Entscheidungsstichwort (Thema)
Wechselschichtzulage
Leitsatz (amtlich)
”Ständige” Wechselschichtarbeit liegt dann vor, wenn die Wechselschichtarbeit zumindest für einen Zeitraum von zehn aufeinander folgenden Wochen geleistet wird.
Normenkette
MTL II vom 27. Februar 1964 i.d.F. vom 25. April 1994 § 29a
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 28. Juli 1999 – 4 Sa 642/98 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Wechselschichtzulage gem. § 29 a MTL II.
Der Kläger ist seit dem 15. November 1991 als Straßenwärter bei dem Beklagten mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit bis zum 29. Februar 1996 der Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder – MTL II – vom 27. Februar 1964 in der Fassung vom 25. April 1994 anwendbar. Ab dem 1. März 1996 gilt der Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder – MTArb –.
Bei der Autobahnmeisterei T besteht eine Notrufvermittlung, in der vier Fernsprechangestellte nach einem Schichtplan rund um die Uhr arbeiten. Sie erhalten eine Wechselschichtzulage gem. § 33 a BAT in Höhe von 200,00 DM monatlich.
Da diese Personalstärke nicht ausreicht, um den durchgehenden Schichtplan abzudecken, werden vier Arbeiter des Straßenunterhaltungspersonals, darunter der Kläger, als Aushilfsvermittler eingesetzt und zwar grundsätzlich montags und dienstags sowie als Urlaubs- und Krankheitsvertretung. Der Schichtplan umfaßt üblicherweise jeweils einen vierwöchigen Block, der ca. 70 Nachtstunden enthält. Nach drei Wochen Wechselschicht ist eine Woche frei.
Der Kläger war im Jahre 1995 am 7. Januar, am 7. März, vom 21. April bis zum 5. Mai, am 12. und 14. Mai als Aushilfsvermittler eingesetzt; weiterhin im hier streitigen Zeitraum vom 6. Juni bis zum 30. Juli 1995 und sodann vom 8. September bis zum 2. November 1995. Für die beiden letzteren Einsatzzeiten zahlte der Beklagte an den Kläger zunächst als Wechselschichtzulage 363,19 DM brutto sowie 370,56 DM brutto zuzüglich einer anteiligen Zuwendung von 144,70 DM brutto. Diese Beträge behielt er im März und im Mai 1996 wieder ein, nachdem er dies zuvor schriftlich angekündigt und der Kläger widersprochen hatte.
In der Zeit vom 31. Juli bis zum 7. September 1995 hatte der Kläger ca. vier Wochen Erholungsurlaub und arbeitete ca. zwei Wochen in seiner üblichen Tätigkeit als Straßenwärter.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe die einbehaltene Wechselschichtzulage zu. Für den Begriff des ständigen Wechselschichteinsatzes sei nicht erforderlich, daß zehn Wochen Wechselschicht ununterbrochen geleistet würden. Die zehn Wochen seien lediglich ein Berechnungszeitraum und keine Voraussetzung des Begriffs „ständig”. In den jeweiligen Vertretungszeiträumen sei der Kläger ständig in Wechselschicht mit den dafür typischen Belastungen eingesetzt gewesen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, an ihn 878,71 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Februar 1997 zu zahlen.
Der Beklagte meint, die Wechselschichtzulage stehe dem Kläger nicht zu, da er niemals zehn zusammenhängende Wochen Wechselschicht geleistet habe.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, während der Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat für den Klagezeitraum keinen Anspruch auf die Wechselschichtzulage gem. § 29 a MTL II.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Beklagte habe die gezahlten Wechselschichtzulagen zu Recht zurückgefordert, da dem Kläger kein Anspruch aus § 29 a MTArb zustehe. Er sei zwar „regelmäßig” bzw. „immer wieder” zur Wechselschicht herangezogen worden. Dies reiche aber nicht für die Erfüllung des Merkmals „ständig” im Sinne des § 29 a MTArb aus. Hierzu müsse eine noch intensivere Inanspruchnahme als eine zeitlich überwiegende vorliegen. Es sei nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte fordere, daß der Arbeiter zeitlich zusammenhängend für mindestens zehn Wochen in Wechselschicht eingesetzt werde. Ein kürzerer Referenzzeitraum erscheine unangemessen angesichts des Zwecks der Wechselschichtzulage, nämlich des Ausgleichs länger andauernder Erschwernisse und Umstellungen in der Lebensführung.
II. Diesen Ausführungen folgt der Senat im wesentlichen.
1. Die Vorschrift des § 29 a MTL II lautet, soweit von Interesse:
„§ 29a Wechselschicht und Schichtzulagen
(1) Der Arbeiter, der ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt ist, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (§ 15 Abs. 8 Unterabs. 6 Satz 2) vorsieht, und der dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht leistet, erhält eine Wechselschichtzulage von 200 DM monatlich.
(2) Der Arbeiter, der ständig Schichtarbeit (§ 15 Abs. 8 Unterabs. 7) zu leisten hat, erhält eine Schichtzulage, wenn
er nur deshalb die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt,
- weil nach dem Schichtplan eine Unterbrechung der Arbeit am Wochenende von höchstens 48 Stunden vorgesehen ist oder
- weil er durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht nur in je sieben Wochen leistet,
die Schichtarbeit innerhalb einer Zeitspanne von mindestens
- 18 Stunden
- 13 Stunden
geleistet wird.
Die Schichtzulage beträgt in den Fällen des
- Unterabsatzes 1 Buchst. a 120 DM,
Unterabsatzes b
- Doppelbuchst. aa 90 DM
- Doppelbuchst. bb 70 DM
monatlich.”
2. Der Begriff „ständig” wird vom Tarifvertrag selbst nicht erläutert. Sein Inhalt ist daher durch Auslegung zu ermitteln. Die Vorschrift ist gleichlautend mit § 29 a MTArb und § 33 a BAT. Deshalb kann zur Auslegung dieser tariflichen Bestimmungen die dazu ergangene Rechtsprechung herangezogen werden.
Die Auslegung normativer Teile von Tarifverträgen folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Dabei ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften(§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus zu berücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Auf ihn kann aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang geschlossen und der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie zB die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren Regelung führt(st. Rechtsprechung vgl. BAG 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8).
3. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff „ständig” gleichbedeutend mit „sehr häufig”, „regelmäßig” oder „fast ununterbrochen wiederkehrend”, „andauernd”, „dauernd”, „immer”, „ununterbrochen” und „unaufhörlich” verwandt(Duden Deutsches Universalwörterbuch 2. Aufl. S 1453; Wahrig Deutsches Wörterbuch 6. Aufl. S 1170). Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, fiel der Einsatz des Klägers als Aushilfsvermittler im Jahre 1995 unter die Begriffe „regelmäßig”, „immer wiederkehrend”, denn der Kläger ist einer von mehreren ständigen Vertretern der in der Notrufvermittlung eingesetzten Angestellten. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und dem Sinn und Zweck der Zulagen als Ausgleich längerfristiger Erschwernisse und Belastungen, die sich auf den Lebensrhythmus des Wechselschichtleistenden auswirken, ist jedoch zu schließen, daß der Begriff eher im Sinne von „von Dauer” bzw. „fast ausschließlich” zu verstehen ist, also eine wesentlich höhere Beanspruchung als „zeitlich überwiegend” voraussetzt. Es reicht nicht aus, daß der Wechselschichteinsatz zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit erfolgt(so auch BAG 12. November 1997 – 10 AZR 27/97 – nv. für den Begriff des „ständigen Schichtarbeiters” im Bereich des BMT-G II).
4. Für welchen Zeitraum Wechselschichtarbeit ausgeführt werden muß, um diese als „ständige” Wechselschichtarbeit im Tarifsinne anzusehen, haben die Tarifvertragsparteien nicht geregelt. Ein zeitlicher Rahmen, wie etwa ein Kalenderjahr, ein Kalenderhalbjahr oder -vierteljahr ist nicht angegeben.
Aus dem Umstand, daß es sich um eine monatliche Zulage handelt, deren Berechtigung für jeden Monat neu zu überprüfen ist(st. Rechtsprechung vgl. BAG 28. August 1996 – 10 AZR 174/96 – AP BAT § 36 Nr. 8; vom 5. Februar 1997 – 10 AZR 639/96 – AP BAT § 33 a Nr. 14) kann nicht der Schluß gezogen werden, daß es ausreicht, wenn im jeweiligen Kalendermonat Wechselschichtdienst geleistet wird. Gegen eine solche Auslegung spricht schon der Wortlaut der tariflichen Regelung, die hinsichtlich der Feststellung des Nachtschichtvolumens an einen längeren Zeitraum anknüpft.
Für die Auslegung des Begriffes „ständig” kann jedoch auch insoweit der der Feststellung des Nachtschichtvolumens zugrunde zu legende 10-Wochen-Zeitraum herangezogen werden. Wenn in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht zu leisten sind, um den Anspruch auf die Wechselschichtzulage zu begründen, so erfordert diese Feststellung die Betrachtung eines 10-Wochen-Zeitraums(BAG 18. Oktober 1995 – 10 AZR 853/94 – AP BAT § 33 a Nr. 8). Ist dieser Zeitraum mindestens für die Feststellung des Nachtschichtvolumens heranzuziehen, so muß sich die Wechselschichtarbeit auch mindestens auf diesen Zeitraum erstrecken, um als „ständige” im Tarifsinne angesehen werden zu können. Diese Auslegung entspricht auch der des Bundesministeriums des Innern(Rundschreiben vom 8. September 1998 an die obersten Bundesbehörden) und des Gruppenausschusses der VKA sowie der Kommentarliteratur(Scheuring/Steingen/Banse/Thovessen MTArb Stand Februar 2000 § 29 a; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand Juni 2000 für den gleichlautenden § 33 a BAT). Innerhalb dieses Zeitraums liegende Urlaubs- und Krankheitszeiten sind für den Anspruch nur dann von Bedeutung, wenn sie zum Ausfall von Nachtschichtstunden führen(vgl. BAG 7. Februar 1996 – 10 AZR 203/94 – AP BAT § 33 a Nr. 9).
5. Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt kein ständiger Wechselschichteinsatz des Klägers im Klagezeitraum vor. Zwar war der Kläger – gerechnet ab dem 1. April 1995 bis zum Jahresende – zu mehr als der Hälfte seiner Arbeitswochen – ohne Anrechnung des vierwöchigen Urlaubs – als Aushilfsvermittler und nicht als Straßenwärter und damit in Wechselschicht tätig. Dieser Einsatz reicht jedoch nicht aus, um das Merkmal „ständig” zu erfüllen.
Der Kläger wurde nicht für einen Zeitraum von mindestens zehn aufeinander folgenden Wochen zur Wechselschichtarbeit herangezogen. Abgesehen von seinem gelegentlichen Einsatz am Jahresanfang leistete er im Klagezeitraum zweimal je acht Wochen Wechselschichtarbeit. Dazwischen lag nicht nur ein vierwöchiger Urlaub, sondern auch eine zweiwöchige Tätigkeit als Straßenwärter. Dies steht der Annahme entgegen, daß die Wechselschichtdienstzeiten als Aushilfsvermittler als zusammenhängend angesehen werden können. Bei den zwei achtwöchigen Zeiträumen handelt es sich vielmehr jeweils um die neue Aufnahme einer Wechselschichttätigkeit, für die die Voraussetzungen zur Zahlung der Zulage jeweils gesondert zu prüfen und damit vorliegend zu verneinen sind.
Das Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Wechselschichtzulage. Durch sie sollen die Belastungen ausgeglichen werden, die sich aus einem ständigen Wechsel der Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum ergeben. Erst dann erreichen die Auswirkungen auf den Lebensrhythmus des Arbeitnehmers eine solche Schwere, daß die Tarifvertragsparteien sie mit einer Zulage ausgleichen wollen.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Böck, Marquardt, Bacher, Schmidt
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.08.2000 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 547207 |
BB 2000, 2642 |
DB 2001, 388 |
FA 2000, 395 |
ZTR 2001, 28 |
AP, 0 |
AuA 2001, 190 |
PersR 2001, 49 |
ZfPR 2001, 211 |