Entscheidungsstichwort (Thema)
Politsche Arbeitnehmerweiterbildung im Ausland
Leitsatz (amtlich)
Ein im Ausland durchgeführtes Studienseminar über die sozialen und politischen Verhältnisse dieses Landes kann der politischen Arbeitnehmerweiterbildung dienen, wenn ein hinreichender Bezug zu gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Fragen hergestellt wird, die die Bundesrepublik Deutschland betreffen.
Normenkette
AWbG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. November 1997 – 15 Sa 1126/97 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 4. März 1997 – 2 Ca 2006/96 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger ist Arbeitnehmer der Beklagten; 1996 war er im Werk Bochum in der Qualitätssicherung beschäftigt. Im Februar 1996 beantragte er schriftlich, ihn für die Zeit vom 29. April bis 10. Mai 1996 bezahlt freizustellen, um an der Veranstaltung „Zur aktuellen politischen und sozialen Situation in Cuba” teilzunehmen. Die Beklagte lehnte eine Freistellung des Klägers ab. Mit seinem Einverständnis gewährte sie ihm für die Zeit vom 29. April 1996 bis 6. Mai 1996 unbezahlten Sonderurlaub, für die anschließende Zeit bis 10. Mai 1996 Tarifurlaub. Die Beklagte verpflichtete sich, dem Kläger das infolge des Sonderurlaubs entfallende Entgelt zu zahlen, wenn rechtskräftig festgestellt wird, daß die Veranstaltung den Anforderungen des AWbG und des Weiterbildungsgesetzes NRW (WbG) entspricht.
Der Kläger hat daraufhin an der Veranstaltung teilgenommen, die von dem „Forum Eltern und Schule” durchgeführt worden ist. Das Forum ist als Einrichtung der politischen Weiterbildung in anderer Trägerschaft iSd. § 9 Satz 1 Buchst. a Alt. 2 AWbG anerkannt.
Das Seminar ist nach folgendem Ablaufplan durchgeführt worden:
„Samstag, den 27.4.96 |
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Flug nach Havanna, Ankunft im Hotel, Orientierung |
19.00 – 21.30 |
Einführung ins Seminar |
Sonntag, den 28.4.96 |
9.00 – 12.00 |
Einführung in die Geschichte von Cuba |
15.30 – 18.00 |
Besichtigung der Altstadt von Havanna mit anschl. Auswertung |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Montag, den 29.4.96 |
9.00 – 12.00 |
Rolle und Struktur der Gewerkschaften, Rechte und Pflichten der ArbeitnehmerInnen |
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– Ref. (Vertreter der nat. Leitung des cub. Gewerkschaftsverbandes CTC) – |
15.30 – 18.00 |
Austausch über Bildungs- und Gewerkschaftsarbeit in der BRD, Cuba u.a. südamerikanischen Ländern |
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– Arbeitsgespräch mit MitarbeiterInnen und SchülerInnen der Gewerkschaftsschule der CTC – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Dienstag, den 30.4.96 |
9.00 – 12.00 |
Besuch des 17. Kongresses der CTC |
15.50 – 18.00 |
Auswertung der Eindrücke und Gespräche während des Kongresses |
19.00 – 20.00 |
Fortsetzung der Auswertung und Vorschau |
Mittwoch, den 1.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Erfahrungsaustausch mit cubanischen ArbeitnehmerInnen und internationalen Delegationen im Rahmen der 1. Mai-Feier |
15.30 – 18.00 |
Jüngere Geschichte Cubas |
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– Besuch des Revolutionsmuseums in Havanna mit Auswertung – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Donnerstag, den 2.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Cuba gestern und heute: Wie es zur Revolution kam |
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– Arbeitsgespräch mit „Veteranen der Revolution” – |
15.30 – 18.00 |
Das Pressewesen in Cuba |
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– Redaktion der Tageszeitung GRANMA - |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Freitag, den 3.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Politik der cubanischen Regierung angesichts der Blockade, ökonomische und politische Probleme und Reformen |
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– Ref. (Mitarbeiter des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Cubas) – |
15.30 – 18.00 |
Außenpolitik Cubas unter der Blockade |
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– Ref. (Mitarbeiter des Außenministeriums) – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Samstag, den 4.5.96 |
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Freizeit |
Sonntag, den 5.5.96 |
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Freizeit |
Montag, den 6.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Arbeitsbedingungen, Mitsprache der Arbeiter, gewerkschaftliche Strukturen im Betrieb am Beispiel eines Stahlwerks |
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– Arbeitsgespräch mit Mitarbeitern eines Stahlwerks – |
15.30 – 18.00 |
Bedingungen eines Joint-Venture-Unternehmens, Verträglichkeit unterschiedlicher ökon. Systeme, Rechte von Arbeitern und Gewerkschaft |
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– Ref. (Leiter der Mercedes-Benz Niederlassung, angefragt) – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Dienstag, den 7.5.96 |
8.00 – 10.00 |
Transfer nach Villa Clara |
10.00 – 12.30 |
Gesundheitliche Versorgung in Cuba |
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– Arbeitsgespräch mit Mitarbeitern eines Krankenhauses – |
15.00 – 18.00 |
Strukturen und Arbeitsweise der Volksvertretung |
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– Ref. (Vertreter der Provinzregierung, Poder Popular) – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Mittwoch, den 8.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Hauptdevisenbringer Zucker: Probleme der Monokultur und Arbeitsbedingungen |
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– Arbeitsgespräch mit MitarbeiterInnen eines zuckerrohrverarbeitenden Betriebes – |
15.30 – 18.00 |
Freiwilligenarbeit in Cuba und ihre Rolle für die cubanische Wirtschaft |
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– Ref. (Vertreter der Contingentes Blas Roca) – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Donnerstag, den 9.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Marktwirtschaftliche Elemente in der cubanischen Ökonomie |
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– Gespräche mit Anbietern und Kunden eines Bauernmarktes – |
15.30 – 18.00 |
Erziehungswesen und Ausbildung in Cuba |
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– Ref. (Mitarbeiter einer Schule) – |
19.00 – 20.00 |
Auswertung des Tages und Vorschau |
Freitag, den 10.5.96 |
9.00 – 12.00 |
Auswertung des Seminars |
nachm. |
Rückflug nach Deutschland” |
In dem vom Kläger im Rechtsstreit eingereichten Konzept des Veranstalters heißt es u.a.:
„Thematisch/inhaltlich
Cuba ist ein Land der sogenannten „Dritten Welt”, das seit 40 Jahren einen eigenen gesellschaftspolitischen Weg zu einem sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell eingeschlagen hat.
Insofern ist die aktuelle politische und soziale Situation in Cuba ein in zweifacher Hinsicht relevantes Thema für die politische Bildung.
1. Zum einen als sogenanntes „Entwicklungsland”:
Durch die fortschreitende weltweite Vernetzung von Nationalökonomien können gesellschaftspolitische Fragen, wie z.B. die wirtschaftliche Situation des eigenen Landes, nicht mehr allein unter nationalen Gesichtspunkten betrachtet werden. Gerade die Situation von Ländern der „Dritten Welt” und ihre Abhängigkeit von den wirtschaftlich reichen und starken Nationen ist hier von Bedeutung.
2. Zum anderen als Land mit einem sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell:
Die Systemauseinandersetzung zwischen kapitalistischmarktwirtschaftlichem und kommunistischen bzw. sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell ist mit dem Zusammenbruch letzteren in der Sowjetunion und in Osteuropa nicht beendet. Auch für die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik ist es deshalb relevant, ein sozialistisches Gesellschaftsmodell „in der Praxis” kritisch in Augenschein nehmen zu können.
Unter den eingangs genannten beiden Aspekten war leitend für die Auswahl von Themen und Lernorten, den TeilnehmerInnen Einblick in die Arbeitsweise wichtiger gesellschaftlicher Institutionen wie auch in die Lebensweise und Lebensbedingungen der Menschen in Cuba zu vermitteln und zu bearbeiten:
…
Methodisch-didaktische Überlegungen
Wie bereits angerissen stand die Bildungsveranstaltung unter folgenden Zielen:
- Vermittlung von Eindrücken und Kenntnissen über Institutionen des sozialistischen Gesellschaftsmodells in Cuba;
- Vermittlung von Eindrücken und Kenntnissen über die Lebensbedingungen und Lebensweise der Menschen in Cuba als einem „Dritte-Welt-Land”.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Veranstaltung habe der politischen Weiterbildung gedient. Der an sich wegen der weltweiten Vernetzung von Politik ohnehin entbehrliche Bezug zur (gesellschafts-)politischen Auseinandersetzung mit den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland sei bei den abendlichen Auswertungstreffen hergestellt worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.265,40 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 11. Juli 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Der Kläger bittet um deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur Abweisung der Klage. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer seines Sonderurlaubs vom 29. April bis 6. Mai 1996.
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 7 AWbG. Nach dieser Vorschrift entsteht ein Anspruch nur, wenn der Arbeitgeber erklärt, den Arbeitnehmer von der Arbeit zur Teilnahme an eine Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung freizustellen (ständige Senatsrechtsprechung vgl. 21. Oktober 1997 – 9 AZR 253/96 – BAGE 87, 16). Das ist nicht geschehen. Die Beklagte hat dem Kläger für den umstrittenen Zeitraum Sonderurlaub gewährt.
II. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus einer mit der Beklagten getroffenen besonderen Vereinbarung.
1. Die Beklagte hat dem Kläger angeboten, bei gerichtlicher Feststellung der Anerkennungsvoraussetzungen nach dem AWbG das dem Kläger für die Zeit seines Sonderurlaubs vom 29. April 1996 bis 6. Mai 1996 entgangene Arbeitsentgelt zu zahlen. Dieses Angebot hat der Kläger angenommen. Damit ist eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung begründet worden, die von einer Bedingung abhängig ist (BAG 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – BAGE 72, 200; 21. Oktober 1997 – 9 AZR 510/96 – AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 23 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 26).
2. Die vereinbarte Bedingung für die Entgeltfortzahlung ist nicht eingetreten. Nach § 9 Satz 1 gilt eine Bildungsveranstaltung als anerkannt, wenn sie nach den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt wird und § 1 Abs. 2 AWbG entspricht. Die besuchte Bildungsveranstaltung hat nicht der politischen Weiterbildung iSd. § 1 Abs. 2 AWbG gedient.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Begriff „politische Weiterbildung” nach den vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen Zielen der Arbeitnehmerweiterbildung auszulegen (BAG 15. Juni 1993 – 9 AZR 411/89 – AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 5 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 12; 9. Mai 1995 – 9 AZR 185/94 – BAGE 80, 94 und 5. Dezember 1995 – 9 AZR 666/94 – BAGE 81, 328). Sie bezweckt „das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern” (BVerfG 15. Dezember 1987 – 1 BvR 563/85 ua. – BVerfGE 77, 308). Der Arbeitnehmer soll mithin befähigt werden, aufgrund der ihm durch die Bildungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse und Einsichten selbständig Urteile zu fällen und an politischen Prozessen teilzuhaben. Dieses Ziel der Arbeitnehmerweiterbildung ist damit auf das Gemeinwesen bezogen, in dem der Arbeitnehmer lebt und an dessen Gestaltung er mitwirken kann. Das sind Gemeinden, Länder, Bund und die Europäische Union. Der politischen Weiterbildung iS von § 1 Abs. 2 AWbG dienen somit regelmäßig nur Bildungsveranstaltungen, die sich mit den politischen und sozialen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union befassen.
Die Behandlung der politischen und sozialen Situation eines anderes Landes wird dadurch nicht ausgeschlossen. Denn auch durch den Vergleich unterschiedlicher Verhältnisse können nützliche Kenntnisse und Erfahrungen gewonnen werden. Es muß aber gewährleistet sein, daß der Arbeitnehmer durch die vergleichende Betrachtung Kenntnisse und Erfahrungen für eine bessere Mitsprache und Mitverantwortung in seinem Gemeinwesen gewinnen kann. Dazu ist erforderlich, daß in der Bildungsveranstaltung ein hinreichender Bezug zu den gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Verhältnissen hergestellt wird, die die Bundesrepublik Deutschland betreffen. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es dabei auf die „politische Nähe” der Bundesrepublik Deutschland oder auf das Ausmaß der wechselseitigen wirtschaftlichen Kontakte nicht an.
Ob die an politische Arbeitnehmerweiterbildung zu stellenden Anforderungen erfüllt sind, bestimmt sich nach der ständigen Senatsrechtsprechung, nach dem didaktischen Konzept des Veranstalters sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten. Diese müssen uneingeschränkt den gebotenen systematischen Lernprozeß erkennen lassen, der die Urteils- und Handlungsfähigkeit der Teilnehmer fördern soll (vgl. BAG 17. November 1998 – 9 AZR 503/97 – AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 26 mwN). Das macht erforderlich, die Bildungsmaßnahme und ihre Inhalte dahin zu überprüfen, ob sie geeignet sind, die Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers im gesellschaftlich/politischen Geschehen der Bundesrepublik Deutschland zu verbessern.
Diese Beurteilung obliegt zunächst den Tatsachengerichten. Deren Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs politische Arbeitnehmerweiterbildung unterliegt in der Revisionsinstanz nur der eingeschränkten Prüfung, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt, Denkgesetze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Bewertung übersehen worden sind (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – vgl. BAG 29. Oktober 1997 – 5 AZR 624/96 – BAGE 87, 41 mwN).
b) Das angefochtene Berufungsurteil hält diesem revisionsrechtlich eingeschränkten Prüfmaßstab nicht stand.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat es als ausreichend angesehen, daß „Themen in politischer Hinsicht” behandelt worden seien. Das Seminar sei jedenfalls geeignet gewesen, die Urteilsfähigkeit der Teilnehmer zu schärfen und die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu bewerten.
bb) Damit hat das Landesarbeitsgericht den Begriff politische Arbeitnehmerweiterbildung verkannt.
(1) Zwar läßt der stetige Wandel politischer Verhältnisse und Anschauungen nicht zu, einen allgemeinen Katalog geeigneter oder nicht geeigneter Themen zur politischen Weiterbildung aufzustellen. Zum Gegenstand politischer Weiterbildung können deshalb nicht nur Themen zur Staats- oder Bürgerrechtskunde gemacht werden, sondern auch andere Fragen, die Aufgabe oder Ziel von Politik sind oder zur politischen Diskussion gestellt werden sollen. Deshalb hat der Senat auch Veranstaltungen als politische Weiterbildung anerkannt, die sich mit Fragen des regionalen Umweltschutzes in Deutschland befassen (vgl. BAG 24. August 1993 – 9 AZR 240/90 – BAGE 74, 99; 5. Dezember 1995 – 9 AZR 666/94 – BAGE 81, 328). Damit hat der Senat aber nicht zum Ausdruck gebracht, jedes Thema, für das „in politischer Hinsicht” ein Interesse geltend gemacht werden könnte, erfülle den Begriff politische Arbeitnehmerweiterbildung iS von § 1 Abs. 2 AWbG.
(2) Das Landesarbeitsgericht ist außerdem von der Senatsrechtsprechung abgewichen, nach der stets zu prüfen ist, ob das didaktische Konzept des Veranstalters und die zeitliche sowie sachliche Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten geeignet sind, das Ziel der politischen Arbeitnehmerweiterbildung zu erreichen. Seine pauschale Aussage, durch die Beschäftigung mit kubanischen Verhältnissen sei die Urteilsfähigkeit der Teilnehmer gesteigert worden, ist mit der verfassungsrechtlich gebotenen Kontrolle nicht vereinbar. Den Fachgerichten ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben zu überprüfen, ob eine thematisch umstrittene Bildungsveranstaltung den gesetzlichen Zielvorgaben entspricht (BVerfG 15. Dezember 1987 – 1 BvR 563/85 ua. – BVerfGE 77, 308). Zwar kann ein Auslandsaufenthalt den Erfahrungsschatz erweitern und dazu beitragen, die eigene Lebenssituation im gesellschaftlich/politischen Raum zu reflektieren und zum Handeln anregen. Die Feststellung eines möglichen individuellen Bildungserlebnisses genügt aber nicht. Zu prüfen ist der organisierte Lernprozeß.
Auf eine systematische Überprüfung, ob die Bildungsveranstaltung gezielt die Mitwirkung der Arbeitnehmer am öffentlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland förderte, konnte das Landesarbeitsgericht auch nicht wegen der von ihm pauschal angeführten „Vernetztheit und Globalisierung” verzichten. Zwar trifft es zu, daß „Wirtschaft und Politik” nicht an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union halt machen. Insbesondere können durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland die sozialen Interessen der Arbeitnehmer in Deutschland betroffen sein. Das Landesarbeitsgericht hat aber nicht aufgezeigt, daß im Seminar solche grenzüberschreitenden Fragen behandelt worden sind.
3. Der Senat kann abschließend entscheiden. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht kommt nach dem Ergebnis der Revisionsverhandlung nicht in Betracht (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Aufgrund der festgestellten Tatsachen bleibt kein Raum für die vom Kläger gewünschte Bestätigung der Bildungsveranstaltung als politische Arbeitnehmerweiterbildung.
Der Kläger hat nicht schlüssig dargelegt, daß die Veranstaltung nach ihrer zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der politischen Arbeitnehmerweiterbildung iSv. § 1 Abs. 2 AWbG im erforderlichen Ausmaß gedient hat.
a) Nach dem Seminarprogramm diente ein 2 1/2 stündiges Arbeitsgespräch mit Mitarbeitern und Schülern der Gewerkschaftsschule am 29. April 1996 dem Austausch über Bildungs- und Gewerkschaftsarbeit in beiden Ländern. Auch der Nachmittag des 6. Mai 1996 war mit übergreifenden Themen iS der politischen Arbeitnehmerweiterbildung belegt, nämlich mit den Bedingungen eines Joint Venture-Unternehmens und der Verträglichkeit unterschiedlicher ökonomischer Systeme. Nicht auszuschließen ist, daß in den am 3. Mai 1996 gehaltenen Referaten zur Innen- und Außenpolitik Kubas „unter der Blockade” Stellungnahmen und Reaktionen der Europäischen Union und/oder der Bundesrepublik Deutschland angesprochen wurden.
Alle anderen, zeitlich überwiegenden Programmpunkte wie Referate zur Rolle und Struktur der Gewerkschaften, Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer (29. April: 3 Stunden), der Besuch des Gewerkschaftskongressen (30. April: 5 1/2 Stunden), Revolutionsgeschichte und Pressewesen (2. Mai: 5 1/2 Stunden) Arbeitsbedingungen und Besuch eines Stahlwerks (6. Mai: 3 Stunden) sind ausschließlich auf die Vermittlung von Informationen über soziale und politische Fragen in Kuba zugeschnitten.
b) Für die erforderliche Ausrichtung der Bildungsveranstaltung mit dem Ziel der Befähigung zu Mitsprache und Mitverantwortung genügt nicht die pauschale Behauptung des Klägers, ein Bezug zur (gesellschafts-)politischen Auseinandersetzung mit den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland sei bei den täglichen Auswertungseinheiten erfolgt, in denen die „bei den einzelnen Programpunkten gemachten eher individuellen Erfahrungen der einzelnen Teilnehmer in einen systematischen Zusammenhang gestellt und in das didaktische Konzept des Veranstalters eingebettet” worden seien. Das stimmt weder mit dem Ziel des Veranstalters „Vermittlung von Eindrücken und Kenntnissen über Institutionen des sozialistischen Gesellschaftsmodells in Cuba und über die Lebensbedingungen und die Lebensweisen der Menschen in Cuba als einem Dritte – Welt – Land” überein, noch läßt diese Behauptung eine Überprüfung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht zu.
III. Die Revision des Klägers ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Leinemann, Düwell, Reinecke, H. Unger, Benz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.03.1999 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
DB 1999, 2519 |
DB 1999, 638 |
NWB 1999, 1165 |
ARST 1999, 143 |
ARST 2000, 51 |
FA 1999, 172 |
FA 1999, 415 |
NZA 2000, 32 |
ZTR 2000, 87 |
AP, 0 |
AUR 2000, 34 |