Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvorrang bei Annahmeverzug. Arbeitslohn. Tarifauslegung. Tarifrecht. Tarifrecht öffentl. Dienst
Orientierungssatz
- Bestimmt ein Tarifvertrag, daß sich die Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nach dem Arbeitsanfall richtet, ohne zugleich eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festzulegen, so findet die für einzelvertragliche Vereinbarungen geltende Bestimmung des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 BeschFG, wonach eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gilt, keine Anwendung.
- Eine solche Tarifnorm ist, soweit sie von der Festlegung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit absieht, nicht wegen Verstoßes gegen zwingende Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts unwirksam.
Normenkette
BGB §§ 134, 138, 615, 622; KSchG §§ 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Der Kläger ist seit dem 1. Juli 1990 bei dem beklagten Landkreis als amtlicher Tierarzt beschäftigt. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 7. Juni 1990 haben die Parteien bestimmt:
“…
§ 2
Dem Angestellten obliegt die Durchführung der Schlachttier- und Fleischuntersuchung – der Trichinenuntersuchung – der Ergänzungsuntersuchung – in dem ihm vom Veterinäramt der Kreisverwaltung T…. zu diesem Zweck zugewiesenen Beschaubezirk.
§ 3
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich ausschließlich nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 01. April 1969 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.
…
§ 5
Dem Arbeitgeber bleiben vorbehalten: Die Grenzen des zugewiesenen Beschaubezirks zu ändern, den zugewiesenen Beschaubezirk zu teilen, weitere amtliche Tierärzte und Kontrolleure in den zugewiesenen Beschaubezirk einzustellen, dem Angestellten zusätzlich einen anderen Beschaubezirk oder einen Teil von diesem auf Zeit zuzuweisen.
…”
In dem Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe (TV Ang aöS) vom 1. April 1969 heißt es:
“…
Abschnitt IIIa. Arbeitszeit
§ 11a
Arbeitszeit
Die Arbeitszeit des Angestellten richtet sich nach dem Arbeitsanfall. In Großbetrieben (§ 12 Abs. 1 Unterabs. 4) wird die möglichst gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung vom Arbeitgeber geregelt. Ist der Angestellte verhindert, seine Arbeit aufzunehmen, hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen,
…
Abschnitt IV. Vergütung
§ 12
Vergütung
(1) Für die Tätigkeiten, für die in den Anlagen 1 und 2 zu diesem Tarifvertrag Stückvergütungen vorgesehen sind, stehen dem Angestellten Stückvergütungen zu. …
…
(5) Für Tätigkeiten, für die in den Anlagen 1 und 2 keine Stückvergütungen vorgesehen sind, steht dem Angestellten eine Stundenvergütung zu. …
…”
Der Kläger war innerhalb eines ihm zugewiesenen Untersuchungsbezirks und an einem in dem privaten Schlachthof der Firma Q.… in K.… bestehenden “Beschauamt Fleischwarenfabrik Q….” (fortan: Beschauamt) als stellvertretender Beschauamtsleiter tätig. Dieses Beschauamt war Teil des Veterinäramtes T…. Der Kläger erzielte nach einer Aufstellung des Beklagten 61 % seiner Gesamtvergütung durch seine Tätigkeit in dem Beschauamt. Im Jahr 1997 betrug die für diese Tätigkeit gezahlte Vergütung ohne die Feiertagsvergütungen insgesamt 20.664,66 DM.
Nachdem die Firma Q…. dem Beklagten mitgeteilt hatte, daß der Schlachtbetrieb in K…. zum 1. Januar 1998 wegen Verlegung dieser Arbeiten in den Betrieb der Firma H…. in Th…. (Landkreis B….) eingestellt werde, entschloß der Beklagte sich, das Beschauamt zu schließen und gegenüber den sechs betroffenen Mitarbeitern – drei amtlichen Tieräzten und drei Fleischkontrolleuren – Änderungskündigungen auszusprechen. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1997 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich mit Wirkung zum 31. März 1998 und bot ihm gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. April 1998 mit der Maßgabe fortzusetzen, daß seine bisherigen Tätigkeiten und Funktionen im Beschauamt in K…. ab diesem Zeitpunkt entfallen. Der Kläger nahm die geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt an.
Der Kläger hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung – die Zahlung restlicher Arbeitsvergütung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1998 verlangt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs verpflichtet, ihm bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die bisher im Beschauamt durchschnittlich vereinbarte monatliche Vergütung in unstreitiger Höhe von 2.007,90 DM fortzuzahlen. Dieser Anspruch sei nicht durch § 11a TV Ang aöS ausgeschlossen. Zwar sei dort bestimmt, daß sich die Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall richte. Dadurch werde aber nur dem Umstand Rechnung getragen, daß in privaten Schlachtbetrieben täglich wechselnde Fleischmengen verarbeitet würden und die tägliche Arbeitszeit deshalb nicht im voraus festgelegt werden könne. Das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko sei durch diese Bestimmung aber nicht vollständig auf die Arbeitnehmer abgewälzt worden.
Der Kläger hat – soweit noch von Bedeutung – beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.007,90 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 5. Februar 1998 sowie 2.007,90 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 5. März 1998 zu zahlen;
- den Beklagten zu verurteilen, 2.007,90 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 5. April 1998 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zahlung von Verzugslohn. Seit dem 1. Januar 1998 stehe dem Kläger nur eine Vergütung für die Beschäftigung im Untersuchungsbezirk zu. Der Beklagte befinde sich nicht im Annahmeverzug. Durch § 11a TV Ang aöS sei das grundsätzlich dem Arbeitgeber obliegende Betriebs- und Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer verlagert worden. Dies betreffe nicht nur den Fall, daß bei fortbestehendem Schlachtbetrieb die Zahl der Untersuchungsfälle variiere; auch ein Absinken der Beschäftigungsmöglichkeiten auf Null im Falle einer Betriebsstillegung sei von der Tarifbestimmung erfaßt. Da eine Beschäftigungsmöglichkeit im Beschaumt nach der Einstellung des Schlachtbetriebs in der Fleischwarenfabrik Q…. in K…. seit dem 1. Januar 1998 nicht mehr bestehe, seien von diesem Zeitpunkt an die Voraussetzungen eines Annahmeverzugs des Arbeitgebers entfallen.
Das Arbeitsgericht hat den Zahlungsansprüchen des Klägers iHv. je 1.790,94 DM für Januar und März 1998 sowie 1.653,17 DM für Februar 1998 stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf die Berufung des Beklagten die Klage, soweit sie die Zahlung restlichen Lohns für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1998 betraf, als unbegründet abgewiesen. Der Beklagte befand sich während dieser Zeit nicht in Annahmeverzug. Dies folgt aus § 11a TV Ang aöS.
- Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt, für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Dieser Anspruch steht dem Kläger jedoch nicht zu, weil er kraft tarifvertraglicher Vereinbarung das Risiko tragen muß, das sich für seine Beschäftigung aus der Schließung des Beschauamtes ergibt.
- Zwar schloß es den Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht begrifflich aus, daß die Beschäftigungsmöglichkeit im Beschauamt mit Wirkung vom 1. Januar 1998 durch Verlagerung der Schlachtungen der Firma Q…. in einen anderen Landkreis weggefallen war. Durch die Einstellung des Schlachtbetriebes in K…. wurde die Unterhaltung des Beschauamtes sinnlos. Als ein Fall des Wirtschaftsrisikos ist dies grundsätzlich der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen (vgl. insoweit BAG 23. Juni 1994 – 6 AZR 853/93 – BAGE 77, 123), wobei unerheblich ist, daß in dessen eigentlichen Einflußbereich die Einstellung des Schlachtbetriebs als solche nicht fällt (BAG 23. Juni 1994 – 6 AZR 853/93 – aaO; 30. Mai 1963 – 5 AZR 282/62 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 15).
Von dieser Verteilung des Betriebsrisikos ist vorliegend jedoch, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, durch tarifvertragliche Regelung zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen worden. Die Arbeitszeit der amtlichen Tierärzte richtet sich nach dem Arbeitsanfall (§ 11a TV Ang aöS). Dies führt dazu, daß bei Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit durch Stillegung des Schlachtbetriebes der Anspruch auf Vergütung entfällt.
- Tarifverträge können die Vergütungspflicht des Arbeitgebers bei Annahmeverzug und auch im Fall des Betriebsrisikos abweichend regeln, da es sich um tarifdispositives Gesetzes- bzw. Richterrecht (Betriebsrisikolehre) handelt (BAG 23. Juni 1994 – 6 AZR 853/93 – aaO; 8. Dezember 1982 – 4 AZR 134/80 – BAGE 41, 123; 6. November 1968 – 4 AZR 186/68 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 16 = EzA BGB § 615 Nr. 12; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 323; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rn. 599; Schaub Arbeitsrechtshandbuch 9. Aufl. § 101 Rn. 11; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 915). Eine solche Abweichung muß mit hinreichender Deutlichkeit normiert sein (BAG 30. Januar 1991 – 4 AZR 338/90 – BAGE 67, 118; Küttner/Schlegel Personalbuch 2000 Betriebsstörung Rn. 8).
- Der erkennende Senat hat im Urteil vom 23. Juni 1994 (– 6 AZR 853/93 – aaO) angenommen, § 12 TV Ang aöS enthalte keine von grundsätzlich abweichende Verteilung des Betriebsrisikos zuungunsten des Arbeitnehmers, da nur die Berechnung der Vergütung, nicht aber das geschuldete Arbeitszeitvolumen geregelt sei. Auf diese Regelung kommt es für die Frage des Annahmeverzugs nicht mehr an, nachdem zum 1. August 1994 durch den 25. Änderungstarifvertrag vom 26. Juni 1994 die Vorschrift des § 11a TV Ang aöS in den Tarifvertrag eingefügt worden ist (vgl. BAG 29. Januar 1998 – 6 AZN 869/97 – nv.).
Durch diese Tarifbestimmung haben die Tarifvertragsparteien das Wirtschaftsrisiko auf die Arbeitnehmer verlagert. Da der Kläger keinen Anspruch auf eine Mindestbeschäftigung hat, steht ihm mangels anderweitiger tariflicher Regelung auch während des Laufs der Kündigungsfrist kein Anspruch auf Zahlung von Vergütung auf Grund Annahmeverzugs des Beklagten zu (vgl. auch Hessisches LAG 30. Mai 1997 – 13 Sa 1467/96 –).
- Im Urteil vom 12. März 1992 (– 6 AZR 311/90 – BAGE 70, 62) hat der erkennende Senat angenommen, daß die Regelung in § 12 Satz 1 TV Ang iöS, wonach sich die Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall richtet, dem Arbeitgeber ein einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit einräumt. Dies gilt entsprechend für die im wesentlichen gleichlautende – in Kenntnis der vorgenannten Senatsentscheidung in den TV Ang aöS eingefügte – Regelung des § 11a Satz 1. Der Arbeitnehmer kann danach grundsätzlich nur beanspruchen, daß der Arbeitgeber die Angestellten möglichst gleichmäßig zur Arbeitsleistung heranzieht (§ 11a Satz 2 TV Ang aöS); es besteht aber, soweit einzelvertraglich nichts anderes vereinbart ist, kein Anspruch auf eine Mindestbeschäftigung.
- Entgegen der Auffassung des Klägers gilt nicht deshalb etwas anderes, weil der TV Ang aöS keine dem § 13 Abs. 1 TV Ang iöS vergleichbare Regelung enthält. Nach dieser Bestimmung wird Vergütung nur für angeordnete und geleistete Arbeit gezahlt. Durch eine solche Regelung wird im allgemeinen die Vorschrift des § 616 BGB über die Fortzahlung der Vergütung bei Arbeitsverhinderung aus persönlichen Gründen ausgeschlossen (BAG 9. März 1983 – 4 AZR 301/80 – BAGE 42, 94; 8. März 1961 – 4 AZR 223/59 – BAGE 11, 34; Schaub Arbeitsrechtshandbuch 9. Aufl. § 101 Rn. 11; Preis Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht S 332; Palandt/Putzo BGB 60. Aufl. § 615 Rn. 5). Eine Abbedingung des Lohnanspruchs bei Annahmeverzug des Arbeitgebers nach § 615 BGB oder eine Regelung des Betriebsrisikos bedeutet eine solche Klausel im Zweifel nicht (BAG 8. März 1961 – 4 AZR 223/59 – aaO). Mangels weiterer Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, daß durch § 13 Abs. 1 Satz 1 TV Ang iöS lediglich § 616 BGB abbedungen wird.
Von dem Wortlaut der Tarifbestimmung des § 11a TV Ang aöS wird auch der Fall erfaßt daß der Beschäftigungsbedarf dauerhaft vollständig entfällt, etwa weil der Schlachtbetrieb ganz eingestellt und das Beschauamt, an dem der Arbeitnehmer ausschließlich beschäftigt ist, stillgelegt wird. Gleiches gilt, wenn der Angestellte – wie vorliegend – nicht nur in einem Beschauamt, sondern außerdem in einem ambulanten Beschaubezirk eingesetzt wird.
Der tariflichen Regelung sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien den Fall der mangelnden Beschäftigungsmöglichkeit während der Kündigungsfrist nicht bedacht haben und ihn andernfalls im Sinne der vom Kläger begehrten Entgeltsicherung geregelt hätten. Der bloße Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sichert dem Mitarbeiter bei fehlendem Arbeitsanfall keine Vergütungsansprüche, so daß es einer ausdrücklichen Regelung bedurft hätte, wenn die Tarifvertragsparteien dem Arbeitnehmer bei dieser Sachlage für die Dauer der Kündigungsfrist Entgeltansprüche hätten sichern wollen (vgl. insoweit BAG 16. März 1999 – 9 AZR 314/98 – AP BGB § 615 Nr. 84; 23. September 1992 – 4 AZR 566/91 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 21 = EzA TVG § 4 Rundfunk Nr. 17). Da ein Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei Fortbestand des Fleischbeschauamtes eine erhebliche Reduzierung seiner Arbeitszeit – auch auf weniger als 10 Stunden wöchentlichhinnehmen müßte, bedürfte es deutlicher Anhaltspunkte dafür, daß bei völligem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit der Lohn für die Dauer der Kündigungsfrist in entsprechender Anwendung der §§ 13, 17 TV Ang aöS gewährt werden soll. Anhaltspunkte für eine solche Besserstellung des gekündigten Arbeitnehmers enthält der Tarifvertrag nicht.
Die tarifliche Regelung ist wirksam.
- Die Regelung verstößt nicht gegen § 4 BeschFG. Die tarifliche Abweichung von den Mindestbeschäftigungszeiten des § 4 Abs. 1 BeschFG ist, obwohl sie für den Arbeitnehmer ungünstiger ist als die gesetzliche Regelung, nach § 6 Abs. 1 BeschFG zulässig (vgl. BAG 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – aaO).
Es liegt auch kein Verstoß gegen zwingende Vorschriften des Kündigungsund Kündigungsschutzrechts vor. Auch hier kann der erkennende Senat auf die entsprechend geltenden Ausführungen in seinem Urteil vom 12. März 1992 (– 6 AZR 311/90 – aaO) verweisen, wo er angenommen hat, daß die von § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 BeschFG abweichende entsprechende Regelung in § 12 Satz 1 TV Ang iöS, wonach sich die Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall richtet, dem Arbeitgeber wirksam ein einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit einräumt. Sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seiner Entstehungsgeschichte ersetzt § 6 BeschFG den sonst durch das Kündigungsrecht gewährleisteten Schutz des Arbeitnehmers gegen Änderung der Arbeitsbedingungen durch die autonomen Regelungen der sachkundigen Tarifvertragsparteien (BAG 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – aaO; zustimmend Mosler Anm. zu AP BeschFG § 4 Nr. 1; vgl. auch Hromadka FS Kissel S 417, 427). Der Tarifvorbehalt des § 6 BeschFG führt dazu, daß die Wertungen des Kündigungsschutzgesetzes hinter der ausdrücklichen Zulassung auch ungünstigerer tariflicher Bestimmungen zurücktreten. Der im übrigen durch kündigungs- und kündigungsschutzrechtliche Vorschriften begründete Bestandsschutz ist insoweit eingeschränkt (Löwisch BB 1985, 1200, 1204).
Ein Widerspruch zu den Entscheidungen des erkennenden Senats vom 27. Januar 1994 (– 6 AZR 541/93 – BAGE 75, 327) sowie des Ersten Senats vom 18. Oktober 1994 (– 1 AZR 503/93 – AP BGB § 615 Kurzarbeit Nr. 11 = EzA § 615 Kurzarbeit Nr. 2), nach denen die Regelung in § 15 Abs. 5 BAT-O eine objektive Umgehung zwingender Vorschriften des Kündigungsrechts darstellt und daher unwirksam ist, entsteht nicht. Der Senat hat es insoweit unter Hinweis auf die Entscheidung des Siebten Senats vom 12. Dezember 1984 (– 7 AZR 509/83 – BAGE 47, 314) als unzulässig angesehen, daß der Arbeitgeber durch § 15 Abs. 5 BAT-O ein einseitiges Gestaltungsrecht besitzt, das ihn berechtigt, ohne Bindung an Kündigungsfristen und Kündigungsgründe einseitig in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses einzugreifen. Die ohne nähere Voraussetzungen zulässige Anordnung von Kurzarbeit – so die Meinung des erkennenden Senats – ermächtige den Arbeitgeber nicht, zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt und in einem von ihm bestimmten Umfang den Beschäftigungsund Lohnanspruch des Arbeitnehmers auf unbestimmte Zeit zu verkürzen oder auszuschließen. Der Erste Senat hat in dieser Regelung weiter eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG gesehen. Diese Grundsätze betreffen nicht die vorliegende Fallgestaltung. Zum einen lagen den Entscheidungen keine Teilzeitarbeitsverhältnisse mit flexiblen Arbeitszeiten, sondern Arbeitsverhältnisse mit auf Grund arbeitsvertraglicher oder tarifvertraglicher Regelung verbindlich festgelegtem Beschäftigungsumfang zugrunde. Entscheidend war in diesen Fällen zum anderen, daß für die – grundsätzlich zulässige – Anordnung von Kurzarbeit keine tariflichen Voraussetzungen normiert worden waren.
Die Tarifvertragsparteien haben durch die Regelung in § 11a Satz 1 TV Ang aöS auch die sonstigen Grenzen ihres normativen Gestaltungsspielraums nicht überschritten.
- Es ist zwar nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben. Die Gerichte haben jedoch zu kontrollieren, ob durch die tarifliche Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschritten werden (vgl. BAG 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – aaO; 25. Februar 1987 – 8 AZR 430/84 – BAGE 54, 210, 213 f.; 27. November 1991 – 4 AZR 533/89 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 103 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 87 mwN). Diese können sich nicht nur aus zwingendem Gesetzesrecht, sondern auch aus dem Grundgesetz, den guten Sitten oder tragenden Grundsätzen des Arbeitsrechts ergeben (BAG 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – aaO). Eine tarifliche Regelung kann deshalb auch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtsunwirksam sein (vgl. BAG 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – aaO unter Hinweis auf BAG 10. Oktober 1989 – 3 AZR 200/88 – BAGE 63, 100).
Derartige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Regelung verstößt insbesondere weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). In dem Urteil vom 12. März 1992 (– 6 AZR 311/90 – aaO) hat der Senat angenommen, § 12 Satz 1 TV Ang iöS sei nicht wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unwirksam. Er hat insoweit folgendes ausgeführt:
“… Die Tarifvertragsparteien tragen dadurch, daß sie dem Arbeitgeber im Geltungsbereich des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen ein einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit der Angestellten entsprechend dem Arbeitsanfall einräumen, den Besonderheiten des Betriebes öffentlicher Schlachthöfe in geeigneter und erforderlicher Weise Rechnung. Die Arbeitszeit der Angestellten läßt sich dem wechselnden Schlachtaufkommen mit kündigungsrechtlichen Maßnahmen nicht anpassen. Diese könnten ihrerseits unverhältnismäßig sein, da bei unterschiedlichem Schlachtaufkommen nicht jeweils der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher in Frage gestellt, sondern nur eine entsprechende Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall erreicht werden soll. Den nicht vollbeschäftigten Angestellten, die im Geltungsbereich des Tarifvertrages eingestellt werden, sind diese Regelung und ihre Gründe zudem bereits bei der Einstellung bekannt, so daß ein Vertrauensschutz in bezug auf eine bestimmte Mindestdauer der Arbeitszeit nicht begründet werden kann. Die Tarifvertragsparteien verpflichten den Arbeitgeber ferner, bei Ausübung seines Gestaltungsrechts für eine gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung zu sorgen. Dies unterliegt der gerichtlichen Kontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. Weiter ist der Arbeitnehmer dadurch geschützt, daß er durch unverzügliche Anzeige geltend machen kann, er sei verhindert, seine Arbeit aufzunehmen (§ 12 Satz 3 TV), und so den Folgen des Schuldnerverzugs entgehen kann. Von dem im Berufungsurteil befürchteten schrankenlosen Bestimmungsrecht des Arbeitgebers kann somit keine Rede sein. … Mit diesen Einschränkungen des Bestimmungsrechts haben die Tarifvertragsparteien eine Regelung getroffen, die sich im Rahmen ihres normativen Gestaltungsspielraums hält. …”
Diese Erwägungen gelten entsprechend für die Regelung in § 11a Satz 1 TV Ang aöS. Auch hier begegnet der Ausschluß einer Vergütung während der Kündigungsfrist bei fehlender Beschäftigungsmöglichkeit keinen Bedenken. Da die Tarifvertragsparteien das Wirtschaftsrisiko im ungekündigten Arbeitsverhältnis wirksam auf die Arbeitnehmer verlagert haben, so daß auch der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bei fehlender Beschäftigungsmöglichkeit einen Vergütungsanspruch nicht garantiert, gilt für das gekündigte Arbeitsverhältnis insoweit nichts anderes. Eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer liegt nicht vor.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Hinsch, G. Helmlinger
Fundstellen
Haufe-Index 892459 |
NZA 2002, 112 |
NJOZ 2002, 349 |