Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen. Betriebsratsanhörung. Krankheitsbedingte Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Unterrichtung über die Gründe für eine beabsichtigte Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG darf der Arbeitgeber ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.
Orientierungssatz
1. Das Verfahrenshindernis der doppelten Rechtshängigkeit ist von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz zu beachten. Das bedeutet nicht, dass das Revisionsgericht zur Amtsermittlung verpflichtet wäre, solange ein das Hindernis begründender Sachverhalt weder behauptet, noch gerichtsbekannt oder erkennbar wahrscheinlich ist.
2. Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Dem steht es gleich, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen Beurteilung bedeutsame, zuungunsten des Arbeitnehmers sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteilt, von denen er selbst für möglich hält, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Er stellt seinen Kenntnisstand in diesem Fall bewusst als umfassender dar, als er es in Wirklichkeit ist. Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst und damit gutgläubig erfolgte, „bloß” objektive Fehlinformation stellt dagegen für sich genommen keinen Verstoß gegen § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dar.
3. Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Der Arbeitgeber darf daher ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-2, §§ 4, 7; SGB IX § 84 Abs. 2; ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 5. August 2014 – 7 Sa 206/14 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Der Kläger war bei der Beklagten seit Februar 1998 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Er war – nachdem er schon in den Jahren 2006 bis 2009 jährlich an zwischen 20 und 32 Tagen krankheitsbedingt gefehlt hatte – im Jahre 2010 erneut an 23 Arbeitstagen, im Jahre 2011 an mindestens 32,5 Arbeitstagen und im Jahre 2012 bis zum 5. November an 56 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Im März 2009 und im Januar 2012 führte die Beklagte mit ihm Gespräche über seine Fehlzeiten. Auf ihre Veranlassung hin stellte sich der Kläger bei der Werksärztin vor. Im Juli 2012 lud die Beklagte ihn zu einem als „betriebliches Eingliederungsmanagement” bezeichneten Gespräch ein. Dieses fand am 8. August 2012 in Anwesenheit je eines Vertreters des Betriebsrats, der IG Metall und der betrieblichen Schwerbehindertenvertretung statt. Der Kläger erkrankte danach erneut. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. November 2012 zum 30. April 2013.
Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat behauptet, in den Gesprächen über seine Fehlzeiten seien weder mögliche Ursachen am Arbeitsplatz noch konkrete Maßnahmen oder Abhilfemöglichkeiten thematisiert worden. Die Fehlzeiten in der Vergangenheit sprächen nicht für eine negative Gesundheitsprognose. Die ihnen zugrunde liegenden Erkrankungen seien zum Teil ausgeheilt. Seine wesentlichen Leiden seien Kopfschmerzen. Diese seien seit September 2012 aufgrund der Einnahme von Medikamenten nicht mehr aufgetreten. Bereits im Juli 2011 habe er sich einer Behandlung im Kopfschmerzzentrum in E unterzogen. An die Therapieempfehlungen – medikamentöse Behandlung und Ausdauersport – habe er sich gehalten. Ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes betriebliches Eingliederungsmanagement habe die Beklagte nicht durchgeführt. Überdies habe sie den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Sie habe diesen bewusst falsch unterrichtet. Zu Unrecht habe sie ihn dahin unterrichtet, er habe die ihm empfohlene Therapie abgebrochen. Auch sei es – anders als dem Betriebsrat mitgeteilt – nicht die Werksärztin gewesen, die ihm empfohlen habe, einen Spezialisten für Schmerztherapie aufzusuchen. Der Inhalt der sog. Rückkehrgespräche sei ebenfalls fehlerhaft wiedergegeben.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16. November 2012 nicht aufgelöst worden ist;
- die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Produktionsmitarbeiter in ihrem Betrieb in O weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, bei Kündigungszugang sei die Prognose gerechtfertigt gewesen, der Kläger werde auch zukünftig für erhebliche Zeiträume krankheitsbedingt ausfallen. In sämtlichen Rückkehrgesprächen habe er angegeben, seine Beschwerden hätten ihre Ursachen nicht am Arbeitsplatz. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement habe am 8. August 2012 stattgefunden. Auch hier habe der Kläger einen Zusammenhang seiner Beschwerden mit den Bedingungen am Arbeitsplatz verneint. Zutreffend sei seine Behauptung, er habe das Kopfschmerzzentrum bereits vor seiner Untersuchung durch die Werksärztin besucht. Ihre anders lautenden Ausführungen gegenüber dem Betriebsrat beruhten auf einem Missverständnis. Allerdings habe die Werksärztin die Empfehlung des Kopfschmerzzentrums intensiv mit dem Kläger besprochen und ihm empfohlen, die Vorschläge konsequent umzusetzen. Einen vereinbarten Termin, um sich bei ihr erneut vorzustellen, habe der Kläger nicht wahrgenommen. In einem Telefonat im Februar 2012 habe die Werksärztin ihrem Personalleiter mitgeteilt, beim Kläger werde zwar eine Schmerztherapie durchgeführt, dieser setze die verordneten Medikamente aber sofort ab, wenn sich keine Besserung einstelle.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob die Kündigung vom 16. November 2012 wirksam ist, steht noch nicht fest (II.).
I. Auf der Basis der bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht gemeint, die Kündigung sei nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Unterrichtung des Betriebsrats sei auch dann nicht ordnungsgemäß iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, wenn der Arbeitgeber Umstände mitteile, die aus seiner eigenen Sicht zum Kündigungsgrund gehörten und nicht den objektiven Tatsachen entsprächen. Im Streitfall habe die Beklagte den Betriebsrat in dieser Weise unzutreffend informiert. Sie habe ihm fälschlicherweise mitgeteilt, dass die Werksärztin dem Kläger die Konsultation eines Spezialisten und eine Therapie gezielt gegen Kopfschmerzen empfohlen, dass der Kläger diese Schmerztherapie nach kurzer Zeit abgebrochen und dass er anlässlich des am 8. August 2012 geführten Eingliederungsgesprächs selbst zu verstehen gegeben habe, er führe die mit der Werksärztin besprochene Schmerztherapie nicht weiter. Mit diesen fehlerhaften Angaben habe sie die Einschätzung verknüpft, der Kläger habe nicht alles getan, um seine Arbeitskraft wieder herzustellen. Sie habe so die negative Gesundheitsprognose untermauert.
2. Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Angabe, der Kläger habe die begonnene Schmerztherapie bereits nach kurzer Zeit abgebrochen, für die Beurteilung des geltend gemachten Kündigungsgrundes durch den Betriebsrat von Bedeutung war. Sofern sie nicht der Wahrheit entsprach – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – war sie objektiv geeignet, den Betriebsrat von einer sachgerechten Stellungnahme abzuhalten. Die Situation stellte sich aufgrund ihrer so dar, als sei der Kläger nicht bereit, an Maßnahmen zur Verbesserung seines Gesundheitszustands mitzuwirken. Dem Betriebsrat musste angesichts dessen der anderenfalls nahe liegende Vorschlag, statt das Arbeitsverhältnis zu kündigen möge die Beklagte zunächst weitere Erfolge der Schmerztherapie abwarten oder möge – ggf. mithilfe der Werksärztin – auf eine engermaschige Betreuung des Klägers bei der Umsetzung der Therapiemaßnahmen hinwirken, von vornherein als zwecklos erscheinen.
b) Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat unrichtig über Umstände unterrichtet, die für dessen Beurteilung des geltend gemachten Kündigungsgrundes zu Lasten des Arbeitnehmers von Bedeutung sein können, ist dies jedoch nur dann fehlerhaft iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, wenn diese Information bewusst falsch oder irreführend erfolgte. Dazu hat das Landesarbeitsgericht im Streitfall bislang keine Feststellungen getroffen.
aa) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.
(1) Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können (vgl. BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 15; 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – zu B II 2 a der Gründe). Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – aaO; 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – zu II 2 der Gründe).
(2) Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 14; 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 24, BAGE 146, 303). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – aaO; 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – aaO).
(a) Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 14; 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 24, BAGE 146, 303). Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13 – Rn. 46; 10. April 2014 – 2 AZR 684/13 – Rn. 22).
(b) Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, „bloß” objektive Fehl-information führt dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 26, BAGE 146, 303; 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 21). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber bei größerer Sorgfalt die richtige Sachlage hätte kennen können. Maßgeblich ist, ob er subjektiv gutgläubig und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan ist. Dies ist bei einer unbewussten Falschinformation dann der Fall, wenn sich der Inhalt der Unterrichtung mit dem tatsächlichen Kenntnisstand des Arbeitgebers deckt und der Betriebsrat damit auf derselben Tatsachenbasis wie dieser auf dessen Kündigungsabsicht einwirken kann (auf das Erfordernis desselben Kenntnisstands abstellend auch GK-BetrVG/Raab 10. Aufl. § 102 Rn. 67 mwN und Rn. 94).
(c) An einer ordnungsgemäßen Unterrichtung über die Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlt es wiederum dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen Beurteilung bedeutsame, zuungunsten des Arbeitnehmers sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteilt, von denen er selbst durchaus für möglich hält, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Es handelt sich in diesem Fall nicht um eine unbewusste Fehlinformation. Der Arbeitgeber ist nicht gutgläubig. Er stellt vielmehr seinen Kenntnisstand bewusst als umfassender dar, als er es in Wirklichkeit ist. Er nimmt damit in Kauf, den Betriebsrat in unzutreffender Weise zu unterrichten.
(3) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 15; 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – zu B II 2 a der Gründe). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung – ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers – auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (ebenso GK-BetrVG/Raab 10. Aufl. § 102 Rn. 68 und 94).
bb) Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, die Beklagte habe gewusst oder zumindest für möglich gehalten, dass ihre Mitteilung an den Betriebsrat, der Kläger habe die Schmerztherapie bereits nach kurzer Zeit abgebrochen, falsch oder irreführend war. Die Parteien haben hierzu widerstreitend vorgetragen. Der Beklagten wird Gelegenheit zu geben sein, näher darzulegen, inwiefern die Falschangabe in dem Unterrichtungsschreiben auf einem Missverständnis beruhen konnte. Nach ihrem bisherigen Vorbringen ist nicht nachvollziehbar, wie sie aufgrund der von ihr behaupteten Auskünfte der Werksärztin hat annehmen können, der Kläger habe die Schmerztherapie „abgebrochen”. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob insoweit tatsächlich eine dem eigenen Kenntnisstand entsprechende, damit gutgläubig erteilte und nur objektiv fehlerhafte Information des Betriebsrats vorlag. Die Beweislast für seine Gutgläubigkeit trägt der Arbeitgeber (BAG 22. September 1994 – 2 AZR 31/94 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 39; SPV/Preis 11. Aufl. Rn. 339).
11. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Zwar ist die Klage zulässig und die Kündigung nicht schon wegen § 7 KSchG wirksam. Es steht aber nicht fest, dass sie sozial ungerechtfertigt ist.
1. Die Klage ist – soweit ersichtlich – nicht etwa wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig, auch wenn die hier streitgegenständliche Kündigung schon zuvor gerichtlich angegriffen worden sein mag.
a) Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist eine Klage unzulässig, wenn der Kläger gegen dieselbe Partei eine Klage mit demselben Streitgegenstand bereits erhoben hat und diese bei der Entscheidung über die spätere Klage noch rechtshängig ist. Die Bestimmung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO dient dazu, mehrfache und einander möglicherweise widersprechende Entscheidungen der Gerichte zu vermeiden und den Klagegegner davor zu schützen, mit mehreren sachlich identischen Verfahren überzogen zu werden (BAG 12. Dezember 2000 – 9 AZR 1/00 – zu I 1 c aa der Gründe, BAGE 96, 352; 16. Juli 1996 – 3 ABR 13/95 – zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 83, 288; 15. Juli 1957 – 2 AZR 330/56 – BAGE 4, 301). Das Verfahrenshindernis der doppelten Rechtshängigkeit ist von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz zu beachten (BAG12. Dezember 2000 – 9 AZR 1/00 – zu I 1 a der Gründe, aaO; BGH 10. Oktober 1985 – I ZR 1/83 – zu I 1 der Gründe; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 261 Rn. 11). Das bedeutet wiederum nicht, dass das Revisionsgericht insoweit zur Amtsermittlung verpflichtet wäre. Solange ein das Hindernis begründender Sachverhalt weder behauptet, noch gerichtsbekannt oder erkennbar wahrscheinlich ist, braucht es ihm nicht nachzugehen (vgl. BGH 20. Januar 1989 – V ZR 173/87 – zu 2 der Gründe; 5. November 1975 – VIII ZR 73/75 – zu II 2 a der Gründe; Zöller/Greger aaO).
b) Im Streitfall hat weder die Beklagte behauptet, noch ist gerichtsbekannt oder doch erkennbar wahrscheinlich, dass eine bei Klageerhebung möglicherweise noch gegebene doppelte Rechtshängigkeit auch nur bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit fortbestanden hätte. Das Arbeitsgericht hat das Problem im Gütetermin erörtert, ist darauf aber in seinem Urteil nicht mehr eingegangen. Dies lässt darauf schließen, dass sich die frühere Klage bereits vor der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag im vorliegenden Verfahren – durch Rücknahme oder auf andere Weise – erledigt hatte. Hiervon sind im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch die Parteien ausgegangen.
2. Ebenso wenig gilt die Kündigung vom 16. November 2012 gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der Kläger hat die vorliegende Klage rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG erhoben. Dass sie wegen doppelter Rechtshängigkeit zunächst unzulässig gewesen sein mag, ist unschädlich. Die durch § 4 KSchG bezweckte „Warnung” des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer wolle sich gegen eine bestimmte Kündigung zur Wehr setzen (vgl. dazu BAG 31. März 1993 – 2 AZR 467/92 – zu B II 2 b bb und cc der Gründe, BAGE 73, 30), wird grundsätzlich auch durch eine unzulässige Klage erreicht (BAG 26. September 2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 40, BAGE 146, 161).
3. Dagegen steht noch nicht fest, ob die Kündigung iSd. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt ist.
a) Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers fand im Zeitpunkt der Kündigung der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung. Die Voraussetzungen der § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG sind erfüllt.
b) Die Beklagte hat die Kündigung auf krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers und damit auf Gründe in seiner Person iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gestützt.
aa) Eine mit häufigen (Kurz-)Erkrankungen des Arbeitnehmers begründete Kündigung ist sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen – erheblichen – Umfang kommen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen – zweite Stufe. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in Entgeltfortzahlungskosten liegen, wenn diese für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen jährlich zu erwarten sind (st. Rspr., zuletzt BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber angesichts der Belange des Arbeitnehmers gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – aaO; 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – aaO).
bb) Auf der Basis der bisherigen Feststellungen kann der Senat nicht beurteilen, ob im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose berechtigt war. Das Arbeitsgericht hat sich dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten angeschlossen und die Berechtigung einer solchen Prognose bejaht. Der Kläger hat gegen das Gutachten Einwände erhoben. Das Landesarbeitsgericht hat sich – nach seiner Rechtsauffassung konsequent – nicht mit der Frage befasst, ob den erstinstanzlichen Feststellungen zu folgen ist oder Zweifel an ihrer Richtigkeit iSv. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO angebracht sind.
cc) Wird zugunsten der Beklagten eine negative Gesundheitsprognose unterstellt, ist nicht ausgeschlossen, dass im Kündigungszeitpunkt eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu besorgen war. Die Beklagte hat sich sowohl auf die wirtschaftliche Belastung aufgrund der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten als auch auf eine Beeinträchtigung der Personaleinsatzplanung und der Betriebsabläufe berufen. Feststellungen dazu hat das Landesarbeitsgericht bislang nicht getroffen.
dd) Ebenso ist offen, zu welchem Ergebnis die auf der dritten Stufe gebotene Interessenabwägung führte. Ohne Feststellungen zu den zu erwartenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen kann nicht davon ausgegangen werden, die Abwägung müsse zwingend zu Lasten der Beklagten ausgehen. Im Übrigen wird ggf. aufzuklären sein, ob als milderes Mittel gegenüber der Beendigungskündigung die Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht kam. Sollte eine ausreichende Initiative zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) iSd. § 84 Abs. 2 SGB IX mit dem auch im Jahre 2012 über sechs Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Kläger nicht feststellbar sein, bestünden insoweit erhöhte Anforderungen an eine Darlegung von dessen objektiver Nutzlosigkeit durch die Beklagte (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 39 mwN).
(1) Die Beklagte hat sich bislang darauf beschränkt zu behaupten, dass sie sämtliche zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer Kündigung – einschließlich eines BEM – ergriffen habe. Die ordnungsgemäße Einladung zu einem wegen der Weigerung des Arbeitnehmers letztlich unterbliebenen BEM setzt allerdings gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX voraus, dass der Arbeitnehmer über dessen Ziele informiert sowie auf Art und Umfang der erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen worden ist (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32 mwN). Ob dem das mit dem Kläger am 8. August 2012 geführte Gespräch gerecht wurde, ist bisher nicht festgestellt.
(2) Sollte die Beklagte ihren Pflichten aus § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß nachgekommen sein, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, zur – möglichen – objektiven Nutzlosigkeit eines BEM vorzutragen (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 39 mwN). Allein aufgrund ihrer – streitigen – Behauptung, der Kläger habe einen Arbeitsplatzbezug seiner Beschwerden verneint, kann nicht davon ausgegangen werden, auch eine Veränderung der Arbeitsbedingungen oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes hätten keine leidensgerechte Beschäftigungsalternative dargestellt.
III. Von der nach § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO gebotenen Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ist auch dessen Entscheidung über den uneigentlichen Hilfsantrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung umfasst. Die Entscheidung über ihn ist abhängig von der Entscheidung über den Feststellungsantrag.
Unterschriften
Kreft, Berger, Rachor, Perreng, Bartz
Fundstellen
Haufe-Index 8889025 |
BAGE 2016, 118 |
BB 2016, 179 |
DB 2016, 298 |
DB 2016, 7 |