Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung von freiwilliger Zulage mit erhöhtem Tariflohn
Orientierungssatz
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können, soweit nicht besondere vertragliche Abreden entgegenstehen, außertarifliche Zulagen auf Tariflohnerhöhungen grundsätzlich angerechnet werden, es sei denn, die Arbeitsvertragsparteien hätten vereinbart, die übertarifliche Zulage solle als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn gezahlt werden.
Normenkette
TVG § 4; BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.03.1984; Aktenzeichen 5 Sa 125/83) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 01.09.1983; Aktenzeichen 3 Ca 366/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, eine freiwillig gezahlte außertarifliche Zulage auf die erhöhte Vergütung anzurechnen, die dem Kläger durch Urteil für zurückliegende Zeiträume zuerkannt wurde.
Der Kläger war vom 3. Dezember 1973 bis 31. Dezember 1979 bei den US-Stationierungsstreitkräften in Göppingen als Schlosser beschäftigt. Auf sein Arbeitsverhältnis fand kraft Organisationszugehörigkeit der TVAL II Anwendung. Er war in die Gewerbegruppe A 2 des § 61 TVAL II eingruppiert. Daneben erhielt er eine außertarifliche Zulage. Dies beruhte auf Ziff. 5 des Arbeitsvertrages, die folgenden Wortlaut hat:
"5. Die aussertarifliche Zulage (10c) ist eine
freiwillige Leistung und kann anlaesslich
einer allgemeinen Lohn-, Gehaltserhoehung,
einer Hoeher-, Herab- oder Umgruppierung oder
einer Stufensteigerung neu festgesetzt bzw.
dagegen aufgerechnet werden. Im uebrigen kann
die aussertarifliche Zulage mit einer Ankuen-
digungsfrist von 4 Wochen gekuerzt oder ent-
zogen werden."
Mit Schreiben vom 28. August 1978 verlangte der Kläger ab 1. März 1978 in die tarifliche Gewerbegruppe A 4 eingestuft zu werden. Als dies abgelehnt wurde, machte er den Anspruch auf Höhergruppierung zusammen mit neun weiteren Klägern im Klageweg geltend. Mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 1982 - 4 AZR 808/79 - wurde schließlich rechtskräftig festgestellt, daß der Kläger ab 1. März 1978 Anspruch auf Lohn nach der Gewerbegruppe A 4 des § 61 TVAL II hat. Die Differenz für die Zeit vom 1. März 1978 bis 31. Dezember 1979 beträgt unstreitig 1.626,20 DM. Die Beklagte zahlte diesen Betrag jedoch nicht aus, sondern verrechnete ihn mit der im gleichen Zeitraum gezahlten, unstreitig höheren freiwilligen außertariflichen Zulage.
Der Kläger ist der Ansicht, diese Verrechnung sei rechtswidrig. Nachdem er die Zahlung des Differenzbetrages mit Schreiben vom 10. November 1982 vergeblich geltend gemacht hatte, erhob er Klage, die der Beklagten am 2. August 1983 zugestellt wurde.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
1.626,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen
aus dem entsprechenden Nettobetrag
seit 15. Dezember 1982 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die rückwirkende Verrechnung der höheren Tarifvergütung mit der Zulage sei aufgrund der Ziff. 5 des Arbeitsvertrages zulässig. Sie verstoße auch nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, weil der effektive Lohn des Klägers sich durch die rückwirkende Anrechnung nicht verringert habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte war befugt, die übertarifliche Lohnzulage mit der durch die Höhergruppierung bedingten höheren Vergütung des Klägers zu verrechnen.
I. 1. Nach Ziff. 5 des Anstellungsvertrages zwischen dem Kläger und den US-Streitkräften kann die außertarifliche Zulage als freiwillige Leistung u. a. anläßlich einer Höher-, Herab- oder Umgruppierung oder einer Stufensteigerung neu festgesetzt bzw. dagegen aufgerechnet werden. Sie wird nach dem Vertrag nicht für eine besondere Leistung, besondere Erschwernisse der Arbeit des Klägers oder sonstige Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses gezahlt, sondern als allgemeine Zulage mit besonderem Freiwilligkeitsvorbehalt.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können, soweit nicht besondere vertragliche Abreden entgegenstehen, außertarifliche Zulagen auf Tariflohnerhöhungen grundsätzlich angerechnet werden, es sei denn, die Arbeitsvertragsparteien hätten vereinbart, die übertarifliche Zulage solle als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn gezahlt werden (vgl. statt vieler BAG Urteil vom 22. August 1979 - 5 AZR 769/77 - AP Nr. 11 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung; BAG 38, 118 ff. = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, jeweils m. w. N.). Dies gilt um so mehr, wenn die Arbeitsvertragsparteien - wie vorliegend - die Anrechenbarkeit der freiwillig gezahlten Zulage bereits im Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart haben. Ebenso ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig, außertarifliche Zulagen bei rückwirkenden Tariflohnerhöhungen auch rückwirkend anzurechnen. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß dies auch dann gilt, wenn die rückwirkende Anrechenbarkeit nicht ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart worden ist. Wie der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 10. März 1982 (BAG 38, 118, 122 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung) ausgeführt hat, stellt sich zwar bei rückwirkenden Tariflohnerhöhungen erst nachträglich heraus, daß bis zur Höhe des Erhöhungsbetrages ein bis dahin von den Arbeitsvertragsparteien als übertariflich angesehener Bestandteil des Effektivlohnes in Wahrheit Tariflohn war. Dies stellt aber nicht eine nachträgliche Änderung des Rechtsgrundes der Zahlung dar, die im Hinblick auf § 362 Abs. 1 BGB unter Umständen nicht zur Erfüllung des Tariflohnanspruches führen könnte. Rechtsgrund der gesamten Lohnzahlung ist nicht der Tarifvertrag, sondern stets die einzelvertragliche Lohnvereinbarung. Schließlich ergibt sich vorliegend auch nichts Abweichendes daraus, daß der höhere Tariflohn des Klägers ab 1. März 1978 nicht auf dessen allgemeiner Erhöhung, sondern auf einer rückwirkenden höheren Eingruppierung beruhte. Abgesehen davon, daß die Parteien die Anrechenbarkeit ausdrücklich auch für den Fall einer Höher-, Herab- oder Umgruppierung oder einer Stufensteigerung des Klägers vereinbart haben, stellen sich beide Fälle tatsächlich und rechtlich als Erhöhung des Tariflohnanteils an der Gesamtvergütung dar.
3. Das Landesarbeitsgericht hat schließlich zutreffend erkannt, daß die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien auch den Fall einer gerichtlichen Höhergruppierung des Klägers erfaßt. Die Angriffe der Revision gegen diese Auslegung der vertraglichen Vereinbarung durch das Berufungsgericht sind unbegründet. Das Revisionsgericht hat insoweit nur zu prüfen, ob der angenommene Erklärungswert entsprechend den gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) ermittelt worden ist (BAG Urteil vom 23. Januar 1980 - 5 AZR 780/78 - AP Nr. 12 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung, zu 3 a der Gründe). Das ist hier geschehen. Insbesondere hat das Berufungsgericht alle für die Auslegung der Vereinbarung in diesem Punkt wesentlichen Umstände berücksichtigt. Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, daß sich die Vereinbarung nur auf eine allgemeine Höhergruppierung bezieht. Dem widerspricht, daß die Parteien deutlich zwischen Lohn- bzw. Gehaltserhöhung einerseits, Höher-, Herab- oder Umgruppierung andererseits unterschieden und das Wort "allgemein" nur bei der Lohn- bzw. Gehaltserhöhung verwendet haben. Hätten sie nur eine allgemeine Höhergruppierung für die Anrechnung zulassen wollen, wäre es unverständlich, daß sie nach "Gehaltserhöhung" das Wort "einer" wiederholt haben. Gerade dadurch und durch die Erwähnung einer Stufensteigerung haben sie vielmehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß jedwede Veränderung dieser Merkmale berechtigen sollte, die Zulage anzurechnen.
4. Entgegen der Auffassung der Revision waren die Rückforderungsansprüche der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Verrechnung mit den höheren Lohnansprüchen des Klägers noch nicht gemäß § 49 TVAL II verfallen. Nach dieser Tarifvorschrift können Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis von beiden Seiten rückwirkend nur innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten vom Tage der Aushändigung der Abrechnung an den Arbeitnehmer geltend gemacht werden, soweit es sich um Ansprüche aus fehlerhafter Berechnung des Arbeitsverdienstes handelt (§ 49 Ziff. 1, 2 a TVAL II). Für alle anderen Ansprüche beträgt die Ausschlußfrist dagegen drei Monate vom Tage der Maßnahme oder Unterlassung an, auf die sich der Anspruch stützt. Insoweit sind wiederum ausgenommen Ansprüche aus der Eingruppierung in eine andere Lohn- oder Gehaltsgruppe oder aus der Eingruppierung in einen anderen Lohn- oder Gehaltstarif; diese können für einen Zeitraum bis zu sechs Monaten rückwirkend geltend gemacht werden (§ 49 Ziff. 1, 2 b und 3 TVAL II). Es kann hier dahingestellt bleiben, wann der Anspruch des Klägers auf den rückwirkend höheren Lohn nach der Tarifgruppe A 4 des § 61 TVAL II fällig geworden ist, nach Rechtskraft des Eingruppierungsurteils oder jeweils mit den monatlichen Lohnansprüchen im Rückwirkungszeitraum; der Anspruch der Beklagten auf dessen Verrechnung mit der freiwilligen Zulage entstand nach Ziff. 5 des Anstellungsvertrages jedenfalls erst mit der Höhergruppierung durch das Urteil vom 9. Juni 1982. Erst mit der Rechtskraft dieses Urteils konnte die Beklagte die Zulage neu festsetzen bzw. gegen sie aufrechnen, da erst ab diesem Zeitpunkt feststand, ob und in welcher Höhe dem Kläger die von ihm geltend gemachten höheren Lohnansprüche zustanden. Innerhalb der von da ab laufenden Ausschlußfrist des § 49 TVAL II hat die Beklagte ihren Anspruch aber unstreitig geltend gemacht.
5. Die nach alledem zulässige Anrechnung der dem Kläger gewährten außertariflichen Zulage auf die ihm nach der rückwirkenden gerichtlichen Höhergruppierung zustehende höhere Tarifvergütung verstößt nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der dem Kläger während des Rechtsstreits um seine Höhergruppierung tatsächlich gezahlte Lohn hat sich der Höhe nach nicht verändert; die Beklagte verlangt von ihm nicht die Rückgewähr der den höheren Tariflohn übersteigenden Beträge der Zulage. Die Anrechnung verstößt auch nicht deshalb gegen Treu und Glauben, weil der Kläger dadurch - zumindest so lange, bis die Tariflohnerhöhung die bereits gezahlte Zulage aufgezehrt hat - keinen unmittelbaren und sofortigen finanziellen Erfolg durch die gerichtlich erzwungene Höhergruppierung erlangt hat. Insoweit hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger durch die höhere Eingruppierung einen höheren Tariflohnanteil erhält, der einer Veränderung durch die Beklagte entsprechend der Ziff. 5 Satz 2 des Arbeitsvertrages entzogen ist. Darüber hinaus wirkt sich die höhere Eingruppierung auch bei Tariflohnerhöhungen allgemeiner Art durch einen entsprechend höheren Anteil des Tariflohns am Gesamtlohn aus, und bei Tariflohnerhöhungen zumindest von dem Zeitpunkt an, in dem die Differenz des vor und nach der Höhergruppierung zu zahlenden Tariflohns die bis zur Anrechnung gezahlten Beträge der Zulage aufgezehrt hat. Damit behält der Kläger den Erfolg seiner gerichtlichen Höhergruppierung, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, wobei diese Verzögerung auf der vertraglichen Vereinbarung der Parteien beruht.
II. 1. Soweit der Kläger in der Revisionsschrift vorträgt, die Beklagte verstoße mit der Anrechnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sie auch den nach der Gewerbegruppe A 4 eingestuften Arbeitnehmern eine entsprechende außertarifliche Zulage zahle, handelt es sich um neues Vorbringen, das nach § 561 ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Der Kläger hat zwar in der Klageschrift die Auffassung vertreten, die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung entspreche nicht den guten Sitten, da anderen Arbeitnehmern der Gewerbegruppe A 4 ebenfalls außertarifliche Zulagen gezahlt wurden. Dieser Vortrag ist aber im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß der Beklagten gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz völlig unsubstantiiert. Abgesehen davon, daß damit noch nicht einmal behauptet worden ist, daß allen in der neuen Gewerbegruppe eingestuften Arbeitnehmern eine Zulage gezahlt worden ist, läßt sich daraus nicht entnehmen, welcher Art die behauptete Zulage ist und in welcher Höhe sie ausgezahlt wurde. Es bestand deshalb für beide vorinstanzlichen Gerichte kein Anlaß, nach § 139 ZPO sachdienliche Fragen im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu stellen.
2. Schließlich hat die Beklagte bei der Anrechnung auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt. Insoweit hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, daß das Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 31. Januar 1984 - 1 ABR 46/81 - (AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang = DB 1984, 1351) entschieden hat, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe dann nicht, wenn das Arbeitsentgelt für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tariflich geregelt sei und der Arbeitgeber zum tariflich geregelten Entgelt einen übertariflichen Zuschlag zahle, der an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist, sondern nur zur unterschiedlichen Erhöhung des tariflichen Entgelts führe. Durch die Einräumung eines Mitbestimmungsrechtes auch insoweit würde entgegen § 87 Abs. 1 BetrVG Eingangssatz die Frage, welches Entgelt für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu zahlen ist, letztlich nach den Vorstellungen des Betriebsrats bestimmt bzw. mitbestimmt werden. Hiervon abzuweichen besteht kein Anlaß. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es sich hier, wie die Revision meint, überhaupt um eine abstrakt generelle Regelung des Lohns aller nach Gewerbegruppe A 2/A 4 eingestuften Arbeitnehmer der Beklagten handelt.
Dr. Thomas Michels-Holl Schneider
Dr. Kalb Halberstadt
Fundstellen