Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnanspruch bei Weiterbeschäftigungsurteil
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein Arbeitgeber verurteilt, einen Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen, so bewirkt dies nicht, daß das gekündigte Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die rechtskräftige Entscheidung über die Kündigungsschutzklage fortbesteht (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, vgl BAG Urteil vom 10.3.1987, 8 AZR 146/84 = BAGE 54, 232 = AP Nr 1 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung).
2. Zahlt der Arbeitgeber in einem solchen Fall den Arbeitslohn, ohne den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, so erfüllt er dadurch im Zweifel seine bei Unwirksamkeit der Kündigung bestehende Verpflichtung nach § 615 Satz 1 BGB. Eine Vereinbarung, nach der das gekündigte Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die Abweisung der Kündigungsschutzklage oder durch eine rechtsgestaltende Entscheidung nach § 9 KSchG fortgesetzt wurde oder eine andere Vereinbarung, kraft derer der Arbeitnehmer den nach wirksamer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlten Arbeitslohn behalten darf, hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen.
Normenkette
BGB § 611; KSchG § 9; BGB § 818 Abs. 2, § 615 S. 1; ZPO § 717 Abs. 2; BetrVG § 102 Abs. 5; BGB § 812 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.03.1989; Aktenzeichen 3 Sa 362/88) |
ArbG Göttingen (Entscheidung vom 22.01.1988; Aktenzeichen 3 Ca 731/87) |
Tatbestand
Der Kläger war bei der Beklagten als Verkäufer beschäftigt. Am 21. August 1986 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Im Kündigungsschutzprozeß stellte das Arbeitsgericht durch Urteil vom 13. Februar 1987 fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Gleichzeitig verurteilte es die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
In den Monaten Mai bis August 1987 zahlte die Beklagte die Gehälter des Klägers in Höhe von insgesamt 7.069,-- DM weiter. Arbeitsleistungen erbrachte der Kläger in diesem Zeitraum nicht, ausgenommen während eines halben Tages am 30. Mai 1987.
Durch Urteil vom 22. September 1987 wies das Landesarbeitsgericht im Kündigungsrechtsstreit die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Feststellungsantrags rechtskräftig zurück, löste aber auf den Hilfsantrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1986 auf und verurteilte die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 2.500,-- DM.
Mit der am 18. September 1987 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst Vergütung für die Zeit von August 1986 bis August 1987 sowie die Zahlung eines Urlaubsgelds und einer Sonderzuwendung für das Jahr 1986 verlangt. Die ursprünglich auf 20.185,46 DM bezifferte Klage hat der Kläger später auf Lohnansprüche für August und September 1986 (466,46 DM und 1.516,-- DM) sowie auf Resturlaubsgeld für 1986 (175,-- DM) und eine anteilige Sonderzuwendung für 1986 (454,80 DM) beschränkt. Zugleich hat er die Klage um einen Anspruch auf Abfindung (2.500,-- DM) erweitert. Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen
Bruttobetrag in Höhe von 2.612,26 DM abzüg-
lich des an die Bundesanstalt für Arbeit im
Wege des Forderungsübergangs zu erstattenden
Arbeitslosengelds für die Zeit vom 22. Au-
gust 1986 bis zum 30. September 1986 sowie
einen Nettobetrag in Höhe von 2.500,-- DM zu
zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gegen die der Höhe nach unstreitigen Klageansprüche mit den für Mai bis August geleisteten Gehaltszahlungen aufgerechnet. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger habe für die Zeit nach dem 30. September 1986 kein Arbeitsentgelt zugestanden. Er müsse den Schaden ersetzen, der ihr durch die Befolgung des Weiterbeschäftigungsurteils entstanden sei.
Wegen des die Klageforderung übersteigenden Betrags hat die Beklagte am 29. September 1987 Widerklage erhoben mit dem Antrag,
den Kläger zu verurteilen, an sie 1.956,74 DM
brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 29. Septem-
ber 1987 zu zahlen.
Der Kläger hat die Abweisung der Widerklage beantragt.
Das Arbeitsgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die Beklagte kann von dem Kläger den mit der Widerklage geforderten Betrag verlangen. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Zahlung des Teilgehalts für Juli 1987 in Höhe von 361,74 DM und des Gehalts für August 1987 in Höhe von 1.595,-- DM, die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Gegenstand der Widerklage sind.
I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht allerdings angenommen, daß die Beklagte den Anspruch auf Rückzahlung nicht auf § 717 Abs. 2 ZPO stützen kann.
Der Beklagten ist durch eine Zwangsvollstreckung des Klägers kein Schaden entstanden, denn der Kläger hat wegen des Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht vollstreckt. Der Beklagten ist auch kein Schaden dadurch entstanden, daß sie in Abwendung der Vollstreckung geleistet hat. Die Zahlungen der Beklagten waren nicht geeignet, die Zwangsvollstreckung wegen des Weiterbeschäftigungsanspruchs abzuwenden. Der Kläger hätte trotz dieser Leistungen seine tatsächliche Beschäftigung im Betrieb der Beklagten im Vollstreckungsweg durchsetzen können, wenn er dies gewollt hätte.
II. Die Beklagte kann von dem Kläger aber Rückzahlung des mit der Widerklage geforderten Betrags verlangen, weil der Kläger diesen ohne Rechtsgrund erlangt hat (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 818 Abs. 2 BGB).
1. Das gekündigte Arbeitsverhältnis kommt als Rechtsgrund nicht in Betracht. Es bestand in der Zeit nach dem 30. September 1986 nicht fort.
Zwar hat das Berufungsgericht im Kündigungsschutzprozeß in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht die fristlose Kündigung vom 21. August 1986 als unwirksam angesehen. Es hat aber das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1986 aufgelöst (§ 9 Abs. 2 KSchG). Für die Zeit danach scheidet das Arbeitsverhältnis somit als Grundlage eines Vergütungsanspruchs aus.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Revisionserwiderung bestand in der Zeit nach dem 30. September 1986 auch kein durch den endgültigen Ausgang des Kündigungsrechtsstreits auflösend bedingtes Arbeitsverhältnis.
a) Das Landesarbeitsgericht meint, aufgrund der Weiterbeschäftigungsentscheidung des Arbeitsgerichts vom 13. Februar 1987 habe bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts im Vorprozeß am 22. September 1987 in Fortführung des gekündigten Arbeitsverhältnisses ein wirksames Arbeitsverhältnis bestanden, das lediglich auflösend bedingt gewesen sei durch die Abweisung der Kündigungsschutzklage oder durch die hier ergangene, auf den 30. September 1986 zurückwirkende rechtsgestaltende Auflösungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts.
b) Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß es für die Wirkung eines Urteils, in dem der Arbeitgeber verurteilt wird, den Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen, keinen Unterschied macht, ob die Kündigungsschutzklage vom Landesarbeitsgericht später rechtskräftig abgewiesen wird, oder ob dieses, wie hier, das Arbeitsverhältnis durch eine Entscheidung nach § 9 KSchG auflöst. In beiden Fällen endet das Arbeitsverhältnis nicht erst im Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Kündigungsschutzprozesses, sondern in dem Zeitpunkt, in dem es bei wirksamer Arbeitgeberkündigung enden sollte.
c) Nicht zu folgen ist dem Landesarbeitsgericht jedoch, soweit es meint, durch die Weiterbeschäftigungsentscheidung sei eine "Arbeitsbeziehung" entstanden, die als Fortsetzung des ursprünglich vertraglich begründeten Arbeitsverhältnisses anzusehen sei.
Der erkennende Senat hat bereits im Urteil vom 10. März 1987 (BAGE 54, 232, 235 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung, zu I 1 der Gründe), in dem es um Ansprüche eines Arbeitnehmers ging, der, anders als der Kläger, tatsächlich weiterbeschäftigt wurde, die Auffassung abgelehnt, das Arbeitsverhältnis werde während des Weiterbeschäftigungszeitraums bedingt durch den endgültigen Ausgang des Kündigungsrechtsstreits fortgesetzt. Er hat dies damit begründet, daß das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers während des Kündigungsrechtsstreits nur die tatsächliche Beschäftigung erfordere (vgl. BAG, GS, Beschluß vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122, 153 ff. = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, zu C II 3 b der Gründe), nicht aber den Fortbestand des wirksam gekündigten Arbeitsverhältnisses rechtfertige. Die Gründe, die Berufungsurteil und Revisionserwiderung dagegen anführen, veranlassen den Senat nicht, seine Auffassung zu ändern.
Berufungsgericht und Revisionserwiderung verweisen zu Recht darauf, daß in den "Parallelfällen" des § 102 Abs. 5 BetrVG und der Aufforderung des Arbeitnehmers zur Weiterbeschäftigung durch den Arbeitgeber Rechtsgründe für die Weiterbeschäftigung vorliegen, die von der Wirksamkeit der Kündigung unabhängig sind. Dies hat auch der erkennende Senat nicht in Abrede gestellt (vgl. BAGE 54, 232, 237 = AP, aaO, zu I 4 der Gründe; BAGE 53, 17 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Nicht gerechtfertigt ist jedoch die darauf gestützte Annahme des Berufungsurteils, auch bei der aufgrund einer Weiterbeschäftigungsentscheidung entstandenen "Arbeitsbeziehung" handele es sich um nichts anderes als um das Fortführen des ursprünglich vertraglich begründeten Arbeitsverhältnisses. Gegen diese Auffassung spricht, daß die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Arbeitnehmers auf das ideelle Beschäftigungsinteresse gerichtete Rechtsfortbildung, die zur Bejahung des Weiterbeschäftigungsanspruchs während des Kündigungsrechtsstreits geführt hat, jedenfalls für den Arbeitslohn, um den es vorliegend geht, keiner Erweiterung zugänglich ist, weil das materielle, auf Erlangung des Entgelts gerichtete Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers hinreichend durch § 615 BGB gesichert ist (BAG, GS, BAGE 48, 122, 155 = AP, aaO, zu C II 3 b der Gründe; erkennender Senat BAGE 54, 232, 239 = AP, aaO, zu I 6 a der Gründe). Diese Erkenntnis setzt im Gegensatz zur Revisionserwiderung nicht voraus, daß das gekündigte Arbeitsverhältnis als auflösend bedingt fortgesetzt angesehen wird, sondern schließt dies gerade aus. Die Revisionserwiderung verkennt somit, daß sich aus der Rechtsgrundlage des Weiterbeschäftigungsanspruchs nichts für die Rechtsgrundlage eines Vergütungsanspruchs herleiten läßt.
3. Rechtsgrundlage der Gehaltszahlungen war auch nicht ein Vertrag, den die Parteien nach der Kündigung geschlossen haben.
a) Zwar können Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich oder konkludent vereinbaren, daß das Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage fortgesetzt wird. Dies hat der erkennende Senat, wie bereits erwähnt, im Urteil vom 4. September 1986 (BAGE 53, 17 = AP, aaO) im Anschluß an die Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 50, 370 = AP Nr. 66 zu § 1 LohnFG) anerkannt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien eine ausdrückliche Vereinbarung nicht getroffen. Allein die Zahlung der Gehälter durch die Beklagte und deren Annahme durch den tatsächlich nicht weiterbeschäftigten Kläger berechtigen nicht zu der Annahme, die Parteien hätten das Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung des Kündigungsrechtsstreits fortgesetzt. Liegen keine Umstände vor, die zu einer gegenteiligen Annahme veranlassen, so ist davon auszugehen, daß ein Arbeitgeber, der während des Kündigungsschutzprozesses an einen tatsächlich nicht weiterbeschäftigten Arbeitnehmer den Lohn zahlt, dadurch seine bei Unwirksamkeit der Kündigung bestehende Verpflichtung aus § 615 Satz 1 BGB erfüllt. Für die Vereinbarung einer Fortsetzung des gekündigten Arbeitsverhältnisses trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast.
b) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts berechtigen Zahlung und Annahme der Gehälter auch nicht zu der Annahme, daß die Parteien einen sonstigen selbständigen Rechtsgrund geschaffen haben, der vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses unabhängig sein sollte. Dem Arbeitsgericht kann nicht darin gefolgt werden, die Parteien hätten schlüssig einen "Abkauf des Weiterbeschäftigungsanspruchs" vereinbart. Auch für eine derartige Vereinbarung hätte der Kläger Tatsachen behaupten müssen, aus denen sich ergab, daß die Beklagte nicht nur gemäß § 615 Satz 1 BGB zahlte.
4. Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung auch geltend, die Beklagte habe durch Ablehnung der Weiterbeschäftigung treuwidrig den Eintritt der "Bedingung" verhindert, unter der nach der Rechtsprechung des Senats für den Kläger nach § 812 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Ersatz des Werts der geleisteten Arbeit entstanden wäre (vgl. Urteil des Senats vom 10. März 1987, aaO). Die Beklagte müsse sich deshalb so behandeln lassen, als hätte sie den Kläger weiterbeschäftigt.
Der Kläger verkennt, daß nur die tatsächlich erfolgte Weiterbeschäftigung einen solchen Ersatzanspruch hätte begründen können. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Weiterbeschäftigung aus dem von ihm erstrittenen Urteil hat der Kläger jedoch unterlassen.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Plenge Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 441641 |
BAGE 67, 88-93 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
BAGE, 88 |
BB 1991, 1413 |
BB 1991, 1413-1414 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
DB 1991, 1836-1836 (Leitsatz 1-2) |
DStR 1991, 1198-1198 (Gründe) |
NJW 1991, 2589 |
NJW 1991, 2589-2590 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
SteuerBriefe 1992, 219-220 (Kurzwiedergabe) |
EBE/BAG 1991, 115-116 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
BetrVG, (7) (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
Stbg 1991, 579-579 (Kurzwiedergabe) |
EWiR 1991, 887 (Leitsatz) |
JR 1991, 484 |
JR 1991, 484 (red. Leitsatz) |
NZA 1991, 769-770 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
RdA 1991, 253 |
SAE 1992, 358-360 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
ZIP 1991, 1092 |
ZIP 1991, 1092-1094 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
AP § 611 BGB, Nr 8 |
AR-Blattei, ES 440 Nr 26 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht, Nr 51 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
MDR 1991, 1072 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |