Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst
Leitsatz (redaktionell)
1. Geht ein Arbeitnehmer mehreren Teilzeitbeschäftigungen nach, die jeweils iSd § 8 Abs 1 SGB 4 geringfügig sind, so kann gleichwohl eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung bestehen, weil die einzelnen geringfügigen Beschäftigungen gemäß § 8 Abs 2 SGB 4 zusammenzurechnen sind.
2. Der Ausschluß von Arbeitnehmern, die aufgrund der Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger Beschäftigungen der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen, von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ist sachlich nicht gerechtfertigt (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 28. Juli 1992 - 3 AZR 173/92 - AP Nr 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt.
Normenkette
BGB § 242; SGB IV § 8; BetrAVG § 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; BeschFG 1985 §§ 6, 2; BAT § 3 Buchst. n.F.assung: 1991-04-01
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 15.06.1992; Aktenzeichen 3 (7/4) Sa 178/92) |
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 29.01.1992; Aktenzeichen 3 Ca 2313/90) |
Tatbestand
Der Kläger, der als teilzeitbeschäftigter Musiklehrer bei der beklagten Stadt beschäftigt, aber nicht bei einer Zusatzversorgungskasse versichert wurde, will so gestellt werden, als ob er versichert worden wäre.
Der Kläger, geboren am 25. August 1958, war vom 1. August 1988 bis zum 31. Juli 1991 als Musiklehrer an der Musikschule der beklagten Stadt beschäftigt. Er erteilte hier zunächst 4 Unterrichtsstunden wöchentlich, ab August 1990 wöchentlich 3,67 Stunden und im Juli 1991 2,67 Stunden. Daneben erteilte er an der Musikschule S zuletzt 5,67 Stunden und an der Musikschule R 11 Stunden Unterricht pro Woche.
Vereinbarungen über eine Versicherung bei einer Zusatzversorgungskasse wurden nicht getroffen. Tarifliche Ansprüche auf eine zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung bestehen nur, soweit sie in einem besonderen Tarifvertrag vorgesehen sind (§ 46 BAT). Nach dem Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe (VersTV-G) in den bis zum 31. März 1991 geltenden Fassungen waren Arbeitnehmer mit weniger als der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bzw. weniger als 18 Wochenstunden Arbeitszeit von der Geltung des Tarifvertrags ausgenommen. Die Satzung der für die Beklagte zuständigen Zusatzversorgungskasse (ZVK) enthielt hierauf abgestimmte Vorschriften. Der 25. Änderungstarifvertrag zum Versorgungstarifvertrag der Gemeinden vom 24. April 1991 senkte die Versicherungspflicht mit Wirkung vom 1. April 1991 bis auf die Grenze der geringfügigen Beschäftigung i.S.d. § 8 SGB IV ab.
Die Beklagte hat es unter Hinweis auf die tariflichen Regelungen abgelehnt, den Kläger bei der ZVK anzumelden.
Der Kläger hat geltend gemacht, er habe einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den vollzeitig und längerzeitig (mehr als 18 Stunden in der Woche) beschäftigten Arbeitnehmern. Die entgegenstehenden Tarifvorschriften seien nichtig. Wenn die Beklagte ihn nicht bei der ZVK nachversichern könne, müsse sie selbst für seine anteilige Versorgung einstehen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei,
ihn beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben so zu
stellen, als hätte sie ihn für die Dauer des Ar-
beitsverhältnisses bei einer Zusatzversorgungs-
kasse versichert.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf die bestehenden Tarifverträge bezogen und die Auffassung vertreten, die Ungleichbehandlung des Klägers sei sachlich gerechtfertigt. Auch nach der ab 1. April 1991 geltenden Fassung des Versorgungstarifvertrags bestehe keine Versicherungspflicht, da der Kläger nur eine geringfügige Beschäftigung i.S.d. § 8 SGB IV ausgeübt habe.
Der Kläger hatte außer der hier streitgegenständlichen Zusatzversorgung die anteilige Vergütung eines vollzeitbeschäftigten Musiklehrers, eine anteilige Sonderzuwendung sowie ein anteiliges Urlaubsgeld geltend gemacht. Den darauf gerichteten Klageanträgen haben das Arbeitsgericht Siegburg durch Teilurteil vom 10. Juli 1991 - 3 Ca 2313/90 - und das Landesarbeitsgericht Köln durch Urteil vom 14. November 1991 - 6 Sa 647/91 - für die Zeit ab 1. Oktober 1989 stattgegeben. Über den Versorgungsanspruch, der allein Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist, haben die Vorinstanzen abgetrennt entschieden. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger will erreichen, so gestellt zu werden, als hätte ihn die Beklagte für die Dauer seines Arbeitsverhältnisses, also vom 1. August 1988 bis zum 31. Juli 1991, zur Zusatzversorgung angemeldet. Es kommt dem Kläger nicht darauf an, ob er nachversichert wird oder die Beklagte selbst einsteht. Dieses Begehren des Klägers ist begründet.
1. Der Anspruch des Klägers hat seine Grundlage in § 2 Abs. 1 BeschFG. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Die Beklagte hat dem Kläger wegen der Teilzeitarbeit unterschiedlich behandelt. Sie hat ihn wegen des geringen Umfangs seiner Beschäftigung von der im öffentlichen Dienst gewährten Zusatzversorgung der vollzeitig und längerzeitig beschäftigten Arbeitnehmer ausgenommen.
2. Der Ausschluß der nur mit geringer Arbeitszeit beschäftigten Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ist nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Das hat der Senat durch Urteile vom 28. Juli 1992 und 8. Dezember 1992 entschieden und näher begründet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf das Urteil des Senats vom 28. Juli 1992 - 3 AZR 173/92 - (AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) Bezug genommen. Die dort im einzelnen dargestellten Grundsätze gelten auch im Streitfall:
a) Die Anwendung des § 2 Abs. 1 BeschFG ist nicht durch § 6 Abs. 1 BeschFG ausgeschlossen. Diese Vorschrift gestattet es zwar den Tarifvertragsparteien, von § 2 BeschFG auch zuungunsten der Arbeitnehmer abzuweichen. Sie erlaubt es aber nicht, unsachlich benachteiligende Gestaltungen von Arbeitsbedingungen zu beschließen. § 2 Abs. 1 BeschFG stellt eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes dar, der seine Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG hat und den auch die Tarifvertragsparteien zu beachten haben.
b) Auch der Grundsatz der Vertragsfreiheit rechtfertigt die ungleiche Behandlung des Klägers nicht. Das Gebot der Gleichbehandlung und damit das Verbot der Schlechterstellung ohne sachlichen Grund greift dann ein und setzt der Vertragsfreiheit Grenzen, wenn der Arbeitgeber - wie hier die Beklagte - die Arbeitsbedingungen nach einem erkennbaren Prinzip in Gestalt abstrakter Regelungen gestaltet.
c) Der Ausschluß von der Zusatzversorgung war nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt:
Der Ausschluß von der Zusatzversorgung ist nicht bereits deshalb sachlich gerechtfertigt, weil der Ausschluß auf der tariflichen Regelung beruht. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien endet auch bei der Bildung von Arbeitnehmergruppen an den Grenzen zwingenden übergeordneten Rechts. Die tarifliche Regelung ist insoweit nichtig. Die Tarifhoheit der Verbände ändert daran nichts.
Das System der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und die Entwicklung von einer volldynamischen Gesamtversorgung hin zur Einbeziehung von Teilzeitkräften rechtfertigt den Ausschluß der geringzeitig (weniger als 18 Stunden in der Woche) beschäftigten Arbeitnehmer ebenfalls nicht. Auch in einem kaufkraftstabilen System der Vollversorgung träte eine unsachliche Benachteiligung der Arbeitnehmer mit geringeren Arbeitszeiten ein, würden sie nur wegen der geringeren Arbeitszeit von der Zusatzversorgung ausgeschlossen.
Schließlich trifft die Annahme, bei geringzeitig beschäftigten Arbeitnehmern bestehe typischerweise kein Versorgungsbedarf, nicht zu. Ein Versorgungsbedarf ist bereits dann anzuerkennen, wenn die Zusatzversorgung den Lebensstandard im Ruhestand in dem Umfang beeinflußt, wie der geringe Zuverdienst im aktiven Arbeitsleben zum Unterhalt beigetragen hat.
3. Der Senat hat bisher offengelassen, ob Arbeitnehmer, die unter den Geringfügigkeitsgrenzen des § 8 SGB IV beschäftigt sind, eine Zusatzversorgung verlangen können. Diese Frage bedarf auch im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung.
a) Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung mit der Erwägung begründet, der Kläger sei geringfügig Beschäftigter i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB IV gewesen. Der Ausschluß dieses Personenkreises von der Zusatzversorgung sei deshalb gerechtfertigt, weil er insgesamt von der Pflichtversicherung ausgenommen, also auch nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen sei. Damit sei im gesetzlichen Sozialversicherungsrecht eine Grundentscheidung getroffen worden. Diese Grundentscheidung hätten die Tarifvertragsparteien und die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auf den Bereich der Zusatzversorgung übertragen können. Zudem sei der Kläger angesichts seiner nur sehr geringen zeitlichen Inanspruchnahme bei der Beklagten in der Lage gewesen, sich eine zusätzliche Altersversorgung bei einem anderen Arbeitgeber zu verschaffen.
b) Dem Berufungsgericht kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Der Senat hat zwar erwogen, im Ergebnis aber offengelassen, ob die Herausnahme geringfügig Beschäftigter aus der gesetzlichen Versicherungspflicht als sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung bei der Zusatzversorgung anzuerkennen ist. Einerseits kann fraglich sein, ob eine Zusatzversorgung selbst dann gewährt werden muß, wenn eine Grundsicherung, wie sie die gesetzliche Rentenversicherung darstellt, nicht gewährleistet ist. Andererseits stellt die Zusatzversorgung, anders als die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, ein vom Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis erdientes und nur wegen der Zweckbestimmung als Versorgung nicht frei verfügbares Entgelt für die erbrachten Dienste dar (ständige Rechtsprechung des BAG seit Urteil vom 27. Juni 1969, BAGE 22, 92, 95 f. = AP Nr. 2 zu § 242 BGB Ruhegehalt - VBL, zu I 2 der Gründe; ferner Urteil vom 10. März 1972, BAGE 24, 177, 183 f. = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu A II 2 a der Gründe).
Die Frage ist auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Der Kläger war kein geringfügig Beschäftigter i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB IV. Der Kläger hat mehrere Teilzeitbeschäftigungen ausgeübt, die zusammen eine Unterrichtsstundenzahl von mindestens 20,34 Wochenstunden ergaben. Die Auffassung der Revision, es fehle eine entsprechende Feststellung in den Vorinstanzen, trifft nicht zu. Der Kläger hat am 2. Oktober 1991 unwidersprochen zu Protokoll des Arbeitsgerichts Siegburg erklärt, er unterrichte außer bei der Beklagten zur Zeit 11 Stunden bei der Stadt R und 5,67 Stunden bei der Stadt S . Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt auch das Parteivorbringen, das aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist (§ 561 Abs. 1 ZPO).
c) Geht ein Arbeitnehmer mehreren Teilzeitbeschäftigungen nach, die jeweils i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig sind, so kann gleichwohl eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen, weil die einzelnen geringfügigen Beschäftigungen gem. § 8 Abs. 2 SGB IV zusammenzurechnen sind. Ergibt sich aber, daß eine gesetzliche Grundsicherung aufgrund der Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse besteht, so entfällt jeder Grund, den betreffenden Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung auszuschließen. Die vom Berufungsgericht angenommene Grundentscheidung des Gesetzgebers trifft diesen Fall gerade nicht: Wer, wie der Kläger, als Teilzeitbeschäftigter bei verschiedenen Arbeitgebern Anspruch auf Teilnahme an der gesetzlichen Rentenversicherung hat, kann nicht von der Zusatzversorgung ausgeschlossen werden, weil er im einzelnen Arbeitsverhältnis die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreitet. Die tarifliche Regelung in § 3 n BAT n.F., die allein auf das einzelne Arbeitsverhältnis abstellt, indem sie die zwingende Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB IV unbeachtet lassen will, erweist sich damit als ebenso nichtig wie die bis zum 31. März 1991 geltende Fassung des § 3 q BAT, die Arbeitnehmer mit einer Beschäftigungszeit von weniger als 18 Stunden von der Zusatzversorgung ausschloß. Auch nach Auffassung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts sind mehrere Teilzeitbeschäftigungen unter dem Gesichtspunkt einer bereits anderweitigen Existenzsicherung nicht geeignet, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, wenn nur die mehreren Beschäftigungen zusammen geeignet sein können, die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers zu bilden (Urteil vom 21. August 1991 - 5 AZR 634/90 - n.v.).
Dr. Heither Griebeling Dr. Wittek
Dr. Schwarze Großmann
Fundstellen
Haufe-Index 438552 |
BAGE 72, 345-350 (LT1-2) |
BAGE, 345 |
BB 1993, 11738-1739 (LT1-2) |
BB 1993, 1738 |
DB 1993, 1983-1984 (LT1-2) |
EBE/BAG 1993, 124-126 (LT1-2) |
FamRZ 1993, 1429 (L) |
BetrAV 1993, 242-243 (LT1-2) |
EWiR 1993, 1055 (L1-2) |
NZA 1993, 991 |
NZA 1993, 991-992 (LT1-2) |
ZAP, EN-Nr 824/93 (S) |
ZTR 1993, 419-421 (LT1-2) |
AP § 1 BetrAVG Teilzeit (LT1-2), Nr 6 |
AuA 1995, 71 (LT1-2) |
EzA § 1 BetrAVG, Nr 3 (LT1-2) |
EzBAT § 8 BAT, Nr 10 (LT1-2) |
Heither, ES-BetrAVG Nr 4200/3 (LT1-2) |
MDR 1993, 1212 (LT1-2) |
PersV 1994, 555 (L) |