Entscheidungsstichwort (Thema)
Angestellten-Kündigungsschutzgesetz - Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts vertritt die Auffassung, daß § 2 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 (RGBl I S 399, ber S 412), zuletzt geändert durch Art 4 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (BGBl I S 710), mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar ist, soweit danach die Beschäftigung von mehr als zwei Angestellten durch den Arbeitgeber Voraussetzung für die Verlängerung der Kündigungsfristen von Angestellten ist.
Orientierungssatz
Aktenzeichen des Bundesverfassungsgerichts: 1 BvL 8/92.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 04.05.1987; Aktenzeichen 12 Sa 1767/86) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 26.08.1986; Aktenzeichen 11 Ca 145/86) |
Gründe
A. Die am 19. Februar 1939 geborene Klägerin war seit 1965 bei dem beklagten Arzt und dessen Rechtsvorgänger als Arzthelferin angestellt. Neben ihr beschäftigte der Beklagte noch eine weitere Angestellte. Mit Schreiben vom 6. Mai 1986 kündigte er das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 1986.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei erst zum 30. September 1986 wirksam geworden. Zwar seien die Kündigungsfristen des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 (AngKSchG) auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, da der Beklagte nicht mehr als zwei Angestellte beschäftige. Zur Vermeidung einer grundgesetzwidrigen Ungleichbehandlung müßten jedoch die für gewerbliche Arbeitnehmer unabhängig von der Betriebsgröße geltenden Fristen des § 622 Abs. 2 BGB entsprechend angewandt werden. Bei ihrer mehr als 20-jährigen Betriebszugehörigkeit ergebe sich daraus eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch
die Kündigung des Beklagten vom 6. Mai 1986 nicht
zum 30. Juni 1986 aufgelöst worden ist, sondern
bis zum 30. September 1986 fortdauert.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, eine analoge Anwendung der für gewerbliche Arbeitnehmer geltenden Fristen des § 622 Abs. 2 BGB auf Angestellte sei nicht möglich.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 26. August 1986 die Klage abgewiesen. Es hat das Vorliegen einer grundgesetzwidrigen Ungleichbehandlung verneint.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 4. Mai 1987 zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter. Hilfsweise hat sie angeregt, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit des § 622 Abs. 1 BGB mit Art. 3 GG einzuholen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hat durch Beschluß vom 17. März 1988 den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Normenkontrollverfahren - 1 BvL 48/83, 8/84, 10/84, 3/85, 4/85 und 2/83 - ausgesetzt. Diese Verfahren betrafen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 622 Abs. 2 BGB über die Grundkündigungsfrist und die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter.
Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluß vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126, 127 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) wie folgt entschieden:
§ 622 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 1. Halbsatz des
Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Ar-
tikel 2 Nummer 4 des Gesetzes zur Änderung des
Kündigungsrechts und anderer arbeitsrechtlicher
Vorschriften (Erstes Arbeitsrechtsbereinigungs-
gesetz) vom 14. August 1969 (BGBl. I, S. 1106)
ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes un-
vereinbar, soweit hiernach die Kündigungsfristen
für Arbeiter kürzer sind als für Angestellte.
Des weiteren sind zwischenzeitlich beim Bundesverfassungsgericht zwei Normenkontrollverfahren über die Verfassungsmäßigkeit der Kleinstbetriebsklausel des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG anhängig gemacht worden (- 1 BvL 11/88 - Vorlagebeschluß des ArbG Frankfurt am Main vom 9. Dezember 1987 - 6 Ca 6/87 - und - 1 BvL 6/91 - Vorlagebeschluß des ArbG Düsseldorf vom 25. Januar 1991 - 3 Ca 5879/90 -).
Der Beklagte beantragt, nunmehr dem Verfahren Fortgang zu geben.
B. Das Verfahren war gem. Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit danach die Beschäftigung von mehr als zwei Angestellten durch den Arbeitgeber Voraussetzung für die Verlängerung der Kündigungsfristen für Angestellte ist.
I. Die Entscheidung über die Revision der Klägerin hängt von der Verfassungsmäßigkeit der vorbezeichneten Rechtsnorm ab.
1. Art. 100 Abs. 1 GG läßt die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit nur zu, wenn es bei der gerichtlichen Entscheidung in einer konkreten Sache auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommt, d.h. wenn das zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegte Gesetz entscheidungserheblich ist. Diese Voraussetzung liegt nur vor, wenn das Gericht im Falle der Gültigkeit zu einer anderen Entscheidung als bei Ungültigkeit kommen müßte (vgl. BVerfGE 65, 265, 277, m.w.N.; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, Stand Oktober 1985, § 80 Rz 217). Sie ist im vorliegenden Fall erfüllt.
2. Ist § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG mit dem vorbezeichneten eingeschränkten Geltungsbereich wirksam, so bliebe die Revision der Klägerin erfolglos.
Die Kündigung wäre wirksam. Die Regelkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB von sechs Wochen zum Ende des Kalendervierteljahres ist eingehalten. Eine längere Kündigungsfrist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG käme nicht in Betracht, weil der Beklagte, wie unstreitig ist, in der Regel nur zwei Angestellte, nämlich die Klägerin und die Klägerin des Parallelverfahrens - 2 AZR 665/87 - beschäftigt hat.
3. Ist § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG dagegen mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit Angestellte, deren Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als zwei Angestellte beschäftigen, von seinem Geltungsbereich ausgeschlossen werden, könnte über die Revision noch nicht entschieden werden. Der Rechtsstreit müßte vielmehr bis zur gesetzlichen Neuregelung des § 622 Abs. 2 BGB, längstens bis zum 30. Juni 1993, ausgesetzt werden.
a) Die Klägerin ist am 19. Februar 1939 geboren und war seit 1965 im Betrieb beschäftigt. Bei Anwendung des § 622 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz a.F. BGB und der Neufassung des § 622 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz BGB gem. dem Arbeitsgerichts-Änderungsgesetz vom 26. Juni 1990 (BGBl. I, S. 1206), die nach Art. 3 dieses Gesetzes auch auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin Anwendung fände, hätte ihr bei einer ab dem 25. Lebensjahr (19. Februar 1964) und damit von Beginn des Arbeitsverhältnisses an bis zum Ausspruch der Kündigung vom 6. Mai 1986 anzurechnenden Betriebszugehörigkeit von 22 Jahren die von ihr beanspruchte Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende, mithin zum 30. September 1986 zugestanden.
b) Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (aaO) ist die gesamte Fristenregelung des § 622 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 erster Halbsatz BGB mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit hiernach die Grundkündigungsfrist und die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter kürzer sind als für Angestellte. Sie darf bis zur Neuregelung von staatlichen Stellen nicht mehr angewandt werden. Gerichte müssen anhängige Verfahren, bei denen die Entscheidung von der verfassungswidrigen Norm abhängt, aussetzen, bis eine Neuregelung in Kraft tritt. Diese ist bis spätestens 30. Juni 1993 herbeizuführen. Kommt der Gesetzgeber dieser Vorgabe nicht fristgemäß nach, müssen die Gerichte die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten fortführen und verfassungskonform entscheiden.
Der Senat hat im Anschluß an diesen Beschluß inzwischen durch Beschluß vom 21. März 1991 (- 2 AZR 296/87 (B) - EzA § 622 BGB n.F. Nr. 32) entschieden, daß die Gerichte für Arbeitssachen Verfahren, soweit ihre Entscheidung von der Anwendung dieser Vorschriften abhängt, bis zur gesetzlichen Neuregelung des § 622 Abs. 2 BGB, längstens jedoch bis zum 30. Juni 1993 aussetzen müssen.
c) Ist die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG verfassungswidrig, so hängt es von der gesetzlichen Neuregelung oder bei Fehlen einer solchen bis zum 30. Juni 1993 von der dann von den Gerichten verfassungskonform auszugestaltenden Fristenregelung ab, ob die Klägerin ganz oder teilweise in den Genuß der von ihr beanspruchten längeren Kündigungsfrist kommt.
Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (aaO) bleibt offen, wie der Gesetzgeber das Gleichheitsgebot verwirklicht. Sieht er für beide Arbeitnehmergruppen längere als bisher in § 622 Abs. 2 BGB a.F. enthaltene Fristen oder gar die in § 2 AngKSchG enthaltenen Fristen vor, so könnte allerdings auch ein Ausschluß dieser Regelung für Angehörige beider Arbeitnehmergruppen in Kleinstbetrieben in Betracht gezogen werden. Der Gesetzgeber hat die Anwendung der Fristenregelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. für gewerbliche Arbeiter ohne Rücksicht auf die Betriebsgröße für wirtschaftlich tragbar erachtet (vgl. den im Berufungsurteil, S. 8, zitierten Ausschußbericht vom 12. Juni 1969 - BT-Drucks. V/4376, zu Art. 2 Nr. 4). Hierbei ist zu beachten, daß von einem erst mit dem 35. Lebensjahr einsetzenden Fristenlauf ausgegangen wurde und auch dadurch die wirtschaftliche Belastung der Kleinstbetriebe geringer war als bei älteren Angestellten mit einem bereits mit dem 25. Lebensjahr einsetzenden Fristenlauf. Dies könnte den Gesetzgeber veranlassen, bei einer neuen Regelung mit längeren Fristen und für die Berechnung maßgebendem niedrigerem Lebensalter für Arbeiter nunmehr für beide Arbeitnehmergruppen Kleinstbetriebe in einem von ihm zu bestimmenden Umfang von den verlängerten Kündigungsfristen auszunehmen. Da eine solche Ausnahmeregelung jedoch von der Ausgestaltung der Fristen und im übrigen von dem Ermessen des Gesetzgebers abhängt, könnte über die Revision bis zur gesetzlichen Neuregelung oder zum Ablauf der dem Gesetzgeber hierfür vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist nicht entschieden werden, wenn die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG mit der Verfassung unvereinbar ist.
d) Sonstige der Wirksamkeit der Kündigung entgegenstehende Gründe sind nicht ersichtlich. Die Klägerin kann den allgemeinen Kündigungsschutz des § 1 Abs. 2 KSchG gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht in Anspruch nehmen, weil der Beklagte außer ihr und der Klägerin des Parallelrechtsstreits keine weiteren Arbeitnehmer beschäftigt hat. Diese Kleinbetriebsklausel ist verfassungsgemäß (BAGE 64, 315 = AP Nr. 8 zu § 23 KSchG 1969).
II. § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG ist nach Auffassung des Senats mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit danach die Beschäftigung von mehr als zwei Angestellten durch den Arbeitgeber Voraussetzung für die Verlängerung der Kündigungsfristen von Angestellten ist.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. u.a. Beschluß vom 16. November 1982 - 1 BvL 16/75 u. 36/79 - BVerfGE 62, 256 sowie Beschluß vom 30. Mai 1990, aaO) ist der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine Gruppe im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Dem gesetzgeberischen Gestaltungsraum sind dort enge Grenzen gezogen, wo es sich um Regelungen handelt, die Auswirkungen auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der beruflichen Tätigkeit haben.
2. Bei der Regelung der Kündigungsfristen ist allgemein zu berücksichtigen, daß die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer empfindlich treffen kann. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwingt ihn, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen und sich auf neue Arbeitsbedingungen einzustellen, möglicherweise sogar den Wohnort zu wechseln. Ob er einen neuen Arbeitsplatz mit gleichem Verdienst und gleichwertigen Bedingungen findet, hängt wesentlich davon ab, wieviel Zeit ihm für die Arbeitsplatzsuche zur Verfügung steht. Die Kündigungsfrist gibt ihm die Möglichkeit, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle zu suchen und die erforderlichen Dispositionen im privaten Bereich zu treffen. Er erhält die Chance, sofort nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle anzutreten. Die Chance wächst mit der Dauer der Kündigungsfrist (BVerfG Beschluß vom 30. Mai 1990, aaO). Bei der Staffelung der Kündigungsfristen nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dem Alter des Arbeitnehmers ist weiter darauf Bedacht zu nehmen, daß sie die berufliche Existenz der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen, länger beschäftigten und in der Regel auch älteren Arbeitnehmer sichern sollen: Sie sollen dazu beitragen, daß diesen Arbeitnehmern nicht oder doch nur in zweiter Linie gekündigt wird (BVerfG Beschluß vom 16. November 1982, aaO). Wegen dieser Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen der Arbeitnehmer ist die bisherige, allein an der Zugehörigkeit zu den Großgruppen der Arbeiter und Angestellten ausgerichtete Differenzierung der Grundkündigungsfristen und erst recht der verlängerten Fristen für Arbeiter mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar (BVerfG Beschluß vom 30. Mai 1990, aaO).
3. Die Verfassungswidrigkeit der in § 622 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz BGB a.F. getroffenen Regelung der verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter führt dazu, daß auch der Ausschluß von Angestellten in Kleinstbetrieben von der Geltung verlängerter Kündigungsfristen nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbar ist.
a) Nach der bisherigen Gesetzeslage war die Geltung der nach Dauer des Arbeitsverhältnisses und dem Alter des Arbeitnehmers gestaffelten verlängerten Kündigungsfristen für Angestellte und Arbeiter von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig. Für die Angestellten, deren Arbeitgeber nicht mehr als zwei Angestellte beschäftigt, kamen verlängerte Kündigungsfristen nicht in Betracht, während sie den Arbeitern ohne Rücksicht auf die Zahl der von ihrem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer zustanden. Zwar gilt nach der gesetzlichen Kündigungsregelung des § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB für Angestellte eine Grundfrist von sechs Wochen zum Ende des Kalendervierteljahres. Jedenfalls nach zehn Beschäftigungsjahren konnten aber Arbeiter nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. die längere Kündigungsfrist von zwei Monaten in Anspruch nehmen. Zumindest nach einer Vertragsdauer von zehn Jahren wirkte sich somit der Ausschluß von der Fristenregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG für die betroffenen Angestellten gegenüber der Gruppe der Arbeiter ungünstiger aus. Im Hinblick auf die Bedeutung dieser Fristen entspricht auch eine solche Differenzierung nur dann dem allgemeinen Gleichheitssatz, wenn hierfür sachlich einleuchtende Gründe vorliegen.
b) Danach war die Kleinbetriebsklausel des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG mit Art. 3 Abs. 1 GG nur zu vereinbaren, wenn die Fristenregelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. gültig war.
aa) Die Beschränkung des durch die verlängerten Kündigungsfristen herbeigeführten Kündigungsschutzes für Angestellte, deren Arbeitgeber mindestens drei Angestellte beschäftigen, dient dem Schutz von Kleinunternehmen. Dies wird deutlich aus der Änderung, die § 2 Abs. 1 AngKSchG durch Art. 4 BeschFG 1985 erfahren hat.
Auch nach dem neu eingefügten Satz 4 des Abs. 1 dieser Vorschrift sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Angestellten nach Satz 1 nur Angestellte zu berücksichtigen, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden übersteigt. Damit wurde, ebenso wie nach Art. 3 Nr. 2 Buchstabe b BeschFG 1985 durch eine entsprechende Änderung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG für den allgemeinen Kündigungsschutz der betriebliche Geltungsbereich des AngKSchG weiter eingeschränkt, weil nach dem bisherigen Rechtszustand bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Angestellten nach Satz 1 auch alle regelmäßig beschäftigten Teilzeit-Angestellten ohne Rücksicht auf den Umfang ihrer Tätigkeit mitgezählt und damit in gleichem Umfang berücksichtigt wurden wie die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG a.F. (vgl. BAGE 43, 80 = AP Nr. 2 zu § 23 KSchG 1969).
bb) In der Begründung des Regierungsentwurfes des BeschFG 1985 (BT-Drucks. 10/2102, zu Art. 4) heißt es, die in dieser Vorschrift enthaltenen Änderungen des § 2 AngKSchG entsprächen den in Art. 3 Nr. 2 vorgesehenen Änderungen von § 23 Abs. 1 KSchG und verfolgten denselben Zweck. In der damit in Bezug genommenen Begründung zu Art. 3 Nr. 2 Buchst. b BeschFG 1985 ist ausgeführt, die in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG enthaltene Ausnahme beruhe auf den besonderen engen persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, die in diesen Betrieben in der Regel beständen. Danach sei es gerechtfertigt, zwar nicht alle, aber doch jene teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl nicht mitzurechnen, die wegen ihrer geringfügigen Arbeitsleistung für die Betriebsgröße kaum eine Rolle spielten. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt (vgl. BAGE 43, 80, 83 ff. = AP, aaO, zu B IV der Gründe), waren für jene Ausnahmeregelung vornehmlich die engen persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern in einem Kleinbetrieb maßgebend, die allein von der Belegschaftsgröße und nicht von der Wirtschaftskraft des Betriebes abhängen. Hierauf wurde in den Debatten über die sehr umstrittene Ausnahmevorschrift immer wieder hingewiesen. Der Regierungsentwurf (RdA 1951, 58) ging von drei, der in der zweiten Lesung des Bundestages beschlossene Entwurf von zehn und das in dritter Lesung beschlossene Gesetz schließlich von fünf Arbeitnehmern aus.
cc) Dieses personale Element, auf das der Gesetzgeber auch bei der Herausnahme der Kleinunternehmer aus dem Schutz des AngKSchG abgestellt hat, stellte einen sachlich einleuchtenden Grund für die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG dar, wenn die unterschiedliche Fristenregelung für Arbeiter und Angestellte wirksam war. Es lag dann noch im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, für die Bestimmung der Betriebsgröße auf die Zahl der bei dem Arbeitgeber regelmäßig beschäftigten Angestellten abzustellen.
Wenn für die Herausnahme der Kleinunternehmen aus dem Geltungsbereich des Gesetzes vornehmlich die persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Angestellten maßgebend sind, dann entspricht es dem Zweck der Privilegierung, an die Zahl der dieser Gruppe angehörenden Arbeitnehmer anzuknüpfen. Der Inhaber eines solchen Unternehmens soll sich von dem Angestellten ohne die durch die verlängerten Kündigungsfristen bewirkten Erschwerungen trennen können. Dies war auch dann gerechtfertigt, wenn er daneben, etwa in einem größeren Handwerksbetrieb oder Handelsunternehmen, noch eine größere Zahl von Arbeitern beschäftigt. Dann nehmen die Angestellten Schlüsselpositionen ein und sind mit dem Arbeitgeber nach Funktion und Verantwortung enger verbunden als die Arbeiter. Von den Arbeitern konnte sich der Kleinunternehmer dagegen aufgrund der gegenüber den Angestellten wesentlich kürzeren Kündigungsfristen auch für längerbeschäftigte Arbeiter leichter trennen. Die Belastung der Kleinstbetriebe war, wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, nach der ursprünglichen Regelung für Arbeiter noch weiter dadurch gegenüber den Angestellten gemindert, daß die verlängerten Fristen erst vom 35. Lebensjahr an berechnet wurden.
c) Da jedoch die Regelung der verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter gem. § 622 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz BGB a.F. insgesamt gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, kann auch die Kleinstbetriebsklausel des § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG vor dieser Verfassungsnorm keinen Bestand haben.
Wenn es der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, für beide Arbeitnehmergruppen die Länge der ihnen gegenüber einzuhaltenden Kündigungsfristen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen unterschiedlich zu regeln, dann entfallen die vorstehend dargelegten Gründe dafür, in Kleinbetrieben oder Kleinunternehmen nur Angestellte von der Geltung der verlängerten Kündigungsfristen auszuschließen und zur Bestimmung des so privilegierten Betriebes oder Unternehmens nur an die Zahl der darin beschäftigten Angestellten anzuknüpfen. Soweit keine Differenzierung nach sachlichen Gründen zulässig ist und demgemäß die Fristen für beide Gruppen gleich lang sein müssen, kann sich der Arbeitgeber von den Arbeitern nicht mehr leichter trennen als von den Angestellten. Die persönliche Beziehung zwischen Arbeitgebern und Angestellten ist insoweit kein sachlich einleuchtendes Kriterium mehr dafür, den Ausschluß der verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte in Kleinbetrieben bzw. Kleinunternehmen unterschiedlich in der bisherigen Weise zu regeln.
Hillebrecht Triebfürst Bitter
Timpe Strümper
Fundstellen
Haufe-Index 438162 |
BAGE 69, 242-251 (LT1) |
BB 1992, 778-780 (LT1) |
DB 1992, 1048-1049 (LT1) |
DStR 1992, 624-624 (T) |
EBE/BAG 1992, 62-64 (LT1) |
AiB 1992, 587-588 (LT1) |
EWiR 1992, 635 (L) |
NZA 1992, 591-593 (LT1) |
RzK, I 3c 7 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 440/92 (S) |
ZIP 1992, 791-794 (LT) |
AP § 2 AngestelltenkündigungsG (LT1), Nr 12 |
AR-Blattei, ES 1010.5 Nr 30 (LT1) |
Arbeitgeber 1992, 664 (LT) |
EzA § 2 AnKSchG, Nr 1 (LT1) |
MDR 1992, 785 (S) |