Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung einer Rente aus Vordienstzeiten
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Tarifvertrag darf vorsehen, daß ein Arbeitgeber nur verpflichtet ist, Betriebsrenten zu erbringen, wenn die Gesamtversorgung aus gesetzlicher Sozialversicherung und Betriebsrente bestimmte, am letzten Gehalt orientierte Versorgungsobergrenzen nicht übersteigt.
2. Zur gesetzlichen Sozialversicherung zählen auch solche Renten, die aus Versicherungszeiten in früheren Arbeitsverhältnissen herrühren.
Orientierungssatz
Auslegung des Tarifvertrages über eine Ruhegeldordnung für die Arbeiter der Dortmunder Stadtwerke Aktiengesellschaft vom 20.2.1975 in der Fassung vom 2.12.1982.
Normenkette
BetrAVG § 5
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 01.07.1986; Aktenzeichen 6 Sa 2180/85) |
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 27.09.1985; Aktenzeichen 8 Ca 2385/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berücksichtigung einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung bei einer Versorgungsobergrenze, soweit sie aufgrund Versicherungszeiten in einem früheren Arbeitsverhältnis erworben ist.
Der im Jahre 1923 geborene Kläger war nach einer Tätigkeit in der Privatwirtschaft vom 1. Februar 1952 bis zum 31. März 1978 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Er ist bei ihr wegen Dienstunfähigkeit ausgeschieden. Seit Vollendung seines 60. Lebensjahres bezieht er vorgezogenes Altersruhegeld für Schwerbehinderte.
Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem Tarifvertrag über eine Ruhegeldordnung für die Arbeiter der Dortmunder Stadtwerke Aktiengesellschaft vom 20. Februar 1975 in der Fassung vom 2. Dezember 1982 (TV-Ruhegeld). Versorgungsberechtigt sind Arbeiter, wenn sie nach vollendetem 20. Lebensjahr ununterbrochen mindestens fünf Jahre lang bis zum Beginn einer Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Beklagten beschäftigt waren. Das Ruhegeld beträgt nach einer fünfjährigen ununterbrochenen Beschäftigung 7,5 v.H. des ruhegeldfähigen Arbeitsverdienstes. Es steigt nach zehn Jahren mit jedem weiteren vollendeten Jahr der ununterbrochenen Beschäftigung um 0,5 v.H. bis auf höchstens 25 v.H. des ruhegeldfähigen Arbeitsverdienstes. Wegen der Anrechnung anderweitiger Versorgungsbezüge heißt es in § 7 TV-Ruhegeld:
"(1) Das nach § 6 berechnete Ruhegeld wird insoweit
gekürzt, als es zusammen mit den jeweiligen
Renten und sonstigen Bezügen aus der
gesetzlichen Rentenversicherung sowie den Bezügen,
Renten oder Pensionen, die mit Rücksicht
auf ein früheres Arbeitsverhältnis im
öffentlichen Dienst gezahlt werden, 75 v.H.
des jeweiligen Endlohnes nach der Monatslohntabelle
des Kommunalen Arbeitgeberverbandes
Nordrhein-Westfalen zum Monatslohntarifvertrag
zum BMT-G einschl. des bei den Dortmunder
Stadtwerken Aktiengesellschaft gezahlten
Leistungszuschlages, mindestens jedoch von
115 v.H.
des jeweils in Frage kommenden Monatstabellenlohnes
nach der jeweils gültigen Monatslohntabelle
des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Nordrhein-Westfalen
zum Monatslohntarifvertrag zum
BMT-G übersteigt.
Durch die Kürzung darf ein Mindestruhegeld nicht
unterschritten werden. ..."
Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 1. Juli 1983 betriebliches Ruhegeld. Sie berechnete aus dem ruhegehaltsfähigen Arbeitsverdienst von 2.474,76 DM eine Versorgungsobergrenze von 2.053,29 DM. Hiervon setzte sie die gesetzliche Sozialversicherungsrente von 1.669,70 DM ab. Das für eine 26jährige Dienstzeit zu zahlende betriebliche Ruhegeld in Höhe von 15,5 v.H. der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge (383,59 DM) kürzte sie wegen Überschreitens der Versorgungsobergrenze auf 356,99 DM. Dieser Betrag wird seit 1983 jährlich der Vergütungs- und Rentenentwicklung angepaßt.
Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, daß die Rentenanteile, die aus seiner früheren Tätigkeit in der Privatwirtschaft herrührten, nicht auf seine Versorgung angerechnet werden dürfen. Dies folge daraus, daß nach der Anrechnungsbestimmung in dem TV-Ruhegeld für Arbeiter nur die jeweilige Rente angerechnet werde, dagegen nach dem Tarifvertrag über die Ruhegehälter für Dauerangestellte die volle Rente. Zumindest verstoße die Anrechnung der vollen Rente gegen Grundsätze des Betriebsrentenrechts, des Verfassungsrechts und vor allem der Gleichbehandlung. Ein Arbeitnehmer, der während seiner früheren Dienstzeit nur einen geringeren Versicherungsanspruch erworben habe, erhalte für die gleiche Dienstzeit ein höheres Ruhegeld.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte die ihm aufgrund
der ihm zugesagten Betriebsrente zustehenden
Versorgungsbezüge nicht um die Beträge
aus der gesetzlichen Rentenversicherung
kürzen darf, die auf Rentenanwartschaften beruhen,
die er nicht aus der Tätigkeit bei der
Beklagten erworben hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Anrechnungsbestimmung mit Rechtsvorbringen verteidigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte darf die aus einer anderweitigen Tätigkeit herrührenden Teile der gesetzlichen Altersrente des Klägers anrechnen.
1. Dem Kläger stehen aufgrund des im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen TV-Ruhegeld Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu. Die Betriebsrente darf zusammen mit der Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung die in § 7 Abs. 1 TV-Ruhegeld bestimmte Versorgungsobergrenze nicht überschreiten. Der Tarifvertrag ist insoweit eindeutig; er läßt keine Auslegung dahin zu, daß nur bestimmte Teile der Sozialversicherungsrente berücksichtigt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
2. Die tarifliche Festsetzung einer Versorgungsobergrenze ist rechtswirksam.
Die Gerichte für Arbeitssachen überprüfen Tarifverträge allein darauf, ob sie gegen höherrangiges Recht, also die Verfassung, europäisches Gemeinschaftsrecht, zwingendes Gesetzesrecht oder die guten Sitten verstoßen (BAGE 22, 144 = AP Nr. 12 zu § 15 AZ0, zu IV 3 der Gründe; 18, 217 = AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe; 22, 252 = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu A IV 3 b der Gründe; 46, 394 = AP Nr. 21 zu § 1 TVG). Ein solcher Verstoß ist nicht zu erkennen.
3. Der Kläger irrt, wenn er die Rechtsauffassung vertritt, Teile der gesetzlichen Sozialversicherungsrente dürften im Rahmen der Versorgungsobergrenze nicht berücksichtigt werden, soweit sie auf Versicherungszeiten in Vorarbeitsverhältnissen beruhen. Die Einführung von Obergrenzen für eine aus Sozialversicherung und betrieblicher Altersversorgung zusammengesetzte Gesamtversorgung verstößt nicht gegen zwingende Vorschriften des Betriebsrentengesetzes.
a) Für die von der beklagten Gebietskörperschaft gewährte Versorgung ist § 5 BetrAVG nicht durch § 18 BetrAVG ausgeschlossen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG dürfen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht durch Anrechnung oder Berücksichtigung anderer Versorgungsbezüge gekürzt werden, soweit diese auf eigenen Beiträgen des Versorgungsempfängers beruhen. Dieses Anrechnungs- und Berücksichtigungsverbot gilt jedoch nicht für Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, soweit sie auf Pflichtbeiträgen beruhen sowie für sonstige Versorgungsbezüge, die mindestens zur Hälfte auf Beiträgen oder Zuschüssen des Arbeitgebers beruhen. Diese Ausnahme vom Anrechnungsverbot findet sich bereits in den Gesetzentwürfen zum Betriebsrentengesetz (vgl. BT-Drucks. 7/1281 zu § 5; BT-Drucks. 7/2843 zu § 5, S. 8, 25). Das Gesetz trägt damit sowohl den Interessen des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers in gleicher Weise Rechnung. Der Arbeitgeber soll in den Stand versetzt werden, das für ihn erwachsende Risiko der betrieblichen Altersversorgung zu kalkulieren, indem er nur die Versorgungslücke zwischen der gesetzlichen Sozialversicherung und einem Prozentsatz des letzten Gehaltes abdeckt. Den Interessen der Arbeitnehmer dient die Anrechnung und Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialversicherung, da nur so gewährleistet ist, daß Gesamtversorgungssysteme oder am Gehalt orientierte Höchstbetragssysteme weiterbestehen können und damit Arbeitnehmer im Alter eine Versorgung gleichmäßiger Höhe, orientiert am letzten Gehalt oder am dynamisierten letzten Gehalt erhalten.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist unerheblich, wer die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung finanziert hat. Es ist unerheblich, ob dies der die betriebliche Versorgung erbringende Arbeitgeber oder ein früherer Arbeitgeber war. Der Wortlaut von § 5 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG läßt eine Beschränkung auf diejenigen Versicherungsleistungen, die der die Versorgung tragende Arbeitgeber finanziert hat, nicht zu. Dies entspricht auch dem Zweck der Gesamtversorgungs- und Höchstbetragssysteme. Nur wenn die gesamte gesetzliche Sozialversicherungsrente erfaßt wird, lassen sie sich überhaupt aufrechterhalten. Hiervon ist bereits die ältere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, die vom Gesetzgeber kodifiziert worden ist (BAGE 7, 132, 134 = AP Nr. 43 zu § 242 BGB Ruhegehalt; 18, 200, 204 = AP Nr. 108, aa0, zu 4 der Gründe; Urteil vom 20. November 1975 - 3 AZR 566/74 -, BB 1976, 364 = DB 1976, 537; Urteil vom 19. Februar 1976 - 3 AZR 212/75 - AP Nr. 171, aa0, zu I 3 a der Gründe). Diese Rechtslage liegt auch der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde (BAG Urteil vom 27. November 1984 - 3 AZR 436/81 - AP Nr. 19 zu § 5 BetrAVG, zu II 3 der Gründe; Urteil vom 8. April 1986 - 3 AZR 611/84 - AP Nr. 22 zu § 5 BetrAVG, zu II der Gründe). Dieser Rechtsprechung ist im Schrifttum allgemein zugestimmt worden (Ahrend/Förster/Rößler, Steuerrecht der betrieblichen Altersversorgung mit arbeitsrechtlicher Grundlegung, Stand April 1985, Rz 522; Blomeyer/Otto, BetrAVG, 1984, § 5 Rz 85; Höhne bei Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, Bd. I, 2. Aufl., § 5 Rz 69, 70; Höfer/Abt, BetrAVG, 2. Aufl., § 5 Rz 73). An ihr ist festzuhalten, denn nur so ist gewährleistet, daß der Arbeitgeber die mögliche Versorgungslücke auffüllt und der Versorgungsberechtigte eine Versorgung erhält, die seinem bisherigen Lebensstandard entspricht.
4. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es nicht geboten, die Rechtsprechung des Senats zu ändern.
a) Der Kläger irrt, wenn er meint, die tarifliche Regelung verstoße gegen den Gleichheitssatz und den Grundsatz der Gleichbehandlung. Richtig ist, daß die Tarifverträge die Grundrechte einhalten müssen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, daß die Tarifverträge weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleichbehandeln dürfen (BVerfGE 4, 144, 155; seither ständig). Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer. Er enthält das Verbot der sachfremden Differenzierung zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung (BAG Urteil vom 8. Dezember 1977 - 3 AZR 530/86 - AP Nr. 176 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu 1 a der Gründe; Urteil vom 17. Mai 1978 - 5 AZR 132/77 - AP Nr. 42 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 1 der Gründe; Urteil vom 5. März 1980 - 5 AZR 881/78 -, BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II 1 der Gründe; Urteil vom 19. Juli 1983 - 3 AZR 241/82 -, BAGE 43, 173 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrAVG, zu II der Gründe).
Den Gleichheitssatz hat der Tarifvertrag nicht verletzt. Alle Arbeitnehmer, die gemessen an ihrem letzten Gehalt einen Versorgungsbedarf haben, erhalten eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung. Auch wenn diese eine Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im ganzen enthält, ist es nicht zu beanstanden, daß sie am Versorgungsbedarf des Arbeitnehmers orientiert ist. Es ist nicht willkürlich, wenn derjenige Arbeitnehmer mehr erhält, dem es in seiner Versicherungszeit nicht gelungen ist, eine gleichhohe Sozialversicherung aufzubauen, wie sie vielleicht in den Diensten der Beklagten erworben werden konnte.
b) Ebensowenig wird durch die Berücksichtigung der Sozialversicherungsrente aus früheren Arbeitsverhältnissen das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum des Klägers an seiner Sozialversicherungsrente verletzt. Der Kläger erhält seine Sozialversicherungsrente; sie wird lediglich bei der Betriebsrente berücksichtigt. Die Betriebsrente ist aber nur in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen letztem Gehalt und der Sozialversicherungsrente zugesagt.
c) Es ist auch nicht erkennbar, daß die Tarifvertragsparteien das Sozialstaatsprinzip verletzt hätten. Das Sozialstaatsprinzip gestattet bei der Bemessung der Höhe von Leistungen gerade eine Differenzierung nach dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit des Empfängers (vgl. für staatliche Leistungen BVerfGE 13, 259). Dem Kläger ist wie allen Arbeitnehmern der Beklagten aufgrund des Tarifvertrages eine Versorgungszusage erteilt, nach der ihm Altersversorgung in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen seiner Sozialversicherungsrente und 75 v.H. seines dynamisierten Gehalts gewährt wird. Damit scheidet eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips aus.
d) Letztlich kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, er habe darauf vertrauen dürfen, daß in früheren Arbeitsverhältnissen erdiente Sozialversicherungsrenten nicht berücksichtigt würden. Die Tarifregelung ist eindeutig. Eine fehlerhafte Tarifauslegung ist aber nicht schutzwürdig.
Schaub Griebeling Dr. Peifer
Dr. Bächle Zilius
Fundstellen
Haufe-Index 438560 |
BB 1988, 2037-2038 (LT1-2) |
NZA 1988, 692-694 (LT1-2) |
RdA 1988, 319 |
ZTR 1988, 427-428 (LT1-2) |
AP § 5 BetrAVG (LT1-2), Nr 27 |
AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 207 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 460 Nr 207 (LT1-2) |
EzA § 5 BetrAVG, Nr 19 (LT1-2) |
SGb 1989, 31 (K) |
VersR 1989, 417 (L) |