näher aufklären müssen. Der Umfang der Darlegungslast der darlegungspflichtigen beklagten Stadt hängt insoweit auch vom Prozeßverhalten der Gegenseite ab (BGH 7. Juli 1994 – IX ZR 115/93 – NJW 1994, 3109). Nachdem die Klägerin bereits in der Klageschrift eingeräumt hatte, kleinere Geldbeträge tatsächlich an sich genommen zu haben und insbesondere zwei dieser Geldbeträge ausdrücklich genannt hatte, war es für die beklagte Stadt zunächst nicht erforderlich, noch weitere Einzelfälle im einzelnen darzulegen. Soweit das Berufungsgericht diesen – auf die zwei letztgenannten Fälle – begrenzten Sachvortrag nicht als ausreichend angesehen hat, hätte es bezüglich der weiteren Vorfälle und Vorwürfe entsprechende richterliche Hinweise gemäß § 139 ZPO geben müssen. Dies gilt um so mehr, als die beklagte Stadt bestimmte Sachverhalte – nämlich die Einzahlungen vom 12. Juli 1999 betreffend die Meldebescheinigung von Herrn Y…. und die Kopien von Frau G…. im Zusammenhang mit den Einzahlungen von A…. und K…. – konkret dargetan hatte.
- Der Senat hat bei der Zurückverweisung der Sache von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO aF Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Rost, Schmitz-Scholemann, Eylert, Engel, Fischer
Fundstellen
NZA 2004, 288 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 14 |
EzA |
BAGReport 2003, 254 |
NJOZ 2004, 769 |