Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuß zum Kurzarbeitergeld
Normenkette
Gemeinsamer Manteltarifvertrag für die Arbeiter und Angestellten der Metall- und Elektroindustrie des Landes Thüringen (GMTV) vom 8. März 1991 §§ 3, 28
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Urteil vom 26.11.1993; Aktenzeichen 3 Sa 489/93) |
ArbG Erfurt (Urteil vom 03.11.1992; Aktenzeichen 6 Ca 417/92) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 1993 – 3 Sa 489/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger einen Anspruch auf Zuschuß zum Kurzarbeitergeld nach dem Gemeinsamen Manteltarifvertrag für die Arbeiter und Angestellten der Metall- und Elektroindustrie des Landes Thüringen (GMTV) hat, den die Industriegewerkschaft Metall und der Verband der Metall- und Elektroindustrie in Thüringen e. V. am 8. März 1991 abgeschlossen haben.
Der am 17. März 1938 geborene Kläger ist Mitglied der IG Metall. Er war seit dem 1. September 1952 bei der ebenfalls tarifgebundenen Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1991 kündigte die Beklagte dem Kläger zum 31. März 1992. Für die Zeit ab dem 1. Januar 1992 ordnete die Beklagte für den Kläger nach § 64 AFG-DDR Kurzarbeit ohne Verpflichtung zur Arbeitsleistung an.
Mit seiner Klage hat der Kläger die rechnerisch unstreitige Differenz zwischen dem an ihn ausgezahlten Kurzarbeitergeld für das 1. Quartal 1992 und dem ihm bei regelmäßiger Arbeit in dieser Zeit zustehenden Nettoarbeitsentgelt geltend gemacht. Der Kläger hat sich dabei auf § 3 Nr. 5 GMTV gestützt. In diesem Tarifvertrag heißt es u. a.:
„§ 3
Kurzarbeit
1. Kurzarbeit kann, wenn es die Beschäftigungslage des Betriebes erfordert, nach Abschluß einer Betriebsvereinbarung für die gesamte oder einen Teil der Belegschaft (nicht für einzelne Arbeitnehmer) eingeführt werden. Arbeitszeit im Sinne von § 69 AFG ist die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gemäß § 2 Ziff. 1 der von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer.
2. Die Ankündigungsfrist beträgt 14 Kalendertage.
…
5. Wird einem Arbeitnehmer vor Einführung, bei Beginn oder während der Kurzarbeit gekündigt, so hat er für die Dauer der Kündigungsfrist Anspruch auf den Verdienst, der der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entspricht.
Wird in diesem Fall der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist in Kurzarbeit einbezogen, so hat er bei Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld (§ 64 AFG) für die Dauer der Kündigungsfrist keinen Anspruch auf Zahlung des vollen Arbeitsverdienstes für die Ausfallstunden. Er hat lediglich gegen den Arbeitgeber Anspruch auf einen Zuschuß zum Kurzarbeitergeld, durch den der Arbeitnehmer einschließlich des Kurzarbeitergeldes einen Verdienst erhält, der der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entspricht.
Der Anspruch entfällt, wenn die Kündigung aus einem in der Person des Arbeitnehmers liegenden wichtigen Grund erfolgte.
…
§ 28
Schlußbestimmungen
1. …
§ 3 Ziffern 1 bis 4 treten am 1. Juli 1991 in Kraft, § 3 Ziffer 5 tritt erst am Tage nach dem letzten Tag der Anwendbarkeit von § 63 Abs. 5 des Arbeitsförderungsgesetzes der DDR in Kraft.
…
Die anderen Bestimmungen dieses Tarifvertrages treten am 1. April 1991 in Kraft.”
Der Kläger hat den Standpunkt vertreten, ihm stehe für das 1. Quartal 1992 der Zuschuß zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 5 Abs. 2 GMTV zu. Zum 31. Dezember 1991 sei § 63 Abs. 5 AFG-DDR außer Kraft getreten. Daß er vor diesem Zeitpunkt gekündigt worden sei, ändere an seinem Anspruch nichts.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.734,38 DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger erfülle eine der Anspruchsvoraussetzungen von § 3 Nr. 5 Abs. 2 GMTV nicht. Er sei nicht nach, sondern vor Außerkrafttreten des § 63 Abs. 5 AFG-DDR und damit außerhalb des Geltungsbereichs der tariflichen Anspruchsnorm gekündigt worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat den ihm vom Landesarbeitsgericht zuerkannten Anspruch auf Zuschuß zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 5 Abs. 2 GMTV.
I. Der Gemeinsame Manteltarifvertrag vom 8. März 1991 findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG Anwendung.
II. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen eines – in seiner rechnerischen Höhe unstreitigen – Anspruchs auf Zuschuß zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 5 Abs. 2 GMTV. Das Landesarbeitsgericht hat die zwischen den Parteien umstrittene Auslegungsfrage zu Recht zugunsten des Klägers entschieden: Voraussetzung des Anspruchs auf Zuschuß ist nur, daß ein gekündigter Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist und nach Inkrafttreten von § 3 Nr. 5 GMTV in Kurzarbeit einbezogen wurde. Darauf, wann er gekündigt worden war, kommt es nicht an.
1. Der Kläger erfüllt vom 1. Januar bis zum 31. März 1992 die Anspruchsvoraussetzungen von § 3 Nr. 5 Abs. 2 Satz 2 in Verb. mit § 3 Nr. 5 Abs. 1 GMTV. Ihm war von seiten der Beklagten im Dezember 1991 zum 31. März 1992 gekündigt worden. Während der laufenden Kündigungsfrist, ab dem 1. Januar 1992, wurde er in die bei der Beklagten angeordnete und nach § 64 AFG-DDR geförderte Kurzarbeit einbezogen.
2. Dem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, daß ihm bereits am 20. Dezember 1991 gekündigt worden war.
Allerdings ist § 3 Nr. 5 GMTV nach § 28 Nr. 1 Satz 2 GMTV erst am 1. Januar 1992 in Kraft getreten. Bis zum 31. Dezember 1991 einschließlich war § 63 Abs. 5 AFG-DDR noch anwendbar. Das bedeutet jedoch nicht, daß ein Anspruch auf Zuschuß zum Kurzarbeitergeld nach § 3 Nr. 5 Abs. 2 GMTV nur dann besteht, wenn der in Kurzarbeit einbezogene Arbeitnehmer am 1. Januar 1992 oder später gekündigt worden ist. Der Anspruch entstand, wenn ein – wann auch immer – gekündigter Arbeitnehmer ab dem 1. Januar 1992 während der laufenden Kündigungsfrist in betriebliche Kurzarbeit einbezogen wurde.
a) Der Wortlaut von § 3 Nr. 5 GMTV ist nicht eindeutig. Einerseits haben die Tarifvertragsparteien einen ausformulierten Nebensatz in Präsens Passiv gebildet, der darauf deuten könnte, hier werde eine Anspruchsvoraussetzung ausformuliert, auch was den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung angeht. Die Wortwahl „ein gekündigter Arbeitnehmer …” wäre im Sinne des Klägers klarer gewesen. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch recht, wenn es darauf hinweist, daß mit dieser abgekürzten Formulierung nicht alle in § 3 Nr. 5 GMTV angesprochenen Regelungsalternativen hätten abgedeckt werden können. Hierfür war die von den Tarifvertragsparteien gewählte ausführliche Satzkonstruktion erforderlich. Aus der Wortwahl kann deshalb nicht der Schluß gezogen werden, es komme für die Entstehung des Anspruchs auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung an.
b) Entscheidend für den Kläger sprechen systematische und am Sinn und Zweck der tariflichen Regelung orientierte Gründe.
(1) § 3 GMTV regelt Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für betriebliche Kurzarbeit. Er modifiziert keine Kündigungsbefugnisse. Damit stimmt es überein, daß das Inkrafttreten von § 3 Nr. 5 GMTV von der Entwicklung des Arbeitsförderungsrechts bei § 63 Abs. 5 AFG-DDR abhängig gemacht wurde. § 3 Nr. 5 GMTV soll dann in Kraft treten, wenn eine bestimmte Erleichterung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ausgelaufen ist.
(2) Das allein an der Entwicklung einer Norm über das Kurzarbeitergeld orientierte Regelungsziel der Tarifvertragsparteien wird deutlich, betrachtet man § 63 Abs. 5 AFG-DDR und dessen praktische Handhabung.
Mit dem herkömmlichen Kurzarbeitergeld, das eine Hilfe der Arbeitsförderung bei konjunkturellen Beschäftigungseinbrüchen in Betrieben ist und mit dem Arbeitsund Entgeltausfälle vorübergehender Natur teilweise ausgeglichen werden, hätte im Sommer 1990 im Gebiet der damaligen DDR wenig geholfen werden können. Es war bereits damals erkennbar, daß mit dem Übergang zur Marktwirtschaft die bis dahin unterhaltenen unrentablen Arbeitsplätze nicht erhalten bleiben würden. Die ostdeutsche Wirtschaft hätte mit dem Tag des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen den beiden deutschen Staaten Freisetzungen in erschreckender Höhe vornehmen müssen. Aus diesem Grund wurde im Arbeitsförderungsgesetz der DDR mit § 63 Abs. 5 AFG-DDR ein neuartiges Kurzarbeitergeld für strukturelle Arbeitsausfälle geschaffen. Die Regelung zielte auf die vorübergehende Vermeidung von Entlassungen und Arbeitslosigkeit ab. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen war nicht Ziel der Regelung. Es ging darum, die Arbeitsverhältnisse möglichst zu verlängern und in dieser Zeit die in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmer soweit zu fördern, daß ihre Chancen am Arbeitsmarkt sich wesentlich verbesserten (GK-AFG Feckler, Stand Juni 1994, § 63 Rz 49 f.). Die Arbeitgeber sollten dazu veranlaßt werden, die Möglichkeiten des § 63 Abs. 5 AFG-DDR auszuschöpfen. Durch die Verpflichtung, während einer Kurzarbeit nach § 63 Abs. 5 AFG-DDR Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld zahlen zu müssen, wäre den Arbeitgebern jeder Anreiz genommen worden, dieses Instrument im Interesse der Arbeitnehmer auszunutzen.
Hiermit stimmt es überein, daß die Tarifvertragsparteien von dem Zeitpunkt an, in dem die nach § 63 Abs. 5 AFG-DDR erleichterte Möglichkeit der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld entfiel, bei Durchführung von Kurzarbeit Verdienstsicherungen für gekündigte Arbeitnehmer einführten. Seit dem Außerkrafttreten des § 63 Abs. 5 AFG-DDR gilt auch im Beitrittsgebiet der allgemeine Grundsatz, daß die Durchführung von Kurzarbeit der langfristigen Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen soll. Wird jetzt Kurzarbeit eingeführt und von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert, dann sollen nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien die Arbeitnehmer, die trotz dieser Zielsetzung ihren Arbeitsplatz verlieren, einen Zuschuß zum Kurzarbeitergeld erhalten. Der Zuschuß soll sie im Ergebnis ebenso stellen, als wären sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertragsgemäß beschäftigt worden.
Bei diesem Regelungsziel kommt es nicht darauf an, wann den Arbeitnehmern gekündigt worden ist. Entscheidend ist, daß sich die betriebliche Durchführung von Kurzarbeit mit Außerkrafttreten des § 63 Abs. 5 AFG-DDR nicht mehr zum Nachteil der Arbeitnehmer auswirken soll, die trotz der Durchführung von Kurzarbeit aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung ohne eigenes Verschulden ausscheiden müssen. Unabhängig vom Zeitpunkt der Kündigungserklärung kann ab dem 1. Januar 1992 im Hinblick auf die Sonderregelung des § 63 Abs. 5 AFG-DDR eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erreicht werden. Es bestand deshalb für die Tarifvertragsparteien von diesem Zeitpunkt an kein Anlaß mehr, die Regelung über den Anspruch auf Zuschuß zum Kurzarbeitergeld, die bereits im März 1991 verabredet worden war, weiter hinauszuschieben und den Arbeitgeber für die Ausnutzung des § 63 Abs. 5 AFG-DDR zu belohnen.
c) Das Landesarbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, daß ein anderes Verständnis von § 3 Nr. 5 in Verb. mit § 28 Nr. 1 Satz 2 GMTV zu offenbar unbilligen, von den Tarifvertragsparteien nicht gewollten Ergebnissen führen würde: Wollte ein Arbeitgeber trotz nach § 64 AFG-DDR geförderter Kurzarbeit zum 31. März 1992 in bestimmtem Umfang Arbeitsplätze entfallen lassen, mußte er älteren, länger beschäftigten Arbeitnehmern bereits zum Jahresende 1991 kündigen. Jüngeren, kürzer beschäftigten Arbeitnehmern konnte er noch bis Mitte März 1992 kündigen, um denselben Kündigungstermin zu erreichen. Nach dem Verständnis der Beklagten vom Inhalt des § 3 Nr. 5 GMTV hätte der jüngere, kürzer beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zuschuß zum Kurzarbeitergeld, der ältere Arbeitnehmer nicht.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Schoden, Furchtbar
Fundstellen